Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2001; 36(Suppl 2): 79-82
DOI: 10.1055/s-2001-18188
GESCHICHTE DER VOLUMENTHERAPIE
ORIGINALIA
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Woher kommt der Begriff „Schock”?

Wege und Irrwege der SchockforschungThe Origin of the Term “Shock”H.-J. Klippe, C. Albrecht
  • Anästhesie-Abteilung, Krankenhaus Großhansdorf
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Publication Date:
05 November 2001 (online)

Schockbegriff und Frühe Phase der Schockbeschreibung
bis 1885

Das Wort „Schock” hat seine sprachliche Wurzel im Althochdeutschen (SCOC, plural: SCOGA) in der Bedeutung von Stoß, Wurf, Erschütterung. Dabei ist Schock als aktiver Stoß oder Wurf, aber auch als passives Erleiden dieses Stoßes zu verstehen. Im Friesischen erweitert sich diese Wortbedeutung im Sinne von Unruhe, Schreck und Furcht. Aus der germanischen Sprachfamilie findet das Verb „schokken” oder „schocken” Eingang in die romanischen Sprachen (franz. „choquer”, span. „chocar”). Im Mittelalter und früher Neuzeit wird es in dreifacher Hinsicht verwendet: 1.) als militärischer Begriff für das Aufeinanderprallen von Schilden beim Zweikampf, später auch für die heftige Erschütterung beim Zusammenprall zweier Gewappneter zu Fuß oder auch zu Pferde. Fuchs belegt diesen militärischen Gebrauch für den Kavallerieangriff „im Schock”, der sich seit dem 30-jährigen Krieg entwickelte und in einer preußischen Instruktion von 1810 „CHOC” genannt wird. Dabei versuchte die Reitermasse teilweise in voller Karriere in die tiefgestaffelten Infanterieformationen einzudringen, um deren Aufstellungen zu erschüttern oder zu durchbrechen. So wird hier möglicherweise die Verbindung zu den Begriffen Stoß, Erschütterung und Masse evident. Dazu passend ist die 2.) Begriffsanwendung als Mengenbegriff, als altes Zahlwort: 1 Schock = 5 Dutzend = 60 Stück). 3.) Über die englische Übersetzung von H.F. Le Dran's chirurgischem Werk findet das Wort „SHOCK” Eingang ins medizinische Schrifttum in Bezug auf traumaassoziierte nervale und vaskuläre Reaktionen.

Nach der Erstbeschreibung des Blutkreislaufs (W. Harvey, 1616 und 1628) sowie dem Auffinden des Lungenkreislaufes (M. Malpighi, 1655) durch frühe Mikroskopie kann der Beginn moderner Vorstellungen vom Schock an zwei Ereignissen der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts festgemacht werden: 1733 beschrieb der englische Naturforscher Stephen Hales bei Tieren, die experimentell ausgeblutet wurden, eine Vasokonstriktion verbunden mit einem Anstieg des Venendruckes sowie mit kalter Haut. Hales konnte jedoch zwischen Blutdruckabfall und Ausmaß der Entblutung keine feste Korrelation feststellen. 1737 schrieb H.F. Le Dran (1658 - 1770), Chirurg unter Louis XIV., eine Abhandlung über Schusswunden: „Traité ou reflexions tirées de la pratique sur les playes d'armes a` feu”, worin er bereits die kapilläre Stase und die Kreislaufzentralisation mit ihrem oft deletären Circulus vitiosus beschrieb, jedoch noch nicht mit unseren heutigen Termini und einzig gestützt auf exakte klinische Beobachtung. Zwei wesentliche Passagen seien zitiert: „Da ist es nun wohl wahr, dass der Kreislauf in denen Stämmen und Aesten der mittleren Gefäße noch frey vor sich gehe; aber in denen kleinsten Haargefäßen (Vasa capillaria) sowohl des Leibes (Truncus) als der Glieder (Extremitates) ist er gehemmt, gleichwie solches der starke Frost beweist, den man in selbigen spüret”. „Ja, es lehret uns auch die Erfahrung, dass öfters eine dieser Unordnungen (einer solchen Schussverletzung) immer aus der anderen entsprungen, indem eine jede derselben wechselsweise bald die Ursache, bald die Wirkung, oder den Effekt, abgibt.” In der englischen Übersetzung seines Werkes von 1743 wird das Wort „SHOCK” zum ersten Mal im medizinischen Sprachgebrauch belegbar und zwar 12 mal zur Übersetzung der französischen Begriffe „saississement sécousse, commotion, coup.” Doch wird bei diesem Wortgebrauch noch deutlich, dass „SHOCK” hier noch den Auslöser - Stoß, Schlag, Schuss, Erschütterung - bezeichnet, nicht die medizinischen Auswirkungen eines solchen Ereignisses. Auch die medizinischen Texte von Woolcomb (1769), James Latta und Bell (jeweils 1795) weisen das Wort „Shock” ursachenbezogen im Zusammenhang mit Traumen auf.

