Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrags ...

  • kennen Sie die Besonderheiten in der Therapie beim geriatrischen Diabetespatienten.

  • sind Sie in der Lage, die speziellen Ziele der Diabetestherapie beim geriatrischen Patienten umzusetzen.

  • können Sie Interaktionen zwischen geriatrischen Syndromen und Diabetes mellitus beschreiben.

  • verstehen Sie die Bedeutung des geriatrischen Assessments für die Diabetestherapie.

  • kennen Sie die Grundlagen der medikamentösen Therapie des Diabetes mellitus im Alter.

Fallbeispiel

Frau M. war immer etwas übergewichtig, aber ihren Diabetes hatte sie seit Entdeckung vor 30 Jahren immer gut im Griff. Zunächst nur mit Metformin, dann mit Sitagliptin und zuletzt noch mit Glimepirid; ihr Hausarzt war immer mit den Langzeitwerten sehr zufrieden. Jetzt ist sie 85 Jahre alt, nimmt an Gewicht ab, obwohl sie das gar nicht möchte. Vor Kurzem wurde sie ins Krankenhaus gebracht, nachdem sie gestürzt war. An diesem Tag hatte sie ihre Tabletten alle genommen, hatte aber wenig Appetit. Genau kann sie sich nicht mehr daran erinnern.

Ausgewählte Therapieziele

Die Prävalenz des Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) in Deutschland beträgt in der Altersgruppe ab 80 Jahren ca. 25 % [1]. Rund 3 Mio. Menschen sind über 65 Jahre alt und haben einen Diabetes. Zusätzlich gibt es noch eine hohe Dunkelziffer bisher nichtdiagnostizierter Diabetesfälle im hohen Lebensalter. Mit der „Epidemie des 21. Jahrhunderts“, als die der T2DM gilt, kommt es zu großen Anforderungen an die Gesundheits- und Sozialsysteme. Daher gewinnen Aspekte von Finanzierbarkeit und Verteilungsgerechtigkeit eine wachsende Bedeutung und treten gleichrangig neben die Frage nach der modernsten und besten Therapie. Mit zunehmender Multimorbidität, dem Auftreten kognitiver und funktioneller Beeinträchtigungen und Ernährungsproblemen wie Frailty und Sarkopenie müssen bei der Diabetestherapie geriatrischer Patienten Besonderheiten beachtet werden.

Die generellen Therapieziele beim älteren Menschen mit Diabetes zeigt Tab. 1. Rein am Hämoglobin‑A1c (Hb A1c) orientierte Stoffwechselziele treten beim geriatrischen Patienten in den Hintergrund. So fanden sich in einer prospektiven Fünfzehnjahresstudie zum T2DM älterer Patienten bei einer durchschnittlichen Beobachtungsdauer von 5,6 Jahren keine signifikanten Unterschiede in kardiovaskulären Ereignissen, der Lebensqualität oder verbleibenden Lebenszeit in Abhängigkeit der HbA1c-gesteuerten Therapie (HbA1c-Standardgruppe: 7,4 %, HbA1c-intensive Therapie: 6,9 %) [2, 3]. Patientenwunsch, Komorbiditäten, Alter, Lebenserwartung sowie die individuellen Fähigkeiten des Patienten spielen bei der gemeinschaftlichen Festlegung der Therapieziele zwischen behandelndem Arzt und älteren Menschen mit Diabetes die entscheidende Rolle. Auch die soziale Situation und die kognitive Fähigkeiten eines Patienten müssen berücksichtigt werden. Ein vorrangiges Therapieziel im hohen Lebensalter ist die Vermeidung von therapiebedingten Akutkomplikationen wie z. B. der Hypoglykämie (Tab. 2).

Tab. 1 Generelle Therapieziele beim älteren Menschen mit Diabetes
Tab. 2 Zielkorridore für ältere Menschen mit Diabetes. (Aus [4])

Hypoglykämien, besonders nächtliche, sind im Alltag wesentlich häufiger als bislang angenommen. Risikofaktoren sind eine lange Erkrankungsdauer, kognitive Beeinträchtigungen und Multimorbidität, insbesondere eine Niereninsuffizienz. Es mehren sich die Hinweise, dass Hypoglykämien die Entstehung kardiovaskulärer Ereignisse und einer Demenz im Alter begünstigen [4].

