Zusammenfassung
Das Messen von Diskriminierung im Sinne der Feststellung des Ausmaßes und der Verbreitung von struktureller und institutioneller Diskriminierung wird mit seinen Potenzialen und Dilemmata dargestellt. Besonders für die Messung von rassistischer Diskriminierung fehlen in Deutschland und anderen westeuropäischen Einwanderungsländern die geeigneten Daten.
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Notes
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Unter Rassismus verstehe ich „das soziale Macht- und Ungleichheitsverhältnis, das Menschen nach aus der Perspektive der Mächtigen fremdzugewiesenen Kategorien einteilt und hierarchisch in kulturalisierender, naturalisierender, essentialisierender und/oder biologisierender Weise ordnet“ (Supik 2014, S. 30). Rassismus ist ein sozialstrukturelles Verhältnis, rassistische Diskriminierung ein Vorgang.
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Die Zahl und Aufgliederung unterschiedlicher Dimensionen von Diskriminierung wird unterschiedlich dargestellt und ist in Bewegung; so ist etwa auch die Diskriminierung von dicken Menschen in der Diskussion, in UK sind Mutterschaft und Geschlechtsneuzuweisung eigene Schutzgründe. Das AGG unterscheidet sechs Dimensionen, in internationalem Recht wird explizit die Unabgeschlossenheit der Aufzählung deutlich.
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Im ICERD-Parallelbericht wird die „Erhebung disaggregierter, d.h. gruppenspezifisch aufgeschlüsselter Diskriminierungsdaten sowie soziodemografischer Daten zur Bildungs- Einkommens- und Lebenssituation von nach ICERD schutzwürdigen Gruppen“ (Diakonie 2015, S. 10) gefordert.
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Ethnizität bezeichnet hier im Sinne Stuart Halls eine ambivalente soziale Verortung, die positive wie negative, selbstbestimmte wie zugeschriebene Elemente enthält. Jede*r Mensch hat eine Ethnizität. Damit ist nicht die „eine“ Gruppenzugehörigkeit gemeint, sondern ein Verortetsein in unabgeschlossenen Bezügen der Herkunft, Zugehörigkeit, Kultur, Religion, Sprache, etc. (Supik 2005).
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Von Nationalstaaten geht immer ein Staatsrassismus aus, in Südafrika und den USA war dieser jedoch, anders als anderswo, sogar explizit in Gesetzen ausformuliert.
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„to measure the causal effect of ethnicity and draw statistically significant conclusions“ (Midtboen und Rogstad 2012, S. 203).
- 7.
In den Wirtschaftswissenschaften wurde diese Form der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt bereits in den 1970er-Jahren beschrieben (Arrow 1973). Im Versicherungswesen wird das Prinzip allgegenwärtig bei der Risikobewertung eingesetzt. Unterschiedliche Tarife nach Geschlecht bei Krankenversicherungen wurden als Diskriminierung verboten.
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Besonders folgenschwer ist es, wenn handlungsleitende Schlüsse aus der Kriminalitätsstatistik gezogen werden, in der Täter (Männer) mit Migrationshintergrund überrepräsentiert sind. Diese Statistik enthält jedoch kein gesichertes Wissen über Täter*innen und Taten, sondern stellt einen „Tätigkeitsnachweis polizeilicher Kriminalitätskontrolle“ (Spies 2010, S. 24) dar, hier wird ein bereits bestehender Bias verstärkt.
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Supik, L. (2017). Statistik und Diskriminierung. In: Scherr, A., El-Mafaalani, A., Yüksel, G. (eds) Handbuch Diskriminierung. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-10976-9_46
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