Zusammenfassung
Hintergrund und Fragestellung
Die COVID-19-Hochphase im österreichischem Bundesland Tirol war für den Rettungs- und Notarztdienst sehr herausfordernd. Hauptziel war, unter Aufrechterhaltung der Versorgungsqualität die Personenkontakte am Einsatzort zu reduzieren. Diese Arbeit soll zum einen die getroffenen Maßnahmen evaluieren, zum anderen das Einsatzaufkommen während der ersten Monate der Pandemie beschreiben.
Studiendesign und Untersuchungsmethoden
Ab dem 17.03.2020 wurden zu Notrufabfrageergebnissen, zu denen vormals sowohl Rettungswagen (RTW) wie auch ein Notarzt (NA) alarmiert wurden, nur noch ein RTW alarmiert. Diese reduzierten Einsätze sowie die allgemeine Einsatzentwicklung wurden im Zeitraum vom 15.03.2020 bis 15.05.2020 analysiert und mit Daten der Jahre 2017–2019 im gleichen Zeitraum verglichen.
Ergebnisse
Besonders durch den Wegfall von Touristen wird von einer Reduktion der zu versorgenden Bevölkerung um bis zu 30 % ausgegangen, trotzdem wurden zum Einsatzstichwort „Atemnot“ ein Anstieg um 18,7 % (1533 vs. 1291) bzw. bei Verkehrsunfällen ein Rückgang von 26,4 % (2937 vs. 2161) beobachtet. Notarzteinsätze verzeichneten einen Rückgang von 38,5 % (1511 vs. 2456,3), wobei die NACA-Scores III und IV mit über 40%igem Rückgang besonders auffielen. Die Notarztnachforderungsrate der reduzierten Einsatzcodes betrug 14,5 %, wobei die Krankheitsbilder „Bewusstlosigkeit“ und „Krampfanfall“ mit über 40%iger Nachforderung höher lagen.
Diskussion
Es zeigt sich eine absolute Reduktion des gesamten Einsatzaufkommens; zählt man die durch die Reduktion der Ausrückorder eingesparten Notarzteinsätze hinzu, wäre es zu einer Steigerung der notärztlichen Einsätze im Vergleich zu den Vorjahren gekommen. Betrachtet man zur Beurteilung der Versorgungsqualität ausschließlich die Notarztnachforderungsrate zeigt die Reduktion eine hohe Trefferquote, jedoch konnten die endgültigen Diagnosen aus den nachversorgenden Krankenhäusern/Arztpraxen in dieser Studie nicht erhoben werden, womit eine gesicherte Beurteilung der Versorgungsqualität nicht möglich ist.
Fazit
Das primäre Ziel der Minimierung von Patientenkontakten unter Wahrung der Versorgungsqualität konnte erreicht werden. Vor Überführung der reduzierten Einsätze in den Routinebetrieb sind jedoch Anpassungen und eine Evaluierung unter Einbindung der Nachversorger nötig. Auch alternative Strategien zur Reduktion von Personenkontakten sollten geprüft werden.
Abstract
Background
During the peak of the COVID-19 pandemic in spring 2020, the entire emergency rescue system was confronted with major challenges. Starting on 15 March, all tourists were asked to leave the State of Tyrol, Austria. The main goal of the efforts was to ensure the usual quality of emergency medical care while reducing the physical contact during emergency interventions on site.
Methods
The Austrian Emergency Medical Service is physician-based, meaning that in addition to an ambulance team, an emergency physician (EP) is dispatched to every potential life-threatening emergency call. In Tyrol and starting on 17 March 2020, 413 types of emergency call dispatches, which were addressed with an ambulance crew as well as an EP crew before COVID-19, were now dispatched only with an ambulance crew. This procedure of dispatching differently as well as the general development of emergency calls during this period were analyzed from 15 March to 15 May 2020 and compared to the data from the same time period from 2017 to 2019.
