Am Auge erkrankte Personen suchen heute zunehmend den Augenarzt direkt auf, denn die Beschwerden können vom Laien selbst dem Organ „Auge“ anatomisch und funktionell zugeordnet werden. Andererseits wird mancher auch von der Angst getrieben, seine Sehkraft zu verlieren.

Dennoch wird der Allgemeinarzt nach wie vor in vielfältiger Weise mit der Diagnostik, Therapie und Beratung sowie mit der Führung von Patienten mit Augenerkrankungen konfrontiert. Außerdem hat er es mit dem Beratungsproblem Augen zu tun:

  • im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen bei Kindern und Jugendlichen,

  • bei Fortsetzung einer durch den Augenarzt eingeleiteten Therapie,

  • bei der Würdigung von Nebenwirkungen auf das Auge und/oder den Organismus bei bestimmten Medikamenten oder

  • in der Langzeitbetreuung von Patienten mit Diabetes mellitus (Abschn. 13.1.12),

  • bei Erstversorgung im Notfall.

Bindehautentzündungen, Augenfremdkörper, Augentränen, Visusstörungen und Grauer Star sind regelmäßig häufige Beratungsergebnisse der letzten 60 Jahre aus Hausarztpraxen in Österreich und der Schweiz.

Bei jeder Untersuchung des äußeren Auges wird das Unterlid ektropioniert, das Oberlid (Abb. 11.1a, b) nur bei besonderem Verdacht (z. B. auf Fremdkörper ) und bei Verätzungen (zur Reinigung des Bindehautsackes).

Abb. 11.1
figure 1

Besondere Technik für die Untersuchung der Bindehaut des Oberlids (Ektropionieren ): Patient schaut entspannt nach unten, Anheben des Oberlids, Zug der Wimpern nach unten und vorn. Anlegen eines Stiftes oberhalb des Lidrandes zur Vermeidung von Druck auf den Augapfel (a); nun können die Wimpern gegen die Augenbrauen gedrückt werden, Entfernung des Stiftes ist möglich (b)

1 Veränderungen und Affektionen im Lid- und Periorbitalbereich

Oftmals nur geringfügige Veränderungen an den Augenlidern und in der Periorbitalgegend fallen den Betreffenden bzw. seiner Umgebung rasch auf. Gerade bei Lidschwellungen wird in Laienkreisen eine „Wassereinlagerung“ oder gar ein „Nierenversagen“ befürchtet. Dabei sind die häufigsten Ursachen bei einer Lidschwellung eine lokale (Kontaktallergie) oder systemische Allergie (z. B. Begleitreaktion einer allergischen Rhinitis). Seltener kommen in Frage das Gerstenkorn (Hordeolum ; Abschn. 4.8) sowie das Hagelkorn (Chalazion ).

Ringe unter den Augen (Augenränder) stellen für die Betroffenen zunächst eher eine ästhetische Belastung dar und werden gerne mit „zu wenig Schlaf“ oder „Flüssigkeits- oder Eisenmangel“ in Verbindung gebracht (▶ FAKT). Ein wissenschaftlicher Nachweis dafür ist jedoch schwer zu finden. Bei dehydrierten Säuglingen und Kleinkindern sind sie jedoch eines von vielen ernstzunehmenden Symptomen für den Gesamtzustand des Patienten (▶ FOTO).

Als dramatischer AGV gilt das Bild einer Periorbitalphlegmone (▶ FOTO), einer Infektion des Augenlids und der Haut vor dem Orbitaseptum; sie kann von einem externen Infektionsherd (z. B. Wunde) oder einer Infektion, die sich von den Nasennebenhöhlen oder Zähnen ausbreitet, hervorgerufen werden. Die Symptome sind Rötung und Schwellung; Augenschmerzen müssen nicht obligat sein.

Kinder sind häufiger von einer Periorbitalphlegmone, Erwachsene von einer Orbitalphlegmone betroffen. Für beide Krankheiten bestehen dieselben Symptome und klinischen Zeichen. Unverzüglich stationäre Einweisung in den Spezialbereich!

Als „Tränensäcke“ werden umgangssprachlich bestimmte Alterserscheinungen bezeichnet, die jedoch nichts mit Flüssigkeitseinlagerung, sondern mit Fettansammlungen unter dem Auge aufgrund zunehmender Insuffizienz von Muskeln und Bindegewebe zu tun haben (▶ FAKT, FOTO). Zusammen mit den „Schlupflidern“ stehen sie auf der Hitliste der kosmetischen Operationen.

Eine Lidrandentzündung (Blepharitis ) kommt besonders bei Menschen mit zu trockener oder zu fettiger Haut vor, die auch häufig unter Kopfschuppen leiden. Bei lang dauernder Lidrandentzündung können die Wimpern ausfallen oder in die falsche Richtung wachsen. Solche „eingewachsenen“ Wimpern (Trichiasis ) lassen sich mit einer Pinzette effektiv entfernen.

Kombinationen von Lidrand- und Bindehautentzündung (Blepharokonjunktivitis ) sind keine Raritäten.

Die Grundbehandlung der Blepharitis umfasst Auflegen von warmen Kompressen auf die Augenlider sowie das mechanische Waschen der Lider und Wimpern, um Krusten, Schuppen oder Verklebungen zu entfernen (medscape 2010).

Bei verklebten Augen und/oder Tränenträufeln im Neugeborenen- und Säuglingsalter muss ein (oftmals noch physiologisch) verlegter Tränenkanal (▶ FOTO) bedacht werden.

Chalazien und Hordeola sind plötzlich auftretende, umschriebene Lidschwellungen. Das Chalazion kann oberhalb oder unterhalb des Lidrandes als meist indolentes, derbes Knötchen liegen. Die Abgrenzung zum Hordeolum ist nicht immer einfach.

Ein Chalazion wird durch den nicht infektiösen Verschluss einer Meibom-Drüse verursacht, während ein Hordeolum durch eine Infektion entsteht. Beide verursachen zunächst eine Hyperämie mit Lidödem/-schwellung und Schmerzen. Bei häufigerem oder langwierigem Auftreten von Hordeola muss nicht nur ein Diabetes mellitus , sondern auch eine Immuninsuffizienz bedacht werden.