Der Erste, der das Wort „Shock” nun auch zur Kennzeichnung des charakteristischen Folgezustandes solch eines Traumas verwendet (8 mal) ist A. Guthrie 1815 in seinem Werk „On Gunshot Wounds of the Extremities”:

dennoch erholte sich der Verwundete nicht von dem Schocke derselben (der Operation) den bedeutenden Allarm und Schock der Constitution im Augenblick der Verwundung der Schock von dem Treffen der Kugel der Schock von der Verwundung der Schock einer so schrecklichen Operation.

Traumen und deren Folgezustände sind und bleiben die Domäne solch medizinischer Kasuistiken. Doch ins 19. Jahrhundert fallen auch erste Beschreibungen von Schockzuständen im Gefolge nontraumatischer Akutsituationen. 1831/32 beschreiben O'Shaugnessy und Th. Latta den Schock durch Elektrolyt- und Flüssigkeitsverlust bei Cholerakranken („saliprive Exsiccose”). Latta therapiert diese Kranken erstmals und z. T. sehr erfolgreich mit intravenösen Salzlösungen und ist damit ein bedeutender früher Pionier der Infusionstherapie. 1874 beschreibt Fagge den Schock beim Coma diabeticum und Blum 1876 das Schocksyndrom bei Verbrennungen. 1870 gab H. Fischer eine meisterhafte Beschreibung eines schockierten Unfallpatienten, dem eine Wagendeichsel heftig gegen das Abdomen gestoßen war. Er demonstrierte einen „blassen, schweißbedeckten Mann mit bläulichen Lippen, kalten Akren, kühler Nase, jagendem Puls, kaum messbarem Blutdruck” und fast sistierender Urinsekretion. Er war bei klarem Bewusstsein, in seinen Reaktionen erschien er jedoch eigenartig verlangsamt. Dies klinische Bild ist bis heute von unveränderter Gültigkeit. In seiner Arbeit gleichen Titels „Über den Shock” stellte G. H. Groeningen 1885 eine „klinische Studie auf physiologischer Grundlage” vor. Dieses Werk gilt zu Recht als die erste gründliche und umfassende kritische Schockmonographie deutscher Sprache.

Literatur[1]

  • 1 Baue A E. Keynote Address - Shock Research and Therapy in the 1980's;.  Advances in Shock Research. 1983;  9 1-16
  • 2 Benison S, Barger A C, Wolfe E L, Walter B. Cannon and the Mystery of Shock: A Study of Anglo-American Cooperation in World War I.  Medical History. 1991;  35 217-249
  • 3 Böttger H H. Der Schockbegriff im Wandel der Zeiten.  Therapeutische Berichte Bayer. 1967;  3 159-264
  • 4 Brown A. Shock - A Historical Review. St.  Bartholomews Hospital Journal. 1972;  76 297-303
  • 5 Gersmeyer E F, Yasargil E L. Kurze Geschichte des Schock. In: Schock und hypotone Kreislaufstörungen. G. Thieme Verlag Stuttgart 1978
  • 6 Heinemann K. Historisches zur Begriffsbestimmung von Schock und Kollaps.  MMW. 1938;  34 1319-1322
  • 7 Klippe H J. Historische Aspekte zu Klinik und Therapie des Schockes. In: 3. Lübecker Notfall-Symposium 5. 9. - 7. 9. 1985. W. Zuckschwerdt Verlag München 1987
  • 8 Mittermayer C. et al . Über den Gestaltwandel des Schocksyndroms innerhalb zweier Jahrzehnte.  Klin Wschr. 1973;  51 37-38
  • 9 Sabiston D C. The Fundamental Contributions of Alfred Blalock to the Pathogenesis of Shock.  Arch Surg. 1995;  130 736-737
  • 10 Simeone F A. Shock, Trauma and the Surgeon.  Ann Surg. 1963;  158 759-774

1 Aufgeführt sind nur Übersichtsarbeiten bzw. solche mit Zeittabellen oder weiterführender Literatur

Dr. Heinz-Jürgen Klippe

Anästhesie-Abteilung
Krankenhaus Großhansdorf

Wöhrendamm 80

22927 Großhansdorf



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