Das Reiter-Syndrom war im 20. Jahrhundert lange Zeit die vorherrschende Krankheitsbeschreibung für eine Arthritis im Anschluss an einen bakteriellen Harnwegs- oder Darminfekt mit der Trias aus Urethritis, Konjunktivitis und Arthritis. Die Bezeichnung Reiter-Syndrom hat sich in Lehrbüchern und Publikationen bis in jüngste Zeit gehalten, obwohl bereits 2000 wegen der Nazi-Vergangenheit von Hans Reiter vorgeschlagen wurde, sie nicht mehr zu verwenden [1,2,3]. Erst die Einführung der Bezeichnung reaktive Arthritis (ReA) für die nach Infektion mit Yersinia enterocolitica beobachtete Gelenkentzündung und die Assoziation mit dem HLA-B27 (Humanen-Leukozyten-Antigen B27) waren die entscheidenden Wegmarken für eine neue Klassifikation und spätere Zuordnung des einstigen Reiter-Syndroms zu den Spondyloarthritiden (SpA) [4, 5]. Im Folgenden werden die historischen Meilensteine in der Beschreibung der ReA aufgezeigt und die Tendenz, auch postinfektiöse Arthritiden der ReA zuzurechnen. Die für die Meilensteine der ReA prägenden Forschergruppen kamen überwiegend aus Europa (Tab. 1). Erst molekularbiologische Untersuchungen, an denen auch meine Arbeitsgruppe maßgeblich beteiligt war, haben durch den intraartikulären Nachweis von Erregersubstanzen ein neues pathogenetisches Verständnis der ReA erschlossen (Tab. 1).

Tab. 1 Meilensteine der Historie der reaktiven Arthritis (Literatur im Text)

Konzept der reaktiven Arthritis

Der Begriff ReA wurde 1969 eingeführt in einer Studie, die in Finnland Seren auf agglutinierende Antikörper gegen Yersinia enterocolitica untersuchte [4]. Darin wird die ReA als „kurzfristige, nicht eitrige“ Arthritis definiert und in einer weiteren Publikation dann als akute Arthritis gekennzeichnet, bei der „ein ursächlicher Erreger nicht aus der Gelenkflüssigkeit isoliert werden kann“ (Tab. 1; [4, 6]). Diese Arthritis wird beschrieben als Entzündung mit akutem Beginn, die sich kurz nach oder während einer Infektion anderswo im Körper entwickelt und dem rheumatischen Fieber ähnelt, aber durch andere Faktoren verursacht ist [4]. Als klinische Manifestationen der durch die Yersinien-Infektion verursachten akuten Arthritis sind ein Befall von 2 oder mehr Gelenken v. a. von Fingern, Knie und Sprunggelenk dokumentiert. Außerdem fanden sich als extraartikuläre Symptome eine Sakroiliitis, Rückenschmerzen, starke Myalgien, Erythema nodosum, Konjunktivitis, Iritis und fieberhafter Durchfall. Die Dauer der Arthritis betrug 1 Woche bis zu 5 Monate in den Fällen, in denen die Arthritis während des Nachbeobachtungszeitraums von 8 bis 11 Monaten abgeklungen war. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass eine solche ReA bereits zuvor gelegentlich für Infektionen mit Brucella, Shigella und Salmonella beschrieben wurde [4].

Kurz nach dem Bericht über die Assoziation des HLA-B27 bei ankylosierender Spondylitis wurde diese genetische Disposition auch für die reaktive Yersinien-Arthritis mitgeteilt [5, 7].

„Sexually acquired reactive arthritis“ und Chlamydien-induzierte ReA

Die nächsten Meilensteine in der Geschichte der ReA sind die Beschreibung der „sexually acquired reactive arthritis“ (SARA) gehäuft bei HLA-B27-positiven Patienten als Folge einer urogenitalen Infektion mit Chlamydia trachomatis (C.tr.) und der Nachweis von typischen Chlamydien-Elementarkörperchen im Gelenkmaterial mittels eines fluoreszeinmarkierten monoklonalen Antikörpers gegen C.tr. bei Patienten mit SARA [8, 9].