Mit der Zeit entwickelt sich aus einem Chalzion ein kleines, unempfindliches Knötchen in Lidmitte, während das Hordeolum schmerzhaft und am Lidrand lokalisiert bleibt. Therapie: warme Kompressen. Beide Lidveränderungen bessern sich spontan (das Chalazion bildet sich nicht selten über 1–2 Monate zurück; ein Hordeolum perforiert i. Allg. spontan nach 2–4 Tagen).

Ausgedünnte Brauen (Hertoghe-Zeichen) werden bei Neurodermitis beobachtet.

2 Pupillenveränderungen

Jede Form von erstmals beobachteten Pupillenveränderungen oder -störungen wie auffallend enge oder auffallend weite Pupillen, Reaktionsstörungen oder unterschiedliche Größe (Anisokorie) sollten den Allgemeinarzt immer an einen möglichen AGV denken lassen. In der Regel sind die Reaktionsmuster beidseitig, in Einzelfällen kann jedoch auch eine einseitige Veränderung zu beobachten sein.

Eine Mydriasis , definiert als Pupillenerweiterung > 5 mm, ist durch Sympathikusreizung oder Okulomotoriuslähmung zu erklären. Physiologischerweise kommt sie vor bei allen stärkeren sensiblen, sensorischen und psychischen Reizen oder Erregungszuständen (z. B. Schreck, Angst, Schmerz).

Im Notfalleinsatz muss der Arzt bei einer Mydriasis auch an eine Atropinvergiftung oder an die Spätphase einer Methanolvergiftung denken. Eine einseitige Mydriasis kann ein Hinweis sein z. B. auf eine Kontusion des Bulbus oculi oder auf einen Herd auf derselben Seite bei einer extra- oder subduralen Blutung. Ebenso kann auch der passagere Kontakt des Auges mit bestimmten Pflanzen (vor allem bei Kindern) zum zunächst irritierenden Bild einer einseitigen Mydriasis führen.

Eine Miosis , definiert als Pupillenverengung < 2 mm, ist zunächst eine physiologische Reaktion auf Lichteinfall („Pupillenreaktion“). Sie kommt aber auch vor als Reaktion auf Pharmaka, therapeutisch bei der Glaukombehandlung, aber auch im Notfalleinsatz bei Vergiftungen mit Morphin oder Alkylphosphat (beispielsweise E605). Beim Horner-Syndrom ist die Miosis eines der Trias-Zeichen. Bei Intoxikation durch Antidepressiva oder Barbiturate können die Pupillen – in Abhängigkeit vom Stadium der Vergiftung – weit oder eng sein.

Bei neu entdeckten Pupillenveränderungen ist das spezialistische Konsil obligat, insbesondere Pupillenstörungen bei rotem Auge weisen auf eine schwerwiegende Affektion des Augeninneren hin (Klopfer u. Wegner 2011).

3 Rotes Auge

„Rotes Auge“ bedeutet Rötung dessen, was normalerweise als weiß imponiert. Das „rote Auge“ und das „trockene Auge “ (▶ Abschn. 11.3.3) sind die häufigsten Beratungsprobleme in der Allgemeinpraxis, welche im Augenbereich das Befinden der Patienten erheblich stören können.

Das rote Auge ist deshalb ein so empfindlicher Indikator, weil bereits eine geringe Gefäßdilatation vor dem Hintergrund der weißen Lederhaut (Sklera) deutlich erkennbar wird. Die diagnostische Einordnung des roten Auges wird durch die Zusatzsymptomatik bzw. die gezielte Befragung des Patienten deutlich erleichtert (Klopfer u. Wegner 2011).

Das „rote Auge“ ist ein Symptom (A/B) und keine Diagnose. Es besagt, dass etwas nicht im Normbereich ist und fordert den Allgemeinarzt auf, genauer nach einer möglichen Ursache zu suchen; in den meisten Fällen steckt eine Konjunktivitis dahinter.

Alle Erkrankungen der Hornhaut (Kornea) verlaufen mit wenigen Ausnahmen sehr schmerzhaft. Der Patient sucht meist umgehend den Arzt auf. Die Abgrenzung okulärer Benetzungsstörungen und deren Folgen, die als trockenes Auge bezeichnet werden, gegenüber anderen Formen des roten Auges (z. B. Keratitis, Konjunktivitis) (▶ Abschn. 11.3.2) ist für den Allgemeinarzt – besonders im Initialstadium der Erkrankung – schwierig.

3.1 Konjunktivitis

Die Bindehautentzündung (Konjunktivitis) tritt meist an beiden Augen zugleich auf. Aber auch zahlreiche andere Prozesse im Bereich der Lider und der milchig-trüben Bindehäute (▶ FAKT) können wie eine Konjunktivitis imponieren; in diesem Fall muss daher stets sowohl an einen Infekt als auch an andere Faktoren (z. B. Staub-, Sonnen- und andere Strahlungseinwirkungen, Chemikalien [auch Kosmetika!], allergene Stoffe, Kontaktlinsen) gedacht werden.

Eine Konjunktivitis ist charakterisiert durch Gefäßerweiterungen der oberflächlichen Bindehautgefäße; daraus resultieren Hyperämie und Bindehautödem mit Sekretabsonderung. Ein eitriges Sekret deutet auf eine bakterielle Infektion hin. Tastbare präaurikuläre Lymphknoten können ein Hinweis auf die virale Genese der Konjunktivitis sein.

Der Patient muss aufgeklärt werden, dass er beim Bild einer viralen Konjunktivitis auch noch bis etwa 2 Wochen nach Symptombeginn in hohem Maße ansteckend sein kann.

Bei der akuten bakteriellen Konjunktivitis handelt es sich häufig um eine selbstlimitierende Erkrankung. Antibiotika verbessern signifikant die frühe klinische Remission sowie die frühe und späte mikrobiologische Remission (Sheikh et al. 2000).

Kommt es nach 7–10 Tagen zu keiner Rückbildung der Symptome, muss der Patient einem Augenarzt vorgestellt werden (Schaller u. Klauss 2002). Bei der eitrigen Bindehautentzündung von Neugeborenen ist die sofortige Überweisung zum Spezialisten besonders wichtig. (Erblindung innerhalb weniger Tage möglich! Tripper-Infekt?)

3.2 Keratoconjunctivitis epidemica

Ebenso wie die Bindehaut kann auch die Hornhaut (Kornea) (▶ FAKT) von Infektionen, nicht infektiösen Entzündungen und mechanischen Schädigungen betroffen sein. Eine Infektion der Hornhaut (Keratitis) wird häufig von einer sekundären Konjunktivitis begleitet (Keratokonjunktivitis ).