Results
Despite the reduction of the population of around 30% because of absent tourists and foreign students staying in Tyrol, emergency calls with the operational keyword “difficulty in breathing/shortness of breath” rose by 18.7% (1533 vs. 1291), while calls due to traffic incidents decreased by 26.4% (2937 vs. 2161). Emergency calls with the dispatch of teams with an EP were reduced by 38.5% (1511 vs. 2456.3), whereby the NACA scores III and IV were the ones with the significant reduction of 40% each. For the reduced dispatchs, the additional dispatch of an EP team by the ambulance team amounted to 14.5%; however, for the keywords “unconscious/fainting” and “convulsions/seizures” the additional dispatch was significantly higher with over 40% each.
Discussion
There was an overall reduction of emergency calls. Considering, that the reduced dispatches would have led to an EP team dispatch the overall emergency doctor dispatches would have been higher than in the years before. Our study was not able to find the reasons for this increase. Only considering the additional dispatching of EPs, was this reduction in dispatching EP teams highly accurate, except for the symptoms of “unconscious/fainting” and “convulsions/seizures”; however, the actual diagnoses that the hospitals or GPs made could not be collected for this study. Therefore, it cannot be said for sure that there was equality in the quality of emergency medical care.
Conclusion
It was possible to achieve the primary goal of reducing the physical contact with patients; however, before keeping these reductions of the dispatching order regarding. EPs for the routine operation, adaptions in these reductions as well as deeper evaluations under consideration of the data from hospitals and GPs would be necessary. Also, different options to reduce physical contact should be evaluated, e.g. building an EMT-led scout team to evaluate the patient’s status while the EP team is waiting outside.
Hintergrund und Fragestellung
Die COVID-Pandemie 2020 stellt die Gesundheitsdienstleister weltweit vor neue Herausforderungen. Das österreichische Bundesland Tirol zählte nach Italien zu den ersten Krisenherden in Europa. Die ersten Patientinnen und Patienten wurden am 25.02.2020 in der Landeshauptstadt Innsbruck positiv auf SARS-CoV‑2 getestet. In weiterer Folge wurden ab dem 05.03.2020 mehrere Fälle im Tiroler Wintersportort Ischgl bekannt, sodass ab dem 13.03.2020 zuerst der Großraum Ischgl und ab dem 18.03.2020 alle Gemeinden Tirols unter Vollquarantäne gestellt wurden [6]. Bereits mit 15.03.2020 wurde in Tirol die Wintersaison für den Tourismus als beendet erklärt; alle Menschen ohne Wohnsitz in Tirol wurden aufgefordert, das Bundesland zu verlassen.
Neben allen anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens wurde auch der Rettungsdienst vor einzigartige Herausforderungen gestellt. Es kam zu deutlichen Änderungen der Bevölkerung, des Freizeitverhaltens und des rettungsdienstlichen Einsatzaufkommens. Diese Arbeit beschreibt, wie sich diese Veränderungen auf das bodengebundene Notarzt- und Rettungswesens in Tirol ausgewirkt haben, und welche Maßnahmen zur Bewältigung getroffen wurden.
Studiendesign und Untersuchungsmethoden
Zur optimalen Verwendung der bodengebundenen notärztlichen Einsatzmittel und zur Sicherstellung der kontinuierlichen notärztlichen Versorgung der Bevölkerung, auch im Hinblick auf evtl. COVID-19-Erkrankungen des Personals, wurde durch den Ärztlichen Leiter Rettungsdienst des Landes Tirol (ÄLRD) die Ausrückordnung für Notarztrettungsmittel reduziert. Die initiale Mitalarmierung von Notarztmittel wurde auf jene Fälle beschränkt, in denen aus den Einsatzdaten der vorherigen Jahre eine hohe Wahrscheinlichkeit für tatsächlich notarztpflichtige Patienten besteht. Wie aus den Daten 2019 hervorgeht, ist die Anzahl der Notarztstornierungen in Tirol mit im Schnitt 8,8 % relativ hoch; in sehr einsatzstarken Regionen wie Innsbruck-Stadt beträgt die Rate 21,9 % ([4]; Tab. 1).
Insgesamt wurden 413 vormals notarztpflichtige Abfrageergebnisse definiert, welche nun primär ohne Notarzt alarmiert wurden. Diese Einsätze werden gemäß dem Abfragesystem der Leitstelle Tirol durch Einführung des neuen Einsatzcodes „B0“ als B0-Einsätze bezeichnet.
