Zusammenfassung
Sarkopenie ist mit einem erhöhten Risiko für Morbidität und Mortalität des älteren Menschen verbunden. Ganzkörpervibrationstraining (Whole-Body-Vibration, WBV) wird derzeit als „sanfte“ Alternative zu konventionellem Muskeltraining diskutiert. Die vorliegende Studie sollte klären, ob WBV die trainingsinduzierte Wirkung auf die Muskelmasse, die neuromuskuläre Leistungsfähigkeit und die Sturzhäufigkeit verbessern kann. Insgesamt 151 postmenopausale Frauen wurden randomisiert auf drei Gruppen verteilt: Trainingsgruppe (TG), Trainingsgruppe mit Vibration (VTG) und Kontrollgruppe (KG). Die TG absolvierte über 12 Monate zweimal pro Woche ein Multifunktionstraining u. a. mit einem Beinkraftzirkel ohne WBV, während die VTG dasselbe Programm mit einem Beinkrafttraining unter WBV durchführte. Die Messungen erfolgten zu Beginn und nach 12 Monaten. Trotz positiver Veränderung der fettfreien Körpermasse innerhalb beider Sportgruppen zeigte sich kein signifikanter Zwischengruppenunterschied. Beide TG verbesserten ihre Rumpfkraft jeweils signifikant (vs. KG). Auch die Beinkraft verbesserte sich in beiden TG, aber lediglich die VTG wies signifikante Unterschiede zur KG auf. Ebenfalls nur die VTG zeigte ein im Vergleich zur KG signifikant niedrigeres Risiko für Stürze.
Abstract
Sarcopenia is linked to an increased risk of morbidity and mortality in the aging. Whole body vibration (WBV) exercises are currently discussed as a “gentle” alternative to conventional exercises to improve muscle mass. The present study scrutinized whether a multipurpose (exercise) training program using WBV can improve muscle mass and neuromuscular capacity, while lowering fall risk. A total of 151 postmenopausal women were randomized into three groups: exercise group (TG), exercise group with vibration (VTG), and fitness control group (CG). The TG group participated in an exercise program including leg strengthening training twice a week over 12 months, while the VTG carried out an identical program with the leg exercises performed under WBV. Despite a positive trend regarding lean body mass in the two exercise groups, there was no difference between groups. Both exercise groups showed a significant increase (vs. KG) in trunk strength. An improvement in both exercise groups was also measured with respect to leg strength, but only the VTG showed significant differences compared to the CG. In addition, a significant lower risk of falls compared with the CG was evident only in VTG.
Sarkopenie, definiert als im Alter auftretender Muskelschwund, führt zu einer reduzierten Muskelfunktion, einer verminderten körperlichen Leistungsfähigkeit und geht häufig mit einem Verlust an Lebensqualität und Selbstständigkeit einher [23, 28]. Insbesondere Stürze und sturzinduzierte Verletzungen stehen dabei in besonders engem Zusammenhang mit dem Verlust der Muskelmasse und der sich daraus ergebenen funktionellen Kapazität [11]. Negative Veränderungen der Muskelmasse und funktionellen Kapazität sind jedoch in jedem Alter reversibel [31]. Auch für den Bereich der Sturzinzidenz belegen Untersuchungen, dass sich die Sturzhäufigkeit durch Bewegungsprogramme um bis zu 30–40% senken lässt [12]. Während bei einer Vielzahl unterschiedlichster Trainingsinhalte ein positiver Effekt auf die Sturzhäufigkeit nachgewiesen werden konnte, bedarf es zur effektiven Steigerung der Muskelkraft eines spezifischen Trainings. Hier erwies sich ein hochintensives Krafttraining als wirksam, der Sarkopenie entgegenzuwirken und die muskuläre Leistungsfähigkeit zu steigern [7, 28]. Die Realisierung der nötigen intensiven Reizintensitäten ist bei älteren Menschen aufgrund einer alterbedingten verminderten Belastbarkeit und häufig bestehenden Erkrankungen oft problematisch. Weiterhin ist die Bereitschaft des älteren Menschen, entsprechende Programme lediglich aus präventiver Motivation heraus mehrmals wöchentlich auszuführen, gering [17].