Klagen die Patienten bei der Erstvorstellung typischerweise über ein einseitiges, von nasal ausgehendes, progredientes Fremdkörpergefühl, so sollte an die hoch ansteckende (bei gehäuftem Auftreten meldepflichtige) Keratoconjunctivitis epidemica (Augengrippe), eine Adenovirusinfektion, gedacht werden. Wegweisend sind Schwellung der Karunkel und der präaurikulären Lymphknoten, nicht selten im Rahmen eines fieberhaften Infekts. Im Verlauf kommt es zu einer ausgeprägten Lidschwellung , Tränenträufeln (Epiphora), Juckreiz, Photophobie und Visusminderung . Das zweite Auge weist in der Regel nach 2–7 Tagen ähnliche, wenn auch meist wesentlich mildere Symptome auf. Manifestation und Erkrankungsmuster sind sehr variabel (allgemeines Krankheitsgefühl) (▶ FAKT). Die akute Phase heilt innerhalb von 3–6 Wochen aus. Derzeit gibt es keinen kausalen Therapieansatz. Entscheidend sind Hygienemaßnahmen (konsequente Hände- und Flächendesinfektion ) (Meyer-Rüsenberg et al. 2011).

3.3 Gereizte Augen

Augenjucken, Augentränen, Fremdkörper- oder Sandkorngefühl, brennende Schmerzen, Müdigkeits- oder Trockenheitsgefühl, Photophobie und Verschwommensehen sind einige der vielfältigen Symptome, welche die Patienten mit „gereizten Augen“ in Verbindung bringen. Nicht minder umfangreich können hierfür die möglichen Ursachen (Reihenfolge ohne Gewichtung) sein:

  • ungeeignete Brillen (zu stark, zu schwach, falscher Sitz),

  • geringe oder veränderte Zusammensetzung der Tränenflüssigkeit, besonders bei älteren Patienten, bei Schwangerschaft und in den Wechseljahren, Testosteronmangel,

  • Kontaktlinsen und ungeeignete Pflegemittel,

  • Dauergebrauch ungeeigneter Augentropfen (z. B. Vasokonstringenzien!),

  • Herpes,

  • Bindehautbeteiligung, z. B. bei UF, Masern, Röteln,

  • Hornhaut und subkonjunktivale Fremdkörper (in der Regel einseitig [!]; z. B. Sandkörner, diverse andere kleine Partikel, wie Splitter, winzige Insekten),

  • scheuernde Wimpern ,

  • Reize, besonders umweltbedingte, wie Staub, Rauch, Luftzug, Autogebläse, Klimaanlage, Aufenthalt in zu großer Nähe zur Heizung, Haarföhn, Haarsprays, Kosmetika, gechlortes Wasser („Schwimmbadkonjunktivitis “), intensive Sonnen- und Kunstlichteinstrahlung ohne genügenden Schutz (u. a. Höhensonne, Sonnenbank), Überreaktion z. B. durch Pollen, aber auch diverse Produkte der Industrie,

  • aktinisch („Verblitzen“, UV-Strahlen), chemisch (z. B. Kalkspritzer),

  • Verletzung (z. B. Kratzer durch grapschendes Kind, Spiel mit jungem Hund),

  • nervöse Erschöpfung, Schlafmangel,

  • Medikamente (z. B. Antihistaminika, Antidepressiva, Ovulationshemmer, Betablocker, Diuretika, Sedativa).

Auffällig beim Beratungsproblem „trockene Augen“ ist die Diskrepanz zwischen dem unauffälligen Befund und den mit Nachdruck vorgebrachten Beschwerden.

Die chronische bilaterale Austrocknung der Binde- und Hornhaut (Keratokonjunktivitis sicca ) lässt sich (oftmals über die ganze Lebenszeit hinweg) bei Optimierung der Umweltbedingungen ausreichend mit „künstlichen Tränen“ behandeln.

Das Syndrom des trockenen Auges (Sicca-Syndrom ) ist eine chronische, progredient verlaufende Erkrankung.

Die Hornhaut ist sensibel dicht innerviert, deutlich weniger die Bindehaut, wenig die Sklera. Dabei korreliert aller Erfahrung nach der Hornhautschmerz mehr mit der betroffenen Fläche als mit der Tiefe der Verletzung. Anästhesierende Augentropfen können die Augenschmerzen augenblicklich unterbinden (Klopfer u. Wegner 2011).

Zur Linderung des oft erheblichen Fremdkörpergefühls eignen sich visköse Tränenersatzmittel. Es ist praxisüblich und vertretbar, bei Bindehautkatarrhen sofort und ohne Keimnachweis oder Antibiogramm mit einem (Breitband-) Antibiotikum in Tropfen- oder Salbenform zu behandeln (z. B. lokale Aminoglykosidantibiotika, Fluorochinolone, Makrolidantibiotika, Bacitracin) (▶ FOTO). Weitere mögliche Ursachen für ein gereiztes (rotes) Auge sollten bedacht werden.

Erst nach einer sorgfältigen Exklusion von Fremdkörpern darf behandelt werden. Lokale Kortikosteroide und Lokalanästhetika dürfen nicht verschrieben werden.

3.4 Hyposphagma

Eine meist spontane subkonjunktivale Blutung (Hyposphagma) betrifft überwiegend ältere Menschen (▶ FOTO). Sie tritt bei Behandlung mit Antikoagulantien etwas häufiger auf. Hypertonie, insbesondere temporäre Blutdruckschwankungen (extreme Anstrengungen, Husten-, Niesanfall) können ursächlich beteiligt sein.

Manchmal geht das Hyposphagma mit Fremdkörpergefühl einher. Eine Behandlung erübrigt sich, da die Blutung innerhalb von 1–2 Wochen resorbiert wird.

Der Allgemeinarzt sollte den Patienten beruhigen, dass von dem Hyposphagma keine Schlüsse auf Blutungen an anderen Körperstellen (z. B. Hirnblutung) abzuleiten sind (Grehn 2008).

3.5 Herpes simplex , Herpes zoster

Ein Herpes zoster im Bereich des Auges (Abschn. 8.4.3) (▶ FOTO) muss im Hinblick auf eine Beteiligung der Hornhaut sorgfältig (mit Fluoreszein) untersucht werden.

