Kritische Perspektiven zu Psychotherapieforschung und -praxis

Zusammenfassung

Diese von Raimy dokumentierte humorvoll gemeinte Aussage eines Teilnehmers an einer Konferenz für Psychotherapie enthält bei aller Übertreibung einen wahren Kern: Der Psychotherapeut hat es in der Praxis stets mit einer nicht-eliminierbaren Zone der Unbestimmtheit zu tun. Er ist in der Ausübung seiner Methode in der therapeutischen Situation mit Unsicherheit, mit Einzigartigkeit und Wertkonflikten konfrontiert, die die Kompetenz, Urteilskraft und Kreativität des Therapeuten in besonderer Weise herausfordern. Die moderne Psychotherapie hat im wesentlichen den Charakter einer praktischen Kunst nicht verloren, auch wenn die wissenschaftliche Forschung unübersehbare Fortschritte erzielen konnte. Sie verdankt ihre Existenz den revolutionären Entdeckungen von Sigmund Freud, dessen Einfluß bis in die gegenwärtige Theorie und Praxis reicht. Dutzende von therapeutischen Methoden wurden entwickelt und der moderne Psychotherapeut ist eine Art „weltlicher Priester“ geworden. Ein Teil der neuen Methoden sind in den Entdeckungen von Freud verankert, andere haben ihren Ausgangspunkt in verschiedenen alternativen theoretischen Ansätzen. Die moderne Psychotherapie ist eine Dienstleistung geworden, die auf veränderte gesellschaftliche Bedingungen reagiert: Die Destabilisierung sinnstiftender Sozialsysteme und Glaubenssysteme, die Komplexität der Arbeits- und Alltagswelt sind nur einige soziologische Faktoren, die der Psychotherapie eine unverzichtbare Funktion gegeben haben.

Psychotherapie ist eine Undefinierte Methode, angewandt auf unspezifische Probleme mit unvoraussagbaren Ergebnissen. Wir empfehlen für diese Methode eine strenge Ausbildung. (Victor Raimy, 1950)