Ganzkörpervibrationstraining (WBV) stellt eine neue alternative Trainingsmethode dar, die derzeit im Zusammenhang mit einer Verbesserung der neuromuskuläre Leistungsfähigkeit gesehen wird. Die These ist hierbei, dass trotz kurzer Applikationsdauer und relativ geringer Belastungsintensität auf der Basis einer reflektorisch erhöhten Aktivierung der Muskelaktivität langfristig neuromuskuläre Adaptionen induziert werden. Tatsächlich führte in mehreren Studien ein WBV bei älteren Menschen zu einer Steigerung der Maximalkraft [18, 21, 25, 27, 30] und Muskelleistung [24, 25] der Beine. Ferner konnte eine positive Beeinflussung des Gangbildes [1, 4] und des Gleichgewichtsvermögens [1, 4, 18, 30] durch WBV erreicht werden.
Im Rahmen der Erlanger longitudinalen Vibrationsstudie (ELVIS), einer randomisierten, kontrollierten Interventionsstudie mit Frauen über 65 Jahren, untersuchen wir die Effekte eines in ein Multifunktionstraining integriertes WBV-Training auf ossäre (Knochenparameter) und extraossäre Risikofaktoren (Sturzhäufigkeit) einer Osteoporose. Mit der hier vorgestellten Untersuchung verfolgten wir die Fragestellung, ob der Effekt eines ganzheitlich ausgerichteten Trainings auf die Muskelmasse, die neuromuskuläre Leistungsfähigkeit und insbesondere die Sturzhäufigkeit als primären Endpunkt durch die Applikation von Vibrationen in seiner Wirkung gesteigert werden kann. Basis für diesen Beitrag sind unsere Einjahresergebnisse.
Probanden und Methoden
Die ELVIS ist eine 18-monatige, randomisierte und einfach verblindete Untersuchung bei über 65-jährigen Frauen. Die Untersuchung wurde vom Bundesamt für Strahlenschutz (Z5-22462/2-2005-026) und von der Ethikkommission der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Ethik-Antrag 3354) überprüft und genehmigt. Alle Teilnehmerinnen gaben vor Beginn der Untersuchung ihre schriftliche Einwilligung. Die Untersuchung wurde vom Institut für Medizinische Physik der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg durchgeführt. Die statistische Begleitung der Untersuchung erfolgt durch das Institut für Biometrie und Medizinische Statistik der FAU. Die Studie ist unter http://www.clinicaltrials.org registriert.
Probandenkollektiv
Das Studienprotokoll wurde in vorhergehenden Veröffentlichungen genau beschrieben [13, 14]. Die Rekrutierung erfolgte über persönliche Anschreiben an Frauen über 65 Jahre in der Region Erlangen-Nürnberg. Insgesamt wurden 151 Probandinnen in die Studie eingeschlossen, nachdem folgende Ausschlusskriterien angewendet worden waren: Erkrankungen/Medikamente mit Einfluss auf den Knochenstoffwechsel, Erkrankungen/Medikamente mit Einfluss auf die Sturzneigung [29], Endoprothesen im Bereich der unteren Extremitäten und der Wirbelsäule, Augenerkrankungen mit Beteiligung der Netzhaut und Thrombosen. Die Teilnehmerinnen wurden unter Stratifizierung für das Lebensalter mittels Blockrandomisierung in drei Gruppen eingeteilt: Vibrationstrainingsgruppe (VTG), klassische Trainingsgruppe (TG), Wellness-Kontrollgruppe (KG).
Intervention
Eine exakte Beschreibung der Übungsprogramme wurde schon in vorausgegangenen Veröffentlichung gegeben [13, 14], sodass hier nur eine kurze Zusammenfassung erfolgt.
Trainingsgruppen
Das Training in den beiden Trainingsgruppen bestand aus zwei überwachten gemeinsamen Trainingseinheiten (TE) pro Woche mit, bis auf die Ganzkörpervibration innerhalb des dynamischen Krafttrainings, identischen folgenden Inhalten:
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20 min Low-Impact-Aerobic bei 70–85% HFmax (maximale Herzfrequenz),
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3–5 min Gleichgewichtsübungen,
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20 min isometrisches und dynamisches Krafttraining ohne Geräte bzw. mit Kleingeräten (Theraband®), 8–10 s maximale Anspannung, 12–15 Wiederholungen,
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12 min Beinkrafttraining/Vibrationsbeinkrafttraining als Zirkeltraining auf Vibrationsplatten (Vibrafit®, Solms, Deutschland). 3 Übungen (Wadenheben, Ausfallschritte/Kniebeugen, Beinabduktion), 2 Sätze, 1 min Belastungsdauer, 1 min Pausendauer (Dehnübungen) bei ca. 65–70% des Einwiederholungsmaximums.
