Zusammenfassung
Die Perversion gilt bislang als „Domäne des Mannes“. Die der Perversion inhärente Notwendigkeit bzw. Fähigkeit zu Sexualisierung von Aggression, zu Externalisierung und zu Fetischisierung wurden als Spezifität der männlichen Entwicklung verstanden. Perversionen bei Frauen wurden nicht erkannt, weil sie am falschen Ort gesucht wurden, d. h. ohne Berücksichtigung der Bedeutung der eigenständigen weiblichen Körpererfahrung für die psychosexuelle Entwicklung der Frau. Bei der Perversion der Frau beziehen sich Externalisierung und Fetischisierung auf den ganzen eigenen Körper, auf den Uterus im Besonderen, und auf das Kind (als das von ihr „erschaffene Produkt“ bzw. als Teil ihres Körpers). Die weiblichen Perversionen werden mit Fallvignetten dargestellt und interpretiert.
Abstract
Perversion has been traditionally the “domain of men”. The necessity and ability inherent in perversion of sexualizing aggression, of externalization and fetish formation were regarded as specific characteristics of male development. Perversions of women were not recognized, because they were looked for in the wrong place, without taking into account the significance of the particular female body experience for the psychosexual development of the woman. In the perversion of the woman the externalization and fetish formation refers to the whole of the own body and especially to the uterus and the child (as an own “product” or as a part of the own body). The female perversions are presented and interpreted here on the basis of case studies.
Notes
Schon Freud ging in seiner Arbeit über Fetischismus (1927) mit der Betonung der Ich-Spaltung im Abwehrvorgang weiter als in den „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ (1905).
Freuds Konzeption der „Nachträglichkeit“ erscheint mir nicht nur hilfreich für das Verständnis psychischer Vorgänge in der Pubertät, sondern darüber hinaus für die Entwicklung des Körperselbst über die gesamte Lebensspanne.
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Becker, S. Das weibliche Körperselbst und die Perversion. Forum Psychoanal 21, 242–254 (2005). https://doi.org/10.1007/s00451-005-0248-3
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