Zusammenfassung
Wenn einer Entwicklung, einem Prozess nachgegangen werden soll, so stellt sich immer die Frage, wo der Anfangspunkt gesetzt werden soll. Dies gilt nicht nur für die hier behandelten Klassiker der Soziologie, die, wie wir in den vorhergehenden Kapiteln gesehen haben, in ihren Untersuchungen von unterschiedlichen Epochen ausgehen; es gilt um so mehr für eine Betrachtung klassischer Theorien, die nicht aus dem „Nichts“ — als „tabula rasa“ — entstanden sind. Im Gegenteil: In ihrem Bemühen, die Wissenschaft „Soziologie“ zu etablieren, d.h. der Festlegung eines soziologischen Gegenstandes und einer soziologischen Untersuchungsmethode, haben die Klassiker nicht „ausserhalb“ des wissenschaftlichen Diskurses angefangen, sondern sind jeweils von früheren und zeitgenössischen — meistens (sozial-)philosophischen — Strömungen beeinflusst worden.380
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Literatur
Tatsächlich setzen sich alle Klassiker — mehr oder weniger intensiv — explizit mit philosophischen Strömungen auseinander. Vgl. hierzu Levine (1995) und Kap. B.
Ganz allgemein gefasst ist Gesellschaft “eine räumlich, zeitlich oder sozial begrenzte und zugleich geordnete Menge von Individuen oder Gruppen von Individuen, die in direkten wie indirekten Wechselbeziehungen verbunden sind” (Buschges, 1989, 245).
Vgl. Kaupp (1974, 461). In der Antike waren damit nur die Bürger (d.h. eine Gruppe auserwählter Männer) gemeint.
Vgl. Heimsoeth (1922, 236).
Vgl. Kobusch (1976, 300).
Die antike Art der Problemstellung bestimmt die ganze spätere philosophische Diskussion. “Das Problem des Zusammenhanges von Form und Stoff, Allgemeinem und Individuellem ist dann ein Problem der gesamten nachplatonischen und nacharistotelischen Philosophie” (Kerber, 1984, 122).
Die Engel, die zwar reine Geister (ohne Materie), aber immer noch geschaffene Geister sind, sind für sich genommen schon individuell, aber noch nicht so individuell wie Gott. Jeder Engel macht eine Spezies aus. Dieser Gedanke wurde schon von Aristoteles, in bezug auf Gestimgeister, verfolgt. Vgl. Santagata (1981, 168) und Weischedel ( 1988, 96 ).
Giordano Bruno hat in seinem Spätwerk als erster von Monaden (als kleinsten und einfachsten Einheiten) gesprochen, welche das Wesen der Dinge enthalten und Elemente der Natur sind. Vgl. Kunzmann (1992, 97).
Hobbes unterscheidet drei wesentliche Streitgründe im Naturzustand: Wettbewerb, Angst vor den anderen und Streben nach Ruhm. “So that in the nature of men we find three principal causes of quarrel: first, competition; secondly, diffidence; thirdly, glory ” (Hobbes, [1651] 1994, 76 ).
Vgl. Smith ([1759] 1984, 10ff).
Kant weiss, dass die Annahme der Freiheit nicht weiter bewiesen werden kann. Es ist eine praktische Erfahrung, dass wir kontinuierlich frei entscheiden; selbst wenn die Handlung determiniert ist, entscheiden wir. Ausserdem müssen wir frei sein, um moralisch zu handeln. Die Voraussetzung der “Idee der Freiheit” ist also durchaus notwendig, “aber wie diese Voraussetzung selbst möglich sei, lässt sich durch keine menschliche Vernunft jemals einsehen ” (Kant, [1785] 1956, 99 ).
Diese Kritik ist selbstverständlich auch gesellschaftlich begründet: Liberalismus, Aufklärung und Idealismus mit ihren Vorstellungen über die moderne Gesellschaft haben sich über den Gang der Dinge getäuscht. Die Aufklärung endet in einer Diktatur, der Liberalismus in der Proletarisierung, der Idealismus im Institutionenchaos. Aus diesem Widerspruch zwischen Theorie und Realität entstehen Gegenreaktionen: Den Theorien wird unterstellt, die Realität übersehen zu haben. Die Verbesserung oder Rückgängigmachung der bürgerlichen Gesellschaft wird angestrebt. Daher tritt auch die Wendung zum Konkreten, zum Lebendigen, zum Erfahrbaren ein. Vgl. Jonas ( 1981, 162f ).
Vgl. auch Spencer ([1860] 1983, 60).
Damit sind extrinsische Faktoren gemeint wie Klima, Vegetation usw. und intrinsische Faktoren wie Bewässerungssysteme, Bevölkerungsdichte, gegenseitige Beeinflussung des Ganzen und der Teile, Beziehung mit Nachbarsgesellschaften und die Akkumulation von superorganischen Produkten (Werkzeuge, Sprache, Wissen, Sitten, Kunst). Vgl. Spencer ([1876a] 1983 ).
Allerdings: “la marche de la civilisation ne s’exécute pas… suivant une ligne droite. Elle se compose d’une suite d’oscillations progressives, plus ou moins étendues et plus ou moins lentes” (Comte, [1822] 1970, 120).
Daher stammt die wissenschaftliche Erklärung des Kampfes zwischen unserer menschlichen und tierischen Anlage, den man seit dem Beginn der Zivilisation erkannt hat“ (Comte, [1842] 1974, 139).
Im Gegensatz dazu betrachtet sie Nisbet (1967, 18ff) immer noch als Moralphilosophen.
Vgl. Dahme, Rammstedt (1984, 459ff), Rammstedt (1985, 484ff), Burkitt (1991, 21ff), Di Fabio (1991, 30) sowie Luhmann (1987, 124ff).
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Kippele, F. (1998). Individuum und Gesellschaft vor der Geburt der Soziologie. In: Was heißt Individualisierung?. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11813-8_8
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-11813-8_8
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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