Merke

Je hilfsbedürftiger und immobiler ein Patient, desto mehr sollten Lebensqualität und Hypoglykämievermeidung als Behandlungsziele im Vordergrund stehen.

Therapie

Im hohen Lebensalter stehen prinzipiell alle medikamentösen Therapieformen zur Verfügung wie bei Jüngeren. Bei kognitiven Störungen oder Demenzerkrankung muss die Therapie entsprechend angepasst und eine einfache Medikamentenhandhabung sichergestellt werden. Ernährungsempfehlungen sind individuell zu geben, da Essen im Alter in hohem Maße Lebensqualität bedeutet. Da im Alter häufiger Untergewicht, Sarkopenie und Frailty, weniger jedoch Übergewicht eine Rolle spielen, sollte auf eine ausreichende Kalorienzufuhr geachtet werden. In mehreren Arbeiten fand man eine höhere Prävalenz der Sarkopenie bei älteren Personen mit Diabetes gegenüber Kontrollpersonen ohne Diabetes ([5]; Tab. 3). Ein normaler oder erhöhter Body-Mass-Index (BMI) kann über das Vorliegen von Sarkopenie hinwegtäuschen („sarcopenic obesity“). Bei Vorliegen eines Diabetes fanden sich bei älteren Patienten neben einer verminderten Muskelmasse eine verringerte Muskelqualität, eine verminderte Muskelkraft sowie eine geringere Ganggeschwindigkeit [6, 7].

Tab. 3 Interaktionen zwischen Diabetes und geriatrischen Syndromen. (Aus Zeyfang [8])

Die körperliche Aktivität sollte, soweit wie möglich, gesteigert werden. Generell gilt, dass jede körperliche Aktivität besser ist als keine und auch schon ein Spaziergang stoffwechselrelevant ist. Zudem hat die Steigerung der körperlichen Aktivität auch einen positiven Einfluss auf die Lebensqualität, das subjektive Wohlbefinden, Vermeidung einer demenziellen Entwicklung sowie den Knochen- und Muskelaufbau [9].

Geriatrisches Assessment –Weg zur individualisierten Therapie

Multimorbide geriatrische Patienten zeigen eine große interindividuelle Unterschiedlichkeit. Um unter mehreren Behandlungsstrategien die für den jeweiligen Patienten beste auszuwählen, eignet sich das geriatrische Assessment. Es beschreibt einen diagnostischen Prozess, der medizinische, funktionelle und kognitive Defizite eines Patienten aufspürt und dabei hilft, einen individualisierten, maßgeschneiderten Behandlungsplan zu erstellen. Es ist intuitiv nachvollziehbar, dass bei einem gebrechlichen und pflegebedürftigen Patienten, dessen Assessmentergebnisse vorwiegend im „roten Bereich“ liegen, andere Schwerpunkte und Therapieziele gesetzt werden als bei einer altersgleichen fitten Person, deren Resultate sich im „grünen Bereich“ befinden (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Geriatrisches Assessment. Rot: gebrechliche/pflegebedürftige/schwer eingeschränkte Person, gelb: Person mit leichten/mittleren Funktionseinschränkungen, grün: fitte Person. n. gehf. nicht gehfähig

Merke

Bei alten T2DM-Patienten sollte die Therapie mithilfe des geriatrischen Assessments individualisiert werden.

Barthel-Index.

Ein weit verbreiteter, aussagekräftiger Test, der die Selbstständigkeit in 10 basalen Alltagstätigkeiten bewertet und einen Summen-Score von 0 (voll hilfsbedürftig) bis 100 Punkten (voll selbstständig) ergibt.

Timed-„up-and-go“-Test.