Bei jeder leichten Bindehautentzündung , bei jeder leichten Sehstörung – unabhängig davon, ob ein kleines Trauma vorausging oder nicht, ob eine fieberhafte Erkrankung vorliegt oder nicht – ist ein Herpes simplex möglich.

Bei einer Hornhautaffektion ist zum Spezialisten zu überweisen. In der Regel greift der Zoster nicht auf die Kornea über.

3.6 Verletzungen und Fremdkörper

Die gefährlichsten Notfälle im Bereich der Augen sind neben der akuten Netzhautablösung (▶ Abschn. 11.7), dem akuten Glaukom (▶ Abschn. 11.6) und dem Verschluss der zentralen Netzhautarterie Verletzungen; sie stellen, bezogen auf die Gesamtzahl aller Verletzungen in der Allgemeinpraxis, allerdings nur eine Minorität dar.

Leichteste Hornhautverletzungen (z. B. im Rahmen von Kontusionen des Auges) heilen innerhalb weniger Stunden von selbst, Hornhauterosionen binnen weniger Tage.

Diskrete Epithelveränderungen der Hornhaut werden durch Fluoreszeinanfärbung deutlicher. Während eine intakte Hornhaut keinen Farbstoff annimmt, färben sich Defekte an (z. B. traumatische Kratzer, Herpes corneae, rezidivierende Erosionen, Keratitis photoelectrica, Keratitis epidemica [▶ Abschn. 11.3.2], auch kleine Glassplitter im Bindehautsack). Auch bei scheinbar unerheblichen Verletzungen muss stets der seltene AGV z. B. einer Fremdkörperdurchdringung von Hornhaut, evtl. auch von Linse und Regenbogenhaut, bedacht werden, auch wenn zunächst am Auge relativ wenig Beschwerden bestehen.

Für den weiterbehandelnden Spezialisten kann es wertvoll sein, wenn bereits der Hausarzt als Erstbehandler die Form des Gegenstands und die Geschwindigkeit des Aufpralls erfragt und diese Informationen weiterleitet (z. B. Hammer-Meißel-Vorgeschichte); dadurch können Schlüsse auf das Ausmaß der Augenschädigung gezogen werden.

Bei allen, auch scheinbar leichten Verletzungen des Auges muss der Allgemeinarzt sorgfältig untersuchen und rasch überweisen! Selbstverständlich müssen entsprechende Erstmaßnahmen (z. B. Spülungen, Schmerzbekämpfung mit Lokalanästhetikum, sterile Verbände – keine Salbe ins Auge!) erfolgen.

Auch bei unverdächtigem äußeren Aspekt nach Prellungen sollte eine massive Schädigung des Augapfels mit Einblutung, Linsenluxation und Netzhaut-Aderhaut-Einrissen (als Beispiel für einen extrem seltenen AGV) bedacht werden.

Jede akut entrundete oder reaktionsarme bis reaktionslose Pupille weist auf eine schwere Augenverletzung hin. Jede Augapfelprellung muss zur Abklärung von Komplikationen obligat dem Augenarzt vorgestellt werden.

Bei Irritationen durch Flüssigkeiten ist der hinzugezogene Arzt oft nicht in der Lage zu entscheiden, ob beispielsweise eine Säure - oder eine Laugenwirkung vorliegt.

Grundsätzlich ist die sofortige und kräftige Spülung (idealerweise mit Ringer-Laktat-Lösung) aus 15 bis 20 cm Höhe mehrere Minuten lang – in der Praxis oder auch am Unfallort! – angezeigt. Auf dem Weg zum Spezialisten darf die Spülung nicht unterbrochen werden (wobei ein Helfer die Lider des Patienten offenhält (Kuckelkorn et al. 2000).

Keine Spülung mit Wasser bei Kontakt mit ungelöschtem Kalk (Entstehung von gefährlichem Natriumhydrogenkarbonat!). Entfernung der Substanz mechanisch oder z. B. mit Speiseöl. Klinikeinweisung!

Steht kein Leitungswasser zur Verfügung, können auch Tee, Kaffee, Mineralwasser, Cola oder Bier ersatzweise eingesetzt werden; Milch ist zu meiden. Die Spülflüssigkeit darf nicht in das gesunde Auge fließen (Pokhrel et al. 2007).

Immer daran denken: Ein nach außen blutendes, aber auch ein tränendes Auge kann sowohl im Blut als auch in der Tränenflüssigkeit Human-immunodeficiency-(HI)-Viren enthalten.

Die Untersuchung des Auges nach einem Trauma ist immer schmerzhaft. Ein oft nicht zu beeinflussender Lidspasmus muss mit einigen Tropfen Lokalanästhetikum überwunden werden, um eine schmerzfreie Untersuchung zu gewährleisten.

Die Schneeblindheit (Keratoconjunctivitis photoelectrica ) tritt meist 6–12 h nach UV-Licht-Exposition auf. Meist handelt es sich um Skifahrer, die den Hausarzt wegen massiver Schmerzen, Fremdkörpergefühl, Lichtscheu (Photophobie), Tränenfluss (Epiphora), Lidkrampf (Blepharospasmus) und/oder Rötung der Bindehäute – meist nachts – aufsuchen. Dasselbe Phänomen ereignet sich, wenn der Mensch in eine Elektroschweißlampe oder in eine Höhensonne blickt („Verblitzung“). Die Akutbehandlung besteht in der Anwendung eines Lokalanästhetikums (z. B. Novesine AT).

Das Lokalanästhetikum darf nicht als Therapeutikum verordnet werden, da es zu verzögerter Wundheilung und zu trophischen Störungen führen kann.

Ein beidäugiger Verband – in der Regel tags darauf beim Augenarzt angelegt – mit einer antibiotischen und einer Vitamin-B-haltigen Augensalbe für 12–24 h führt binnen eines Tages zur restitutio ad integrum (Gass et al. 2002).

Fremdkörpereinwirkungen sind regelmäßig häufige Vorkommnisse. In der Allgemeinmedizin kann als Faustregel gelten, dass im unausgelesenen Krankengut in einem Drittel Hornhautfremdkörper (D) und in einem weiteren Drittel subkonjunktivale Fremdkörper (D) vorliegen. Den Rest betreffend, kommen relativ häufig Patienten mit einem einseitig geröteten Auge und/oder klagen, „es sei etwas ins Auge gefallen“, obwohl sich kein Fremdkörper, keine Erosion etc. feststellen lassen. Ist die Angabe glaubhaft, dann können diese Fälle als Konjunktivitis nach Fremdkörpereinwirkung (C) aufgefasst werden. Dabei wird ein Spontanabgang des Corpus alienum angenommen.