Beide Übungsgruppen führten absolut identische Übungen auf der Plattform aus, wobei nur in der VTG die Vibrationsgeräte eingeschaltet waren. Die Vibrationsfrequenz wurde nach 3 Monaten von 25 auf 30 Hz, nach 6 Monaten von 30 auf 35 Hz erhöht. Eine Belastungssteigerung wurde ferner nach 6 Monaten über eine Modifikation der Übungen – beispielsweise statt beidbeinigem „Fersenheben“ einbeinige tiefe Squats (Kniebeugen) mit „Fersenheben“, Erhöhung der Bewegungsgeschwindigkeit bei den einbeinigen Squats – realisiert. Ein Kontakt zwischen den Trainingsgruppen wurde durch die Wahl unterschiedlicher Trainingszeiten vermieden.
Zur Standardisierung des Programms erfolgte alle 6 Wochen mit den qualifizierten Übungsleitern ein Briefing mit Vorstellung und Durchführung neuer Übungen. Die Compliance der Teilnehmerinnen wurde in Trainingstagebüchern per Unterschrift dokumentiert. Zusätzlich zum Gruppentraining wurden die Teilnehmerinnen angewiesen, Kräftigungs- und Dehnübungen als Heimtraining (ca. 15 min, 2-mal/Woche) durchzuführen. Die Häufigkeit der durchgeführten Heimtrainingseinheiten wurde im Trainingstagebuch dokumentiert.
Wellness-Kontrollgruppe
Die Wellness-Kontrollgruppe absolvierte über den Interventionszeitraum ca. 30 Einheiten „Wellnessprogramm“ in drei Zehnerblöcken (einmal 60 min pro Woche). Dieses beinhaltete sanfte Bewegungs- und Entspannungsformen und sollte die Endpunkte der Untersuchung möglichst nicht beeinflussen.
Nahrungsergänzung
Alle Gruppen wurden gemäß den Ergebnissen eines viertägigen Ernährungsprotokolls mit Kalzium und Vitamin D supplementiert, sodass eine Versorgung mit 1500 mg Kalzium und 400 Einheiten Vitamin D gewährleistet war.
Messungen
Die Messungen wurden jeweils zur selben Uhrzeit und von demselben Untersucher durchgeführt. Die Untersucher und Messgehilfen wurden dahingehend verblindet, dass der Gruppenstatus des Probanden nicht bekannt war und nicht erfragt werden durfte.
Antropometrische Daten und Körperzusammensetzung
Das Gewicht wurde mit einer Digitalwaage (Tanita TBF-305, Tokio, Japan) und die Körpergröße mit einem Stadiometer gemessen. Die fettfreie Körpermasse als valides Maß der Muskelmasse [6] und das Körperfett wurden mithilfe der DXA-Gesamtkörpermessung (Dual X-ray-Absorptiometrie) erfasst (QDR 4500a, Discovery Upgrade, Bedford, USA).
Sturzhäufigkeit
Die Sturzhäufigkeit der Teilnehmerinnen wurde prospektiv über Sturztagebücher dokumentiert. Ein Sturz war definiert als „unerwartetes Ereignis, bei dem der Proband auf dem Boden oder zumindest auf niedrigerem Niveau zum Liegen kommt“ [15]. Für jeden Monat erhielten die Teilnehmerinnen ein Sturzkalenderblatt, auf dem sie an jedem Tag die zutreffende Option ankreuzen und Details beschreiben sollten. Die Sturztagebücher wurden monatlich eingesammelt. Beim Fehlen eines Sturztagebuches oder bei Unklarheiten wurden die Teilnehmerinnen telefonisch kontaktiert.