Dieser eindeutige Nachweis von C.tr. als Ursache einer ReA veranlasste meine Arbeitsgruppe, anstelle von SARA die erregerdefinierte Bezeichnung Chlamydien-induzierte Arthritis [10, 11] in die Literatur einzuführen, die im Folgenden mit den Synonymen „Chlamydia-induced“ ReA fortgeführt und als „Chlamydia-associated“ ReA modifiziert wurde (z. B. [12, 13]). Wenig später zeigten molekulare Techniken auf der Grundlage der Polymerasekettenreaktion (PCR) das Vorhandensein spezifischer chlamydialer DNA in einer Präparation von peripheren Leukozyten sowie von chlamydialer DNA und RNA in Synovia- und Synovialisproben [14,15,16,17]. Diese Befunde weisen darauf hin, dass mononukleäre Zellen Chlamydien zum Gelenk transportieren können, wo sie in einem persistierenden Infektionszustand die Entzündung erzeugen. Schließlich wurde auch Chlamydia pneumoniae (C.pn.) nach vorangegangenen Fallberichten in einer größeren serologischen Studie mit Patienten mit ReA als auslösender Erreger beschrieben vergleichbar der bekannten postenteritischen ReA [18]. Übereinstimmend mit C.tr. konnten durch Nachweis von chlamydialen ribosomalen RNA-Operons und „messenger RNA“ von verschiedenen C.pn.-Genen die Persistenz und Vitalität in der Synovialis bewiesen werden [19].

Bei C.-trachomatis-induzierter Arthritis wird der Organismus in infizierten Monozyten zum Gelenk transportiert, wo er sich in diesen Zellen innerhalb des Synovialgewebes einnistet, um eine Entzündung zu erzeugen. An dieser Stelle befinden sich die Bakterien im „persistenten“ Infektionszustand, der so genannt wird, weil die Genexpression äußerst ungewöhnlich ist und den Entwicklungszyklus außer Kraft setzt. Teilweise Antibiotikaresistenz (nicht Resistenz) ist ebenfalls charakteristisch für Persistenz.

Diagnose- und Klassifikationskriterien

Erstmals wurden 1983 von Amor Diagnosekriterien formuliert und in einer nationalen Studie der Französischen Gesellschaft für Rheumatologie die Ergebnisse der über ein Jahr gesammelten 352 Fälle präsentiert [20, 21]; 50 % der ReA konnten keinem auslösenden Erreger zugeordnet werden. Das HLA-B27-Antigen war in 68 % positiv. Vorläufige, nicht validierte Kriterien für die Diagnose der ReA konnten als Konsens von internationalen Experten für wissenschaftliche Studien im Jahr 2000 veröffentlicht werden [22].

In 1991 wurde die ReA als Untergruppe der SpA in die Klassifikationskriterien der European Spondyloarthropathy Study Group (ESSG) integriert [23]. Damit erfolgten die seitdem übliche Zuordnung der HLA-B27 assoziierten ReA zu der Gruppe der SpA und die Bezeichnung als „reaktive SpA“ [24]. Mit der Fortentwicklung der Klassifikationskriterien für die SpA wurde die ReA 2011 als Sonderform in die ASAS-Klassifikationskriterien der peripheren SpA aufgenommen [25]. Eine reaktive SpA besteht, wenn Arthritis/Enthesitis/Daktylitis innerhalb von 1 Monat nach einer vorangegangenen Infektion mit Symptomen von Urethritis/Zervizitis oder Durchfall auftreten.

Die gelisteten Kriterien nennen eine begrenzte Zahl von auslösenden Infekten, sodass andere vorangegangene Infektionen durch z. B. Clostridium difficile, Calmette-Guerin-Bacillus, C.pn. und Mycoplasma pneumoniae nicht berücksichtigt sind, die wegen der Häufigkeit des HLA-B27 ebenfalls als Erreger der HLA-B27-assoziierten ReA zugeordneten werden müssen [26,27,28,29]. Entsprechend unvollständig und nicht mehr auf dem neuesten Forschungsstand sind evidenzbasierte Vorschläge zur Diagnostik [30, 31].

