Hintergrund

In den ersten Monaten des Jahres 2020 kam es im Verlauf der SARS-CoV-2 (Schweres akutes respiratorisches Syndrom-Coronavirus-2)-Pandemie weltweit zu massiven Einschränkungen der medizinischen Versorgung und einer drastischen Reduzierung nichtdringlicher ambulanter und stationärer Behandlungen [1,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11,12]. Als Fachdisziplin mit einem hohen Anteil an ambulanten und geplanten chirurgischen Eingriffen aus nichtvitaler Indikation war dabei die Augenheilkunde in besonderem Maße betroffen. Die in den Anfangsmonaten der Pandemie rasch implementierte Umstellung der Kliniken auf eine zu erwartende Versorgung von COVID-19 (Coronavirus-Krankheit-2019)-Patienten mit Bereitstellung möglichst großer Intensivkapazitäten und die bestehenden erheblichen Beschränkungen des Zugangs zu Kliniken und Praxen mit stark reduzierter und zeitversetzter Einbestellung von Patienten, der Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln mit entsprechend verlängerten Wartezeiten, dem Zugangsverbot von unterstützenden Begleitpersonen und nicht zuletzt die Furcht vieler Patienten vor Ansteckung bei einem Aufenthalt in medizinischen Bereichen führten zu einem deutlich wahrnehmbaren Rückgang der Patientenzahlen in den Klinikambulanzen und Praxen [1, 13, 14].

In einer kürzlich veröffentlichten Arbeit zu den Krisenstrategien der Kliniken während der Pandemie wurde berichtet, dass Notfälle und dringende Zuweisungen auf bis zu 30 % der üblichen Fallzahl reduziert waren, nachdem im März und April die Behandlung ophthalmologischer Patienten weitgehend auf eine nach Dringlichkeit geordnete Versorgung beschränkt war [1]. Allerdings lagen bisher keine verlässlichen Zahlen zur Fallzahlentwicklung oder Verschiebung des Behandlungsspektrums vor. Auch eine Einschätzung, welche unterschiedlichen Auswirkungen die Pandemie auf die verschiedenen Bereiche der Ophthalmologie hatte bzw. inwieweit ambulante und stationäre Versorgungsstrukturen gleichermaßen betroffen waren oder ob es zu Veränderungen bei der Behandlung von Notfällen gekommen ist, war bisher nicht möglich. Ebenso wenig verfügbar waren Daten zu der Frage, welche Faktoren zu einer Einschränkung der ophthalmologischen Versorgung geführt haben und ob sich diese auf die verschiedenen Arten ophthalmologischer Einrichtungen unterschiedlich ausgewirkt haben. Der vorliegende, auf einer Umfrage der „Kommission Sektorenübergreifende Augenheilkunde“ als gemeinsamer Kommission der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) und des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands (BVA) basierende Artikel soll einen möglichst umfassenden Überblick über die Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie auf die ophthalmologische Versorgung in Deutschland geben.

Material und Methoden

Die Fragen wurden mittels einer Online-Umfrage der DOG an alle 7291 berufstätigen Mitglieder von DOG und BVA versendet, bei bundesweit insgesamt 7866 überwiegend ambulant tätigen sowie u. a. an 103 Universitäts- und städtischen Augenkliniken beschäftigten Augenärzten.

Fragen und Antwortmöglichkeiten waren zuvor durch die Mitglieder der Kommission sektorenübergreifende Augenheilkunde sowie DOG und BVA konsentiert worden. Die Durchführung der Umfrage erfolgte anonym. Alle Befragten wurden gebeten, aus jeder ophthalmologischen Einrichtung jeweils nur eine Rückmeldung zu geben.

Die Optionen zur Angabe der Art der Einrichtung umfassten die Differenzierung in „Maximalversorger“, „operativ-konservative Tätigkeit“ oder „konservative Tätigkeit“ sowie „bettenführende Hauptabteilung“ (d. h. im Landesbettenplan berücksichtigte Fachabteilungen an Kliniken), „Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ)/Gemeinschaftspraxis“, „Beleger“ und „Einzelpraxis“. Darüber hinaus war auch die Angabe „Sonstige“ möglich.

