Einleitung

Terminologische Vorbemerkung

Die Terminologie in der wissenschaftlichen Literatur zum Übergang von Patienten aus der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin ist weder einheitlich noch eindeutig. Während teilweise der gesamte Übergangsprozess als Transition bezeichnet wird, werden an anderen Stellen aus gutem Grund Transition (Wechsel in die Rolle des erwachsenen Patienten bzw. Versorgungsform im Erwachsenalter) und Transfer (Wechsel des Patienten in eine andere Versorgungseinrichtung) unterschieden, wobei beide dann wiederum unter dem Begriff Transition zusammengefasst werden [1,2,3]. Im Folgenden werden die Begriffe Transition und Transfer terminologisch getrennt und unter dem Oberbegriff „strukturierter Versorgungspfad von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin“ zusammengefasst.

Eine strukturierte lebenslange Versorgung von Menschen mit seltenen chronischen Krankheiten ist notwendig

Etwa 80 % der seltenen Erkrankungen sind erblich [4] und manifestieren sich zumeist bereits im (frühen) Kindesalter. Die Diagnosestellung und Therapiesteuerung erfolgen überwiegend in hochspezialisierten und multiprofessionellen Versorgungsformen der Pädiatrie. Nahezu alle seltenen Erkrankungen, die in der Kindheit und im Jugendalter diagnostiziert werden, sind chronisch und bedürfen lebenslanger sekundärer bzw. tertiärer präventiver Behandlung, Versorgung und Beratung. Dies erfolgt zumeist interdisziplinär und sektorenübergreifend, ggf. ergänzt durch Rehabilitation.

Während diese Patienten früher häufig im Kindes- und Jugendalter verstarben oder schwer behindert in entsprechenden Einrichtungen versorgt werden mussten, erreichen mittlerweile viele Patienten durch erfolgreiche Behandlung das Erwachsenenalter in einem Gesundheitszustand, der ein autonomes Leben erlaubt, in dem z. B. ein Schulabschluss, eine Berufsausbildung und -tätigkeit und eine Familiengründung möglich sind [5]. Das damit verbundene gesetzliche, medizinische, körperliche, soziale und entwicklungspsychologische „Herauswachsen“ aus pädiatrischen Versorgungsformen und -strukturen stellt sowohl den Versorgungsbereich der Pädiatrie als auch den der Erwachsenenmedizin vor neue Aufgaben. Zwar wurden mittlerweile in Deutschland verschiedene lokale Lösungen entwickelt, doch sind diese weder gesichert finanziert noch wissenschaftlich evaluiert. Der bestehende Bedarf für einen strukturierten Versorgungspfad von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin kann nur durch flächendeckende Lösungen zweckmäßig und wirtschaftlich erfüllt werden [6]. Die bestehende Versorgungslücke an der Schnittstelle zwischen Pädiatrie und Erwachsenenmedizin birgt insbesondere das Risiko einer Reduktion oder gar des Abbruchs der Therapiekontinuität [7,8,9,10]. In der Folge kann es zur Aggravation der Symptomatik und des Krankheitsverlaufs mit u. U. irreversiblen gesundheitlichen Schäden, verbunden mit der Notwendigkeit stationärer Krankenhausaufenthalte, kommen. Darüber hinaus können für die weitere Behandlung relevante medizinische Informationen durch fehlende Übergabestrukturen verloren gehen.

Wiewohl die Notwendigkeit einer kontinuierlichen, lebenslangen Versorgung von Menschen mit einer chronischen seltenen Erkrankung unbestritten anerkannt ist, fehlen für deren Sicherstellung an der Schnittstelle zwischen Pädiatrie und Jugendmedizin einerseits und Erwachsenenmedizin andererseits in Deutschland sowohl verbindliche Strukturvorgaben als auch garantierte Finanzierungsmodelle [1, 6, 11].

Während in der pädiatrischen Versorgung wenig Erfahrung mit Gesundheit und Krankheit im Erwachsenenalter besteht, z. B. altersbedingter Komorbiditäten [12,13,14], fehlen in der Erwachsenenmedizin Erfahrungen insbesondere mit jenen seltenen Erkrankungen, die sich ausschließlich im Kindes- und Jugendalter manifestieren (Beispiele sind im Neugeborenenscreening diagnostizierte Krankheiten) sowie inter- und multidisziplinäre Versorgungsformen für diese Erkrankungsgruppen.