Postinfektiöse und reaktive Arthritis

Anlässlich eines Symposiums der Weltgesundheitsorganisation wurden Arthritiden, die durch eine bekannte Infektion verursacht sind, in 3 Gruppen (infektiös, postinfektiös, reaktiv) eingeteilt entsprechend dem Nachweis von Erregern oder deren Bestandteilen im Gelenk (Tab. 2; [32]).

Tab. 2 Assoziation zwischen Infektion und Arthritis [39]

Diese Unterteilung in postinfektiös und reaktiv erfuhr jedoch in den 1990er-Jahren durch den Einsatz der neu verfügbaren molekularbiologischen Methode der PCR eine Relativierung. Aus Gelenkproben von Patienten mit durch verschiedene Erreger verursachter ReA konnten mikrobielle Produkte identifiziert werden (Tab. 3; [33, 34]).

Tab. 3 Nachweis von Erregern und mikrobiellen Produkten in Gelenken von Patienten mit ReA und postinfektiösen Arthritiden [40, 41]

Deshalb wurde vorgeschlagen, die Unterscheidung zwischen postinfektiöser Arthritis und ReA aufzugeben und für beide den Begriff „ReA“ vorzuziehen [35]. Daraus ist eine terminologische und nosologische Problematik entstanden. Einerseits existieren Klassifikations- und Diagnosekriterien für die klassische HLA-B27-assoziierte ReA, die der SpA zugeordnet und allgemein akzeptiert sind. Andererseits sind eine zunehmende Zahl von bakteriellen Erregern, Viren, Amöben, Helminthen, aber auch antivirale und antibakterielle Impfungen als Auslöser einer Arthritis beschrieben, die unter der Bezeichnung ReA publiziert wurden [36, 37]. Ähnlichkeiten der Pathogenese, der klinischen Manifestationen, des oft selbst limitierenden Verlaufes, der Assoziation mit dem HLA-B27 in Einzelfällen und eines mit wenigen Ausnahmen (Microsporidia, Tropheryma whippelii, Calmette-Guerin-Bacillus, Entamoeba hartmanni) fehlenden kulturellen Nachweises im Gelenk sind die die maßgeblichen Gründe für die Zuordnung dieser nichtseptischen, postinfektiösen Arthritiden zur ReA [36,37,38]. Die Ausweitung im Gebrauch der Bezeichnung ReA in der Literatur widerspricht der allgemein akzeptierten Klassifikation als SpA, auch wenn aus historischer Sicht die ursprüngliche Unterscheidung zwischen reaktiven und postinfektiösen Arthritiden nicht mehr gerechtfertigt ist.

Seit dem Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie werden Fälle einer akuten Post-COVID-19-Arthritis beschrieben, die wegen der vergleichbaren klinischen Merkmale ebenfalls als ReA klassifiziert wurden [39, 40]. Die Häufigkeit des HLA-B27 in der Falldokumentation entspricht mit 36 % der bei einer Shigellen-ReA registrierten Rate [39, 41]. Dennoch bleibt die Zuordnung zur ReA fraglich, und es wird argumentiert, diese postvirale Arthritis als „SARS-CoV2-triggered akute Arthritis“ oder „COVID-19-related Arthritis“ zu bezeichnen [42].