Isometrische Maximalkraft
Die isometrische Maximalkraft wurde für folgende Bereiche erhoben:
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Beinstrecker via Beinpresse (Knieflexion 85°) mit einer Kraftmessplatte (mtd-systems, Neunburg vorm Wald, Deutschland),
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Rumpfflexoren und -extensoren (M3, Schnell, Peutenhausen, Deutschland) und
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Handflexoren mittels Dynamometer (Jamar, Preston, Bollington, USA).
Die Probanden wurden angewiesen, über 3 Sekunden maximal anzuspannen bzw. Druck aufzubauen. Wenn beide Versuche um weniger als 5% differierten, wurde jeweils der bessere Versuch gewertet, ansonsten wurde ein weiterer Versuch durchgeführt. Motivationshilfen und Anspornen der Teilnehmer seitens des Untersuchers waren nicht erlaubt.
Explosivkraft
Die Explosivkraft wurde isometrisch an der Beinpresse (Knieflexion 85°) mit einer Kraftmessplatte (s. o.) gemessen, wobei die Probenden möglichst schnell und kräftig gegen die Platte drücken sollten. Die Kraft-Zeit-Kurven wurden hinsichtlich des maximalen Kraftanstiegs (N/ms) analysiert. Der bessere von zwei Versuchen wurde gewertet (s. o.).
Sprungkraft
Die Messung der Sprungkraft erfolgte über eine Kraftmessplatte (s. o.), auf der ein Squat Jump (Sprung aus der Hockstellung) ausgeführt wurde. Aus den Kraft-Zeit-Kurven wurden die Sprunghöhe und die Sprungleistung berechnet. Der bessere von zwei Versuchen wurde gewertet (s. o.).
Maximale Sauerstoffaufnahme
Die maximale Sauerstoffaufnahme wurde zu Studienbeginn über einen Laufbandstufentest (Maxxus® T1, Groß-Gerau, Deutschland) mittels Spiroergometrie (Oxycon mobile, Viasys, Conshohocken, PA, USA) erhoben. Ausgehend von einer Geschwindigkeit von 5 km/h wurde die Steigung des Laufbandes alle 2 Minuten um 1 Grad erhöht, bis die Probandin wegen subjektiver Ausbelastung abbrach.
Fragebögen
Über einen Anamnese- und Kontrollfragebogen wurden neben allgemeinen Teilnehmerdaten Parameter (Medikamente, Erkrankungen etc.) mit Einfluss auf die erhobenen Endpunkte sowie Veränderungen dieser Variablen erfasst. Der Anamnesefragebogen wurde zu Beginn ausgefüllt und ausgewertet, der Kontrollfragebogen jeweils nach 6 und 12 Monaten.
Die aktuelle Ernährungssituation der Teilnehmerinnen wurde anhand eines 4-tägigen Ernährungsprotokolls zu Beginn der Untersuchungen dokumentiert. Die Auswertung dieses Protokolls erfolgte mit einem speziellen ernährungswissenschaftlichen Programm (Prodi-4,5/03 Expert).
Statistische Analyse
Die Poweranalyse zur Fallzahlermittlung basierte auf dem hier nicht fokussierten primären Endpunkt „Knochendichte“. Soweit nichts anders beschrieben, sind alle Messwerte als Mittelwerte mit Standardabweichungen angegeben. Die Eingangsdaten der Studienteilnehmerinnen wurden anhand einer einfaktoriellen ANOVA verglichen. Die Zwischengruppeneffekte (Zeit-Gruppen-Interaktion) bezüglich der erhobenen Parameter wurden mithilfe einer Varianzanalyse mit Messwiederholung (zweifaktorielle ANOVA) berechnet. Die Veränderung innerhalb der Gruppen zwischen basaler Messung und der Einjahreskontrollmessung wurde mit abhängigen t-Tests bestimmt. Zur Bestimmung der Sturzhäufigkeit wurde ein negatives binomiales Regressionsmodell berechnet. Zur Darstellung der Sturzergebnisse wurde die Sturzrate (Stürze/Person/12 Monate), zur Darstellung der Zwischengruppenunterschiede die Incidence Rate Ratio (IRR), also das Verhältnis der Stürze zwischen den jeweiligen Gruppen, gewählt. Als p-Niveau wurde eine Irrtumswahrscheinlichkeit unter 5% (p<0,05) als signifikant definiert. Für die statistische Analyse wurde das Programm SPSS 14.0 (SPSS Inc., Chicago, IL, USA) verwendet. Es erfolgte eine Per-Protocol-Analyse, bei der nur die Personen berücksichtigt wurden, die trainiert hatten (Abb. 1).
Ergebnisse
In Abb. 1 wird der Studienverlauf über 12 Monate dargestellt. Insgesamt 151 Teilnehmerinnen wurden zu Beginn in die Studie eingeschlossen. Sieben Probandinnen der VTG und 5 Teilnehmerinnen der TG brachen das Training vorzeitig ab, 4 Teilnehmerinnen der VTG führten trotz umfangreicher Aufklärung auf ärztlichen Rat kein Vibrationstraining durch. Bei der Jahresmessung konnten alle Teilnehmerinnen der Trainingsgruppen, die das Trainingsprotokoll absolviert hatten, untersucht werden (VTG: n=39, TG: n=45). In der KG brachen drei Teilnehmerinnen die Intervention vorzeitig ab und eine Teilnehmerin verstarb, sodass die Daten von 47 Teilnehmerinnen in die Analyse eingingen. Zwischen Teilnehmerinnen, die das Training über den Interventionszeitraum durchführten, und „Aussteigern“ waren keine signifikanten Unterschiede bezüglich der die Endpunkte beeinflussenden Parameter festzustellen. Darüber hinaus zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Baselinewerten aller Teilnehmer und denen der Teilnehmer, die in die abschließende Analyse einbezogen wurden. Die Trainingshäufigkeit der beiden Trainingsgruppen war mit 82,4±18,7 durchgeführten TE in der VTG und 77,2±19,9 TE in der TG vergleichbar (VTG: 1,68 TE/Woche, 84% Anwesenheitsrate; TG: 1,58 TE/Woche, 79% Anwesenheitsrate). Die „Durchführungsrate“ für das Heimprogramm lag mit 43% bzw. 41% in beiden Gruppen in einem ähnlichen Bereich. Während des Interventionszeitraumes kam es bei den Übungsveranstaltungen weder zu Verletzungen noch zu kardialen/metabolischen Ereignissen.
Die anthropometrischen und ernährungsspezifischen Charakteristika sowie Parameter der funktionellen Kapazität zu Studienbeginn werden in Tab. 1 aufgezeigt. Für keinen der aufgeführten Parameter wurde ein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen erfasst. Parallel dazu konnten auch für die jeweiligen in die Einjahresanalyse eingeschlossenen Kollektive (Abb. 1) keine Unterschiede festgestellt werden.
Anthropometrie und Körperzusammensetzung
In Tab. 2 werden die Parameter Gewicht und fettfreie Körpermasse (LBM) zu Studienbeginn und nach einem Jahr in den drei Gruppen dargestellt. Es ließen sich keine signifikanten Veränderungen (je p>0,10) in den drei Gruppen feststellen. Die VTG verzeichnete eine leichte Gewichtsreduktion von 0,5 kg und eine Zunahme an LBM von 0,6%. Ähnlich verhielt es sich in der TG, in der sich das Körpergewicht um 0,4 kg reduzierte, während die LBM um 1,4% anstieg. Praktisch keine Veränderung zeigte sich in der Wellness-KG. Nach Post-hoc-Analyse zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen.
Maximalkraftmessung
Die Ergebnisse der isometrischen Maximalkraftmessungen (Beine, Rumpfflexion, Rumpfextension, Handkraft) zu Studienbeginn und nach einem Jahr zeigt Tab. 3.
Die isometrische Maximalkraft der Beine verbesserte sich in beiden Trainingsgruppen jeweils signifikant (VTG 22%, TG 14%; Abb. 2 a), während in der Kontrollgruppe keine signifikanten Veränderungen auftraten (3%). Der Unterschied zwischen der VTG und der KG erreichte das Signifikanzniveau (p=0,006), während der Unterschied zwischen der TG und der KG nicht signifikant (p=0,104) war (Abb. 2 a). Auch bezüglich der Rumpfflexionskraft wurde für beide Trainingsgruppen eine deutliche Steigerung nachgewiesen (VTG 11%, TG 13%; Abb. 2 c), wobei die Veränderungen beider Gruppen im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant waren (p=0,034 bzw. p=0,010). Ein ähnliches Bild zeigte sich für die Maximalkraft der Rückenmuskulatur (Rumpfextension). Auch in dieser Region kam es zu signifikanten Gewinnen in beiden Trainingsgruppen (VTG 16%, TG 20%; Abb. 2 b), die im Vergleich zur KG, die nur einen tendenzielle Zuwachs von 6% aufwies, signifikant waren (p=0,045 bzw. p=0,033). Bezüglich der Handkraft ließen sich nur signifikante Veränderungen in der UTG nachweisen, die im Vergleich zur KG nicht signifikant waren (Abb. 2 d).
