Kürzlich wurden deutsche Neurologen und Psychiater nach der Bedeutung von Placebo- und Nocebo-Effekten bei der Gabe von Antidepressiva gefragt [19]. Die meisten schätzten die Pharmakologie als am bedeutsamsten ein, nur 25 % glaubten, dass medizinische Aufklärung auch Nebenwirkungen auslösen kann. Dass ist eine Fehleinschätzung, wie Nebenwirkungen und Abbruchraten in den Placebogruppen von Zulassungsstudien zeigen. Sie ist gefährlich, denn solange sich Ärzte des eigenen Beitrags zu Nocebo-Effekten nicht bewusst sind, bleiben Patienten Negativeinflüssen unkontrolliert ausgesetzt.

Zu viele Ärzte sind sich des eigenen Beitrags zu Nocebo-Effekten nicht bewusst

Als Nocebo-Effekt wurden ursprünglich die unerwünschten Wirkungen von Placebos bezeichnet, inzwischen fast alle psychobiologischen Phänomene, die zu einer Beeinträchtigung von Funktionen, Gesundheit und Wohlbefinden führen [8, 15]. Der Nocebo (lat. „Ich werde schaden“) als negativer Gegenpart zu Placebo (lat. „Ich werde gefallen“) weist zum großen Teil die gleichen Wirkmechanismen auf, nämlich Konditionierung und Erwartung. Als unhaltbar haben sich Definitionen als „unspezifische“ Therapiewirkung oder „ohne naturwissenschaftlichen Nachweis“ erwiesen, weil Nocebo-Effekte ebenfalls spezifisch sind, d. h., es treten nicht irgendwelche, sondern genau die spezifisch besprochenen Nebenwirkungen auf, und sie sind inzwischen experimentell, neurophysiologisch und klinisch wissenschaftlich untersucht.

In diesem Beitrag sollen speziell Bedeutung und Auswirkungen von Nocebo-Effekten bei der Risikoaufklärung sowie ihr Auftreten in Neurologie und Psychiatrie beleuchtet werden. Nach der Darstellung ihrer Wirkmechanismen sollen Maßnahmen abgeleitet und dargestellt werden, mit denen ihre Auslösung bei der Risikoaufklärung vermieden oder zumindest verringert werden kann.

Aufklärung und ihre Risiken

Die medizinische Aufklärung soll den Patienten durch Information in die Lage versetzen, medizinischen Maßnahmen nach Abwägung von Nutzen und Risiko zuzustimmen. Gesetzgeber und Rechtsprechung gehen berechtigterweise davon aus, dass durch die im Patientenrechtegesetz, § 630 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BMG 2013) vorgeschriebene medizinische Aufklärung die Rechte des Bürgers gestärkt sind, indem er über vorgeschlagene Eingriffe und Maßnahmen informiert wird und diese dann geschützt vor Therapeutenwillkür ablehnen kann (Abwehrrecht; [6]).

Die aktuelle Herausforderung für Juristen und Ärzte ist, sich damit auseinanderzusetzen, dass von der medizinischen Aufklärung auch erhebliche ungünstige Auswirkungen und Nebenwirkungen ausgehen können [30]. Diese sind v. a. auf negative Erwartungen zurückzuführen und werden als Nocebo-Effekte bezeichnet [3, 15, 25]. Nocebo („Ich werde schaden“) steht unvereinbar dem hippokratischen Grundsatz (und Eid!) gegenüber: primum nihil nocere, d. h. vor allem nicht schaden. Bei der Risikoaufklärung steht der Arzt regelmäßig vor diesem ethischen Dilemma. Denn durch (falsches) Sprechen über ein Risiko kann genau dieses Symptom ausgelöst oder verstärkt werden. Erwartung und ausgelöste Nocebo-Effekte beeinflussen wesentlich die Compliance, d. h. die Einnahme der verordneten Medikamente oder die Einhaltung der Behandlungsempfehlungen. Erwartung und durch die Risikoaufklärung möglicherweise ausgelöste Angst, Stress und Hoffnungslosigkeit haben erheblichen Einfluss auf Behandlungsergebnis und Outcome [14].