Transitions- und Transferkonzepte in Deutschland: Istzustand

Neben lokalen Konzepten wurden für einige onkologische, endokrinologische, nephrologische, rheumatologische und gastroenterologische Erkrankungen (wie z. B. Diabetes mellitus) mit dem Berliner Transitionsprogramm (BTP) [15], unter Förderung der Robert Bosch Stiftung, eine sektorenübergreifende Maßnahme etabliert. Eine bundesweite Umsetzung sowie eine Anpassung an die Erfordernisse seltener Erkrankungen sind jedoch bisher nicht erfolgt. Für die spezifischen Herausforderungen, die seltene Erkrankungen an jugendliche und erwachsene Patienten einerseits sowie an deren Versorgungsstrukturen/-personen andererseits stellen, scheint das Konzept des BTP nur begrenzt geeignet zu sein: Im Unterschied zu häufigeren Erkrankungen besteht beim Wechsel von Patienten mit einer seltenen bzw. sehr seltenen Erkrankung die Notwendigkeit des umfänglichen Transfers von Expertenwissen aus der pädiatrischen Versorgungsstruktur zum heranwachsenden Patienten und in die Erwachsenenmedizin. Diese Aufgabe kann durch die Übergabe einer strukturierten Epikrise beim Transfer nicht ausreichend gelöst werden.

Ein weiteres Programm zur Transition „ModuS – Fit für den Wechsel“ [16, 17] bereitet mit Schulungsmodulen chronisch kranke Jugendliche auf die Transition, d. h. den Erwerb der Rolle eines erwachsenen Patienten, vor und versteht sich als Ergänzung zur ärztlichen Beratung. Eine direkte Verzahnung mit dem tatsächlichen Übergang (Transfer) in die neue Versorgungsstruktur ist jedoch nicht vorgesehen (https://www.kompetenznetz-patientenschulung.de/modus-transitionsschulung/).

Weiterhin widmen sich in Deutschland 3 durch den Innovationsfonds des G‑BA geförderte und komplementär aufgestellte Projekte den verschiedenen Anforderungen des Wechsels von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin: TransFIT (www.innovation-transfit.de), AOKTrio (https://innovationsfonds.g-ba.de/projekte/neue-versorgungsformen/aoktrio-das-transitionsprogramm-fuer-mehr-gesundheitskompetenz-von-teenagern.186) und TRANSLATE-NAMSE [18, 19]. Von den geförderten Projekten orientiert sich das Konsortium TRANSLATE-NAMSE direkt an den im Nationalen Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen [6] formulierten, besonderen Erfordernissen von jugendlichen Patienten mit seltenen Erkrankungen.

Der strukturierte Versorgungspfad von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin

Definitionen und Ziele

Der strukturierte Versorgungspfad von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin bezeichnet den geplanten, organisierten und qualitätsgesicherten Wechsel eines Patienten aus der Versorgungsform und Struktur der Kinder- und Jugendmedizin in die Erwachsenenmedizin mit dem Ziel einer kontinuierlichen effektiven und effizienten Betreuung. Dabei wechselt nicht nur der Patient die Versorgungsinstitutionen, ebenso müssen die individuelle Krankengeschichte (Epikrise), relevantes krankheitsspezifisches Spezialwissen sowie Informationen zu Forschungsprojekten und Datenbanken, an denen der Patient teilnimmt, weitergegeben werden. Wo erforderlich, werden in der Erwachsenenmedizin neue Strukturen und Prozesse etabliert bzw. bestehende angepasst.

Transition bezeichnet den Prozess, in dem der Jugendliche auf den anstehenden Wechsel des Versorgungskontexts, des Versorgungsteams sowie die Erwartungen bezüglich zukünftiger Rollenverteilung und Verantwortungsübernahme als erwachsener Patient vorbereitet wird. Transfer ist definiert als der tatsächliche Wechsel von einer pädiatrischen Versorgungsstruktur (Institution) in eine Versorgungsstruktur (Institution) der Erwachsenenmedizin [20].

Der strukturierte Versorgungspfad umfasst folgende Komponenten:

  1. 1.