Der Timed-„up-and-go“-Test (TUG) ist ein gleichermaßen gebräuchlicher und aussagekräftiger Test, der die Zeit (s) misst, um von einem Stuhl aufzustehen, 3 m zu gehen, umzukehren, zurückzugehen und sich wieder hinzusetzen.

Gehgeschwindigkeit.

Gemessen wird die Zeit, die ein Patient braucht, um in seinem üblichen Tempo aus dem Stand 4 m zu gehen. Die Aussage des Testergebnisses erstreckt sich nicht nur auf die Mobilität, sondern korreliert auch mit der Mortalität (d. h. der verbleibenden Lebenserwartung). Bei 75-Jährigen variierte die Zehnjahresüberlebenswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von der Gehgeschwindigkeit zwischen 19 und 91 %, wenn die schnellsten mit den langsamsten Gehgeschwindigkeiten verglichen werden [10].

Mini-Mental-Status-Test.

Ein weit verbreiteter Test von kognitiven Fähigkeiten (schlechtester Wert 0, bester Wert 30 Punkte, Grenze zwischen Normalbefund und beginnender Demenz bei ca. 24 Punkten). Geprüft werden Orientierung, Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit, Rechenfähigkeit, Erinnerungsvermögen sowie sprachliche Fähigkeiten und räumliches Vorstellungsvermögen.

Geldzähltest [11].

Mit diesem einfach durchzuführenden Test kann die Fähigkeit, sicher und selbstständig Insulin zu injizieren, leicht festgestellt werden. Personen, die eine definierte Geldmenge (Münzen und Scheine im Wert von 9,80 €) innerhalb von 45 s richtig aus einem normalen Geldbeutel abzählen können, haben mit einem positiven prädiktiven Wert von 75 % auch Sicherheit bei der Insulinselbstinjektion [11].

Orale Therapie

Kann das individuelle Therapieziel durch nichtmedikamentöse Maßnahmen nicht erreicht werden, sollte eine Intensivierung der Diabetestherapie mit oralen Antidiabetika und/oder Insulintherapie erfolgen (Tab. 4). Zur Vermeidung von Multimedikation sollten zur Erreichung des Therapieziels maximal 2 orale Antidiabetika kombiniert werden. Eine Hilfe bei der Auswahl für Ältere bieten die S2k-Leitlinie Diabetes im Alter der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG, [4]) sowie z. B. die Fit-for-the-Aged-(FORTA)-Liste [12].

Tab. 4 Antidiabetika und ihr Stellenwert bei der Behandlung der Zielgruppe „betagt, gebrechlich (‚frail‘) und multimorbide“

Falls keine Kontraindikationen vorliegen, ist Metformin auch bei älteren Menschen mit Diabetes das orale Antidiabetikum der ersten Wahl [15]. Bei moderater Niereninsuffizienz kann es bis zu einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) >30 ml/min in angepasster Tagesdosis eingesetzt werden. Bei älteren Patienten, bei denen das Risiko einer Verschlechterung der GFR besteht (z. B. bei Exsikkose, Operationen, Gabe von Röntgenkontrastmittel, fieberhaften und gastrointestinalen Infektionen), sollte die Einnahme von Metformin pausiert bzw. abgesetzt werden.

Unter Sulfonylharnstoffen (SH) ist die Hypoglykämiegefahr besonders hoch [16]. Besonders gefährlich ist die Gabe von SH bei Menschen mit kognitiven Störungen, bei denen die Symptome einer Hypoglykämie oft nicht erkannt oder fehlgedeutet werden. Daher erscheint eine SH-Therapie bei Menschen mit schweren kognitiven Störungen wie Demenzerkrankung aufgrund der damit verbundenen unregelmäßigen Nahrungsaufnahme nicht geeignet.

Gliclazid scheint hinsichtlich der unerwünschten Hypoglykämien besser abzuschneiden als Glibenclamid und die anderen SH. In Kombination mit Metformin ist Gliclazid der noch am ehesten für die geriatrische Zielgruppe zu empfehlende SH.