Bei Fremdkörpern, die sich mit bloßem Auge gut erkennen lassen (z. B. Insektenreste), kann versucht werden, diese mit einem stumpfen Instrument (z. B. steriler Watteträger) herauszustreifen (Klopfer u. Wegner 2011).

4 Sehstörungen

Nicht bei allen Menschen, die ihrem Hausarzt berichten, nicht mehr so scharf sehen zu können, liegt eine Refraktionsanomalie vor (Myopie = Kurzsichtigkeit; Hyperopie = Weitsichtigkeit; Astigmatismus [Stabsichtigkeit]; Anisometropie [ungleiche Brechkraft]). Solche Refraktionsanomalien kann es auch bei funktionellen Störungen, z. B. bei Überbelastung durch Bildschirmarbeit, Nervosität oder bei Depressionen geben.

Bei Visusminderung, Farbentsättigung und Bulbusbewegungsschmerz ist an die (meist einseitige) Sehnerventzündung (Opticusneuritis ) als häufige Erstmanifestation einer multiplen Sklerose (Abschn. 13.10) zu denken.

4.1 Prüfung der Sehschärfe

Wir unterscheiden:

  • Sehleistung : Visus sine correctione

  • Sehschärfe: Visus cum correctione

  • Sehvermögen : alle Funktionen zusammen, d. h. Sehschärfe, Gesichtsfeld, Farbensehen, Adaptation, Binokularsehen

Eine einfache Methode der Visusüberprüfung anhand von Alltagssituationen wird in Abb. 11.2 gezeigt. Die subjektive Sehleistung und -schärfe lässt sich jedoch am besten mit standardisierten Lesetafeln für die Ferne im Abstand von 5 m, für die Nähe im Abstand von 40 cm bei jedem Auge einzeln objektivieren (Abb. 11.3 und Abb. 11.4).

Abb. 11.2
figure 2

Visusüberprüfung anhand von Alltagssituationen

Abb. 11.3
figure 3

Genormte Sehprobentafeln, Zahlen

Abb. 11.4
figure 4

Sehtafel für Kinder nach Gorgosch mit Abbildungen in einheitlichen Größenverhältnissen

Bei der Sehschärfenbestimmung prüft man das optische Auflösungsvermögen des Auges. Hierunter versteht man die Fähigkeit, 2 getrennte Punkte als solche gerade noch wahrzunehmen. Die Prüfung erfolgt bei jedem Auge einzeln unter Abdeckung des anderen Auges (z. B. Abdeckung mit der hohlen Hand ohne Druck).

Der Ausdruck „Sehschärfe“ gibt nicht an, was man ohne Brille sieht, sondern was man mit der bestmöglichen Brillenkorrektur erkennt. Man hat sich darauf geeinigt, als normale Sehschärfe (1,0 ≙ 100 %) das richtige Erkennen von Leseproben zu bezeichnen, deren Einzelheiten unter einem Gesichtswinkel von einer Winkelminute (1′) erscheinen. Es gibt aber viele Menschen, die noch kleinere Einzelheiten erkennen und eine Sehschärfe von 1,2 (120 %) oder 1,6 (160 %) haben.

Für die meisten Verrichtungen des täglichen Lebens genügt eine Sehschärfe von 0,5 (50 %). Dies bedeutet also nicht, dass ein Auge mit der Sehschärfe 0,5 nur die Hälfte wert sei. In der Rechtsprechung bedeutet in der Regel eine Sehschärfe von 0,5 bei normalem zweiten Auge keine Erwerbsminderung und eine Sehschärfe von 0,5 beider Augen eine Erwerbsminderung von nur 5 %.

Mit den pseudoisochromatischen Farbtafeln nach Ishihara (1989) lassen sich Farbsinnstörungen im Rot-grün-Bereich qualitativ bestimmen. Dieser Test wird beim Allgemeinarzt im Rahmen der Untersuchungen nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz sowie bei Führerscheinprüfungen durchgeführt.

Die Farbtafeln sollen im natürlichen Licht und nicht bei Kunstlicht schnell und richtig erkannt werden; dadurch lassen sich vorwiegend bei männlichen Probanden die am häufigsten vorkommenden Rot-grün-Störungen aufdecken.

Die quantitative Erhebung der Farbsinnstörung obliegt dem Facharzt.

4.2 Fehlsichtigkeit beim Kind und beim Älteren

Hinweise auf Fehlsichtigkeit beim Kind können sein:

  • Häufiges Blinzeln und Zukneifen der Augen, Schräg stellen des Kopfes beim Schauen in die Ferne, Naherücken an den Lesestoff;

  • Klagen über Kopfschmerzen, Schwindel , Müdigkeit bei Schulaufgaben und Naharbeit sowie zeitweiliges Einwärtsschielen;

  • häufigeres Stolpern als andere Kinder, Danebengreifen, falsches Abschreiben von der Schultafel.

Mit 1 Jahr besitzen Kinder etwa 10–20 % der Sehschärfe des Erwachsenen, mit 2 Jahren 40–80 %, mit 3 Jahren 60–100 %, mit 4 Jahren 100 %. In einigen Fällen kann sich die volle Sehschärfe aber auch schon vor dieser Zeit entwickelt haben.

Spezielle Kindersehtafeln eignen sich bei bestimmten Altersgruppen (Kindergartenkinder) auch zur Prüfung des Sprechvermögens von Zischlauten, wie „Schlüssel“, „Fisch“, „Stuhl“ etc.

Etwa drei Viertel der Sehschädigungen bei Kindern sind erblich bedingt. Mit einem einfachen Test kann sich der Allgemeinarzt bei Kleinkindern mit Verdacht auf Amblyopie (einseitige Schwachsichtigkeit) weiterhelfen: Bei Abdeckung des gesunden Auges deuten abwehrende Reaktion oder Weinen darauf hin, dass das Baby mit dem anderen Auge schlecht sieht.

