Psychiatr Prax 2009; 36(2): 97
DOI: 10.1055/s-0029-1220831
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Leserbriefe
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Weig W. Privatisierung der Niedersächsischen Landeskrankenhäuser und ihre Folgen - Trägerwechsel der Niedersächsischen Krankenhäuser Psychiat Prax 2009; 36: 43-45

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Publication Date:
08 April 2009 (online)

 

Herr Weig skizziert in bewundernswerter Abgewogenheit die politischen Hintergründe und gesellschaftlichen Prozesse, die zu der Privatisierung der NLKHs führten. Er weiß wovon er spricht: hat er doch lange verantwortlich die Erneuerung der Identität mit betrieben, die große Häuser in der modernen Psychiatrie entwickeln. Nach einer stärkeren Pointierung verlangt jedoch m.E. die Veränderung, die seit der Privatisierung gerade in Häusern wie Osnabrück (aber auch Neustadt in Schleswig-Holstein und anderen traditionsreichen Institutionen) durchgesetzt wird. Es ändert sich nicht nur der ökonomische Druck, den Herr Weig auch benennt. Bedeutsame Veränderungen vollziehen sich viel mehr auch in der Beziehungslandschaft der Häuser, sowohl was Mitarbeiter als auch was Patienten betrifft. Es entsteht ein Klima von Angst, Wut und Resignation bei den Mitarbeitern. Die Mitmenschlichkeit im Umgang, die gerade in psychiatrischen Arbeitsfeldern unerlässlich ist, um die Arbeit mit den Patienten human zu rahmen, bleibt oftmals derart brutal auf der Strecke, dass es einem den Atem verschlagen kann. Gespräche mit Kollegen, die als Arzt oder Krankenpfleger in privatisierten Kliniken arbeiten oder die als Betriebsrat die zunehmenden Auseinandersetzungen mit kooperationsunwilligen Arbeitgebern führen, haben mir das in den letzten ein, zwei Jahren immer wieder gezeigt. Dieser Trend "Weg von den humanen Fundamenten psychiatrischer Arbeit" zeigt sich in fast allen privatisierten Bereichen. Insbesondere aber der Ameos-Konzern mit seinem besonders rigide durchgezogenen Primat der Rendite erweist sich in diesem Prozess als gnadenlos. Hierin zeigt sich nicht nur eine bedauerliche gesellschaftliche Kehrtwende, unter der pflegende und therapeutische Mitarbeiter zu leiden haben. Es zeigt sich darin ein Paradigmenwechsel im Umgang mit psychisch kranken Menschen, der mir gerade in Deutschland Angst macht. Der gesellschaftliche Konsens, der uns seit den 70er-Jahren mit der Psychiatrieenquete über trennende Grenzen psychiatrischer Schulenzugehörigkeiten hinweg viel Bewegung in der Psychiatrie innerhalb und außerhalb der Klinikmauern ermöglicht hat, bröckelt (nicht nur, aber auch wegen der Privatisierung). Die Skandalisierung dieses Sachverhaltes kann deutlichere Worte vertragen, als Herr Weig sie findet. Vor diesem Hintergrund ist aber auch wertzuschätzen, dass er das Thema in der Fachöffentlichkeit präsentiert.

Ein Nachsatz zu meinem eigenen Kontext (um dem Eindruck vorzubeugen, allzu einäugig zu sein): die Klinik, in der ich seit über 20 Jahren arbeite, ist seit einigen Jahren aus der öffentlichen in eine konfessionelle Trägerschaft übergegangen. Ich weiß, dass die Arbeit durch Trägerwechsel beeinflusst wird. Auch hier muss ein tragfähiger Konsens immer wieder neu verhandelt und hergestellt werden. Als Mitglied unseres Klinikbetriebsrates erlebe ich diesen Prozess als genauso anstrengend wie als Psychologischer Psychotherapeut die Behandlungsprozesse auf Station. Daher weiß ich aber auch: im Vergleich zu den privaten Krankenhaushaien in deutschen Klinikwildwässern geht es auch anders.

Ingo Engelmann, Hamburg

Email: engelmann@bakb.net

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