Fragen zur Einschränkung der ophthalmologischen Versorgung während der Pandemie bezogen sich auf den Zeitraum vom 15.03. bis 15.04.2020. Hierzu wurden die Teilnehmer befragt, in welchem Maße eine Aufrechterhaltung der Ambulanz- bzw. Sprechstundentätigkeit weiterhin möglich war, wobei eine Differenzierung in „uneingeschränkt“, „reduzierte Versorgung“ und „ausschließlich Notfallversorgung“ sowie „reduzierte Behandlungstiefe pro Fall“ vorgenommen wurde. Mit letzterer Antwortmöglichkeit sollten neben einer quantitativen Einschränkung der Versorgung auch qualitative Limitierungen erfasst werden, z. B. für den Fall, dass nur eine telefonische Beratung möglich war.

Zur Erfassung der Reduzierung der konservativen Tätigkeit im Vergleich zum Normalbetrieb wurde eine Angabe zur prozentualen Reduzierung bzw. der Fallzahl im Vergleich zum Zeitraum vom 15.01. bis 15.02.2020 erfragt. Für Angaben zu Einschränkungen des ambulanten und stationären Operierens konnten die Kategorien „uneingeschränkt“, „reduzierte Versorgung“ sowie „ausschließlich Notfallversorgung“ angegeben werden. Darüber hinaus sollten Angaben zur prozentualen Reduzierung bzw. der Fallzahlreduzierung im Vergleich zum Zeitraum vom 15.01. bis 15.02.2020 gemacht werden.

Zur Erfassung von Veränderungen bei der Behandlung von Notfällen während der Pandemie wurden Fallzahlen für den Zeitraum vom 15.03. bis 15.04.2020 im Vergleich zum Zeitraum vom 15.01. bis 15.02.2020 für bestimmte Krankheitsbilder erfragt. Diese umfassten die Diagnosen Netzhautablösung, Endophthalmitis, Bulbusperforation, Glaukomanfall, Zentralarterienverschluss (ZAV) und anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION). Darüber hinaus wurden Eingriffszahlen zu Keratoplastik und Amnionmembrantransplantation erfragt.

Für die Angabe der Gründe, die zu einer Einschränkung der Versorgung in diesem Zeitraum geführt hatten, standen folgende Antwortmöglichkeiten zur Auswahl: Gesetzliche, institutionelle oder berufspolitische Vorgaben, betriebliche/bauliche Einschränkungen, Vermeidung der Gefährdung der eigenen Gesundheit (z. B. wegen Mangel an Schutzausrüstung) oder Terminabsagen durch Patienten. Darüber hinaus wurde nach Personalausfällen durch SARS-CoV-2-Infektionen bzw. Quarantänemaßnahmen gefragt. Teilnehmer bettenführender Kliniken sollten zudem angeben, inwieweit eine Reduzierung der Bettenanzahl sowie der Einsatz von Personal in anderen Fachbereichen bestanden hatten. Alle quantitativen Angaben stammten aus den teilnehmenden Institutionen und konnten sowohl unter Verwendung prozentualer als auch absoluter Zahlenwerte vorgenommen werden. Im Falle fehlender prozentualer Angaben erfolgte eine Umrechnung der absoluten Angaben in Prozent, um einen Gesamtvergleich vornehmen zu können. Sofern für die Analyse bestimmter Fragestellungen absolute Zahlenwerte erforderlich waren, wurden ausschließlich Antworten mit vollständigen Datensätzen berücksichtigt.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 1190 ausgefüllte Fragebögen zurückgesendet. Die Anteile der Teilnehmer aus den einzelnen Bundesländern sind in Tab. 1 dargestellt. Quantitative Angaben erfolgten in der Regel in Form prozentualer Werte. Insgesamt 205 vollständige Datensätze konnten für Subgruppenanalysen von Fragestellungen verwendet werden, für die eine Angabe absoluter Zahlenwerte erforderlich war.

Tab. 1 Anzahl der Teilnehmer der Umfrage zu den Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie nach Bundesland

Zur Art der Einrichtung gaben 148 (12,4 %) an, als Maximalversorger tätig zu sein, 485 (40,8 %) operativ-konservativ und 556 (46,7 %) konservativ. In einem Fall (0,1 %) wurden hierzu keine Angaben gemacht. Insgesamt 149 (12,5 %) der angeschriebenen Teilnehmer nannten die Bezeichnung bettenführende Hauptabteilung, 493 (41,4 %) gaben an, als MVZ (Medizinisches Versorgungszentrum) bzw. Gemeinschaftspraxis geführt zu werden, 16 (1,3 %) als Beleger, 509 (42,8 %) als Einzelpraxis und 21 (1,8 %) als Sonstige (u. a. Hornhautbank, Facharztzentrum der Bundeswehr, Pflegeheimbetreuung etc.).