Erst wenn man Nocebo-Effekte und ihre Auslösung kennt, kann man sie erkennen, vermeiden oder neutralisieren

Eine aus Sorge des Arztes vor einem Aufklärungsversäumnis harte Aufklärung kann Patienten so verschrecken, dass sie eine medizinisch notwendige Behandlung verzögern oder verweigern. Für die genannten Folgen sind nicht die Notwendigkeit und Tatsache der medizinischen Aufklärung verantwortlich und auf den Prüfstein zu stellen, sondern die Art und Weise, wie sie durchgeführt wird. Allerdings: Erst wenn man Nocebo-Effekte und ihre Auslösung kennt, kann man sie auch im eigenen Umfeld erkennen und dann vermeiden oder neutralisieren.

Nocebo-Effekte durch Risikoaufklärung

Die detaillierte Beschreibung einer möglichen Nebenwirkung führt zu mehr beobachteten Fällen gerade dieser Nebenwirkung. Einige Beispiele [14, 15, 30]: In einer Studie zur Behandlung der instabilen Angina pectoris mit Acetylsalicylsäure brachen 6‑mal mehr Patienten die Studie wegen gastrointestinaler Beschwerden ab, wenn sie über diese aufgeklärt waren. In einer Untersuchung über Betablocker wurden Erektionsstörungen bei 3 % der behandelten Männer beobachtet, allerdings nur, wenn man lediglich von einem „Medikament für ihr Herz“ gesprochen hatte. Wurde die Tablette als „Betablocker“ angekündigt, waren es 16 %. Wurde zusätzlich über Erektionsstörungen als mögliche Nebenwirkung der Medikation aufgeklärt, stieg die Zahl auf 31 %, d. h., das Risiko war 10-mal höher als ohne Aufklärung. In einer vergleichbar angelegten Studie wurden Erektionsstörungen bei 8 %, 13 % bzw. 32 % der Patienten beobachtet und die Ergebnisse damit bestätigt. Wurden Patienten über Kopfschmerzen nach einer Lumbalpunktion aufgeklärt, trat diese Nebenwirkung bei 47 % von ihnen ein; erfolgte keine Aufklärung, waren es nur 8 %.

Bei Nocebo-Effekten handelt es sich nicht um „unspezifische“ Wirkungen; die ausgelösten Nebenwirkungen spiegeln die Nebenwirkungen des Verummedikaments wider, sie folgen den Informationen bei der Aufklärung. Auch kognitive Bewertungsprozesse wie Attributionsprozesse tragen zu Nocebo-Effekten bei, indem z. B. vorbestehende Symptome bei Erwartung von Nebenwirkungen als solche gewertet und somit fehlinterpretiert werden [8].

Bereits die Ankündigung einer therapeutischen Maßnahme kann Nocebo-Effekte induzieren

Neben diesen Studien über Nebenwirkungsraten mit und ohne Aufklärung werden Nocebo-Effekte auch in zahlreichen experimentellen Studien sowie in Zulassungsstudien belegt, in denen regelhaft auch in den Placebogruppen Nebenwirkungen auftreten und Patienten aufgrund vermeintlich medikamenteninduzierter Nebenwirkungen die Studienteilnahme abbrechen ([15, 16]; Tab. 1). Bereits jede Ankündigung einer therapeutischen Maßnahme kann als Aufklärung angesehen werden und Nocebo-Effekte induzieren. So waren die Schmerzen signifikant stärker ausgeprägt, wenn eine Blutabnahme mit „Das sticht jetzt!“ angekündigt war statt mit „Achtung, ich fang jetzt an“ [23]. Wie stark und klinisch relevant Nocebo-Effekte sein können, zeigt ein Fallbericht über einen Patienten in einer Notaufnahme, der nach Einnahme von 29 Tabletten eines Antidepressivums in suizidaler Absicht vital bedroht war, aber stabilisiert werden konnte. Im Verlauf wurde klar, dass es sich bei den Tabletten um eine Studienmedikation handelte, er allerdings der Placebogruppe angehörte, die Tabletten also gar keinen Wirkstoff enthielten [15]. Bernard Lown berichtet in seinem Buch „Die verlorene Kunst des Heilens“ von einem Patienten, der in der Folge der Aufklärung für eine Herzschrittmacheranlage Arrhythmien und einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitt und reanimiert werden musste [22].