    Sicherstellung der Versorgungskontinuität an der Schnittstelle zwischen Pädiatrie und Erwachsenenmedizin für Patienten mit seltenen Erkrankungen, die sich im Kindes- und Jugendalter manifestieren,

  2. 2.

    Anleitung adoleszenter Patienten zur selbstständigen und wirksamen Zusammenarbeit mit allen krankheitsspezifischen Versorgungsinstitutionen,

  3. 3.

    Sicherstellung der Weitergabe krankheitsrelevanten Wissens von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin,

  4. 4.

    Sicherstellung der Weitergabe patientenspezifischer Daten (Epikrise, Verlaufsparameter in Datenbanken, Beteiligung an Studien) an die übernehmende Versorgungseinrichtung,

  5. 5.

    Bereitstellung und Anwendung von Instrumenten (Ablaufschemata zur Prozessbeschreibung und strukturierte Dokumente zur Ergebnisdokumentation) zur Unterstützung und Qualitätssicherung von Transition und Transfer.

Eine neue Versorgungsform

Der strukturierte Versorgungspfad des nationalen Konsortiums TRANSLATE-NAMSE [19] soll Jugendliche bzw. junge Erwachsene hinsichtlich ihrer Erkrankung in einen Informationsstand versetzen, der es ihnen erlaubt, sich kompetent im Gesundheitssystem zu bewegen und die für ihre Krankheit notwendigen Versorgungsstrukturen effektiv und effizient zu nutzen [21]. Der Versorgungspfad orientiert sich an den krankheitsspezifisch notwendigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, definiert den zur Mitwirkung des Patienten an der Behandlung erforderlichen Wissensstand (beispielsweise welche medizinischen Subspezialitäten sind in seine Behandlung eingebunden) und beschreibt explizit die Sequenz der Schritte (Struktur) und Inhalte (Prozesse) eines qualitätsgesicherten Übergangs von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin. Der Versorgungspfad ist als Flussdiagramm dargestellt und wird im Folgenden beschrieben (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Flussdiagramm, Transition TRANSLATE-NAMSE. Der 3‑stufige Prozess im strukturierten Versorgungspfad umfasst 1) die Erfassung der Gesundheitskompetenz, 2) die Förderung der Gesundheitskompetenz und 3) den Transfer der medizinischen Unterlagen und des Patienten in die Versorgungsstruktur der Erwachsenenmedizin. Die koordinativen Assistenzaufgaben (linke Spalte) können z. B. durch die Lotsen in den Zentren für seltene Erkrankungen übernommen werden.

Als erster Schritt im Versorgungspfad erfolgt, ab einem Alter von 16 Jahren, die Erfassung der wahrgenommenen Gesundheitskompetenz, des Informationsstandes und Beratungsbedarfs des Patienten anhand eines standardisierten Fragebogens (Abb. 2; Zusatzmaterial online zum Download: 1 Patienten-Fragebogen; 2 Proxy-Fragebogen), in dem der Wissensstand hinsichtlich Diagnose, Therapie und Monitoring, dessen Relevanz für Verhalten und Berufswahl, die wahrgenommene Selbstständigkeit sowie der Bedarf für eine genetische, sozialrechtliche und/oder psychologische Beratung erfasst werden. Für Patienten, die krankheitsbedingt (z. B. wegen einer Behinderung) den Fragebogen nicht selbst ausfüllen können, steht ein Proxy-Fragebogen für die Sorgeberechtigten zur Verfügung.

Abb. 2
figure 2

Fragebogen zur Gesundheitskompetenz. Der Fragebogen zur Gesundheitskompetenz erfasst standardisiert den Wissensstand hinsichtlich Diagnose, Therapie und Monitoring, deren Relevanz für Verhalten und Berufswahl, die wahrgenommene Selbstständigkeit sowie der Bedarf für eine genetische, sozialrechtliche und/oder psychologische Beratung. Für Patienten, die krankheits- oder entwicklungsbedingt den Fragebogen nicht selbst ausfüllen können, steht ein Proxy-Fragebogen für die Fürsorgenden zur Verfügung

Abb. 2
figure 3

(Fortsetzung)

Orientiert an den Empfehlungen des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen [1] werden im TRANSLATE-NAMSE-Versorgungspfad bis zu 2 Transfersprechstunden gemeinsam mit einem Pädiater und einem Erwachsenenmediziner gewährleistet sowie eine standardisierte und strukturierte Epikrise, mit zusammenfassender Darstellung des bisherigen Krankheits- und Behandlungsverlaufs, in der pädiatrischen Versorgung erstellt. Die standardisierte Epikrise fasst alle Informationen aus der bisherigen pädiatrischen Versorgung, die diagnosespezifisch für den Transfer sowie die weitere Behandlung/Betreuung von Bedeutung sind, zusammen. Ein Muster steht als Zusatzmaterial online zum Download zur Verfügung (ESM 3: Transitionsepikrise).

Entsprechend den Ergebnissen des ausgewerteten Fragebogens erfolgt im Rahmen der Folgesprechstunden in der pädiatrischen Regelversorgung eine Schulung zur Gesundheitskompetenz der Patienten/Patientenvertreter durch das pädiatrische Behandlungsteam. Weitere Beratungen zu psychologischen, psychosozialen und/oder humangenetischen Fragestellungen erfolgen ebenfalls bedarfsorientiert, entsprechend den Angaben des Patienten. Die Inhalte der Transitionssprechstunden zur Gesundheitskompetenz des Patienten sollen folgende Bereiche abdecken:

  • Diagnose, Therapie und Monitoring der Erkrankung,

  • Unterstützung zur Selbstständigkeit im Umgang mit der Erkrankung,

  • Beratung zur Berufswahl im Kontext der Erkrankung,

  • genetische Beratung (bei Bedarf),

  • sozialrechtliche Beratung (bei Bedarf)

  • psychologische Beratung (bei Bedarf).

Nach Abschluss der Schulung des Patienten erfolgen die Aushändigung der Epikrise und ggf. weiterer relevanter Befunde an den Patienten und die Terminierung einer Anschlusssprechstunde beim Weiterbehandler. Sofern am Standort möglich, werden bis zu 2 Transfersprechstunden mit Pädiater und weiterbehandelndem, koordinierendem Spezialisten durchgeführt.

Die Inhalte der gemeinsamen Transfersprechstunden decken folgende Bereiche ab:

  • Vorstellung neuer (Mit‑)Behandler,

  • Austausch und Übergabe aller relevanten Patienteninformationen,

  • Erläuterung des Versorgungsablaufs in der Erwachsenenmedizin,

  • Erläuterung von Terminvereinbarungen, Befundabfragen, telefonische Beratungen etc. in der Erwachsenenmedizin.

Für den Fall, dass sich aufgrund der gegebenen Strukturen und der Gesamtsituation eine gemeinsame Transfersprechstunde mit Pädiater und Weiterbehandler nicht organisieren lässt, ist ein Folgetermin beim Weiterbehandler zu vereinbaren, zu dokumentieren und zu verifizieren, ob der Termin wahrgenommen wurde.

Diskussion

Die im deutschen Gesundheitssystem anerkannte Versorgungslücke beim Übergang chronisch kranker Heranwachsender in die Versorgungsstrukturen der Erwachsenenmedizin beruht sowohl auf strukturell-organisatorischen als auch auf finanziellen Defiziten [1]. Für Patienten mit seltenen Erkrankungen, die sich bereits im Kindes- und Jugendalter manifestieren, wird dieses Defizit zusätzlich durch einen Mangel an für die Behandlung dieser Krankheiten qualifizierten Experten in der Erwachsenenmedizin verschärft. Der beschriebene Versorgungspfad zu Transition und Transfer des Konsortiums TRANSLATE-NAMSE ist ein strukturierter Lösungsansatz, in dem die Verantwortlichkeit für die Vorbereitung der Patienten auf den Übergang in die Erwachsenenmedizin sowie der Transfer von Wissen und Daten umfänglich im Bereich der pädiatrischen Versorgung verortet wird. Als wichtigstes Element in diesem Prozess wird die Befähigung des Patienten zum eigenverantwortlichen Umgang mit seinen diagnosespezifischen Belangen angesehen. Angesichts bislang leider noch lückenhafter bzw. fehlender Strukturen, aber auch des fehlenden Expertenwissens in den Versorgungsformen der Erwachsenenmedizin erscheint die Befähigung der Adoleszenten und jungen Erwachsenen als die vielversprechendste präventive Maßnahme, um Abbrüchen der adäquaten medizinischen Versorgung entgegenzuwirken [22]. Dieses Ziel kann aufgrund des hohen zeitlichen Aufwands allerdings nur bei angemessener Einbettung in die Versorgungsleistungen durch die Pädiatrie geleistet werden.

