Aktuelle Neurologie 2012; 39(07): 385
DOI: 10.1055/s-0032-1321393
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wandel in aktueller Bewertung neuer Wirkstoffe erfordert Erhebung pharmakoökonomischer Daten: Behandlungszufriedenheit von Fingolimod (Gilenya) im Vergleich zu Erstlinientherapeutika bei Patienten mit Multipler Sklerose (PANGAEA und PEARL)

T. Ziemssen
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Publication Date:
06 September 2012 (online)

Seit Einführung des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) am 1. Januar 2011 müssen pharmazeutische Unternehmen bei Inverkehrbringen eines neuen Wirkstoffs dessen Zusatznutzen gegenüber der Standardtherapie anhand von Daten aus kontrollierten klinischen Studien nachweisen. Zum Zeitpunkt des Markteintritts liegen dafür die Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels aus den Zulassungsstudien vor, welche üblicherweise keine pharmakoökonomischen Aspekte des Arzneimittels wie Behandlungszufriedenheit und Ressourcenverbrauch erfassen. Um diese Lücke für den neuen Wirkstoff Fingolimod zu schließen, wurden pharmakoökonomische Daten im Vergleich zur Erstlinientherapie in 2 Patientenkohorten erhoben, deren erste Zwischenergebnisse hier präsentiert werden.

Im April 2011 erfolgte sie Zulassung von Fiingolimod als erstes orales MS-Therapeutikum. Fingolimod ist ein kombinierter Spingosin-1-Phosphat-Rezeptor-Modulator sowie -Agonist, der erste Vertreter dieser neuen Wirkstoffklasse. Die Wirksamkeit und Sicherheit wurde in einem äußerst umfassenden Studienprogramm belegt. In einer Phase-III-Studie konnte eine signifikante Überlegenheit gegenüber IFN-β-1a i. m. u. a. hinsichtlich Reduktion der Schubraten und der Krankheitsaktivität im MRT gezeigt werden [1]. Um die Wirksamkeit, Sicherheit und Behandlungszufriedenheit von und mit Fingolimod in der täglichen Praxis zu untersuchen, wurde in Deutschland eine große, nicht interventionelle 5-Jahres-Studie (PANGAEA) aufgesetzt. Die Studie läuft derzeit im zweiten Jahr und sammelt außerdem in einem Teilkollektiv 2-Jahres-Daten zur Pharmakoökonomie. Die ebenfalls nicht-interventionelle Studie PEARL erfasst entsprechende Daten zur Erstlinientherapie mit Interferon-beta (IFN-beta) und Glatiramerazetat (GA). Dadurch wird ein Vergleich der Behandlungszufriedenheit und des Ressourcenverbrauchs von Fingolimod einerseits und der Erstlinientherapie andererseits ermöglicht. Die ersten Zwischenergebnisse mit 3-Monats-Daten sind nun verfügbar und angesichts der Bedeutung von Fingolimod als Therapieoption sollten diese möglichst zeitnah für behandelnde Ärzte offen gelegt werden.

Fingolimod wird einmal täglich oral verabreicht und ist damit frei von der Notwendigkeit zur Selbstinjektion und applikationsbedingten Nebenwirkungen. Außerdem treten keine grippeähnlichen Symptome auf. Beides stellt eine gute Voraussetzung für die Therapieadhärenz und damit einer bestmöglichen Wirksamkeit für den Patienten dar. Ein Beleg dieses Zusammenhangs steht zum jetzigen Zeitpunkt noch aus. In der PEARL-Studie haben bereits 1574 Patienten die Visite zu Monat 3 absolviert, in der pharmakoökonomischen Substudie der PANGAEA sind es 168 Patienten. Die Populationen sind hinsichtlich Geschlecht und Alter vergleichbar, unterscheiden sich aber leicht in der Krankheitsdauer (8,8 vs. 7,2 Jahre, Fingolimod vs. Erstlinientherapie). Die Fingolimod-Patienten zeigen zu Studienstart eine höhere Krankheitsaktivität als die Patienten, die IFN-beta oder GA bekommen (Schubrate: 1,2 ± 1,18 vs. 0,5 ± 0,87; EDSS: 3,0 ± 1,70 vs. 2,3 ± 1,52; Mittelwert ± SD). Das spiegelt die Anforderungen an die Anwendung von Fingolimod gemäß Zulassung wider, wonach Fingolimod nur bei Patienten mit einer hohen Krankheitsaktivität eingesetzt werden darf. Nahezu alle Patienten, die Fingolimod erhalten haben (98,8 %), fanden es einfach, das Medikament in seiner derzeitigen Form (orale Applikation) einzunehmen. Bei Patienten, die eine Erstlinientherapie erhalten (Injektion), waren es nur 66,1 % (einfach: 5,4 vs. 26,6 %; ziemlich einfach 6,6 vs. 20,0 %; sehr einfach 86,7 vs. 19,5 %, Fingolimod vs. Erstlinientherapie). Für 97 % der Patienten, die Fingolimod erhalten, war es einfach und bequem, das Medikament wie verschrieben (z. B. hinsichtlich Häufigkeit und Zeitpunkt der Applikation) einzunehmen. Unter den Erstlinienpatienten sagten das nur 69,5 % (einfach und bequem 5,4 vs. 26,9 %; ziemlich einfach und bequem 7,8 vs. 21,9 %; sehr einfach und bequem 83,7 vs. 20,6 %, Fingolimod vs. Erstlinientherapie). Mit Fingolimod sind doppelt so viele Patienten sehr zufrieden wie mit der Erstlinientherapie (42,2 vs. 21,4 %). Die Zufriedenheit mit dem Medikament scheint sich auch pharmakoökonomisch zu äußern, da die Anzahl der Krankschreibungstage im Median bei den Fingolimod-Patienten dreimal niedriger als bei den Erstlinienpatienten war (5 vs. 14).

Diese ersten Daten aus der praxisnahen Anwendung von Fingolimod zeigen, dass Patienten mit dieser einmal täglich oral einzunehmenden Medikation zufriedener sind als mit den zu injizierenden Erstlinientherapeutika IFN-beta und GA. Das sind gute Voraussetzungen für eine Verbesserung der Therapietreue und damit der Effektivität einer Behandlung. Die niedrigere Zahl an Krankschreibungstagen spricht außerdem dafür, dass Fingolimod diesbezüglich möglicherweise die Kosten reduzieren kann. Die hier dargestellten Daten der Zwischenauswertung lassen den Zusammenhang der Therapietreue mit der Effektivität der Behandlung sowie das mögliche Einsparpotenzial durch Reduktion der Krankschreibungen vermuten. Um solche Zusammenhänge abbilden zu können, ist die Erhebung von pharmakoökonomischen Daten zusätzlich zu den in den Zulassungsstudien erhobenen klinischen Parametern zu Wirksamkeit und Sicherheit von erheblicher Bedeutung. Mit der PEARL- und PANGAEA-Studie wurde zum ersten Mal die Pharmakoökonomie in der Multiple-Sklerose-Therapie in Deutschland prospektiv untersucht – ein Vorgehen, das für alle Substanzen im Markt lohnenswert wäre.

Tjalf Ziemssen, Dresden; Tom van Lokven, Nürnberg; Sonja Ortler, Nürnberg; Matthias Meergans, Nürnberg

 
  • Literatur

  • 1 Cohen JA, Barkhof F, Comi G et al. Oral fingolimod or intramuscular interferon for relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med 2010; 362: 4020-415