Ambulanz- und Sprechstundentätigkeit

Von insgesamt 1190 befragten Teilnehmern gaben 69 (5,8 %) an, ihre Ambulanz- bzw. Sprechstundentätigkeit in der Zeit vom 15.03. bis 15.04.2020 uneingeschränkt durchgeführt zu haben. Insgesamt 756 (63,5 %) Teilnehmer antworteten, in diesem Zeitraum eine reduzierte Versorgung aufrechterhalten zu haben, und 330 (27,7 %) eine ausschließliche Notfallversorgung; 28 (2,4 %) der Befragten berichteten von einer reduzierten Behandlungstiefe pro Fall, z. B. in Form einer ausschließlich telefonischen Beratung, in 7 (0,6 %) Fällen wurde die Frage nicht beantwortet (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Form der Ambulanz- und Sprechstundentätigkeit aller Teilnehmer im Zeitraum vom 15.03. bis 15.04.2020 (n = 1190). In insgesamt 91,0 % lag eine reduzierte Versorgung (63,0 %) bzw. eine ausschließliche Notfallversorgung (28,0 %) vor. Lediglich 8,0 % gaben an, dass eine uneingeschränkte Versorgung möglich gewesen sei

Das Ausmaß der Einschränkung der konservativen Tätigkeit bezogen auf die Art der Einrichtung ist in Abb. 2 dargestellt (n = 1008). Dabei zeigt sich, dass die konservative Versorgung von Patienten unabhängig von der Art der Einrichtung in 89,0–98,0 % der Fälle reduziert oder auf die Behandlung von Notfällen beschränkt war. Eine uneingeschränkte Ambulanz- bzw. Sprechstundentätigkeit bestand in 2,0 % (Hauptabteilungen) bis maximal 9,0 % (konservative Einzelpraxen). Deutliche Unterschiede zeigten sich hinsichtlich der Beschränkung auf die alleinige Versorgung von Notfällen konservativ zu behandelnder Patienten, die in 49,0 % der Hauptabteilungen, nur in 8,0 % der Belegabteilungen, 20,0–32,0 % der operativen MVZ und Gemeinschaftspraxen und 26,0–29,0 % der Einzelpraxen vorlag. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass durch die funktionierende intersektorale Zusammenarbeit auch während der SARS-CoV-2-Pandemie trotz aller Widrigkeiten die regelhafte ophthalmologische Versorgung aller medizinisch notwendigen Fälle stets gewährleistet war. Die ambulant versorgenden augenärztlichen Praxen standen stets als erste Anlaufstelle zur Verfügung, und eine dann erforderliche stationäre oder auch operative Notfallbehandlung war sichergestellt.

Abb. 2
figure 2

Ausmaß der Einschränkung der konservativen Tätigkeit bezogen auf die Art der Einrichtung (n = 1008). Unabhängig von der Art der Einrichtung bestand in 89,0–98,0 % eine reduzierte oder auf die Behandlung von Notfällen beschränkte Versorgung. Letztere zeigte dabei allerdings eine erhebliche Variabilität mit einem Anteil von 49,0 % bei Hauptabteilungen, 20–32 % bei operativen und konservativen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), 26–29 % bei konservativen bzw. operativen Einzelpraxen und 8,0 % bei Belegabteilungen