Der optimale Zeitpunkt für den Beginn und die Dauer des Übergangsprozesses werden in der wissenschaftlichen Literatur sowie in den verschiedenen Projekten zur Transition durchaus unterschiedlich eingeschätzt. Sowohl die European als auch die American Academy of Pediatrics empfehlen, das Alter individuell festzulegen [3, 23]. In das Programm von TRANSLATE-NAMSE werden Patienten ab dem Alter von 16 Jahren eingeschlossen. Im ebenfalls vom Innovationsfonds des G‑BA geförderten Projekt „AOKTrio“ können Jugendliche ab einem Alter von 14 Jahren zu einer verbesserten Gesundheitskompetenz geführt werden, im dritten geförderten Projekt „TransFIT“ werden Kinder und Jugendliche bereits ab einem Alter von 12 Jahren auf die Transition vorbereitet.

An dieser Stelle erscheinen eine genauere begriffliche Definition des „Beginns eines Versorgungspfades Transition“ und die Abgrenzung von einer „altersentsprechenden kontinuierlichen Information über die eigene Erkrankung“ sinnvoll. Die Auseinandersetzung mit der chronischen Erkrankung erfolgt bei Kindern und Heranwachsenden kontinuierlich, wobei sich Art und Ausmaß in Abhängigkeit von Reife, Interesse und Informationsmöglichkeiten unterscheiden können. Die altersentsprechende Interaktion und Kooperation mit dem heranwachsenden Patienten ist und war daher schon immer eine genuine Aufgabe der Pädiatrie.

Davon abzugrenzen ist die konkrete Vorbereitung des Heranwachsenden auf seine Rolle als erwachsener Patient (Transition) und den Wechsel in die Versorgungsstrukturen der Erwachsenenmedizin (Transfer) [24]. Diesem Prozess kommt aus unserer Sicht eine grundsätzlich andere Bedeutung zu, stellt er doch besondere Anforderungen an die jugendlichen Patienten hinsichtlich Krankheitseinsicht und Kooperationsbereitschaft. Die Behandlung chronischer Erkrankungen ist nicht mit einer Heilung bzw. der Elimination einer akuten Symptomatik, sondern mit der Prävention zumeist langfristiger Krankheitsfolgen verbunden. Therapeutische Maßnahmen dienen der bestmöglichen Aufrechterhaltung der Gesundheit. Die Behandlung dient der akuten, oftmals aber insbesondere der langfristigen Vermeidung bzw. Aggravation weiterer Krankheitsfolgen, die bei guter Adhärenz nicht eintreten und somit auch nicht erfahren werden [25]. Der Beginn des Transitionsprozesses in einem wesentlich jüngeren Alter als 16 Jahre erscheint verfrüht und kann mit einer Verunsicherung der Patienten und Eltern verbunden sein. Maddux et al. befragten 370 Heranwachsende mit chronisch-entzündlicher Darmerkrankung, ab welchem Alter ein Gespräch über den Prozess der Transition begonnen werden solle, und wann der Transfer in die weiterbehandelnde Einrichtung richtig erscheine. Die Mehrzahl der Heranwachsenden hielt ein Alter von 16 bis 17 Jahren für am besten geeignet, um den Prozess der Transition zu beginnen, und ein Alter von 18 Jahren und älter für den tatsächlichen Transfer. Dabei gaben die Teilnehmer an, dass der eigenverantwortliche Umgang mit den gesundheitlichen Belangen wichtigster Faktor für die Bereitschaft zum Transfer sei [2].

