Zusammenfassung
Ähnlich wie bei Tönnies ist auch bei Simmel das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft von zentraler Bedeutung für seine Soziologie und für sein gesamtes Werk. Zusätzlich wird bei ihm zum ersten Mal die Veränderung dieses Prozesses mit „Individualisierung“ bezeichnet, einem Begriff, der bei Simmel immer wieder vorkommt.
„Zu den wenigen Regeln..., die man mit annähernder Allgemeinheit für die Form der sozialen Entwicklung aufstellen kann, gehört wohl diese: dass die Erweiterung einer Gruppe Hand in Hand geht mit der Individualisierung und Verselbständigung ihrer einzelnen Mitglieder.“ 119
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Literatur
Simmel ([1900] 1989, 469).
Dies ist auch der Grund, weshalb sich Simmel mit so vielfältigen (teils fundamentalen, teils scheinbar banalen) Phänomenen beschäftigen konnte wie z.B. die Koketterie, das Abenteuer, der Henkel, die Alpen (alle in: [1911] 1983), die Mahlzeit ([1910] 1957), die Rosen ([1897] 1983), aber auch Herrschaft, Armut oder Fremde (alle in: [1908] 1992).
Es ist dennoch festzuhalten, dass Simmel gewisse, für ihn zentrale Themen im Verlauf seines Lebens immer wieder aufgegriffen und thematisiert hat. So beschäftigt er sich v.a. in “Die Probleme der Geschichtsphilosophie” ([1892a] 1989) mit erkenntnistheoretischen Fragen, aber auch in “Vom Wesen des historischen Verstehens” ([1918] 1957). Seine lebensphilosophischen Gedanken hat er hauptsächlich in “Lebensanschauung. Vier metaphysische Kapitel” (1918) oder in “Der Konflikt der modernen Kultur” ([1918] 1987) formuliert, aber auch schon in “Der Begriff und die Tragödie der Kultur” (in: [1911] 1983). Vgl. auch Levine (1971), Dahme (1981), Bevers (1985) und Kippele (1989).
Die einleitenden Worte von Dahme und Rammstedt (1983) geben eine besonders gute und knappe Übersicht über Simmels Soziologie.
Der Übergangscharakter ist bei den Kulturschriften besonders deutlich. Vgl. Levine (1971).
Die genaue Formulierung sollte lauten: Wie sind Kulturen möglich? Für Simmel existiert nämlich eine ganze Reihe von gleichberechtigten Kulturen nebeneinander (z.B. Religion, Kunst, Wissenschaft u.a.).
Vgl. Simmel ([1908] 1992) für die Gesellschaft, Simmel ([1918] 1957) für die Kultur und Simmel ([1908] 1993) für die Erkenntnis. Simmel argumentiert in allen drei Bereichen oft ähnlich: Eine Distanz zwischen dem Subjekt und dem Objekt ist gegeben und muss durch Annäherung überwunden werden.
Vgl. Kap. 3.3.2.2 weiter unten.
In früheren Schriften versucht Simmel aufzuzeigen, wie das Denken aus dem Handeln entsprungen ist und heute selbst das Handeln bestimmt. Vgl. Simmel (1896).
Vgl. Simmel ([1890] 1989, 136ff; [1908] 1992, 43ff; [1917] 1984, 12ff).
Fragmentarische Ansätze der Argumentation sind auch in der “Einleitung in die Moralwissenschaft” vorhanden. Vgl. Simmel ([1892b] 1989 und [1893] 1991). Eine gute Übersicht über den Individualisierungsprozess bei Simmel bietet Müller (1993).
Simmel hat sich schon sehr früh mit der konzentrischen Vergrösserung auseinandergesetzt. Vgl. Simmel ([1888] 1983). Die Grundgedanken sind in seiner reifsten Version von 1908 — rund 20 Jahre später — gleich geblieben.
Historisch dachte Simmel an den Feudalismus. Vgl. Simmel ([1908] 1992, 810 ).