Tab. 1 Nocebo-Effekte in Medikamentenstudien aus Neurologie und Psychiatrie. (Aus [16, 24, 28, 31])

Nocebo-Effekte in Neurologie und Psychiatrie

In Tab. 1 sind Beispiele für Nocebo-Effekte aufgeführt, wie sie sich in der Placebogruppe von Medikamentenstudien als Nebenwirkungs- und Abbruchraten darstellen.

Doch Nocebo-Effekte treten nicht nur bei medikamentöser Therapie auf. Wenn bei Patienten mit Parkinson-Krankheit und Hirnschrittmacher die Stimulation nach Ankündigung auf 20 % gesenkt wurde, fiel die anschließende Verringerung der Bewegungsgeschwindigkeit um 58 % stärker aus als bei fehlender Ankündigung [9]. Bei der Ankündigung, dass die folgende Stimulation die Symptome verschlimmern würde, kam es zu einer 39 %igen Zunahme des Tremors [20]. Inzwischen wurden auch Placebo- und Nocebo-Effekte auf kognitive Funktionen nachgewiesen. In experimentellen Studien mit nichtinvasiver Hirnstimulation wurden subjektive und objektive Einschränkungen in Geschwindigkeit und Genauigkeit beobachtet, wenn die transkranielle Stimulation als „verschlechternd“ statt als „verbessernd“ angekündigt wurde, sowohl bei tatsächlicher als auch bei vorgetäuschter Stimulation [27].

Nocebo-Effekte und Schmerz

Dass Schmerzerleben eng mit kognitiven und emotionalen Prozessen assoziiert ist, wird am Beispiel der Placebo-Analgesie und der Nocebo-Hyperalgesie in besonderer Weise anschaulich. Die Effektstärke von Nocebo-Effekten auf Schmerzen ist nach experimentellen Studien als groß einzuschätzen und mit der in Placebo-Studien vergleichbar [21]. In einer Reihe experimenteller Studien wurde die Bedeutung verbaler Informationen für die Schmerzwahrnehmung dokumentiert, indem – meist durch verbale Information – eine Zunahme der Schmerzintensität oder eine schmerzverstärkende Wirkung eines Medikaments (de facto eines Scheinmedikaments) suggeriert wurde. So führten z. B. in Untersuchungen zur viszeralen Nocebohyperalgesie Informationen über die schmerzverstärkende Wirkung einer verabreichten Infusion (tatsächlich einer reinen Kochsalzlösung) zu einer Zunahme der Schmerzen und einer stärkeren Aktivierung der Insula [10].

Negative Erwartungen können auch zu einer reduzierten Wirksamkeit von Schmerzmedikamenten sowie zu unerwünschten Nebenwirkungen führen [4]. So war der analgetische Effekt des Opioids Remifentanil in einer experimentellen Studie fast vollständig aufgehoben, nachdem die Probanden die Information erhalten hatten, dass die Remifentanilinfusion gestoppt werde. Obwohl das Medikament de facto weiterhin verabreicht wurde und somit der pharmakologische Effekt gegeben war, entsprach das Ausmaß der Schmerzen annähernd einer Kontrollbedingung ohne Medikamentengabe [5]. Ein ähnlicher Effekt wurde in einer Studie zur Wirksamkeit von Rizatriptan bei Patienten mit Migräne beobachtet. Hier war der Medikamenteneffekt während einer Migräneattacke reduziert, wenn die Patienten fälschlicherweise vor der Einnahme die Information erhielten, dass es sich um ein Placebo handle [18].