Operative Tätigkeit

Insgesamt konnten 467 Datensätze zur operativen Tätigkeit ausgewertet werden, davon 85 für Einzelpraxen, 257 für MVZ bzw. Gemeinschaftspraxen, 12 für Belegabteilungen, 105 für Hauptabteilungen sowie 8 für andere Einrichtungen. Im Durchschnitt wurde eine prozentuale Reduzierung der operativen Tätigkeit um 63,4 % angegeben, wobei für Belegabteilungen mit 67,0 % der höchste und für MVZ und Gemeinschaftspraxen mit durchschnittlich 61,9 % der niedrigste Wert angegeben wurde. Das Ausmaß der Reduzierung der Operationskapazität ist in Abb. 3 dargestellt. In insgesamt 60,0 % der Fälle lag eine Reduzierung der Operationskapazität von 60,0 bis maximal 100,0 % vor. Lediglich 6,0 % gaben eine Reduzierung von weniger als 20,0 % an. Die Abb. 4 zeigt das Ausmaß der Einschränkung der ambulanten und stationären operativen Tätigkeit bezogen auf die Art der Einrichtung. Demnach war die Durchführung stationärer Eingriffe während der Pandemie in 75,0 % der Belegabteilungen und in 71,0 % der Hauptabteilungen allein auf die Versorgung von Notfällen beschränkt. Darüber hinaus war in 68,0 % der Hauptabteilungen und in 42,0 % der Belegabteilungen auch das ambulante Operieren notfallchirurgischen Eingriffen vorbehalten, während dies in operativen MVZ und Gemeinschaftspraxen in 45 % und in operativen Einzelpraxen in 33 % der Fall war. Eine uneingeschränkte operative Versorgung war ausschließlich ambulant und nur in 8 % der Einzelpraxen, 6 % der MVZ und Gemeinschaftspraxen sowie 8 % der Belegabteilungen möglich.

Abb. 3
figure 3

Verteilung des Ausmaßes der Reduzierung von Operationskapazität (n = 467). In insgesamt 60,0 % der Fälle lag eine Reduzierung der Operationskapazität von 60,0 % bis maximal 100 % vor. Lediglich 6,0 % gaben eine Reduzierung um weniger als 20,0 % an

Abb. 4
figure 4

Ausmaß der Einschränkung der operativen Tätigkeit bezogen auf die Art der Einrichtung. Die Durchführung stationärer Eingriffe war in 75,0 % der Belegabteilungen und in 71,0 % der Hauptabteilungen allein auf die Versorgung von Notfällen beschränkt, ebenso wie das ambulante Operieren in 68,0 % der Hauptabteilungen und in 42,0 % der Belegabteilungen, während dieser Anteil in operativen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und Gemeinschaftspraxen bei 45,0 % und in operativen Einzelpraxen bei 33,0 % lag

Die Analyse der verfügbaren vollständigen Datensätze (n = 205) mit den absoluten Fallzahlwerten zur operativen Tätigkeit für den Zeitraum vom 15.03. bis 15.04.2020 im Vergleich zum Zeitraum vom 15.01. bis 15.02.2020 zeigt, dass die auf die einzelne Einrichtung bezogene Zahl der reduzierten Operationen entsprechend der durchschnittlichen Größe der Institutionen in den Hauptabteilungen am höchsten war, gefolgt von Belegern, operativ tätigen MVZ und Gemeinschaftspraxen sowie operativen Einzelpraxen (Abb. 5). Der relative Rückgang der Operationszahlen lag dabei im Mittel bei 60,0 %, mindestens bei 50,1 % (Beleger) und maximal bei 62,1 % (MVZ und Gemeinschaftspraxen).

Abb. 5
figure 5

Entwicklung der Operationszahlen im Zeitraum 15.03. bis 15.04.2020 im Vergleich zu 15.01. bis 15.02.2020 (n = 205). Während die auf die Art der Einrichtung bezogene absolute Zahl der reduzierten Operationen in den Hauptabteilungen am höchsten war, lag der relative Anteil bei 58,8 % und entsprach damit dem durchschnittlichen Wert aller Einrichtungen von 60,0 %

Notfälle und dringliche Eingriffe

Der Vergleich der Fallzahlen für die Diagnosen Netzhautablösung, Endophthalmitis, Bulbusperforation, Glaukomanfall, Zentralarterienverschluss und anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION) sowie der Eingriffszahlen für perforierende Keratoplastiken und Amnionmembrantransplantationen in den Zeiträumen 15.01. bis 15.02 und 15.03. bis 15.04.2020 ergab mit einer Gesamtzahl von 2526 vs. 3804 einen deutlichen Rückgang der behandelten Notfälle und dringlichen Indikationen um 34,0 %.

Die Vergleiche für die einzelnen Krankheitsbilder und Indikationen sind in Abb. 6 dargestellt. Ein Rückgang der Anzahl an Notfällen zeigte sich für die Diagnosen Amotio retinae (748 vs. 1148) mit −34,9 %, Bulbusperforation (51 vs. 55) mit −7,3 %, Glaukomanfall (198 vs. 242) mit −17,8 %, ZAV und AION (256 vs. 371) mit −31,0 % und Sonstige (1027 vs. 1487) mit einer reduzierten Anzahl von −31,0 %. Ebenfalls deutlich rückläufig waren die Fallzahlen für die Eingriffe perforierende Keratoplastik und Amnionmembrantransplantation (180 vs. 440) mit −59,1 %. Einzig für die Notfalldiagnose Endophthalmitis (66 vs. 61) wurde mit +8,2 % ein leichter Anstieg verzeichnet.

