Zusammenfassung
Die Wirtschaftswissenschaften haben seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts einen Pfad eingeschlagen, auf dem sie vor allem Modellen, Denkmustern und Vorgehensweisen der Physik und hier insbesondere der Mechanik gefolgt sind. Dies hat dazu geführt, dass sich mit der Neoklassik eine vorherrschende Denkrichtung entwickelte, die sich stark auf mathematisch-formalisierte Gleichgewichtsmodelle stützt. Alternativ dazu wäre es auch möglich gewesen, sich stärker an der biologischen Theorie zu orientieren. Gegenseitige Einflussnahmen zwischen der Biologie und Ökonomik gibt es, seitdem Darwin seine biologische Evolutionstheorie unter dem Einfluss der Schriften der klassischen Ökonomen Adam Smith und Thomas Robert Malthus entwickelte. Umgekehrt hat die Biologie die Ökonomik immer wieder inspiriert, vor allem in der evolutorischen Ökonomik und in jüngerer Zeit auch in der Neuroökonomik, einer Anwendung der Verhaltensökonomik. Da das herrschende neoklassische Paradigma vielfacher Kritik ausgesetzt ist, wird eine Arbeitsteilung vorgeschlagen, in welcher jede der ökonomischen Denkschulen dort Anwendung findet, wo sie ihre jeweiligen Stärken hat. Eine stärkere Berücksichtigung biologischer Theorien und Erfahrungen in den Wirtschaftswissenschaften würde diese lebensnäher machen.
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Notes
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Für Anregungen bei der Erstellung des Manuskriptes dankt der Autor Janet L. Duke (Universität Freiburg), Ralf Möllers (Hessisches Kultusministerium) und Gernot Schiefer (FOM Hochschule). Verantwortlich ist der Autor.
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Der Amerikanische Institutionalismus hat es dabei selbst nicht geschafft, ein kohärentes Forschungsprogramm zu entwickeln.
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Es sollte an dieser Stelle aber darauf hingewiesen werden, dass die gegenseitige Befruchtung nicht bedeutet, die Theorien exakt von den Sozialwissenschaften auf die Biologie oder vice versa zu übertragen, sondern dass immer eine sachgerechte Anpassung an den jeweiligen Untersuchungsgegenstand vorzunehmen ist (vgl. dazu auch Hayek, 2003, S. 25).
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Den Erfolg der Verhaltensökonomik kann man beispielsweise auch an den Nobelpreisträgern Daniel Kahneman, Vernon Smith, Robert Shiller und Richard Thaler ablesen.
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Fehr (2006) weist darüber hinaus darauf hin, dass auch neurobiologische Erkenntnisse in der ökonomischen Theorie Verwendung finden.
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Drewes, M. (2022). Die dogmenhistorische Bedeutung der Biologie für die Ökonomik. In: Jeschke, B.G., Heupel, T. (eds) Bioökonomie. FOM-Edition. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-34322-4_1
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