Die COVID-19-Hochphase in Tirol erstreckte sich vom 15.03.2020 bis zum 15.05.2020. Als Vergleichszeitraum wurde dieselbe Zeitspanne der Jahre 2017–2019 herangezogen. Folgende tirolweite Daten wurden von der Leitstelle Tirol zur Verfügung gestellt:
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Einsatzzahlen pro Tag, jeweils für Rettungsdienst (RD) und Notarztwesen (NA),
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Einsatzzahlen mit den Stichworten Atembeschwerden, Atemnot, Atemstörung, Zyanose oder Dyspnoe,
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Einsatzzahlen der bodengebundenen Notarzteinsätze in ganz Tirol, inklusive der Beurteilung des Schweregrades durch den Notarzt mittels NACA-Score,
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Anzahl der Notarztnachforderungen, aufgeschlüsselt nach Einsatzcodes.
Die quantitativen Einsatzdaten wurden aus dem Einsatzleitsystem (Siveillance Command 4.16., Siemens Industry, Inc., Buffalo Grove, IL, USA) entnommen. Die Einsatzstichworte entstammen den Abfrageergebnissen des Abfrageschemas NOAS (NOAS Notrufabfragesysteme GmbH, Egling, Deutschland). Die NACA-Scores stammen aus der digitalen Dokumentation der Notarztmittel (MedicalPad® Version 7, TECH2GO Mobile Systems GmbH, Hamburg, Deutschland). Diese Daten wurden von der Leitstelle Tirol zusammengeführt und als anonymisierte Einsatzdaten, zusammengefasst in Tabellenform (Microsoft Excel 2016, Microsoft Corporation, Redmond, WA, USA), zur Verfügung gestellt.
Die öffentlich zugänglichen Daten des Landes Tirol zur Bevölkerungsentwicklung 2017–2020 [5] sowie zu touristischen Nächtigungen wurden verwendet, ebenso wie die öffentlich einsichtigen Autobahnverkehrsdaten der ASFINAG [7].
Die Auswertung der Daten erfolgte mittels deskriptiver Statistik unter Verwendung von Mittelwert und relativer Veränderung in Prozent. Die Berechnungen wurden mit Microsoft Excel 2016 durchgeführt.
Ergebnisse
Änderung innerhalb der Bevölkerung
Im Jahr 2018 verzeichnete das Bundesland Tirol 754.705 Einwohner, zusätzlich standen 339.563 Gästebetten zu Verfügung. Im Vergleichszeitraum 2017–2019 bestand die zu versorgende Bevölkerung aus bis zu 1.103.144 nächtigenden Menschen [5]. Durch den vollständigen Wegfall der Touristen sank die zu versorgende Bevölkerung im Beobachtungszeitraum auf die für das Jahr 2020 berechnete Wohnsitzbevölkerung von 763.581, entsprechend einem Rückgang von 30,8 % zum Vergleichszeitraum [5]. Obwohl diese Zahl aus Annäherungswerten besteht und die Anzahl der zu versorgenden Personen auch noch von anderen Faktoren beeinflusst wird, wie z. B. dem Verhalten der Studierenden aus Nachbarländern, Tagestourismus, Transitverkehr, wird von einem Bevölkerungsrückgang um bis zu 30 % im Vergleich zu den Vergleichsmonaten 2017–2019 ausgegangen.
Entwicklung der Einsatzverteilung der Primäreinsätze
Unter den Einsatzstichworten: „Atembeschwerden, Atemnot, Atemstörung, Zyanose und Dyspnoe“ wurden im Untersuchungszeitraum die Rettungsmittel des Rettungsdienstes Tirol zu 1533 Einsätzen alarmiert (Abb. 1a). Der Durchschnitt des Vergleichszeitraums zu diesen Stichworten lag bei 1291,3 Alarmierungen (+18,7 %). Durch die Einführung der reduzierten Ausrückorder kann ebenfalls eine deutliche Verschiebung dieser Einsätze in Richtung RTW ohne Notarzt festgestellt werden. Die Steigerung von rettungsdienstlichen Einsätzen betrug mit 1139 im Beobachtungszeitraum im Vergleich zu 578 im Schnitt der Vorjahre +197,5 %. Die notärztlichen Einsätze reduzierten sich von 713,7 in den Vorjahren auf 194 im Beobachtungszeitraum (−72,8 %).