Abb. 6
figure 6

Vergleich der Fallzahlen für Notfälle und dringliche Eingriffe in den Zeiträumen 15.01. bis 15.02 und 15.03. bis 15.04.2020. Mit einer Gesamtzahl von 2526 im Vergleich zu 3804 zeigte sich ein deutlicher Rückgang von −34,0 %. Der höchste Rückgang war für die Diagnosen Amotio retinae (748 vs. 1148) mit −34,8 %, sowie Zentralarterienverschluss (ZAV) und anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION) (256 vs. 371) mit −31,0 % zu verzeichnen. Erheblich rückläufig waren die Fallzahlen auch für die Eingriffe perforierende Keratoplastik (KPL) und Amnionmembrantransplantation (180 vs. 440) mit −59,1 %. Der einzige Anstieg wurde mit +8,2 % für die Endophthalmitis angegeben

Reduzierung der Kapazitäten bettenführender Abteilungen

Insgesamt waren 77,3 % aller bettenführenden Einrichtungen von Kapazitätseinschränkungen betroffen entweder in Form einer Reduzierung der Bettenzahl (35,2 %) oder einer Stationsschließung (42,1 %). Von Einschränkungen der Bettenkapazität waren Hauptabteilungen (80,0 %) etwas häufiger betroffen als Belegabteilungen (73,0 %), jedoch bestanden diese in Belegabteilungen (50,0 %) häufiger in Stationsschließungen als in Hauptabteilungen (37,0 %), (Abb. 7). Abteilungen, die von Bettenreduzierung oder Stationsschließungen betroffen waren, mussten im Durchschnitt auf 78,5 % ihrer Betten verzichten. Betten in Belegabteilungen wurden im Durchschnitt um 88,3 % reduziert, in Hauptabteilungen um 72,6 %.

Abb. 7
figure 7

Insgesamt 77,3 % aller bettenführenden Einrichtungen waren von Einschränkungen der stationären Kapazitäten betroffen und insbesondere Belegabteilungen (50,0 %) in Form von Stationsschließungen

Personalausfälle und Gründe für Einschränkungen der Versorgung

Insgesamt 76,0 % der Befragten gaben an, dass gesetzliche, institutionelle oder berufspolitische Vorgaben zu einer Einschränkung der ophthalmologischen Versorgung geführt hätten. Betriebliche oder bauliche Einschränkungen wurden in 15,5 % genannt, während die „Vermeidung der Gefährdung der eigenen Gesundheit“ in 39,0 % und Terminabsagen durch Patienten mit 84,0 % als häufigster Grund genannt wurden (Abb. 8). Insgesamt 25,0 % der Befragten gaben an, durch SARS-CoV-2-Infektionen bzw. Quarantänemaßnahmen Personalausfälle gehabt zu haben. Teilnehmer bettenführender Kliniken berichteten zudem, Fachärzte (2,9 %), Assistenzärzte (6,3 %), Pflegepersonal (5,9 %) und medizinische Fachangestellte (5,6 %) an andere Fachbereiche abgegeben zu haben.

Abb. 8
figure 8

Gründe der Versorgungseinschränkung. Vor allem gesetzliche, institutionelle oder berufspolitische Vorgaben wurden als Grund für eine Einschränkung der ophthalmologischen Versorgung genannt

Diskussion

Die Ergebnisse der von der „Kommission sektorenübergreifende Augenheilkunde“ der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) und des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands (BVA) initiierten Umfrage vermitteln erstmals einen Gesamteindruck von den teilweise dramatischen Veränderungen der ophthalmologischen Versorgung in Deutschland während der ersten Wochen der SARS-CoV-2-Pandemie. Dabei war es weltweit und fächerübergreifend durch die Umstellung der Kliniken auf die zu erwartende Versorgung von COVID-19-Patienten mit Umsetzung von Abstands- und Hygieneregeln sowie der Bereitstellung möglichst großer Intensivbettenkapazitäten v. a. zu erheblichen Einschränkungen bei der Durchführung elektiver Behandlungen und Eingriffe gekommen [1,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11,12].