Nocebomechanismen

Einige Mechanismen von Nocebo-Effekten sind inzwischen bekannt, v. a. aus Forschung zur Nocebohyperalgesie. Unter psychologischen Gesichtspunkten können Nocebo-Effekte wie Placebo-Effekte als Folgen von Lernprozessen verstanden werden, die auf eine vorausgegangene eigene Erfahrung (Konditionierung) zurückgehen oder von außen durch Beeinflussung (Suggestion) oder durch Beobachtung („observational learning“) ausgelöst werden [3, 15, 25]. Ein bekanntes Beispiel für eine klassische Konditionierung ist die antizipatorische Übelkeit, bei der eine zunächst chemotherapieinduzierte Übelkeit nach einigen Zyklen auch durch Kontextreize wie den Geruch von Desinfektionsmitteln ausgelöst werden kann [25].

Noch bedeutungsvoller sind die Erwartungsprozesse, wie sie besonders bei der Aufklärung angestoßen werden und die durch soziale Interaktion sowie durch Umgebungsfaktoren moduliert werden. Hier spielen zunehmend die öffentlichen und die „sozialen“ Medien eine Rolle. So nahm in Neuseeland die Anzeige von Nebenwirkungen durch ein Thyroxinpräparat bei den zuständigen Behörden massiv zu, nachdem negativ über das Präparat berichtet worden war.

Negative Vorerfahrungen mit einer Therapie können sich ungünstig auf eine spätere Behandlung auswirken

In einem anderen Experiment wirkte ein als „Verum“ gekennzeichnetes Präparat besser als ein „Generikum“ gegen Hitzeschmerzreize, wobei in dieser Studie ausschließlich Scheinmedikamente eingesetzt wurden [25]. Vergleichbare negative Erwartungen sind vermutlich auch involviert, wenn nach dem Wechsel von Biologika auf Biosimilars vermehrt Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten auftreten [1]. Auch negative Vorerfahrung mit einer Therapie können sich ungünstig auf eine spätere Behandlung auswirken [21]. Ebenso tragen Symptome und Reaktionen, die bei Mitpatienten beobachtet oder von ihnen berichtet werden, zu den Erwartungen und ggf. zu Nocebo-Effekten bei.

Eine Nocebo-verstärkende Wirkung von Angst und negativen Emotionen ist sehr wahrscheinlich und wurde z. B. nach experimenteller Stressinduktion beobachtet [21]. Dies kann auch durch das Trance/Suggestions-Model erklärt werden, nach dem Angst und Stress – typische Bedingungen in vielen medizinischen Situationen – Patienten in einen natürlichen Trancezustand führen, in dem (ähnlich wie in Hypnose) Suggestionen viel stärker als normal wirksam sind [12]. In diesem besonderen Bewusstseinszustand mit einem mehr bildhaften und weniger rationalen Verständnis löst z. B. der Begriff „Zitrone“ einen vielfach stärkeren Speichelfluss aus als in einem Alltagsgespräch oder kann die Suggestion einer Dissoziation (an einen anderen Ort oder eines Körperteils) die Schmerzwahrnehmung ausschalten. Dieses Modell berücksichtigt und erklärt die Beobachtung, dass Patienten sich im medizinischen Kontext häufig „anders“ und „nicht normal“ verhalten und Trance-Zeichen wie kataleptische Körperhaltung (Angststarre) oder Altersregression aufweisen, z. B. wenn sich ein Manager „wie ein kleiner Junge“ benimmt. Dieser besondere Zustand des Patienten erfordert, aber ermöglicht auch eine besondere Form der Kommunikation [13].