Der Eintritt ins „Lesebrillenalter“ liegt bei ca. 45 Jahren. Auch bei pflegebedürftigen und dauerbettlägerigen Patienten sollte der Hausarzt darauf achten, dass eine Visuskorrektur erfolgt. Dadurch kann die Erträglichkeit des Krankenlagers verbessert werden.

4.3 Glaskörpertrübung

Der Patient klagt über Spinnwebensehen oder Schlierensehen sowie scheinbar vor dem Auge tanzende Mücken („mouches volantes“). Solche entoptischen Wahrnehmungen geraten typischerweise beim Blicken in Bewegung und schwingen nach. Eine Therapie erübrigt sich bei diesen harmlosen Beeinträchtigungen. Klagt jedoch der Patient über plötzlich auftretendes Schleiersehen, Flockensehen, Verzerrtsehen, so kann dies ein Hinweis auf eine hintere Glaskörperabhebung oder eine Netzhautabhebung (AGV) sein.

Die sofortige Einweisung in den Spezialbereich ist in diesen Fällen selbstverständlich.

4.4 Schielen

Der angeborene bzw. uncharakteristisch in Erscheinung tretende Strabismus (C) gehört in der Allgemeinmedizin zu den Vorkommnissen an der Grenze der regelmäßigen Häufigkeit. Der Allgemeinarzt sieht nur einen Bruchteil aller Schielenden. In der Regel wird von den Betreffenden die BU richtig genannt.

Schwankendes Schielen in den ersten Lebensmonaten beunruhigt die Mutter; es muss jedoch zunächst nicht behandelt werden. Mit einem einfachen Test kann versucht werden, krankhaftes Schielen zu erkennen: Wenn einem Kleinkind abwechselnd das rechte oder linke Auge zugehalten wird, weint das Kind normalerweise nicht. Wenn nun ein Auge schielt und man dieses Auge verdeckt, weint das Kind ebenfalls nicht. Wenn man einem schielenden Kind jedoch das andere, nicht schielende Auge zuhält, weint es in der Regel, weil es mit dem schielenden Auge schlecht sieht. Diese Untersuchung gilt nicht für beidseitiges (alternierendes) Schielen.

Wird der gelegentliche Silberblick zur Regel bzw. weicht ein Auge immer ab, so ist die spezialistische Untersuchung obligat.

Ein einfacher Schieltest für Kleinkinder ist in Abb. 11.5 dargestellt. Der Arzt positioniert sich mit dem Rücken zum Fenster oder unter einer Deckenleuchte. Das Baby hält er so vor sich, dass dessen Augen zum Licht gerichtet sind. Auf der Hornhaut beider Kinderaugen sieht man nun kleine Spiegelbilder des Fensters oder der Leuchte. Sie sollten in beiden Augen seitengleich zur Pupille liegen (Abb. 11.5a).

Abb. 11.5
figure 5

Einfacher Schieltest für Kleinkinder. a Bei richtiger Augenstellung liegt das Spiegelbild auf der Hornhaut etwa auf der gleichen Stelle. b Das Spiegelbild ist seitlich versetzt (z. B. beim Einwärtsschielen des linken Auges)

Sind die Spiegelbilder zueinander verschoben (Abb. 11.5b), sollte der Spezialist konsultiert werden.

Das Problem des Einwärtsschielens (Strabismus convergens) und des Auswärtsschielens (Strabismus divergens) liegt darin, dass räumliches Sehen nur bei Parallelstellung der Augen möglich ist. Eine Behandlung soll so früh wie möglich einsetzen, um eine bleibende Schwachsichtigkeit zu verhindern.

Die Sehschule gehört in die Hand des Augenarztes.

Bis zum Alter von dreieinhalb Jahren muss der Strabismus beseitigt sein. Nach dieser Zeit kann räumliches Sehen kaum mehr gelernt werden und das Schielauge wird zunehmend schwachsichtig.

Zu den Aufgaben des Hausarztes gehört es auch, die Eltern geradezu zu bedrängen, dass die verordneten Schielbrillen von den Kindern getragen werden. Freilich kostet dies Überzeugungskraft, da die betroffenen Kinder mit dieser Brille zunächst nicht immer auch besser sehen.

Augenmuskellähmungen (Strabismus paralyticus) sind keine regelmäßig häufigen BEs an der ersten ärztlichen Linie.

Die diagnostische Abklärung erfolgt durch den Augenarzt und/oder den Neurologen.

Ein Diabetes mellitus sollte zuvor ausgeschlossen sein (diabetische Parese); ein Apoplex oder eine zerebrale Durchblutungsstörung müssen bedacht sein.

5 Grauer Star (Katarakt )

Visusverschlechterungen sowie Blendneigung – bevorzugt in höherem Lebensalter – sind Beschwerden, die auf einen grauen Star (Katarakt) hinweisen. Die Trübung der natürlichen Augenlinse ist die weltweit am häufigsten auftretende Ursache für Erblindung.

Am häufigsten ist die altersbedingte (senile) Katarakt, welche etwa ab dem 6. Lebensjahrzehnt auftritt.

Durch die Blendung einer getrübten Linse wird das Sehen, insbesondere das Kontrastsehen, erheblich beeinträchtigt. Abschattungen des Auges (z. B. Hand, Hutkrempe) oder das Tragen von Sonnenbrillen können die Sehleistung in gewissem Umfang verbessern.

Die Katarakt ist ein regelmäßig häufiges BE in verschiedenen allgemeinmedizinischen Statistiken Österreichs, der Schweiz und Frankreichs seit den 50er Jahren bis zur Gegenwart (Ränge 218 – 217 – 240 – 194 – 215).

Der graue Star ist für den Allgemeinarzt nicht Gegenstand der Behandlung, sehr wohl wird aber das Geschehen um diese Augenerkrankung Thema einer Beratung in der Praxis sein.

Im Prinzip ist jede Trübung der Linse eine Katarakt. Aber von einem grauen Star sollte man erst dann sprechen, wenn die Trübungen das Sehvermögen erkennbar mindern.

Eine konservative Behandlung mit gesicherter Wirkung ist bisher nicht bekannt. Statt dessen ist die Kataraktoperation heute außerordentlich erfolgreich; sie ist weltweit der am häufigsten durchgeführte operative Eingriff. Es sind 2 verschiedene Formen möglich:

  • die intrakapsuläre Extraktion (die gesamte Linse einschließlich ihrer Kapsel wird entfernt) oder

  • die extrakapsuläre Extraktion (die Linsenkapsel bleibt im Auge erhalten).