Durch die vorübergehende Vollquarantäne in Tirol kam es zu deutlichen Veränderungen im Freizeit- und Bewegungsverhalten der Bewohner. An der Autobahnzählstelle Mils-Schönwies wurden im April 2020 durchschnittlich 783 Kfz/24 h gezählt, im April 2019 waren es 13.490 Kfz/24 h (−94,2 %) [7]. Dementsprechend zeigt sich ein Rückgang der Einsätze mit dem Stichwort „Trauma/Verkehr“ von 2937 im April 2017–2019 auf 2161 im Jahr 2020 (−26,4 %; Abb. 1b).
In Anbetracht der gesamten Einflussfaktoren zeigt Abb. 2 den Rückgang der Einsatzzahlen im Rettungsdienst im Beobachtungszeitraum, beginnend mit dem 15.03.2020 als Tag des Inkrafttretens der Ausgangsbeschränkungen in Tirol. Ab Mitte April 2020 nähern sich die Einsatzzahlen durch die schrittweise Zurücknahme der Ausgangsbeschränkungen wieder an die Zahlen der Vorjahre an, ehe mit Ende April kein Unterschied zu den Vorjahren mehr festgestellt werden kann. Im Beobachtungszeitraum wurden 15.083 Rettungseinsätze absolviert. Der Durchschnitt der Vorjahre beträgt 18.900,3 (−20,2 %). Ein weiterer Rückgang kann im Krankentransport beobachtet werden, hier fanden im Beobachtungszeitraum 22.153 Transporte statt, der Vorjahresdurchschnitt betrug 30.558,3 (−27,5 %). Der deutlichste Rückgang von Rettungseinsätzen wurde am 13.04.2020 mit −39 % (168 Einsätze 2020 zu 301 im Vorjahresschnitt) registriert.
Betrachtet man die notärztlichen Einsätze ohne Fehleinsätze und Stornierungen, so kann ein Rückgang von Notarzteinsätzen aus dem Durchschnitt der 3 Vorjahre zu 1511 Einsätzen im Beobachtungszeitraum festgestellt werden (−35,5 %). Bei den NACA-Graden III und IV wurde ein Rückgang von −41,3 % für NACA III und −44,3 % für NACA IV verzeichnet (Abb. 3). Bei den Verstorbenen (≙ NACA VII) zeigt sich ein Zuwachs von 10,7 %, in Absolutzahlen eine Steigerung von 75 Einsätzen im Dreijahresschnitt auf 83 Einsätze im Beobachtungszeitraum.
Notarztnachforderungen bei reduzierten Einsätzen
Zu den im Rahmen der Pandemie eingeführten reduzierten Notarzteinsatzcodes (B0-Einsätze) wurden nun ausschließlich Rettungswagen zu insgesamt 1410 Einsätzen disponiert. In davon 204 Einsätzen wurde durch das RTW-Personal eine Notarztnachforderung durchgeführt (Nachforderungsrate: 14,5 %). Dies führte zu einer Reduktion um 1204 Notarzteinsätze im Beobachtungszeitraum. Die Aufschlüsselung dieser B0-Einsätze auf die gemeldeten Leitsymptome zeigt ein Überwiegen der Anforderungsgründe „Brustschmerzen“ und „Atemnot“ (Abb. 4). Die höchsten Nachforderungsraten mit jeweils über 40 % wurden bei den Symptomen „Bewusstlosigkeit“ und „Krampfanfall“ gefunden.
Die notärztliche Beurteilung dieser B0-Nachforderungen nach NACA-Score (Abb. 5) zeigt im Vergleich zu der allgemeinen Verteilung in Abb. 3 nur vereinzelt NACA-I- und NACA-II-Fälle, den größten Anteil machen mit 42,2 % NACA-III- und mit 30,4 % NACA-IV-Fälle aus. Im Schnitt der Vorjahre betrug der Anteil an NACA III 46,3 % und NACA IV 27,7 %.
