Bedeutung

In Deutschland werden 1–2 Kinder von 1000 mit einer behandlungs- oder versorgungspflichtigen beidseitigen Hörstörung geboren. Hörstörungen sind somit häufiger als alle anderen Erkrankungen, für die Screeningprogramme etabliert sind. Vor der Einführung des universellen Neugeborenen-Hörscreenings am 01.01.2009 wurden Hörstörungen im Mittel erst im 3. Lebensjahr entdeckt. Durch eine späte Diagnostik und Versorgung angeborener Schwerhörigkeiten ist vor allem die Hör- und Sprachentwicklung, in Abhängigkeit davon aber auch die soziale und intellektuelle Entwicklung des Kindes gefährdet. Je früher eine Hörstörung angemessen behandelt oder versorgt wird, desto eher gelingt eine normale Sprachentwicklung, die dem Kind eine normale Schullaufbahn ermöglicht und alle beruflichen Chancen eröffnet.

Durchführung

Für das Neugeborenen-Hörscreening eignen sich nur objektive Hörprüfmethoden, die entweder auf der Messung otoakustischer Emissionen oder der Ableitung akustisch evozierter Hirnstammpotentiale beruhen. Mit subjektiven Hörprüfverfahren kann eine Hörstörung im Säuglingsalter auch durch sehr erfahrene Untersucher nicht sicher ausgeschlossen werden.

Bei der Messung transitorisch evozierter otoakustischer Emissionen (TEOAE) wird das Innenohr mit Clicks (kurzen Schallreizen) stimuliert, im äußeren Gehörgang kann dann mit einem hochempfindlichen Mikrofon die Antwort des Innenohrs gemessen werden, wobei es sich höchstwahrscheinlich um eine direkte Auswirkung der motorischen Aktivität der äußeren Haarzellen handelt. Die Messung erfolgt vorzugsweise im natürlichen Schlaf, die Umgebung sollte relativ ruhig sein. Behinderungen der Schallleitung, z. B. durch einen Mittelohrerguss oder eine Verlegung des Gehörgangs, behindern die Übertragung des Signals vom Innenohr zur Messsonde. Deshalb gelingen Messungen in den ersten 48 h des Lebens seltener als später. Bei sorgfältigem Vorgehen bestehen etwa 5 % der Kinder den Test nicht. Bei der Messung akustisch evozierter Hirnstammpotenziale (auch BERA, brainstem evoked response audiometry, AABR, automatic auditory brainstem response) , die für das Neugeborenen-Hörscreening ebenfalls automatisiert erfolgt, ist diese Durchfallrate geringer. Die Messung ist jedoch aufwendiger, weil meist Elektroden geklebt werden müssen und die Messung länger dauert. Vorteile der Messung akustisch evozierter Hirnstammpotenziale sind hingegen zum einen, dass auch jüngere Kinder meist problemlos gemessen werden können, vor allem aber, dass auch Kinder mit einer auditorischen Synaptopathie/Neuropathie erfasst werden können.

Am 19. Juni 2008 fasste der Gemeinsame Bundesausschusses (GBA) aufgrund des entsprechenden Berichts des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) den Beschluss über eine Änderung der Kinder-Richtlinien und führte damit das generelle Neugeborenen-Hörscreening (NHS) in Deutschland zum 01.01.2009 ein. Als Ziel wurde die Erkennung beidseitiger Hörstörungen ab einem Hörverlust von 35 dB bis zum Ende des 3. Lebensmonats und die Einleitung einer entsprechenden Therapie bis zum Ende des 6. Lebensmonats definiert. In diesem Beschluss wurde Folgendes festgelegt:

  1. 1.

    Das NHS erfolgt für jedes Ohr mittels TEOAE oder AABR und soll bis zum 3. Lebenstag durchgeführt werden. Für Risikokinder für konnatale Hörstörungen schreibt der Beschluss die AABR vor.

  2. 2.

    Bei auffälligem Testergebnis der Erstuntersuchung mittels TEOAE oder AABR soll möglichst am selben Tag, spätestens bis zur U2 eine Kontroll-AABR an beiden Ohren durchgeführt werden.

  3. 3.

    Bei einem auffälligen Befund in dieser Kontroll-AABR soll eine umfassende pädaudiologische Konfirmationsdiagnostik bis zur 12. Lebenswoche erfolgen. Hierfür wurden 2009 Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie erarbeitet, die 2011 überarbeitet wurden.

Im Beschluss des GBA wurde die gleichzeitige Implementierung geeigneter begleitender Qualitätssicherungsmaßnahmen empfohlen, u. a. die möglichst lückenlose Nachverfolgung im Screening auffälliger Kinder (Tracking). Ohne dieses Tracking gehen etwa die Hälfte der ursprünglich als auffällig gescreenten Kinder mit Schwerhörigkeiten zunächst wieder verloren und werden erst Jahre später diagnostiziert und behandelt.

Therapiemöglichkeiten

Bei über mehrere Monate bestehenden Paukenergüssen erfolgt die operative Therapie durch Parazentese, ggf. Paukenröhrchen und ggf. Adenotomie. Bei persistierenden Hörstörungen, am häufigsten sind dies Innenohrhörstörungen, erfolgt die Hörgeräteversorgung im ersten Lebenshalbjahr. Im Kindesalter werden dazu Hinter-dem-Ohr-Hörgeräte eingesetzt (HdO-Hörgeräte), bei Fehlbildungen von Ohrmuschel und Gehörgang auch Knochenleitungsgeräte. Bei etwa einem Viertel aller angeborenen Schwerhörigkeiten ist die Hörstörung so ausgeprägt, dass mit Hörgeräten allein keine zufriedenstellende Sprachentwicklung zu erwarten ist. Nach einer probatorischen Hörgeräteversorgung, die auch zur Hörerweckung dient, erfolgt dann die Cochlea-Implantat-Versorgung, also ein elektronischer Ersatz des Innenohrs. Als ideal wird derzeit die Operation des 1. Ohrs im zweiten Lebenshalbjahr und die des zweiten Ohrs einige Monate später angesehen.

Zur Gewährleistung einer guten Hör- und Sprachentwicklung haben hörbehinderte Kinder ein Recht auf Schwerhörigenfrühförderung. Nach der Stellung der Diagnose erfolgt mit dem Einverständnis der Eltern die Meldung des schwerhörigen Kindes an die zuständige Schule. So erfolgt mit der Diagnosestellung eine umfassende Betreuung des hörgeschädigten Kindes und seiner Eltern, die eng in die Therapie eingebunden werden müssen.