Die vorliegenden Ergebnisse einer Auswertung von insgesamt 1190 Teilnehmern zeigen, dass in dieser historisch beispiellosen medizinischen Ausnahmesituation alle Sektoren der Augenheilkunde im ambulanten wie im stationären Bereich mit nur wenigen Ausnahmen betroffen waren. So gaben lediglich 5,8 % der Befragten an, ihre Ambulanz- bzw. Sprechstundentätigkeit in der Zeit vom 15.03. bis 15.04.2020 uneingeschränkt durchgeführt zu haben. Demgegenüber antworteten 63,5 % der Teilnehmer, in diesem Zeitraum eine reduzierte Versorgung und in 27,7 % eine ausschließliche Notfallversorgung aufrechterhalten zu haben. Diese fand offenbar auch weiterhin in Form einer uneingeschränkten Behandlung von Patienten statt, da lediglich 2,4 % eine reduzierte Behandlungstiefe z. B. durch eine ausschließlich telefonische Beratung angaben [15, 16]. Dies bedeutet auch, dass z. B. vertragsärztliche Praxen nicht geschlossen waren, sondern permanent zur Behandlung bereit- und zur Verfügung standen. Auch unter Berücksichtigung der Art der medizinischen Einrichtung war die konservative Versorgung von Patienten in 89,0–98,0 % der Fälle durch den pandemiebedingten „Lockdown“ reduziert oder auf die Behandlung von Notfällen beschränkt, d. h. unabhängig davon, ob es sich um eine Einzelpraxis in der ambulanten Versorgung oder eine bettenführende Hauptabteilung handelte. Eine uneingeschränkte Ambulanz- bzw. Sprechstundentätigkeit bestand hingegen lediglich in 2,0 % bis maximal 9,0 %.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Augenheilkunde ihren Teil zur Bewältigung der pandemiebedingten Krise in Deutschland beigetragen hat und dennoch gleichzeitig in der Lage war, innerhalb kürzester Zeit eine auf die Versorgung von Notfällen und notwendigen Behandlungen fokussierte Versorgung aufrechtzuerhalten. Die Entwicklung der ophthalmologischen Versorgung in den ersten Wochen der Pandemie spiegelt damit weitgehend die Entwicklung der Versorgungsstrategien in anderen Fächern wider [4,5,6,7,8,9,10,11,12]. Gleichwohl wird anhand der vorliegenden Ergebnisse für die Augenheilkunde auch deutlich, dass ein Schwerpunkt der Maßnahmen zur Bewältigung der Krise auf der Bereitstellung stationärer Betten- und Behandlungskapazitäten lag. So war insbesondere die Durchführung stationärer Eingriffe während der Pandemie weitgehend auf die Versorgung von Notfällen beschränkt. Dies war in 75,0 % der Belegabteilungen sowie in 71,0 % der Hauptabteilungen der Fall. Zusätzlich war in 68,0 % der Hauptabteilungen und in 42,0 % der Belegabteilungen auch das ambulante Operieren ausschließlich für die chirurgische Versorgung von Notfällen möglich, wohingegen dies nur in 33,0 % der operativen Einzelpraxen vorgegeben war.

Dieser Unterschied erklärt sich aus der meist äußerst konsequent umgesetzten Strategie der Krankenhäuser, auf die Herausforderungen der COVID-19-Pandemie mit einer Fokussierung auf die ausschließliche Versorgung von Notfällen und dringlichen Fällen zu reagieren und so kontinuierlich die zur Versorgung von COVID-19-Patienten erforderliche Kapazität an Intensiv- und Überwachungsbetten gewährleisten zu können [1,2,3, 8,9,10]. Vor allem das stationäre Operieren wurde so zu einer knappen Ressource, was sich auch an der Reduzierung der Bettenkapazitäten zeigt. So waren insgesamt 77,3 % aller bettenführenden Einrichtungen von einer Reduzierung der Bettenzahl oder Stationsschließung betroffen und mussten dabei im Durchschnitt auf 78,5 % ihrer Betten verzichten. Zusätzlich verstärkt wurde dieser Effekt durch den fachfremden Einsatz von augenmedizinischem Personal in den vielerorts zu Beginn der Pandemie eingerichteten Infektionsambulanzen und Bereichen zur Aufrechterhaltung der COVID-19-Versorgungskapazität sowie die in bettenführenden Kliniken häufig praktizierte Teilung der Ärzteteams zur Gewährleistung einer personellen Reserve. Teilnehmer bettenführender Kliniken berichteten zudem, in 2,8 % Fachärzte, in 6,3 % Assistenzärzte, in 5,9 % Pflegepersonal und in 5,6 % medizinische Fachangestellte an andere Fachbereiche abgegeben zu haben.

Dass die erhebliche Reduzierung der stationären Kapazitäten in der Ophthalmologie auch Auswirkungen auf die Durchführung von Eingriffen hatte, die nach dem Krisenplan zur nichtelektiven ophthalmologischen Basisversorgung als dringlich eingestuft wurden, zeigt der Vergleich der Fallzahlen für perforierende Keratoplastiken und Amnionmembrantransplantationen für die Zeiträume 15.01. bis 15.02 und 15.03. bis 15.04.2020 [1]. Demnach kam es während der initialen Phase der Pandemie mit −59,1 % zu einem erheblichen Rückgang der Eingriffszahlen für diese Indikationen.

Überraschend eindeutig war auch der Vergleich der Fallzahlen für die in der Regel zu einer stationären Aufnahme führenden Notfalldiagnosen Amotio retinae, Endophthalmitis, Bulbusperforation, Glaukomanfall, Zentralarterienverschluss und anteriore ischämische Optikusneuropathie in den Zeiträumen 15.01. bis 15.02 und 15.03. bis 15.04.2020, der einen Rückgang um 34,0 % ergab. Besonders auffällig sind dabei die mit −34,8 % bzw. −31,0 % deutlich geringeren Behandlungszahlen für Netzhautablösungen sowie ZAV und AION, aber auch Glaukomanfälle (−17,8 %), obwohl der Schwerpunkt der Versorgung in den meisten Einrichtungen v. a. auf Notfälle fokussiert war. Auch „Sonstige“ (−30,9 %) wurden deutlich weniger häufig registriert, was auf einen generellen Rückgang sowohl im ambulanten als auch stationären Sektor der Augenheilkunde hinweist. Zum einen spiegelt dies die generelle Entwicklung mit einem „Herunterfahren“ der medizinischen Versorgung und reduziertem Umfang von Sprechstunden wider. So gaben 76,0 % der Befragten an, dass gesetzliche, institutionelle oder berufspolitische Vorgaben zu einer Einschränkung der ophthalmologischen Versorgung geführt hätten. Zum anderen kann anhand der vorliegenden Daten nicht ausgeschlossen werden, dass es während der Pandemie zu einer Veränderung der Patientenströme gekommen ist, da mit der Umfrage nur ein Teil der Einrichtungen erfasst wurde. Ein direkter Vergleich muss daher mit Vorsicht interpretiert werden. Da es sich aber z. B. bei der Amotio retinae um ein Krankheitsgeschehen handelt, das nicht zwingend sofort von betroffenen Patienten bemerkt, sondern häufig erst bei der Untersuchung durch den Augenarzt entdeckt wird, kann vermutet werden, dass in einem Teil der Fälle während der initialen Phase der Pandemie aufgrund der fehlenden oder gering ausgeprägten Symptomatik keine bzw. eine verspätete Vorstellung beim Augenarzt erfolgte.

Über ähnliche Entwicklungen während der Pandemie wird zudem auch aus anderen medizinischen Fachbereichen berichtet. So weisen mittlerweile zahlreiche Publikationen darauf hin, dass sich die Zahl kardiovaskulärer Notfälle wie Myokardinfarkt oder Schlaganfall während der Pandemie teilweise deutlich reduziert hat [17,18,19,20]. Dabei wird vermutet, dass dies nicht nur auf eine verzögerte Diagnostik aufgrund des eingeschränkten Angebots, sondern möglicherweise auch auf einen protektiven Effekt durch „Lifestyle“-Veränderungen (Stressreduzierung durch Home-Office, Verzicht auf Geschäftsreisen etc.) zurückzuführen ist [20]. Sekundäre Effekte der Pandemie könnten also z. B. auch zu einer Reduzierung der Fallzahlen für ZAV und AION beigetragen haben.