Dipeptidylpeptidase-4-Hemmer (DPP-4-Hemmer) können in angepasster Dosis bis zur terminalen Niereninsuffizienz eingesetzt werden. Daher werden sie mittlerweile bei älteren Menschen mit Diabetes häufig verwendet. Die kardiovaskuläre Sicherheit wurde für Sita- und Vildagliptin belegt [13].

„Sodium-dependent-glucose-transporter-2“-Hemmer (SGLT-2-Hemmer) können auch bei älteren Menschen mit Diabetes angewendet werden. Das Risiko für eine Hypoglykämie ist gering. Empagliflozin zeigte eine Reduktion der Sterblichkeit, insbesondere der kardiovaskulären Sterblichkeit, und der Krankenhausbehandlungen aufgrund von Herzinsuffizienz sowie nephroprotektive Effekte [17, 18]. Aktuell dürfen Empagliflozin und Dapagliflozin bei bestehender Niereninsuffizienz mit einer GFR <60 ml/min nicht neu angesetzt werden. Aufgrund der Wirkweise der SGLT-2-Inhibitoren über eine gesteigerte Glucoseausscheidung über die Nieren kann ein Volumenmangel als Nebenwirkung auftreten. Als weitere unerwünschte Nebenwirkung ist eine erhöhte Rate an Urogenitalinfektionen beschrieben. Selten kann auch eine normoglykämische Ketoacidose (die sich oft unspezifisch mit Bauchschmerzen manifestiert) oder eine Fournier-Gangrän auftreten. Interessanterweise erhielt Dapagliflozin kürzlich eine Zulassung der FDA zur Behandlung der Herzinsuffizienz, unabhängig davon, ob ein Diabetes vorliegt [19, 20, 21]. Die Hospitalisierungshäufigkeit aufgrund einer Herzinsuffizienz war in der Empagliflozingruppe mit 2,7 % niedriger als in der Placebogruppe (4,1 %). Als Grund können eine Abnahme des Plasmavolumens, die Erniedrigung des systolischen Blutdrucks und die Verminderung der arteriellen Gefäßsteifigkeit angenommen werden [22]. Problematisch ist der noch hohe Preis.

Die Behandlung mit „Glucagon-like-peptide-1“-Analoga (GLP-1-Analoga) ist auch im Alter möglich. Vorteile können sein: geringes Hypoglykämierisiko, Gewichtsabnahme (falls diese Therapieziel ist); für Liraglutid, Dulaglutid und Semaglutid: verminderte kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität, für retardiertes Exenatid, Dulaglutid und Semaglutid: die einmal wöchentliche Gabe. Der Einsatz (in verminderter Dosis) auch bei eingeschränkter Nierenfunktion, die günstigen kardiovaskulären Effekte sowie eine deutliche Senkung des HbA1c-Werts von 1,2 bzw. 1,8 % (Dosis 0,5 mg bzw. 1 mg) haben zur Zunahme des Einsatzes bei Älteren geführt. Problematisch ist der noch hohe Preis.

α‑Glukosidase-Hemmer (Acarbose), SH-Analoga (Glinide, z. B. Repaglinid) und Glitazone (Pioglitazon) spielen in der Therapie des T2DM in der geriatrischen Zielgruppe keine nennenswerte Rolle mehr.

Merke

Metformin ist nach wie vor Mittel der Wahl, allerdings Vorsicht bei niereninsuffizienten Patienten (Dosisanpassung) sowie bei ungewollter Gewichtsabnahme und Sarkopenie.

Cave

Außer in Fällen mit eingespielter und gut funktionierender Therapie haben Sulfonylharnstoffe wegen ihrer Hypoglykämiegefahr keinen Platz mehr in der T2DM-Therapie.

