Der diesjährige Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN) hat die ökologische Psychiatrie und Psychotherapie zum Thema und rückt damit einen Zusammenhang in den Blick, der zunehmend in den Fokus der klinischen Praxis und Forschung in unseren Fächern rückt. Seit der Antike ist klar: Der Mensch lebt nicht für sich allein, sondern braucht den beständigen Austausch mit der Umwelt. Unsere Lebenswelten sind nicht nur geprägt durch die Wechselbeziehung mit anderen Menschen, sondern auch mit einer Vielzahl von Pflanzen und Tieren. Selbst der eigene Körper bildet ein komplexes Ökosystem mit Milliarden von Mikroorganismen im Darm und auf der Haut. Planetare und menschliche Gesundheit hängen daher zusammen.

Der Mensch lebt nicht für sich allein, sondern braucht den beständigen Austausch mit der Umwelt

Prozesse wie fortschreitende Urbanisierung und besonders der Klimawandel bedrohen dieses empfindliche System: Schwindende Biodiversität, die Zunahme und Verdichtung urbaner Strukturen, erschwerter Zugang zur Natur – all das wirkt sich am Ende auf die Gesundheit des Einzelnen aus. Extremwetterereignisse wie Flut- oder Hitzewellen bringen erhebliche psychische Belastungen mit sich und führen zu einem Anstieg von Depressionen, Angst- und Traumafolgestörungen sowie Suiziden. Gerade bei der jungen Generation nehmen Klimaängste zu. Die DGPPN hat diese Ergebnisse systematisch zusammengefasst [1, 5] und in ihrer Berliner Erklärung (https://www.dgppn.de/schwerpunkte/klima-und-psyche.html) daraus Konsequenzen für unser Fach, aber auch für Politik und Gesellschaft insgesamt gezogen.

Neue Möglichkeiten der Forschung bieten die Chance, diese komplexen Zusammenhänge zu verstehen und damit die Verständnisgrundlage für dringend notwendige gesellschaftliche und politische Handlungen zu liefern. Methoden der Genetik, Bildgebung, Epidemiologie und künstlichen Intelligenz ermöglichen eine präzise Analyse von Ökosystemen, Biodiversität und ihren Einfluss auf die psychische Gesundheit [4]. Daraus ergeben sich auch neue Behandlungs- und Präventionsoptionen.

Vier Arbeiten stellen neue Entwicklungen und etabliertes Wissen im Rahmen dieses Kongressthemas vor.

Bilek und Gündel nehmen das nach Untersuchungen über psychiatrisch relevante Umweltfaktoren wohl wichtige Segment für Risiko und Resilienz in den Blick: unsere soziale Umwelt. Dieses Thema wird im Rahmen von Gruppeninteraktionen auf dem Arbeitsplatz erläutert. Dabei zeigt sich die zentrale Bedeutung der Qualität unserer sozialen Beziehungen für Resilienz, aber auch das Erkrankungsrisiko für häufige psychische Störungen vor dem Hintergrund der fundamentalen evolutionären Bedeutung und damit auch neurobiologischen Verankerung von Kleingruppen für den Menschen als soziales Wesen.

Refisch und Walter behandeln ein erst seit relativ kurzer Zeit in der Psychiatrie intensiv beforschtes Thema, das Mikrobiom. Auch der einzelne Mensch lebt in ständiger Interaktion mit einem Ökosystem von Mikroorganismen, mit denen sich in der Koevolution komplexe Wechselwirkungen mit großer Bedeutung auch für die psychische Gesundheit ausgebildet haben. Das Zusammenspiel von Mikrobiom und Stress wird zunehmend von seinen Mechanismen her verstanden und bietet neue Interventionsmöglichkeiten bei häufigen psychischen Erkrankungen.

Eine neuere Erkenntnis ist die Wichtigkeit des Immunsystems für die Interaktionen von Mensch und Umwelt, sowohl im Zusammenhang salutogenetischer und resilienzfördernder Aspekte (wie z. B. der geringeren Häufigkeit schwerer psychischer Störungen bei Land- verglichen mit Stadtbewohnern) als auch als Mediator negativer Effekte des Klimawandels. Priller, Schäfer und Safaiyan stellen diese Mechanismen dar und erläutern innovative translationale Forschungsmöglichkeiten im Rahmen des im Mai diesen Jahres gestarteten Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit (DZPG), das die Erforschung von Umweltfaktoren, besonders in der städtischen Lebenswelt, als ein zentrales Thema gewählt hat [3].

Schließlich ziehen Karl und Meyer-Lindenberg [2] aus der Klimakrise Schlüsse für notwendige Schritte in der psychiatrischen Versorgung. Ein neuer Fokus auf Gesundheitsförderung und Prävention tut not, um in Bereichen wie Ernährung, Mobilität und Naturerleben Resilienz zu stärken und negative Effekte auf die Umwelt zu verringern. Aber wir müssen unser Versorgungssystem auch für die schon präsenten und leider zumindest in den nächsten Jahren zunehmenden Umweltstressoren besser aufstellen: Zunehmende Hitzewellen machen Schutzmaßnahmen gerade für Menschen mit psychischen Erkrankungen erforderlich, und Extremwetterereignisse erfordern einen Ausbau der Kompetenz im Bereich der Katastrophenpsychiatrie. Hierfür sind auch entsprechende Fördermaßnahmen notwendig.

Wir freuen uns darauf, diesen aktuellen, vielfältigen und in seinen Folgen für unser Handeln und Selbstverständnis hochrelevanten Themenkomplex mit unseren Mitgliedern, Experten, Betroffenen und Teilnehmern aus vielen Segmenten der Gesellschaft auf unserm Kongress in Berlin diskutieren zu können.

Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg