Zusammenfassung
Der Entgrenzungsbegriff wird zur Beschreibung diverser gesellschaftlicher Veränderungen verwendet, die mit dem Verschwimmen von bislang klaren oder als klar empfundenen Einteilungen einhergehen. Entgrenzung bezeichnet demnach das Brüchigwerden, die Verschiebung oder sogar die Auflösung von Grenzen im vielfältigsten Sinne: Diese Grenzen, die von Zerfallsprozessen betroffen sind, können z. B. entlang von räumlichen oder symbolischen Lebensbereichen verlaufen sein, entlang von Institutionen, Lebensphasen, Tätigkeiten, Rollen, Funktionen oder sozialen Klassen und Schichten.
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Notes
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Diese „Normalfolien“ unterscheiden sich, was Erwerbsarbeit, Familienstrukturen und Geschlechterverhältnisse betrifft, deutlich zwischen West- und Ostdeutschland, wie Jurczyk et al. (2009) detailliert darstellen. Entgrenzung als Aufbrechen von gesellschaftlichen Normalitäten, die das Denken und Leben der Menschen geprägt haben, bedeutet in West- und Ostdeutschland deshalb stark Unterschiedliches. Tatsächlich können manche Konstellationen der ostdeutschen Normalfolie laut Jurczyk et al. (2009: 50) als „zeitlich vorgezogene Entgrenzung“ bezeichnet werden, da beispielsweise Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen im sozialistischen System verpflichtend war und durch umfangreiche institutionelle Kinderbetreuung begleitet wurde. Die Anpassung an das westdeutsche System brachte aus ostdeutscher Perspektive daher erschwerte Rahmenbedingungen für weibliche Vollzeiterwerbstätigkeit mit sich. In keiner der beiden Normalfolien war jedoch eine Gleichverteilung der Verantwortung von Frauen und Männern für Betreuungs- und Haushaltsarbeit vorgesehen – diese blieb jeweils im alleinigen Verantwortungsbereich der Frauen: in Ostdeutschland bei gleichzeitiger Vollzeiterwerbstätigkeit, unterstützt durch Betreuungseinrichtungen, in Westdeutschland als Hausfrau und Mutter ohne Erwerbstätigkeit oder im Zuverdienermodell mit Teilzeitberufstätigkeit in geringem Umfang (Jurczyk et al. 2009: 31–58). Die vorliegende Arbeit konzentriert sich jedoch, wo deutsche Quellen zur Lage vor bzw. um 1989 zitiert werden, auf die Entwicklungen in Westdeutschland. Eine Auseinandersetzung auch mit Ostdeutschland bzw. mit dem kommunistischen System würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
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Solche Begrenzungen können z. B. darin bestehen, dass man sich für die Nutzung der Plattform bzw. den Zugriff auf ihre Inhalte registrieren und einloggen muss (Einspänner-Pflock/Reichmann 2014: 61).
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Der Begriff der Entstrukturierung bezieht sich laut Schröer (2004: 40–42) nur auf die innere Ausgestaltung des Jugendmoratoriums, die der Pluralisierung abweichend vom institutionalisierten Lebenslauf unterliegt, betrachtet das Moratorium jedoch weiterhin als gegenüber der Arbeitsgesellschaft abgegrenzt. Der Entgrenzungsbegriff geht einen Schritt weiter und bezieht die Veränderung der „äußeren strukturellen Rahmenbedingungen der Lebensphase Jugend“ (ebd.: 41) ein, die eng mit der „Verarbeitlichung des Alltags“ (ebd.) verknüpft ist, d. h. Arbeit und arbeitsgesellschaftliche Ansprüche dringen in alle Lebensbereiche ein.
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Die Annahme, dass Jugendliche um 1950 in tatsächlich allen Gesellschaftsschichten bis zu einem Alter von etwa 18 bis 19 Jahren in der Ausbildung sein durften, ist stark anzuzweifeln. So wurde eine 1939 geborene Tante der Autorin dieser Dissertation mit 13 Jahren, also 1952, verfrüht aus der eigentlich 8 Jahre dauernden Volksschule genommen, da sie im landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern benötigt wurde. Eine andere Tante, Geburtsjahrgang 1943, durfte zwar die Volksschule abschließen und folglich bis zu einem Alter von 14 Jahren schulische Bildung in Anspruch nehmen, weitere Ausbildungen im Anschluss an die Volksschule wurden aber auch ihr nicht gewährt. Gerade im ländlichen Raum dominierte bei Eltern vor allem für ihre Töchter, durchaus aber auch für ihre Söhne, die Vorstellung weiterführende Ausbildungen seien nicht erforderlich, da die Kinder ohnehin durch Heirat erneut an einen Hof gelangen und weiterhin in der Landwirtschaft tätig sein würden. Die Einschätzung von Schröer (2004: 35–37) (siehe Fließtext) erscheint hier realistischer.
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Theoretisch gesehen. Praktisch wird der Begriff der „Entgrenzung von Kindheit“ in der Literatur nicht auf konkrete Einzelphänomene wie Kleidungsstile, sondern in erster Linie abstrakt (z. B. auf die Auflösung des Schonraums) angewendet.
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Ausgenommen ist das bereits zitierte Konzept der Entwicklungsaufgaben von Hurrelmann/Quenzel, bei dem eine der vier relevanten Dimensionen von Entwicklung „Konsumieren“ ist (vgl. Hurrelmann/Quenzel 2016: 24–44). Die Frage des jeweils für Kinder, Jugendliche und Erwachsene Adäquaten bleibt aber auch dort überwiegend offen, wie vorher beschrieben.
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Ebner-Zarl, A. (2021). Definition von Entgrenzung. In: Die Entgrenzung von Kindheit in der Mediengesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-31971-7_1
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