Insulintherapie

Eine Insulintherapie wird spätestens dann empfohlen, wenn das individuelle Therapieziel durch allgemeine Maßnahmen wie Steigerung der körperlichen Aktivität, eine Ernährungstherapie und/oder orale Antidiabetika nicht erreicht werden kann [15]. Auch bei einem spätmanifestierten Typ-1-Diabetes mellitus oder alt gewordenen Menschen mit Typ-1-Diabetes ist die Insulintherapie notwendig. Kurzfristig wird die Insulintherapie auch bei akuten Stoffwechselentgleisungen, perioperativ oder akuten Ereignissen (z. B. Infektion, Kortisongabe bei Schüben einer rheumatologischen Grunderkrankung usw.) durchgeführt. Durch eine Insulintherapie kann die Polypharmakotherapie durch Weglassen der oralen Antidiabetika reduziert werden. Der Neubeginn einer Insulintherapie bedarf immer einer adäquaten Schulung, z. B. Schulungs- und Behandlungsprogramm für Senioren „Fit bleiben und älter werden mit Diabetes“ (strukturierte geriatrische Schulung SGS [23]). Besteht Unsicherheit, ob ein älterer Mensch mit Diabetes die Insulintherapie zuverlässig selbstständig durchführen kann, kann der Geldzähltest nach Nikolaus [11, 24] eingesetzt werden.

Merke

Orale Antidiabetika sind bei Niereninsuffizienz dosisangepasst einzusetzen, alle – außer Gliptine – sind bei einer GFR <30 ml/min kontraindiziert.

Cave

Vermeiden Sie mehr als 2 orale Antidiabetika.

Die Form der Insulintherapie (supplementär, konventionell, intensiviert, basal unterstützte orale Therapie) richtet sich nach dem Diabetestyp sowie den individuellen Therapiezielen, Wünschen und Fähigkeiten des Patienten. Bei älteren Menschen spielen jedoch Hypoglykämieängste eine weniger ausgeprägte Rolle. Vielmehr befürchten ältere Menschen mit insulinbehandeltem Diabetes eine Stigmatisierung und Überforderung durch die Insulintherapie [25]. Der Einsatz von Insulin bei Menschen mit schlechter Stoffwechseleinstellung führt jedoch nicht zur Verschlechterung der Lebensqualität [26]. Durch die Verbesserung der Stoffwechselqualität im Rahmen einer strukturierten Schulung kann die Lebensqualität deutlich verbessert werden, da hyperglykämiebedingte Symptome wie z. B. Müdigkeit und Konzentrationsstörungen abnehmen. Bewährt hat sich in der geriatrischen Zielgruppe beim Versagen einer oralen Therapie eine basal unterstützte orale Therapie (BOT) z. B. durch Zugabe von kleinen, einmal täglichen Dosen von z. B. Insulin glargin zu der bestehenden Therapie (beginnend mit 8 E, Steigerung alle 4 Tage in 4‑E-Schritten bis Nüchternblutzucker von 8–9 mmol/l erreicht ist). Bei unzuverlässiger Nahrungsaufnahme kann statt des Langzeitinsulins ein kurz-wirksames Normal- oder Analoginsulin gewählt werden (supplementäre Insulintherapie), das je nach verzehrter Nahrungsmenge dosiert und postprandial verabreicht wird (z. B. Humaninsulin aspart nach der Hauptmahlzeit).

Cave

Eine „straffe“ Stoffwechseleinstellung ist bei hilfsbedürftigen und immobilen oder kognitiv eingeschränkten Patienten kontraindiziert.

Der diabetische Fuß

Das diabetische Fußsyndrom (DFS) setzt sich zusammen aus einer schmerzlosen Neuropathie und einer Vaskulopathie, ist ein Risikofaktor für Amputationen und geht mit einer 2,5-fach gesteigerten Mortalität einher [27]. Soziale Deprivation erhöht das Risiko für ein DFS. Bei der Untersuchung sind trockene Haut, Krallenzehen, Kallusbildung, reduziertes Vibrationsempfinden und fehlende Fußpulse diagnostisch. Die Versorgung mit geeigneten Schuhen ist ein zentraler Punkt. Viertel- bis halbjährliche Fußinspektionen können die Amputationshäufigkeit verringern. Haben sich bereits Ulzera ausgebildet, ist der Spagat zwischen Entlastung (zur Förderung der Wundheilung) und Bewegung (zum Erhalt der Mobilität) oft schwierig.