In Kombination mit der Einpflanzung einer Kunstlinse ist die extrakapsuläre Extraktion heute die absolute Standardmethode, auch im hohen Alter. Die Anästhesie bei Kataraktoperationen erfolgt in 70 % bevorzugt peri- oder retrobulbär mit Injektionsnadel und in 22 % unter topischer Anästhesie mit Tropfenapplikation. 8 % der Eingriffe werden in Vollnarkose durchgeführt (Kohnen et al. 2009).

Bei Staroperation von alten Menschen sind Alpha1-Adrenorezeptorantagonisten (Alfuzosin, Doxazosin, Naftopedil, Prazosin, Tamsulosin und Terazosin) wegen möglicher Pupillenveränderungen 1 bis 2 Wochen antioperativ abzusetzen (Chang u. Campbell 2005).

Komplikationen nach Kataraktoperationen sind sehr selten (< 1 %). Das Risiko einer intraokularen Blutung bei topischer Anästhesie ist auch bei Einnahme von Antikoagulantien nicht deutlich erhöht.

Heute tritt nur noch in < 3 % nach 3 Jahrzehnten ein Nachstar auf. Dieser lässt sich aber durch Freimachen einer zentralen Lücke mit Laser mühelos ambulant beseitigen (Kohnen et al. 2009).

6 Grüner Star (Glaukom )

Grundsätzlich ist kein Mensch davor gefeit, einen grünen Star (Glaukom) zu bekommen. Man schätzt, dass rund 500.000 Deutsche einen zu hohen Augendruck haben. Davon sind etwa 50.000 so stark gefährdet, dass sie ohne angemessene Behandlung erblinden könnten. Der grüne Star ist jedoch an der ersten Linie nicht mehr regelmäßig häufig.

Das Glaukom ist eine schmerzlose chronische Erkrankung mit schleichendem Verlauf; es ist also nicht heilbar. Das Erkrankungsrisiko steigt mit zunehmendem Alter und bei nächsten Verwandten von Betroffenen deutlich an.

Gutes Sehvermögen geht nicht zwingend mit einem gesunden Auge einher.

Der Augeninnendruck kann leicht gemessen werden, unterliegt jedoch einer großen Schwankungsbreite und ist daher kein besonders zuverlässiger Faktor (obere „normale“ Grenze 21 mmHg); ein erhöhter Augeninnendruck ist nur einer von zahlreichen Risikofaktoren (z. B. Veränderungen der Papille und der Netzhaut) für ein Glaukom (Mistelberger 2004). Augendruckwerte zwischen 10 mmHg und 20 mmHg können als normal gelten.

Die oft beschriebene palpatorische Beurteilung des intraokularen Druckes ist für die verfeinerte Glaukomdiagnostik unbrauchbar; sie ist jedoch für die Erkennung des sehr hohen oder stark erniedrigten Druckes durch den Geübten zulässig (Abb. 11.6). Der Untersucher vergleicht dabei die Spannung auf dem betroffenen Auge mit der auf der gesunden Seite.

Abb. 11.6
figure 6

Palpatorische Beurteilung des Augendrucks zur Erkennung von sehr hohem oder stark erniedrigtem Druck in Einzelfällen zulässig. Palpiert wird nicht aus den Schultergelenken, sondern nur mit den Fingern durch das Oberlid hindurch, als ob man auf „Fluktuation“ prüfen wollte. Der Patient muss gleichzeitig den Blick senken; man will auf der Sklera (nicht auf der Kornea) palpieren. (Grethe et al. 1990)

Die Behandlung muss lebenslang durchgeführt werden und ihr Erfolg hängt ganz wesentlich von der Mitarbeit des Patienten ab. Vordringlichste Aufgabe jeder medikamentösen Glaukomtherapie ist die Senkung des Augeninnendrucks. Hierfür stehen eine ganze Reihe verschiedener Präparate zur Verfügung:

  • Miotika (Nachteil: bis zu 4-mal täglich einzuträufeln),

  • Betablocker (heute am meisten verwendet, 2-malige Gabe/Tag),

  • Carboanhydrasehemmer, wie Acetazolamid als Augentropfen, z. B. Dorzolamid (Drusopt), drosselt die Produktion von Kammerwasser,

  • Latanoprost (Xalatan) verbessert den Abfluss des Kammerwassers aus dem Auge.

Bei der Anwendung von Kortikosteroiden gilt zu bedenken: Bei örtlicher Applikation können diese innerhalb einer Woche Hornhautdefekte, nach einem Monat ein Glaukom (auch bei allgemeiner Anwendung als Tabletten, Einspritzung oder als Nasenspray!) und nach einem Jahr eine Linsentrübung verursachen.

Vor jeder Operation muss dem Anästhesisten durch den Hausarzt gesagt werden, dass der Patient ein Glaukom hat. Auch muss die Art der drucksenkenden Tropfen mitgeteilt werden (Gefahr der Cholinesterasehemmung!).

Vom (chronischen) Glaukom ist der (typische) akute Glaukomanfall zu unterscheiden. Er wird derzeit in einer durchschnittlichen Allgemeinpraxis höchstens alle 5–10 Jahre beobachtet. In der Regel sind die Fälle typisch bzw. dramatisch genug, um den Arzt an einen AGV denken zu lassen. Der grüne Star ist charakterisiert durch:

  • einseitige akute Sehstörung (Farbensehen),

  • gerötete, heftig schmerzende Augen,

  • reaktionslose oder träge reagierende erweiterte Pupille,

  • Kopfschmerz ,

  • Brechreiz .

Diagnostisch entscheidend ist der für jeden Arzt palpatorisch durch die Lider hindurch fühlbare zu hohe Augeninnendruck (steinharter Bulbus) gerade im Seitenvergleich. Er berechtigt auch den Allgemeinarzt zur sofortigen Gabe des drucksenkenden Carboanhydrasehemmers Acetazolamid (500–1.000 mg i.v.), um eine Erblindung aufgrund des in Stunden eintretenden irreversiblen Sehnervenschadens zu verhindern (Klopfer u. Wegner 2011).

Der Tastbefund „steinhart“ findet sich beim akuten Winkelblockglaukom; dagegen ist eine mäßige Drucksteigerung wie beim Offenwinkelglaukom palpatorisch nicht sicher erkennbar (Grehn 2007).