Als weitere Ursache für den fächerübergreifend während der initialen Phase der Pandemie beobachteten Rückgang an Notfällen wird auch ein Vermeidungsverhalten der Patienten aufgrund der Angst vor Ansteckung („Coronavirus-Angst“) in medizinischen Einrichtungen angenommen [13, 14]. Tatsächlich gaben 84,0 % der Teilnehmer der Umfrage an, dass Terminabsagen durch Patienten zu einer Einschränkung der ophthalmologischen Versorgung geführt hätten, und in immerhin 39,0 % wurde die Vermeidung der Gefährdung der eigenen Gesundheit als Grund genannt. Dass dies nicht ganz unbegründet war, lässt sich daran erkennen, dass 25,0 % der Befragten angaben, durch SARS-CoV-2-Infektionen bzw. Quarantänemaßnahmen Personalausfälle gehabt zu haben. Potenzielle Infektionsrisiken konnten inzwischen allerdings durch den Erkenntnisgewinn während der ersten Monate der Pandemie und die flächendeckende Einführung von zusätzlichen Schutzmaßnahmen (Mundschutz, Plexiglasschilder an Spaltlampen) minimiert werden [1, 21,22,23,24,25,26,27,28,29,30,31,32,33,34,35,36].

Entgegen dem Trend der oben genannten Diagnosen wurde für die Bulbusperforation mit −7,3 % nur ein leichter Rückgang und für die Endophthalmitis mit +8,2 % sogar ein Anstieg verzeichnet. Während die Inzidenz der Bulbusperforation mit dem generellen „Lockdown“ und für beide seltene Ereignisse mit der Schwankungsbreite innerhalb der kurzen Beobachtungszeiträume erklärt werden kann, entspricht die konstante, leicht angestiegene Zahl an Endophthalmitiden möglicherweise auch der generell erhaltenen operativen Versorgung bei gleichzeitig erhöhter Fallschwere. So war an den meisten Einrichtungen die Fortsetzung der an einen festen Behandlungsplan gebundenen intravitrealen operativen Medikamenteneingaben (IVOM) unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen und in teilweise reduziertem Umfang weiterhin möglich [1, 37]. Denkbar wäre allerdings auch ein möglicher Zusammenhang zwischen Endophthalmitisrisiko und der Änderung von Verhaltensweisen, wie z. B. dem zu langen Tragen von Mundschutzmasken durch die Patienten, was direkt oder indirekt zu einer erhöhten Belastung mit Keimen aus dem Mund-Nasen-Rachen-Raum geführt haben könnte [38].

Fazit

Die Analyse der Umfrage der „Kommission Sektorenübergreifende Augenheilkunde“ als gemeinsamer Kommission von DOG und BVA vermittelt erstmals einen umfassenden Überblick zu den Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie auf die ophthalmologische Versorgung in Deutschland. Demnach ist es in der initialen Phase der Pandemie vom 15.03. bis 15.04.2020 zu einer massiven Einschränkung der nichtdringlichen ambulanten und stationären bzw. der konservativen und chirurgischen ophthalmologischen Versorgung gekommen, von der alle Bereiche der Augenheilkunde betroffen waren.

Obwohl der Schwerpunkt des allgemeinen medizinischen „Lockdowns“ auf der Bereitstellung von Betten- und Intensivkapazitäten lag, durch die insbesondere die Durchführung stationärer Behandlungen ausschließlich auf die Versorgung von Notfällen reduziert wurde, war die Umsetzung der Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der ophthalmologischen Patientenversorgung von einer erheblichen sektorenübergreifenden Solidarität geprägt.

Dabei gelang es, während der initialen Phase der Pandemie trotz umfangreicher Einschränkungen durch gesetzliche, institutionelle oder berufspolitische Vorgaben und unter Umsetzung der erforderlichen Hygienemaßnahmen sowohl die Notfallversorgung als auch die Durchführung erforderlicher dringlicher Behandlungen aufrechtzuerhalten. Zu jeder Zeit waren die ambulante Erstversorgung durch die geöffnet gehaltenen Einrichtungen des ambulanten Sektors und ggf. erforderliche Weiterbehandlung durch die stationären Einrichtungen stets gesichert.

Analog zu Berichten anderer Fachdisziplinen wurde dabei allerdings ein deutlicher Rückgang der Fallzahlen beobachtet, der zum Teil durch den allgemein reduzierten Umfang der medizinischen Versorgung, aber auch durch sekundäre Effekte der Pandemie erklärt werden kann. Die vorliegenden Daten belegen sowohl die Bedeutung als auch die Anpassungsfähigkeit und den Stellenwert der ophthalmologischen Versorgung während der Krise, aus der die Augenheilkunde für zukünftige Herausforderungen gestärkt hervorgehen wird.