Zentralbl Chir 2010; 135(5): 401-402
DOI: 10.1055/s-0030-1262607
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Die Behandlung von Pathologien der Aorta und ihrer großen Äste

Vascular and Endovascular Surgery of the Aorta and Visceral ArteriesT. Schmitz-Rixen1
  • 1Klinikum der Goethe-Universität, Klinik für Gefäß- und Endovascularchirurgie, Frankfurt am Main, Deutschland
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Publication Date:
25 October 2010 (online)

Die Gefäßchirurgie hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert und diese Veränderungen sind vornehmlich ein Resultat vielfältiger äußerer Einflüsse. Die wesentlichste intrinsische Veränderung kam durch die Entwicklung der Stentgrafttechnologie vornehmlich für die Aorta und ihre großen Äste. Ein innovativer Protagonist war der Gefäßchirurg Parodi, das wissenschaftliche Pendant der Londoner Gefäßchirurg Greenhalgh. An äußeren Einflüssen stehen gewaltige demografische Veränderungen, die rasante Entwicklung endovaskulärer Verfahren zur Therapie der obstruierenden Gefäßerkrankungen und deren Nutzbarmachung durch konkurrierende Spezialfächer wie Kardiologie, Angiologie und interventionelle Radiologie, die Evolution der Weiterbildung, staatliche und nichtstaatliche Kontrollmaßnahmen, politische Zertifizierungswünsche ohne Berücksichtigung von Fach- und Strukturfragen und eine veränderte Erwartungshaltung der Bevölkerung. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass sich an diesen Einflussfaktoren und Stellschrauben etwas ändert. Jedoch haben die äußeren Einflüsse zu gewaltigen innovativen Anstrengungen der Gefäßchirurgen und der sie vertretenen Fachgesellschaft geführt. Diese Innovationen bedienen die Trends der nächsten Jahre; wie gut, wird die Zukunft zeigen. Äußeres Zeichen dieser Anstrengungen ist die kürzliche Namensänderung der deutschen Gesellschaft in „Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin, Gesellschaft für operative, endovaskuläre und präventive Gefäßmedizin“.

Jede Innovation muss permanent von einer kritischen Bestandsaufnahme begleitet werden. Der einzelne Anwender, aber auch das zuweisende Umfeld müssen sich hieran orientieren können. Die in dieser Ausgabe publizierten Arbeiten stellen eine solche Bestandsaufnahme dar und charakterisieren exemplarisch rund um die Aorta das heutige Arbeitsumfeld und Leistungsspektrum der Gefäßchirurgen: Den Auftakt bildet eine Arbeit zum Aneurysma-Screening, mit dem sich in unseren europäischen Nachbarländern die Aneurysma-Mortalität halbieren ließ. Bis zu einem bundesweiten Screeningprogramm gibt es noch viele bürokratische Hürden und anderweitige Interessen zu überwinden. Leichter hat es da schon die Aachen-Maastrichter Gruppe, ihr wenngleich auch wesentlich aufwändigeres intraoperatives Neuromonitoring bei thorako-abdominellen Aneurysmata zu etablieren. Aber auch hier scheint zu gelten, dass das schwierige Thema nur durch mehrere Monitoring-Techniken beherrscht werden kann. Wer kein Monitoring einsetzt, wird in Zukunft gezwungen sein, alle prädiktiven Techniken prophylaktisch anzuwenden. Interessant wird die Diskussion, inwieweit diese Techniken auf die endovaskuläre Ausschaltung übertragen werden müssen. Eine erste positive Bilanz einer endovaskulären Behandlung von juxtarenalen Aneurysmen mittels gefensterten und thorako-abdominellen Aneurysmen durch gebranchte Prothesen zieht die Münsteraner Arbeitsgruppe. Interessant ist der hohe Prozentsatz an Eingriffen in Lokal- bzw. Regionalanästhesie bei einem Krankengut mit hoher Begleitmorbidität. Deutlich klingt durch, dass eine Schwachstelle dieser Technik die zu den Seitenästen eingesetzten gecoverten Stents darstellen. Bei exzessiven Kalzifizierungen der Gefäßwand wie bei der Coral Reef Aorta finden die endovaskulären Verfahren ihre Grenzen. Hier kann die konventionelle offene Gefäßchirurgie in erfahrenen Zentren zur hohen Blüte gelangen, wie die Düsseldorfer Arbeitsgruppe mit eindrucksvollen Ergebnissen an einem geradezu riesigen Krankengut beweist. Der gefäßchirurgische Nachwuchs wird bei der heutigen geringen Lernexposition an offener Aortenchirurgie diese Exzellenz kaum noch erreichen. Dies wird zum Problem, da zu befürchten ist, dass solche Fälle dann in Zukunft als inoperabel klassifiziert werden. Der Nachwuchs in Ulm beschäftigt sich derweil mit den Verankerungsmechanismen von aortalen Stentgrafts. Höchst interessant ist der Einfluss dieser Verankerungssysteme auf therapiebedürftige Aneurysma-Halserweiterungen, wobei suprarenale Verankerungen hier einen negativen Einfluss hatten. Die Autoren erkennen ihren eigenen Selektions-Bias und diskutieren die Überstrapazierung der Methode. Ein sehr schönes Beispiel für ein ausgewogenes differenzialtherapeutisches Vorgehen kommt aus Erlangen mit der Behandlung von Viszeralarterien-Aneurysmen. Indikationsstellung, das offen chirurgische oder endovaskulär chirurgische Vorgehen werden sorgfältig herausgearbeitet. Differenzialdiagnostisch wichtig auch für jeden Viszeralchirurgen erscheint das Kapitel über die rupturierten Viszeral-Aneurysmen. Die endovaskuläre Therapie ist mit einer sorgfältigen Nachkontrolle, bevorzugt heute durch KM-CT, verbunden. Damit geht eine signifikante Strahlenbelastung und, durch das Kontrastmittel bedingt, eine Nierenbelastung einher. Die Regensburger Arbeitsgruppe stellt ein Konzept vor, bei dem die Majorität dieser belastenden Untersuchungen durch Ultraschall ersetzt wird. Auch hier wird und muss eine Fülle von Erfahrungen bundesweit kompetent verbreitet werden. Die Fachgesellschaft nimmt sich dieser Wissensvermittlung nicht nur auf dem traditionellen Kongressweg, sondern auch ganz pragmatisch in ihrer Akademie an.

Die publizierten Arbeiten und die dahinter stehende klinische Arbeit sind nur auf der Basis einer kooperativen Arbeit in den Gefäßzentren möglich. Vor diesem Hintergrund wird ein besseres System des „Total Vascular Care“ für Diagnostik, Therapie, Primär- und Sekundärprävention von Gefäßerkrankungen entstehen. Und nicht zuletzt wird ein Trend erhalten bleiben: Die Gefäßchirurgie ist und bleibt ein innovatives Fach. Die Lektüre der Arbeiten in diesem Heft wird Ihnen dies bestätigen.

T. Schmitz-Rixen

Prof. T. Schmitz-Rixen

Klinikum der Goethe-Universität · Klinik für Gefäß- und Endovascularchirurgie

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