Beim Bild einer Migräne und/oder Erbrechen immer einen Glaukomanfall bedenken! Der akute Glaukomanfall erfordert als Notfall die unverzügliche Überweisung zum Spezialisten.

Ein Glaukom muss also nicht nur prinzipiell beim uncharakteristischen Kopfschmerz bedacht werden, sondern ebenso bei den Bildern einer Stirnhöhlenentzündung, einer Trigeminusneuralgie , bei gewissen „Zahnschmerzen“, bei Symptomen, die für Kopftumore, Horton-Cluster-Kopfschmerz sprechen, bei UF mit Kephalgien usw.

Das akute Glaukom muss – trotz seiner Seltenheit – als AGV diagnostisch obligat bedacht werden. In der Allgemeinmedizin darf die Diagnostik nicht allein von den häufigsten Vorkommnissen gesteuert werden, auch wenn diese sich völlig banal präsentieren.

7 Netzhauterkrankungen

Netzhauterkrankungen führen häufig zu gravierenden Sehstörungen. Die Fovea, die zentrale Stelle der Netzhaut, ist für die Sehschärfe (z. B. für das Lesen) verantwortlich, die periphere Netzhaut für das Gesichtsfeld (Orientierung im Raum).

Die wichtigsten erworbenen Erkrankungen, an denen man erblinden kann, sind Netzhautablösung, die altersbezogene Makuladegeneration , die diabetische Retinopathie (Abschn. 13.1.5 sowie Abbildung in ▶ FAKT) sowie Verschlüsse der Netzhautarterien und -venen.

Anders als die Retinopathie wird die Makulopathie vom Patienten schon früh bemerkt, weil hier der Bereich des schärfsten Sehens als erstes betroffen ist. Bedingt durch eine nicht ausreichende Stoffwechselführung kommt es zu Veränderungen der kleinsten Gefäße, die die Makula versorgen.

Ursache der Sehverschlechterung bei der diabetischen Makulopathie ist in der Regel das Makulaödem . Hier erzielen die Augenchirurgen u. a. durch die Off-Label-Injektion von Kortikosteroiden (Triamcinolon) in den hinteren Glaskörperraum hervorragende Resultate. Diese intravitreale Injektion lässt Makulaödeme verschwinden und bessert die zentrale Sehschärfe nachhaltig. Die Laserphotokoagulation ist die evidenzbasierte Therapie der proliferativen diabetischen Retinopathie und des diabetischen Makulaödems.

Die Makulopathie ist die häufigste Ursache der Erblindung bei jüngeren Patienten.

Die Einteilung der Retinopathie in proliferativ und nicht proliferativ ist heute üblich. Die proliferative Form ist weitaus gefährlicher und muss sofort behandelt werden.

Für die Behandlung der feuchten altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) steht heute mit Macugen ein lokal anzuwendendes Medikament zur Verfügung, das eindrucksvoll den angiogenetischen Wachstumsfaktor bei der Entstehung der feuchten AMD unterdrückt.

8 Thematik des Fachgesprächs

8 Aufgabe

Besprechen Sie die in der ▶ Übersicht 11.1 aufgeführten BEs „Beschwerden und Erkrankungen im Bereich der Augen“ anhand der nachfolgenden Fragen. Verwenden Sie dazu auch im Einzelfall die Zusatzinformationen zu unserem Wissensportal „Fakten – Fälle – Fotos“ im Internet.

Übersicht 11.1 Beschwerden und Erkrankungen im Bereich der Augen

  • Regelmäßig häufig in der Allgemeinmedizin

    • Uncharakteristische Konjunktivitis

    • Hornhautfremdkörper

    • Uncharakteristisches Augentränen

    • Konjunktivitis durch thermische, aktinische, chemische u. a. Einflüsse

    • Grauer Star (Katarakt)

    • Refraktionsanomalien

    • Chalazion

    • Glaskörpertrübung

    • Keratitis, Keratokonjunktivitis

    • Strabismus

    • Visusstörungen

  • Nicht regelmäßig häufig (= unter 1:3.000 Fälle)

    • Chronisches Glaukom

    • Blepharitis

8 Beispielhafte Fragen

  1. 1.

    Alter der Patienten, Häufigkeit in der Allgemeinmedizin.

  2. 2.

    Subjektive Merkmale. („Was klagt der Patient?“)

  3. 3.

    Kontaktfragen (z. B. „Schon gehabt?“, „Wie ist es zugegangen?“)

  4. 4.

    Örtliche Symptome (z. B. Schmerzen, Tränen, Blinzeln, Blitzen, Sehverlust, ein- oder zweiseitig).

  5. 5.

    Mutmaßung des Patienten (z. B. „schwache Brille“), Befürchtungen und Ängste des Patienten (z. B. „eitrige Augen“, „Blindheit“).

  6. 6.

    Objektive Merkmale („Was sieht und prüft der Arzt?“; z. B. Rötung der Bindehaut, Schwellung des Oberlids, Xanthelasmen der Lider, Arcus lipoides, Lichtreflexe im Seitenvergleich).

  7. 7.

    Notwendigkeit und Beispiele für einfache Untersuchungen im Augenbereich (z. B. Visusprüfung, grobe Prüfung des Bulbusdruckes und der Pupillenform, Ektropionieren, Spiegelung des Augenhintergrunds, Prüfung der Pupillenmotorik mit Licht, Prüfung des Gesichtsfelds mit der Fingerperimetrie).

  8. 8.

    Überlegungen zu Erkrankungen, bei denen das Auge mitbetroffen sein kann (z. B. Masern, Pollinose, Morbus Bechterew, Diabetes mellitus, Hypertonie, multiple Sklerose, Kollagenosen inklusive Sjögren-Syndrom, Medikamentennebenwirkungen, z. B. Resochin).

  9. 9.

    Beispiele für AGVs (z. B. progressive Verschlechterung des Sehvermögens nach nur geringfügiger Verletzung des Bulbus).

  10. 10.

    Diskussion der Notwendigkeit und Dringlichkeit der Überweisung zum Spezialisten.

  11. 11.

    Notfallmaßnahmen durch den erstbehandelnden Arzt (Spülung bei Verätzung).

  12. 12.

    Beratung des Patienten bezüglich Schule, Arbeitsplatz, Sport.