Diskussion
Um die Infektionsgefahr mit dem SARS-CoV‑2 für das Einsatzpersonal zu minimieren, scheint neben den Schutzmaßnahmen (persönliche Schutzausrüstung) v. a. die Reduktion von Personenkontakten vielversprechend zu sein. Folglich wurde versucht, möglichst wenig Personal zum Notfallort zu bringen, um den Mitarbeiterschutz und eine längerfristige Personalreserve zu gewährleisten. Herausfordernd hierbei war, die Versorgungsqualität nicht zu verschlechtern.
Bei Beurteilung des Einsatzaufkommens und der Einsatzverteilung sind mehrere Faktoren zu berücksichtigen. Zum einen wurde die zu versorgende Bevölkerung in Tirol durch den Wegfall jeglichen Tourismus über weite Teile des Beobachtungszeitraums um bis zu 30 % verringert [5]. Zum anderen zeigten u. a. Lerner et al. [2, 3], dass es generell zu weniger Notrufen kam. Sie erklärten dies u. a. mit der Vermutung, dass Teile der Bevölkerung Angst vor einer Ansteckung im medizinischen Umfeld hatten oder das Gesundheitssystem nicht zusätzlich belasten wollten. Andererseits zeigten Jensen et al. [1], dass es in Kopenhagen zu deutlich mehr Notrufgesprächen während der ersten Wochen der Pandemie kam. Weitere Studien zum präklinischen Einsatzaufkommen während der Pandemie, insbesondere in notarztgestützten Systemen, liegen derzeit noch nicht vor.
Diese Studie zeigt einen Rückgang im rettungsdienstlichen Einsatzaufkommen von 20,2 %. Unter Berücksichtigung aller zugänglichen Einflussfaktoren kann dies als realer Rückgang an Alarmierungen gewertet werden. In den Teilergebnissen fällt eine Steigerung von 17,9 % bei Einsätzen mit dem Alarmierungsstichwort Atemnot auf. Zum einen mag dies die tatsächlich Erkrankten abbilden, andererseits aber auch die erhöhte Wachsamkeit der Bevölkerung zu diesen Symptomen zeigen. Bei den Verkehrsunfällen zeigte sich ein Rückgang von 26,4 %. Dieser erklärt sich mit der deutlich eingeschränkten Mobilität, bedingt durch die Lockdown-Phase von Mitte März bis Mitte April, wie auch die Verkehrsdaten der Autobahnzählstelle Mils-Schönwies zeigen [7].
Die Reduktion der Notarzteinsätze fiel mit −35,5 % noch deutlicher aus. Bei der Interpretation muss berücksichtig werden, dass die Einführung der reduzierten Ausrückorder (B0-Einsätze) zu Beginn der Pandemie geschah und somit keine Vorjahreswerte als Vergleich vorliegen. Der Vergleich der 1511 Einsätze im Beobachtungszeitraum mit den 2456,3 Notarzteinsätzen aus dem Durchschnitt der 3 Vorjahre lässt eine deutliche Reduktion vermuten. Es wurden jedoch auch 1410 B0-Einsätze disponiert, zu denen ohne Anpassung der Ausrückorder ebenfalls ein Notarztmittel disponiert worden wäre. Von diesen 1410 B0-Einsätzen wurde in 204 Fällen ein Notarztmittel nachgefordert (diese 204 Fälle wurden in den 1511 Notarzteinsätzen bereits berücksichtigt). Zwei weitere Einsätze wurden von der Leistelle Tirol storniert. Insgesamt bleiben 1204 rettungsdienstliche Einsätze aus der reduzierten Ausrückorder, welche kein Notarztmittel benötigt haben. Ohne die B0-Reduktion wären im Beobachtungszeitraum also 2715 Notarzteinsätze (1511 reguläre Einsätze und 1204 B0-Einsätze, in denen kein Notarzt nachgefordert wurde) angefallen, dies würde einer Steigerung von 10,5 % zum Vergleichszeitraum entsprechen. Folglich ist es trotz deutlich geringerer Bevölkerung zu einer leichten Zunahme der notarztpflichtigen Notfallmeldungen gekommen. Eine Erklärung hierfür können die vorliegenden Daten nicht belegen, eine mögliche Ursache kann jedoch auch das Abfragesystem NOAS der Leitstelle Tirol sein, welches eine gewisse Unschärfe bei notärztlichen Alarmierungsgründen aufweist.