Ein viel späterer Zeitpunkt erscheint angesichts der im Verlauf des Projekts gemachten Erfahrungen ebenfalls nicht sinnvoll. Während bei der initialen Projektplanung dem gesamten Transitionsprozess 6 Monate gewidmet werden sollten (entsprechend zweier gemeinsamer Sprechstunden im Abstand von einem halben Jahr), erwiesen sich in der praktischen Umsetzung erheblich längere Transitionszeiten als angemessen und notwendig. Im Bereich seltener und sehr seltener Erkrankungen kann bereits die Patientenschulung zur Erkrankung einen erheblichen Zeitumfang einnehmen, denn angesichts der Schwierigkeiten, ausgewiesene Experten für die Weiterversorgung in der Erwachsenenmedizin zu finden, ist es notwendig, sowohl die Patienten zu größtmöglicher Kompetenz in Bezug auf ihre medizinischen Belange als auch die Eltern für eine gelungene Ablösung zu befähigen [21].

Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn, wie im Fall seltener Stoffwechselerkrankungen, Experten und Ansprechpartner in der Erwachsenmedizin wohnortnah zumeist fehlen. Als mögliche Lösung bietet sich in diesen Fällen eine Überleitung zu einem koordinierenden Hausarzt/Facharzt, verbunden mit möglichst detaillierten Vorschlägen zu Therapiesteuerung und der bleibenden Verbindung zum Fachzentrum der Pädiatrie, an. Unabdingbar ist in jedem Fall die Gewährleistung einer kontinuierlichen Begleitung des Patienten durch beständige Ansprechpartner im Rahmen des gesamten Prozesses. Unbestritten notwendig ist auch eine Unterstützung von Eltern und Familien derjenigen Patienten anzubieten, bei denen eine Ablösung und eigenverantwortliche Übernahme der gesundheitlichen Belange angestrebt wird [21], aber eine Schulung der Patienten zur Erlangung einer besseren Gesundheitskompetenz nicht erfolgversprechend erscheint. Für diese Familien ist in TRANSLATE NAMSE eine Schulung der Fürsorgenden behinderter Jugendlicher vorgesehen.

Zielgruppe des Berliner Transitionsprogramms und der geförderten Projekte „TransFIT“ und „AOK Trio“ sind derzeit Kinder und Jugendliche mit häufigen oder häufigeren der seltenen Erkrankungen. Während insbesondere sozialrechtliche, zwischenmenschliche und psychologische Aspekte der Transition sowohl für Heranwachsende mit häufigen als auch für Heranwachsende mit (sehr) seltenen Erkrankungen ähnlich sein können und der Informationsbedarf z. B. durch Onlineschulungsmodule aufgefangen werden kann, ist der Aufwand für den Aufbau und die aktualisierte Vorhaltung von krankheitsspezifischen Schulungsmodulen, angesichts der Vielzahl der seltenen Erkrankungen mit z. T. sehr geringen Prävalenzen und großen phänotypischen Spektren, kaum zu leisten. Hier liegt die große Herausforderung und Aufgabe der Pädiatrie, denn bisher gibt es keine Alternative zur individuellen Schulung des Patienten durch den Pädiater, um eine ausreichende Gesundheitskompetenz der jungen Erwachsenen zu erreichen.

Tatsächlich zeigt die klinische Praxis schon vor Abschluss und Auswertung des Projekts, dass bei den Heranwachsenden ein z. T. erheblicher Schulungsbedarf besteht. Erst die Auswertung der Projektdaten nach Abschluss des Projekts TRANSLATE-NAMSE wird aber den tatsächlich notwendigen Mehrbedarf für einen strukturierten Versorgungspfad von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin bei seltenen Erkrankungen darstellen können. Aufwand und Kosten der beschriebenen Zusatzleistungen innerhalb der Versorgungsstrukturen der Pädiatrie können mithilfe der erhobenen Daten aus dem Projekt TRANSLATE-NAMSE kalkuliert werden.

Fazit für die Praxis

Der Übergang junger Menschen mit seltenen chronischen Erkrankungen aus der Pädiatrie in eine Versorgungsform der Erwachsenenmedizin erfordert eine neue Versorgungsform. Im Rahmen des, durch den Innovationsfonds des G‑BA geförderten, Projektes TRANSLATE NAMSE wurde ein 3‑stufiger Versorgungspfad entwickelt. Dieser besteht (1) in der Erhebung der Gesundheitskompetenz des Jugendlichen, (2) der bedarfsgerechten Schulung zur Erlangung einer ausreichenden Gesundheitskompetenz in der Erwachsenenmedizin (Transition) und (3) dem Transfer des Patienten sowie aller relevanten Informationen und Dokumente zum Weiterbehandler.