In Tab. 4 werden die Ergebnisse der Messung der Explosivkraft an der Beinpresse und der Sprunghöhe und -leistung über den Squat Jump zu Studienbeginn und nach einem Jahr gezeigt. Bezüglich der Explosivkraft wiesen alle drei Gruppen Steigerungen auf, die in den Trainingsgruppen tendenziell ausgeprägter waren als in der KG (VTG 41%, TG 61%, KG 20%). Signifikante Zwischengruppenunterschiede waren allerdings nicht nachzuweisen. Bei der Analyse der Sprünge hinsichtlich Leistung und Höhe ergab sich ein uneinheitliches Bild mit nur geringen Änderungen ohne signifikante Zwischengruppenunterschiede (Leistung: VTG 0,2%, TG 4,1%, KG:−1,8%; Höhe: VTG 0,6%, TG 8,7%, KG 2,6%).
Sturzhäufigkeit
Insgesamt stürzten 13 Personen in der VTG, 21 Personen in der TG und 24 Personen in der KG ein oder mehrmals.
Die mittlere Anzahl der Stürze bzw. Stürze mit Verletzungen pro Person (Sturzrate) über den Zeitraum von einem Jahr in den drei Gruppen, die prospektiv mittels der Sturztagebücher erhoben wurde, sind in Tab. 5 dargestellt. Gemäß den Empfehlungen der PROFANE-Gruppe [15] wurden bei der Berechnung alle Stürze berücksichtigt. In Tab. 6 werden die entsprechenden Ergebnisse des Zwischengruppenvergleiches auf der Basis des negativen binomialen Regressionsmodells dargestellt. Zusammenfassend zeigt sich für die „Stürze gesamt“ ein signifikanter Zwischengruppenunterschied (p<0,001) zwischen VTG und KG, der sich bei den „Stürzen mit Verletzungen“ nicht erfassen lässt.
Diskussion
Die vorliegende Untersuchung ist die erste randomisierte, kontrollierte Studie, die den Langzeiteffekt von Vibrationstraining auf die neuromuskuläre Leistungsfähigkeit, die Körperzusammensetzung und Sturzhäufigkeit bei postmenopausalen Frauen untersucht. Die zentrale Fragestellung der vorliegenden Studie war, ob die Wirkung des unspezifischen Allroundtrainings durch die Applikation von Ganzkörpervibrationen verstärkt wird.
Obwohl diese Studie, in der Vibration lediglich einen von mehreren Trainingsinhalten darstellte, nur bedingt mit anderen Untersuchungen mit dezidierten Vibrationsstudienarmen vergleichbar ist, werden nachfolgend die Ergebnisse im Kontext mit diesen Literaturergebnissen diskutiert. Zusammenfassend wird sowohl bei postmenopausalen Frauen [21, 27, 30] als auch bei älteren Männern [2] und gemischten geriatrischen Kollektiven [1] über Veränderungen der Maximalkraft nach einem längerfristigen Vibrationstraining berichtet, die mit unseren Ergebnissen vergleichbar sind. Allerdings führte in anderen Studien ein Vibrationstraining auch zu positiven Veränderungen der Sprungkraft [2, 21, 25], der Muskelleistung [1] und/oder der Explosivkraft [1]. In Studien, deren Design eine Gruppe mit „klassischem“ dynamischen Krafttraining [21, 27, 30] oder Fitnesstraining [2] vorsah, waren die Zuwächse hinsichtlich Muskelkraft in der Vibrationsgruppe mit den Verbesserungen vergleichbar, die in den konventionellen Sportgruppen realisiert wurden. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die in den Trainingsgruppen erreichten Kraftzuwächse, die im Mittel ca. 15% betragen, im Vergleich zu Studien, die den Effekt eines intensiven Krafttrainings bei älteren Menschen fokussieren (Übersicht in [16]) deutlich geringer ausfallen. Allerdings verbesserte sich die Schnellkraft in drei vergleichenden Untersuchungen nur in der Vibrationsgruppe, nicht jedoch in den konventionellen Krafttrainingsgruppen [9, 21, 22]. Dies lässt manche Autoren vermuten, dass beim Vibrationstraining speziell die für die Muskelleistung relevanten Typ-II-Muskelfasern trainiert werden und so dem beschleunigten Verlust der Schnellkraft entgegengewirkt wird [3, 20]. Unsere Daten können diese Annahme jedoch nicht stützen.
