Aktuelle Neurologie 2009; 36(4): 150
DOI: 10.1055/s-0029-1220336
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Strukturelle und organisatorische Probleme Neurologischer Kliniken oder die „Galeere Normalstation”?

Structural and Organisational Problems of Neurological Clinics or „Galley Slaves in Normal Wards?”G.  Deuschl 2. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
  • 1Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
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Publication Date:
15 May 2009 (online)

Prof. Dr. med. G. Deuschl

Die subjektive Wahrnehmung unseres Berufes als Klinikneurologen ist einheitlich positiv und die Begeisterung für unser Fach kennt kaum Grenzen, wenn es um den inhaltlich-wissenschaftlichen Fortschritt der Neurologie und die zunehmenden Möglichkeiten geht, unseren Patienten zu helfen. Dennoch spannt sich die empfundene Lebenswirklichkeit der täglichen Arbeit auf Station von der „Lust ein Neurolog zu sein” bis hin zur „Galeere Normalstation”. Nicht selten sind beide Selbstwahrnehmungen in derselben Person vereint. Manche erfahrene Neurologen – heute überwiegend in leitender Position – wissen hier zu berichten, dass es früher deutlich anstrengender und zeitaufwendiger war oder dass der Lohn der Arbeit früher eher die gelungene Heilung oder das strahlende Stationsteam als die volle Lohntüte waren. Solche Einlassungen tragen in der Regel wenig zur Lösung der aktuellen Probleme bei und jeder hat hier nur einen sehr engen Erfahrungshorizont, der sich auf eine oder wenige Kliniken bezieht. Selbst wenn die leitenden Neurologen vielleicht wissen, was man besser machen könnte, scheitern sie oft an den Grenzen der Ökonomie oder der uneinsichtigen, behäbigen oder alleine auf kurzfristigen Gewinn schielenden Verwaltung.

In dieser Situation ist es ausgesprochen nützlich und hilfreich über objektiv erhobene Daten zu verfügen, die die Lebenswirklichkeit abbilden und die Marksteine der tatsächlichen Belastung analysieren. Die in dieser Ausgabe veröffentlichte Studie von Frau Dr. Mache und Kollegen über „Die ärztliche Tätigkeit in der Neurologie – eine objektive Tätigkeitsanalyse in deutschen Krankenhäusern” ist eine überaus willkommene Analyse der Situation des Assistenzarztes, die klar das Verbesserungspotenzial aufzeigt. 60 Arbeitstage von 20 Ärzten auf Station wurden analysiert und die durchschnittliche Arbeitszeit lag bei über 9 Stunden. Weniger als 1 / 3 (3,3 Std.) davon dienten der unmittelbaren Patientenversorgung einschließlich diagnostischer Untersuchungen. Der größte Teil der übrigen Zeit wurde für administrative Aufgaben, Befundauswertung und Briefdiktate sowie für die interne Kommunikation aufgewandt. Die Zahl von 26 Unterbrechungen im Tagesverlauf und 25 Tätigkeitswechseln pro Stunde illustriert die erheblichen Anforderungen an die Flexibilität und das Multitasking der heutigen Assistententätigkeit. Eindrucksvoll belegen diese Daten die geringe Zeit, die wir mit dem Patienten verbringen können und die überbordende Verwaltungstätigkeit.

Die Arbeit lässt Fragen offen und man würde sich Auskünfte darüber wünschen, wie viel Zeit des Tages etwa für das Studium der Krankheiten der behandelten Patienten durch Lesen von Büchern, wissenschaftlichen Zeitschriften, Internet-Recherche oder Gespräche mit den Erfahrenen aufgewandt wird. All das ist ja entscheidend für den Erfolg der Arbeit und die Zufriedenheit der Ärzte. Die Studie ist auch erst ein Anfang, wenn es darum geht, das Spektrum der Tätigkeiten in der Neurologie zu erfassen. So konnte etwa die Tätigkeit von Arztwissenschaftlern offenbar noch nicht erfasst werden und die Lehraufgaben der Assistenten sind auch noch nicht detailliert genug berücksichtigt. Auch andere ärztliche Tätigkeitsprofile wie die Arbeit in der Funktionsdiagnostik, der der Ambulanzärzte oder der Oberärzte sind noch nicht analysiert. Es steht zu vermuten, dass bislang nur nicht universitäre Kliniken einbezogen wurden. Die Studie weist aber jetzt schon auf entscheidende Schwachstellen hin, die die Verantwortlichen vor Ort auf ihre Modifizierbarkeit prüfen sollten. Arzthelferinnen auf Station, bessere Organisation der Angehörigengespräche und Effizienzsteigerung der internen Kommunikation im Stationsteam sind alles nur erste Stichworte, um die es hier geht. Sie kann ein Ansporn werden, das Tätigkeitsprofil des neurologischen Stationsarztes so zu modifizieren, dass das Unwort von der „Galeere Normalstation” auf den Scheiterhaufen der Geschichte wandert.

Prof. Dr. med. Günther Deuschl

Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein

Schittenhelmstr. 10

24105 Kiel

Email: g.deuschl@neurologie.uni-kiel.de

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