Zusammenfassung
Die Steigerung der Produktivität ist eine zentrale Hoffnung, die mit der zunehmenden Digitalisierung von Arbeitsprozessen einhergeht, die Vergrößerung der Möglichkeiten für Beschäftigte entgrenzt zu arbeiten eine weitere. Gleichzeitig gibt es eine Reihe von empirischen Evidenzen dafür, dass der steigende Einsatz von Informationstechnologie nicht zwangsläufig zu höherer Produktivität und die Freiheit zur Entgrenzung von Arbeit auch in eine Notwendigkeit umschlagen kann. Der vorliegende Beitrag untersucht konzeptionell und empirisch auf der Basis qualitativer Analysen am Beispiel der Steuerberatungsbranche mögliche Zusammenhänge zwischen beiden Phänomenen.
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Notes
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Kodima ist ein vom Bundesministerium für Forschung und Bildung (BMBF) und dem Europäischen Sozialfond (ESF) gefördertes Verbundprojekt im Rahmen des Programms „Zukunft der Arbeit“ (FKZ 02L15A312), das sich am Beispiel von Steuerberatungen mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf kleine und mittlere Unternehmen auseinandersetzt. Betreut wird das Projekt vom Projektträger Karlsruhe (PTKA). An dem Projekt beteiligt sind neben dem ipo – Institut für Personal- und Organisationsforschung der FOM Hochschule für Oekonomie und Management, die Seniorprofessur für Wirtschafts- und Organisationspsychologie der Universität Rostock, die HR Excellence Group GmbH aus Braunschweig, die Akademie der ECOVIS Europe AG in Rostock und die EVENTUS GmbH Wolfenbüttel Steuerberatungsgesellschaft. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autor/innen.
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Eine andere Systematisierung der unterschiedlichen Argumentationsmuster zur Erklärung des Produktivitätsparadoxons findet sich bei Ortmann (1995, S. 162 ff.). Vergleicht man die dort angeführten Begründungen mit den zuvor diskutierten, zeigt sich, dass sich in den letzten 20 Jahren wenig an der Argumentation geändert hat.
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Insbesondere sind diese Produktionszuwächse so gering, dass sie sich in der gesamtwirtschaftlichen oder auch nur branchenbezogenen Betrachtung nicht gegen produktivitätshemmende Faktoren wie etwa Mängel im Bildungssystem oder den demografischen Wandel durchsetzen können (Gordon 2012, 2015; Adler et al. 2017).
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Satellitenbüros sind wohnortnahe Büros, die nur von einem Unternehmen genutzt werden. In Coworking Centern finden sich wohnortnahe Büroarbeitsplätze, die von mehreren Unternehmen und/oder Selbstständigen genutzt werden (Praeg und Bauer 2017, S. 173).
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Bei Vertrauensarbeitszeit sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit selbst verantwortlich. Es erfolgt keine Erfassung der Arbeitsstunden durch den Arbeitgeber, die Lage der Arbeitszeit kann weitgehend oder vollständig durch die Beschäftigten bestimmt werden. Die Abstimmung und Koordination der Arbeit erfolgt mittels festgelegter Ziele, die zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht sein müssen (Rump et al. 2017, S. 291 f.).
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Wesentlich verbreiteter als die hier angesprochenen informationstechnischen Workflow Systeme sind schriftliche Systeme (Verfahrenshandbücher, Checklisten, etc.). Diese sollen aber auch die oben beschriebenen Zwecke erfüllen und führen in der Anwendung zu vergleichbaren Formalisierungslücken, wie Brückner und Wolf (2015) herausarbeiten.
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Generell hat es den Anschein, dass die Diskussion um organisatorischen Konsequenzen der Digitalisierung und Entgrenzung von Arbeit von den Erkenntnissen profitieren könnte, die im Rahmen der Auseinandersetzung mit den organisationstheoretischen Aspekten des Wissensmanagements gewonnen wurden – geht es doch in beiden Fällen darum, dass Beschäftigte das implizite Wissen (Polanyi 1985) zur Füllung der Formalisierungslücke entwickeln und austauschen (Böhle 2015, S. 112).
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Zimmer, M., Ziehmer, H. (2019). Produktiver durch Digitalisierung? – Produktivitätsparadox und Entgrenzung von Arbeit. In: Hermeier, B., Heupel, T., Fichtner-Rosada, S. (eds) Arbeitswelten der Zukunft. FOM-Edition. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-23397-6_6
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