Der Gewinn an fettfreier Körpermasse (LBM) als Indikator der Muskelmasse [6] war in beiden Trainingsgruppen gering und statistisch nicht signifikant. Es kann also angenommen werden, dass primär funktionelle neurologische Adaptionen und weniger strukturelle Anpassungen der Muskelmasse für die Steigerung der Maximalkraft verantwortlich waren. Wir vermuten, dass die Reizintensität der Übungen zu gering war, um ausgeprägte Muskelhypertrophieeffekte zu triggern. Verschueren et al. [30] konnten nach 6 Monaten Vibrationstraining ohne Zusatzgewichte bei postmenopausalen Frauen vergleichbare Kraftzuwächse, aber ebenfalls keine Veränderungen der mit DXA ermittelten LBM feststellen. Bei älteren Männern indes konnten Bogarts et al. [2] nach Vibrationstraining computertomographisch eine Erhöhung der Muskelmasse am Oberschenkel (4%) erfassen. Obgleich die meisten Autoren vermuten, dass der Effekt des Vibrationstrainings auf die neuromuskuläre Leistungsfähigkeit vor allem in funktionellen Anpassungserscheinungen begründet ist, sind die dedizierten Wirkmechanismen nicht geklärt.
Eine Stärke der vorliegenden Studie ist, dass zwei Gruppen ein identisches Programm mit und ohne Vibration absolvierten und somit die isolierten Effekte der Vibration per se und – insbesondere bei älteren leistungsschwachen Menschen – nicht der zugrunde liegenden Körperübungen erfasst werden können. Es ließ sich nur eine weitere Studie mit älteren Menschen finden, in der Trainings- und Kontrollgruppe identische Übungen mit und ohne Vibration ausführten. Bautmanns et al. [1] erfassten in beiden Subgruppen ähnliche Zuwächsen an Maximalkraft und Schnellkraft. Vier von fünf korrespondierende Studien mit jüngeren Kollektiven konnten ebenfalls keinen Unterschied zwischen Vibrations- und Kontrollgruppe nachweisen [8, 10, 22, 26]. Interessant erscheint, das die Untersuchungen, in denen solche Effekte belegt wurde, mit untrainierten [9] oder älteren Personen [1] arbeiteten. Dass die Effekte des Vibrationstraining bei untrainierten oder älteren Personen höher sind, zeigt eine Metaanalyse von Rehn et al. [19]: Acht von neun Untersuchungen, die eine Wirkung von längerfristig durchgeführtem Vibrationstraining auf die Kraft oder Schnellkraft nachweisen, wurden mit älteren oder untrainierten Personen durchgeführt. Somit könnte ein wesentlicher Grund für die teilweise ausgebliebenen Effekte die vergleichsweise hohe körperliche Leistungsfähigkeit unseres Studienkollektivs sein.
Das wohl zentrale Ergebnis unserer Untersuchung ist die verglichen mit der Kontrollgruppe signifikant (p=0,004) niedrigere Sturzrate der Vibrationsgruppe (0,42 vs. 1,13 Stürze/Jahr; IRR: 0,37). Trotz deutlicher Unterschiede zeigte die TG (0,76 Stürze/Jahr) keine signifikanten Unterschiede zur KG, allerdings auch keine entsprechenden Unterschiede zur VTG. In diesem Zusammenhang erbrachte eine zu Studienbeginn durchgeführte retrospektive Erfassung der Sturzhäufigkeit über 6 Monate von den hier diskutierten dezidierter erhobenen Verlaufsergebnissen völlig abweichende Resultate (40–60% geringere Sturzrate; keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen), sodass wir an dieser Stelle zu einem sehr engmaschigen Vorgehen (tägliche Dokumentation durch die Teilnehmer, häufige Telefonkontakte) raten.