Auf der neurobiologischen Ebene ist mittels funktioneller Magnetresonanztomographie dokumentiert, dass die Nocebo-Hyperalgesie mit einer verstärkten Aktivität („blood oxygen level-dependent response“ [BOLD]) in schmerzassoziierten Regionen und Netzwerken wie den somatosensorischen (S1, S2), anterioren zingulären (ACC) und präfrontalen Kortizes (PFC), der Insula sowie dem Rückenmark einhergeht [10, 21, 25]. Zudem wurden eine verstärkte Aktivität und funktionelle Konnektivität des Hippocampus und der Amygdala gezeigt [5]. Beachtenswert ist, dass beim noceboinduzierten Kopfschmerz dieselben Hirnareale aktiv sind. Er ist genauso „echt“ und nicht nur „eingebildet“ [3]. Neurobiochemisch ist bei Nocebo-induzierten Schmerzen eine verminderte Freisetzung von Dopamin und endogenen Opioiden nachgewiesen (korrespondierend mit einem Anstieg bei Placebo-Analgesie), zudem ein erhöhtes Cholecystokinin, das eine Hyperalgesie vermittelt [3, 25].

Maßnahmen gegen Nocebo-Effekte

Aus einem Verständnis von Nocebo-Effekten können Vorschläge abgeleitet werden, mit denen die medizinische Aufklärung weniger traumatisierend und weniger Nocebo-induzierend gestaltet werden kann (Infobox 1). Für ein patientenorientiertes und -verträgliches Gespräch sind neben Nocebo-Wirkungen auch viele andere Aspekte zu berücksichtigen [26]. So kann es sich letztlich negativ auswirken, wenn bei einer Behandlung nicht Placebo-Effekte genutzt werden [11].

Infobox 1 Vermeidung von Aufklärungsschäden

  • Keine Wiederholung ohne Bedarf

  • Recht auf Nichtwissen (Aufklärungsverzicht)

  • Missverständnisse vermeiden oder ausräumen

  • Positive Formulierung

  • Mehrere Möglichkeiten aufzeigen

  • Risiko mit Positivem kombinieren

  • Ärztlicher Beistand

Keine Wiederholung der Aufklärung

Es bedarf keiner Aufklärung mehr, wenn das Wissen bereits vorhanden ist. Da sich Nocebo-Effekte als Lernprozesse durch Wiederholungen verstärken, sind erneute Aufklärungen ohne Bedarf, etwa bei Wiederholungseingriffen bzw. -behandlungen oder bei Zuständigkeit verschiedener Fachdisziplinen (z. B. Aufklärung über Transfusionsrisiken durch den Chirurgen und den Anästhesisten), möglichst zu vermeiden. Es ist hilfreich, den Patienten nach vorausgegangenen Aufklärungen und nach seinem Wissen zu fragen, u. a. weil ein Risiko, das durch den Patienten selbst benannt wird, weit weniger angsterregend ist, als wenn es von einer ärztlichen Autoritätsperson ausgesprochen wird. Beim informierten Patienten, der keine weiteren Fragen hat, fehlt die Indikation für eine erneute Aufklärung.

Beispiel: „Bei Ihnen wird dieselbe Untersuchung wie vor 3 Wochen durchgeführt. Da wir unser Vorgehen nicht verändert haben, und wenn sich bei Ihnen nichts geändert hat, etwa bei Vorerkrankungen oder Medikamenten, können wir auf eine erneute Aufklärung verzichten, denn Sie erinnern sich ja noch an unser Gespräch und daran, dass Sie damals eingewilligt haben.“

Aufklärungsverzicht

Wie über jedes Risiko einer medizinischen Maßnahme von Bedeutung, so ist der Patient auch über das Risiko der Risikoaufklärung aufzuklären, da ein erheblicher Teil der Nebenwirkungen durch Nocebo-Effekte entsteht. Nur so kann der Patient sein Recht auf Unversehrtheit wahrnehmen, das neben dem Recht auf Autonomie und daher Aufklärung besteht, und sich ggf. durch Verzicht auf eine (ausführliche) Aufklärung (BGB § 630e Abs. 3) vor Aufklärungsschäden schützen [7].