Technologie im Dienste der Älteren

Mit der Telediabetologie können z. B. Blutglucosewerte, Blutdruck oder Gewicht erfasst und an ein telemedizinisches Servicezentrum weitergeleitet werden. Dort werden die übermittelten Daten von einem Arzt bewertet und eine entsprechende Handlungsanweisung erfolgt. Dies ermöglicht z. B. die optimierte Versorgung von älteren Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes mit stark schwankenden Blutglucosewerten. Telemedizin könnte zukünftig nicht nur in Pandemiezeiten zum Einsatz kommen, sondern auch bei nicht mehr mobilen Älteren oder Pflegeheimbewohnern eine bessere Diabetesbetreuung bewirken.

Coronavirus und Diabetes

Das Robert Koch-Institut (RKI) zählt Diabetespatienten zur Risikogruppe für einen schweren Verlauf der „coronavirus disease 2019“ (COVID-19). Zu den häufigsten Begleiterkrankungen bei schweren COVID-19-Verläufen zählen neben Diabetes mellitus Bluthochdruck, onkologische Grunderkrankung, zerebrovaskuläre sowie koronare Herzerkrankungen [28]. Da einige dieser Komorbiditäten mit Angiotensinkonversionsenzymhemmern (ACE-Hemmern) behandelt wurden, vermutete man, dass ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit dem „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) oder für einen schweren Verlauf bei Diabetes unter ACE-Hemmer-Einnahme vorliegt. In beiden Fällen kommt es zu einer vermehrten Expression von ACE2, dem Protein, über das das Virus in die Zellen eindringt. Auch Ibuprofen erhöht die ACE2-Expression, jedoch empfiehlt die European Medicines Agency (EMA) aktuell keine Unterbrechung einer Ibuprofen- oder ACE-Hemmer-Therapie, da systematische Studien für eine evidenzbasierte Entscheidungsgrundlage fehlen. Eine Pressemitteilung der DDG besagt, dass gesunde Diabetespatienten mit einem gut eingestellten Stoffwechsel wahrscheinlich kein erhöhtes Infektionsrisiko haben.

Die Coronapandemie könnte also als Anlass genutzt werden, sich konsequenter um die optimale Stoffwechseleinstellung zu kümmern. Jedoch erschwert sie auch gerade dies. Gruppenschulungen z. B. sind meist nicht mehr möglich, z. T. wird auf Videokonferenzen/-sprechstunden umgestellt. Gerade ältere Patienten stellt dies vor eine besondere Herausforderung, aber es kann, wie jede Krise, auch eine Chance für zukünftige Akzeptanz von Technologien sein.

Fazit für die Praxis

  • Vorrangiges Therapieziel in der geriatrischen Zielgruppe sind Lebensqualität und die Vermeidung von Hypoglykämien. Letztere münden oft in geriatrische Syndrome (Stürze, Immobilität, Inkontinenz, Demenzprogression und Delir).

  • Die Therapie älterer und gebrechlicher Diabetespatienten richtet sich nach deren Funktionsstatus; das geriatrische Assessment gibt Handlungsleitlinien vor: Je immobiler, hilfsbedürftiger und kognitiv eingeschränkter, desto einfacher sollte das Behandlungsschema sein.

  • Einschränkende Diäten sollten vermieden werden. Gewichtsverlust mit Sarkopenie und Verlust von Muskelkraft und Mobilität sind Alarmsymptome.

  • Metformin ist für die meisten Patienten die Basismedikation und wird je nach Therapieziel und Begleiterkrankungen mit einem Gliptin, Gliflozin, Glutid oder Insulin kombiniert.

  • Ein funktionierendes Behandlungsschema kann beibehalten werden, auch wenn es nicht den in diesem Beitrag beschriebenen Empfehlungen entspricht und z. B. Sulfonylharnstoff enthält – allerdings sollte gezielt nach Hypoglykämien gefragt oder bei unerklärter Allgemeinzustandsverschlechterung an Hypoglykämien gedacht werden.