Die bislang vorliegenden Vibrationsstudien untersuchten lediglich sogenannte Prädiktoren (Kraft, Gleichgewichtsfähigkeit etc.) für Stürze. In diesem Zusammenhang bewirkte ein Vibrationstraining bei älteren Menschen neben der bereits diskutierten Steigerung der Maximalkraft und -leistung eine positive Beeinflussung des Gangbildes [1, 4] und des Gleichgewichtsvermögens [1, 4, 18, 30]. Ein Vergleich unserer Daten mit speziellen Bewegungsstudien (Übersicht in [5, 12]), welche die Sturzrate bei vergleichbaren Personen fokussieren (im Mittel 0,73; 95%-KI: 0,63–0,85), zeigt deutlich den positiven Effekt unseres Vibrationsprogrammes auf die Sturzrate.
Es ist nahezu unmöglich, den Effekt eines Belastungsinhaltes (hier: Vibration) losgelöst von den zu definierenden Belastungsparametern (hier: Amplitude, Frequenz, Reizdauer etc.) einzuschätzen. Leider existieren kaum Erkenntnisse hinsichtlich der optimalen Gestaltung der Belastungsparameter beim Vibrationstraining. In der vorliegenden Untersuchung haben wir uns bei der Konzeption der Vibrationsprotokolle an denen anderer Studien orientiert. Somit ist es möglich, dass zur Etablierung maximaler Effekte die effektive Applikationsdauer von 6 Minuten pro Trainingeinheit die Gestaltung der Vibrationsfrequenz oder die gewählte Amplitude suboptimal gesetzt wurde. Weit wahrscheinlicher erscheint uns jedoch, dass zur optimalen Ansteuerung unterschiedlicher Trainingsziele auch unterschiedliche Belastungsprotokolle nötig sind. Eine weitere Limitation unserer Untersuchung mag sein, dass innerhalb der Wellness-Kontrollgruppe, die zur möglichst optimalen Verblindung und aus Gründen der Compliance ein leichtes Training durchführte, „unerwünschte“ positive Wirkungen zum Teil auch auf die genannten Endpunkte eintraten, welche die Zwischengruppenunterschiede verringerten. Dieser Faktor führt jedoch eher zu einer Unterschätzung des Interventionseffektes.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die zusätzliche Applikation von Ganzkörpervibrationen (zumindest in dem von uns gewählten Belastungsmodus) keinen wesentlichen, über den eines Multifunktionstrainings hinausgehenden Effekt auf Kraftparameter ausübt. Parallel dazu führt das Vibrationstraining im Vergleich zur Kontrollgruppe zu einer signifikanten, im Vergleich zur TG tendenziell geringeren Sturzrate, welche die Wirkung entsprechender auf das Sturzrisiko fokussierter Bewegungsstudien deutlich übertrifft. Es scheint somit, dass Vibrationstraining auf anderen, nicht mit Kraftparametern wie Maximalkraft oder Schnellkraft in Verbindung stehenden Wegen auf die Sturzhäufigkeit einwirkt. Als denkbar, aber spekulativ wäre hier eine Beeinflussung sensomotorischer Rückkoppelungsprozesse auf der Basis von Reflexmechanismen zu nennen. Weitere Untersuchungen sollten somit das Vibrationstraining hinsichtlich zugrunde liegender Wirkmechanismen bezüglich des Effektes auf Stürze untersuchen.
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Danksagung
Für die Unterstützung der Studie sprechen wir besonders der Elsbeth-Bonhoff-Stiftung unseren Dank aus. Ferner danken wir der SBK Siemens-Betriebskrankenkasse, Erlangen, für die enge Zusammenarbeit sowie der Fa. Opfermann, Wiehl, für die Bereitstellung von Kalzium and Vitamin D (Calcigen®).
Interessenkonflikt
Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Kemmler, W., v. Stengel, S., Mayer, S. et al. Effekte von Ganzkörpervibrationen auf die neuromuskuläre Leistungsfähigkeit von Frauen über dem 65. Lebensjahr. Z Gerontol Geriat 43, 125–132 (2010). https://doi.org/10.1007/s00391-009-0074-0
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