Beispiel: „Eine relativ geringe Zahl von Patienten erfährt lästige, aber ungefährliche Nebenwirkungen der Behandlung. Aus der Forschung weiß man, dass Patienten, die über diese Art von Nebenwirkungen informiert werden, häufiger diese Nebenwirkungen erleben als Patienten, die nicht über diese Nebenwirkungen aufgeklärt wurden. Möchten Sie noch ausführlicher aufgeklärt werden“ [15]?

Vermeiden oder Ausräumen von Missverständnissen

Missverständnisse, die zu falschen Erwartungen führen, können Nocebo-Effekte wesentlich verstärken. So assoziiert ein Patient das Wort „Herzinfarkt“ möglicherweise mit dem Erlebnis, wie sein Nachbar im Garten zusammengebrochen ist und die Reanimation durch den Rettungsarzt erfolglos war. Herzinfarkt = Tod! Für diesen Patienten wäre es hilfreich zu erläutern, dass ein Herzinfarkt in einem Krankenhaus deutlich früher und besser behandelt werden kann: Erste Zeichen im Elektrokardiogramm führen zur Kontrolle des Verdachts und bei Bestätigung unverzüglich zu Lyse, Stent oder Ballondilatation bzw. zu einem Bypass. Nachweislich ist das Outcome bei einem Herzinfarkt im Krankenhaus günstiger als im Garten oder Wald. Bernard Lown beschreibt, wie eine Patientin einen sehr ungünstigen Verlauf nahm, nachdem sie den Ausdruck „T.S.“ statt als „Trikuspidalklappenstenose“ als „terminale Situation“ interpretiert hatte [22].

Beispiel: Die einfache Frage am Ende des Gesprächs „Was von dem Gesagten hat Sie denn besonders beunruhigt?“ hätte die Verweigerung einer wichtigen Herzoperation vermieden, die zustande kam, weil die Patientin die Aufklärung über ein mögliches Erleben des Beatmungstubus bei der Narkoseausleitung als unabdingbare Begleiterscheinung verstanden hatte.

Positive Formulierung

Nocebo-Effekte können z. T. auch durch den gewählten Bezugsrahmen („Framing“) verringert werden, indem die Risikowahrscheinlichkeit positiv formuliert wird: „90 % der Patienten vertragen das Medikament gut“ statt „Bei 10 % tritt eine Nebenwirkung auf“ [2]. Dabei sollten Negationen („Bei 90 % tritt diese Nebenwirkung nicht auf“, „Die meisten Patienten haben keine Schmerzen“) vermieden werden, weil sich starke negative Suggestionen nicht mit einem „nicht“ auslöschen lassen [11].

Aufzeigen mehrerer Möglichkeiten

Nocebo-Effekte lassen sich auch reduzieren, indem negative Erwartungen bei Patienten wahrgenommen und thematisiert werden. Wenn der Arzt in der Aussage „Letztes Mal musste ich nach der Narkose erbrechen“ die negative Erwartung erkennt, kann er z. B. antworten: „Ich habe eine Menge Patienten getroffen, die das auch erzählt haben und die dann eine Narkose ohne Erbrechen hatten.“ Damit weist er auf einen anderen Ausgang hin. Solange der Patient nur die eine, negative, Möglichkeit vor sich sieht, ist die Wahrscheinlichkeit dafür recht hoch. Hat der Patient mehrere Möglichkeiten vor Augen, verteilt sich die Wahrscheinlichkeit und die für den negativen Ausgang nimmt ab.