Die Reduktion der real stattgefundenen Notarzteinsätze wurde auch auf die Einschätzung des Schweregrades anhand des vom anwesenden Notarzt/von der anwesenden Notärztin vergebenen NACA-Scores aufgeschlüsselt. In den NACA-Gruppen I–VI kam es zu einem deutlichen Rückgang, besonders waren die NACA-Grade III und IV mit jeweils über 40 %iger Reduktion betroffen. Interessant ist auch die leichte Steigerung der Gruppe NACA VII, also der Verstorbenen um 10,7 % (75 vs. 83).
Ein besonderes Augenmerk wurde auf die B0-Einsätze gerichtet. Insgesamt 1410 Einsätze dieser Kategorie wurden alarmiert, in 204 dieser Fälle kam es zu einer Notarztnachforderung (14,5 %). Aufgeschlüsselt auf die Anforderungsgründe bildeten „Atemnot“ und „Brustschmerzen“ mit jeweils über 300 Alarmierungen den mit Abstand größten Teil. Mit 8,7 % bzw. 16,5 % blieb die Notarztnachforderungsrate dabei im normalen Schnitt der Vorjahre. Die Anforderungsgründe Bewusstlosigkeit und Krampfanfall lagen mit jeweils über 40 %iger Nachforderungsrate höher. Hier scheint der Verzicht auf eine primäre Notarztalarmierung nur bedingt sinnvoll zu sein.
Betrachtet man die notärztlichen Beurteilungen dieser Nachforderungen anhand des NACA-Scores fällt eine im Vergleich zu den direkten Alarmierungen geringere Rate an NACA-I- und NACA-II-Fällen als im Vergleichszeitraum (NACA I 1,4 % vs. 1,9 %, NACA II 7,8 % vs. 13,3 %) auf. Dies spricht für einen geringen Anteil an nichtnotarztpflichtigen Patientinnen und Patienten und damit eine hohe Genauigkeit dieser Nachforderungen. Gleichzeitig finden sich innerhalb der Notarztnachforderungen auch 3 NACA-VI- (Reanimation) und 2 NACA-VII-(verstorben) Einsätze. Diese 5 Reanimationen stellen mit 0,4 % der B0-Einsätze zwar nur einen sehr kleinen Teil des Gesamtaufkommens dar, sollten aufgrund der absoluten Lebensbedrohung dennoch beachtet werden. Alle 3 NACA-VI-Einsätze und einer der beiden NACA-VII-Einsätze fanden unter dem Einsatzstichwort „Bewusstlosigkeit“ statt, welche ohnehin eine hohe Nachforderungsrate aufweist und damit generell kritisch hinterfragt werden sollte. Des Weiteren sollte bedacht werden, dass gerade bei Reanimationen aufgrund der hohen Trainingsfrequenz und der technischen Möglichkeiten eines RTW-Teams (Defibrillation, Atemwegssicherung mittels Larynxtubus, evtl. Medikamentengabe) die Zeit bis zum Eintreffen eines Notarztes hochqualitativ überbrückt werden kann.
Limitationen
Diese Studie unterliegt mehreren Limitationen. Der Vergleich sämtlicher Einsatzzahlen mit den Vorjahren ist nur eingeschränkt möglich, da nicht eindeutig erhoben werden kann, wie viele Menschen sich im Laufe der Krise wirklich in Tirol befunden haben. Die zu versorgende Bevölkerung ändert sich nicht nur mit dem Tourismus, auch die Studierenden v. a. in der Landeshauptstadt Innsbruck sowie die evtl. abgereisten Arbeitskräfte im Gastgewerbe und der Freizeitwirtschaft können einen Einfluss haben.
Des Weiteren unterliegen die der Studie zugrunde liegenden Zahlen einer kleinen Schwankungsbreite durch gelegentliche Sondersituationen wie umgeleitete RTW oder Notarztmittel.
Die größte Limitation der Studie liegt in der fehlenden Möglichkeit der Evaluierung des Berufungsgrundes. Da in der Studie mit ausschließlich anonymisierten Daten gearbeitet wurde, ist die Bestätigung der im Notrufgespräch erstellten Verdachtsdiagnose mit der im Krankenhaus real getroffenen Diagnose nicht möglich. Insbesondere kann mit dieser Studie gezeigt werden, dass die notärztliche Nachforderungsrate bei B0-Einsätzen in der Regel im normalen Durchschnitt liegt. Ob diese Patienten jedoch nicht dennoch von einer notärztlichen Versorgung profitiert hätten, lässt sich nicht beurteilen. Da sich diese Unklarheit aber auch auf die Vorjahresdaten bezieht, erscheint zumindest der quantitative Vergleich zu den Vorjahren legitim.
Fazit
Die COVID-19-Krise im Zeitraum vom 15.03.2020 bis 15.05.2020 führte zu großen Auswirkungen auf die präklinische Notfallversorgung. Das rettungsdienstliche Arbeitsaufkommen ist im Vergleich zu den Vorjahren deutlich gesunken, das notärztliche Einsatzaufkommen dagegen nur aufgrund einer Verschiebung einiger Einsatzmeldungen in Richtung Rettungsdienst. Beurteilt man die Treffergenauigkeit der Reduzierung ausschließlich an der Nachforderungsrate, scheint die Auswahl mit Ausnahme der Anforderungsgründe Bewusstlosigkeit und Krampfanfall als gelungen, ohne Abgleich mit den Krankenhausbefunden ist diese Aussage jedoch gewagt.
Um eine Überführung dieser Reduzierung in den regulären Betrieb ohne Qualitätseinbußen durchzuführen, bedarf es einer weiteren Untersuchung unter Einbindung der Krankenhausbefunde. Das Ziel, die Infektionsgefahr für das Einsatzpersonal durch Reduktion der Personenkontakte im Einsatz zu minimieren, konnte jedenfalls erreicht werden.
Für den weiteren Verlauf der Pandemie könnten auch alternative Methoden zur Reduktion des Personals am Patienten geprüft werden. Zum Beispiel könnte das Notarztmittel zwar zum Notfallort anfahren, vor Patientenkontakt aber das RTW-Team zur Erkundung der Situation ausschicken und nur im Bedarfsfall selbst zur Patientenversorgung dazustoßen.
Literatur
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Lerner EB, Newgard CD, Mann NC (2020) Effect of the Coronavirus disease 2019 (COVID-19) pandemic on the U.S. emergency medical services system: a preliminary report. Acad Emerg Med. https://doi.org/10.1111/acem.14051
Schinnerl A, Lechner M, Baubin M, Neumayr A (2019) Qualitätsbericht 2019 Ärztlicher Leiter Rettungsdienst des Landes Tirol
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Land Tirol Quarantäneverordnung für alle 279 Tiroler Gemeinden. https://www.tirol.gv.at/meldungen/meldung/artikel/quarantaeneverordnung-fuer-alle-279-tiroler-gemeinden/. Zugegriffen: 30. Aug. 2020
Verkehrszählung. https://www.asfinag.at/verkehr/verkehrszaehlung/. Zugegriffen: 30. Aug. 2020
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A. Krösbacher, H. Kaiser, S. Holleis, A. Schinnerl, A. Neumayr und M. Baubin geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Die Studie wurde mit Zustimmung der zuständigen Ethik-Kommission (Votum Nr: 1218/2020), im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Krösbacher, A., Kaiser, H., Holleis, S. et al. Evaluierung der Maßnahmen zur Reduktion von Notarzteinsätzen in Tirol während der COVID-19-Pandemie. Anaesthesist 70, 655–661 (2021). https://doi.org/10.1007/s00101-021-00915-w
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