Therapie

Leitlinien für die Behandlung der ReA existieren bisher nicht. Die symptomatische Behandlung der ReA orientiert sich am Stadium der Krankheit [43, 44]. Zahlreiche Versuche einer Therapie der ReA mit verschiedenen Antibiotika brachten keinen Erfolg [45]. Wichtig war die Erkenntnis aus einer In-vitro-Studie, die eine mangelnde Elimination von Chlamydien durch eine antibiotische Monotherapie, aber erfolgreiche Elimination durch die Kombination von Rifampin und Azithromycin aufzeigte [46]. Folgerichtig führte eine 6‑monatige Behandlung mit der antibiotischen Kombinationstherapie von Doxycyclin oder Azithromycin kombiniert mit Rifampin bei Patienten mit chronischer Chlamydien-induzierter ReA, alle PCR-positiv für C.tr. oder C.pn. in Blut oder Synovialmembran, zu einer höheren Ansprechrate von 63 % und einer kompletten Remission in 22 % im Vergleich zu Placebogruppe mit 20 % Ansprechrate bzw. 0 % Remission [47]. Es fehlen jedoch weiterführende Studien für eine Übertragbarkeit dieser Therapie auf Patienten mit einer Chlamydien-induzierten ReA, deren Diagnose sich nur auf klinische Daten und/oder auf eine positive Serologie bezieht.

Studien zur Pathogenese der ReA sprechen für eine Th1- und Th17-dominierte Immunreaktion und zentrale Rolle der Zytokine TNF‑α, IL‑6 und der Achse IL-17/23 in der Vermittlung der Entzündung im Gelenk in der akuten und chronischen Phase der Erkrankung [48, 49]. Für die Gabe von TNF-Inhibitoren gab es zunächst theoretisches Bedenken wegen der möglichen Aktivierung persistierender Erreger, die sich aber nicht bestätigten. So existieren jetzt für die therapierefraktäre ReA positive Ergebnisse aus Fallberichten oder kleinen offenen klinischen Studien v. a. für TNF-Inhibitoren, aber auch für den Interleukin-6-Rezeptor-Antikörper Tocilizumab und den IL-17a monoklonalen Antikörper Secukinumab [49].

Zukunft

Berichte über Koinfektionen mit Chlamydien, Mycoplasma hominis und Ureaplasma urealyticum bei Patienten mit postvenerischer ReA weisen auf einen ungedeckten Forschungsbedarf hin, der zum Verständnis der Natur und der Folgen von Koinfektionen für die Diagnostik, den klinischen Verlauf und die Behandlung der chlamydialen ReA und SpA führen kann [50]. Die zukünftige Erforschung der Erreger-Wirt-Interaktion in Beziehung zum Darmmikrobiom verspricht einen wichtigen Beitrag zur Klärung der Pathogenese der reaktiven SpA [51].

Evidenzbasierte, validierte Diagnose- und Klassifikationskriterien müssen entwickelt werden, die das gesamte Spektrum der heute bekannten Erreger der reaktiven SpA erfassen. Erforderlich sind auch weiterführende kontrollierte Therapiestudien, die, ausgehend von den jüngsten Erfahrungen zur Wirksamkeit einer antibiotischen Kombinationstherapie und von Biologika bei chronischer ReA, eine validierte Therapieempfehlung ermöglichen. Die erfolgreiche Therapie der axialen SpA mit Januskinaseinhibitoren könnte auch eine Option für die Therapie der chronischen ReA sein [52, 53].

Fazit

Die ReA wurde initial als „kurzfristige, nicht eitrige“ Arthritis definiert und danach als akute Arthritis gekennzeichnet, bei der „ein ursächlicher Erreger nicht aus der Gelenkflüssigkeit isoliert werden kann“. Die Assoziation der posturethritischen und postenteritischen ReA mit dem HLA-B27 führte zur Einordnung in die Gruppe der SpA. Durch den Nachweis mikrobieller Produkte in Gelenkproben entstand eine Überlappung mit der Definition der postinfektiösen Arthritis, wodurch eine Vielzahl von bakteriellen Erregern, Viren, Amöben, Helminthen, aber auch antivirale und antibakterielle Impfungen als Auslöser unter der Bezeichnung ReA publiziert wurden. Daraus ist eine terminologische und nosologische Problematik entstanden, die zukünftig geklärt werden muss. Validierte Klassifizierungs- und Diagnosekriterien sowie evidenzbasierte Behandlungsempfehlungen sind unerlässlich, um das Verständnis der ReA weiter voranzutreiben.