Zusammenfassung
Der Ansatz der geschlechtssymmetrischen Gesellschaft wurde in der Ethnologie ab den 1970er Jahren für Gruppen entwickelt, in denen Frauen Macht haben und Geschlechterherrschaft weder bei Frauen noch Männern existiert. Laut dieser Debatte zeichnen sich geschlechtssymmetrische Gesellschaften dadurch aus, dass die erwachsenen Mitglieder gleichwertigen oder gleichen Zugang zu den Chancen und wertvollen Gütern einer Gesellschaft haben (vgl. Lenz/Luig 1995). Solche Chancen und wertvollen Güter sind Machtpositionen, Ressourcen und Prestige; sie werden entweder an alle erwachsenen Mitglieder in etwa gleich verteilt (bei einigen Jäger- und SammlerInnengruppen), so dass die Bedeutung des Geschlechts minimiert ist. Bei einem weiteren Typ ist das Geschlecht eine grundlegende Strukturkategorie (bei einigen Gartenbauern oder Reisbauern) für den Zugang zu bestimmten Ressourcen und Gütern, so dass Männer z.B. die Politik und Frauen die Wirtschaft in der Hand haben; jedoch sind diese Felder von gleichwertiger Bedeutung. Der Ansatz der geschlechtssymmetrischen Gesellschaften deutet darauf hin, dass nicht die Geschlechterdifferenz per se die Ursache der Geschlechterdiskriminierung ist, wie in der konstruktivistischen Debatte teils angenommen wird. Die Geschlechterdifferenz bildet ein Grundprinzip der sozialen Organisation der meisten bisherigen Gesellschaften (abgesehen von den eben erwähnten Wildbeutern). Doch lautet die Kernfrage, ob die Geschlechterdifferenz mit egalitären Verhältnissen verbunden wird oder ob sie zum Schlüsselelement von Ungleichheit und Herrschaft in der sozialen Organisation und in diskriminierende Strukturen ‚eingebaut’ wird, wie in der Mehrheit der historischen Gesellschaften und der europäischen Entwicklung.
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Lenz, I. (2010). Geschlechtssymmetrische Gesellschaften. In: Becker, R., Kortendiek, B. (eds) Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92041-2_3
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