Simmel nennt hier “die Verhältnisse der einfachen Konkurrenz, die Vereinigung vieler Schwacher gegen einen Starken, die Pleonexie Einzelner, die Progression, in der einmal angelegte individuelle Verhältnisse sich steigern u.s.w.” (Simmel, [1890] 1989, 169f).
Auch mit der zentrifugalen Vergrösserung der Gruppe hat sich Simmel sehr früh auseinandergesetzt. Vgl. Simmel ([1893] 1991, 353ff).
Vgl. auch Simmel ([1908] 1992, 466).
und vielfach auch historische“ Folge. (Simmel, [1908] 1992, 474).
Vgl. Simmel ([1908] 1992, 832).
Simmel zählt eine Reihe von Dimensionen auf, die die Vielfalt der Gruppenzugehörigkeit vergrössern: die Anzahl, die Variabilität der relativen Stellungen innerhalb der Gruppen, der interne Kooperations-bzw. Konkurrenzcharakter, die Heterogenität der Gruppenmitglieder u.a. Vgl. Simmel ([1908] 1992, 475ff).
Gewiss täuscht sich der Mensch unzählige Male über das Mass von Freiheit, das er in irgend eine Aktion einzusetzen hat, schon weil dem bewussten Begriff… vieles an Klarheit und Sicherheit fehlt; wie man die Freiheit aber auch deute, man wird sagen können, dass irgend ein Mass ihrer, wenn auch nicht das geglaubte, überall vorhanden ist, wo Gefühl und Überzeugung von ihr vorhanden ist“ (Simmel, [1908] 1992, 164).
Simmel spricht auch von negativen und positiven Komponenten der Freiheit: Die negative Seite ist die Lösung von den persönlichen Bindungen, die positive die neue Kombination von Bindungen. Fehlt eine der Komponenten, so ist die Freiheit unvollständig. Zum Verhältnis beider Komponenten vgl. Lohmann (1993).
Vgl. Simmel ([1908] 1992, 842).
Vgl. Simmel ([1913] 1984, 219).
Vgl. Simmel ([1890] 1989, 191f).
Die “Objektivität des Lebensstiles” ist gekennzeichnet durch Inhaltlosigkeit bzw. Charakterlosigkeit, welche auch Merkmale der Intellektualisierung und fortschreitenden Geldwirtschaft sind. Vgl. Simmel ([1900] 1989, 599).
Vgl. Levine (1991, 101ff).
Vgl. Simmel ([1900] 1989 und [1903] 1995).
Im Unterschied zu Tönnies ist für Simmel der Intellektualismus v.a. in seiner Inhaltslosigkeit von Interesse, weniger in seiner Gefühllosigkeit. Er betont sehr oft, dass das Leben abstrakter wird, und nur selten, dass es gefühllos wird: Gefühle werden nur zurückgezogen.
Sachliche Bindungen implizieren, dass Gruppen auf rationalen Kriterien beruhen.
Insgesamt hat sich aber nach Simmel die Distanz zwischen dem Ich und dem Du in den allerengsten Beziehungen auch vergrössert. Die äusserliche Distanz hat sich verkleinert, die innere vergrössert.
Vgl. Simmel ([1903] 1983).
Das Tragische daran ist, dass die Zerstörungskräfte im Subjekt selbst vorhanden sind, und daher der Konflikt bzw. Zerstörungsprozess unausweichlich ist. Vgl. Simmel ([1911] 1983, 215ff). Im älteren Simmel führt das Auseinanderfallen von Subjekt und Objekt sogar zum (ewigen) Konflikt zwischen Leben und Form. Darin äussert sich der eingangs angesprochene tiefe Dualismus, der jeder Erscheinung zugrunde liegt, in reiner Form. Vgl. Simmel ([1918] 1987 und 1918) sowie Nedelmann (1991, 169ff).
Im sozialen Leben kann sogar geschehen, dass die objektive Kultur hinter der Entwicklung der subjektiven bleibt. Dies ist allerdings der seltenere Fall.
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Kippele, F. (1998). Individualisierung bei Georg Simmel. In: Was heißt Individualisierung?. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11813-8_4
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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