Beispiel: Auf die Symptomschilderung „Immer wenn ich aufstehe, habe ich diese furchtbaren Schmerzen“, in der sich die Extrapolation einer negativen Erfahrung in die Zukunft als negative Erwartung ausdrückt, antwortet der Arzt: „Aha, ich verstehe, meistens, wenn Sie aufstehen, haben Sie furchtbare Schmerzen.“ Durch das verbale Spiegeln und die Veränderung eines einzigen Wortes („meistens“ statt „immer“) werden mögliche Ausnahmen und damit Lösungsansätze ins Spiel gebracht [13].

Kombination von Risiken mit positiven Aspekten

In einer Studie über die Auswirkungen von Suggestionen auf die maximale Armmuskelkraft führte die Aufklärung „Wenn Sie wollen, können wir einen Schmerzkatheter legen, der hat das Risiko von Infektion, Allergie sowie von Gefäßverletzungen und Nervenverletzung“ zu einer deutlichen und signifikanten Schwächung („R“ in Abb. 1), während die erweiterte Aufklärung „Es gibt die Möglichkeit der örtlichen Schmerztherapie. Es besteht zwar ein Risiko von Infektion, Allergie, Gefäß- und Nervenverletzung, jedoch müssen Sie weniger Tabletten einnehmen, können sich besser bewegen, fühlen sich wohler und können vielleicht früher nach Hause“ („R+N“ in Abb. 1) keine Beeinträchtigung der Armmuskelkraft bedingte [29]. Nicht das Weglassen der Aufklärung, sondern die gleichzeitige Nennung des Nutzens der Therapie ohne Schönreden oder falsche Versprechungen wandte einen Nocebo-Effekt ab. Für das Prinzip, mit dem negativen Risiko gleichzeitig etwas Positives zu benennen, können auch die prophylaktischen Maßnahmen angesprochen werden, die ergriffen werden, um die Nebenwirkung zu reduzieren oder zu vermeiden. Es kann gleichzeitig die sorgfältige Überwachung während der Intervention thematisiert werden, die sofort erkennen lässt, wenn sich eine Nebenwirkung entwickelt, und dann oft rasche Gegenmaßnahmen erlaubt und gute Behandlungsmöglichkeiten bietet. Manchmal kann auch die Möglichkeit zur aktiven Mitwirkung des Patienten angesprochen werden, z. B. Atemübungen zur Verminderung des Pneumonierisikos [13]. Eine potenzielle Erklärung für den positiven Effekt einer solchen Koppelung von negativen und positiven Informationen ist, dass bei begrenztem Fassungsvermögen dadurch weniger negative Erwartungen im „Erwartungstopf“ verbleiben.

Abb. 1
figure 1

Auswirkung einer Aufklärung auf die maximale Muskelkraft bei Armabduktion. A Ausgangswert = 100 %, ns nicht signifikant, R Risikoaufklärung, R+N Risiken zusammen mit Nutzen der Therapie genannt (genaue Formulierung siehe Haupttext). (Nach [29])

Beispiel: „Und wir werden die Haut an der Stelle der Punktion sehr sorgfältig desinfizieren, damit Sie keine Wundinfektion bekommen“. So könnte die Aufklärung über das Risiko einer Wundinfektion lauten.

Ärztlicher Beistand

Der beste Schutz des Patienten vor einem „Aufklärungsschaden“ ist eine gute, vertrauensvolle Beziehung zwischen Arzt und Patient. Während ursprünglich die schlechte Information von Patienten zur Aufklärungspflicht führte, stellt heute gerade die Informationsflut – bedingt durch die grundsätzlich positiven Entwicklungen eines immens angewachsenen medizinischen Wissens und einer durch Medien, Internet und „Berater“ schier unbeschränkten Verfügbarkeit – häufig selbst ein Problem dar. Sie lässt den Patienten oft überfordert und verunsichert zurück. Was ihm fehlt, ist eine Erläuterung der Informationen, eine auf ihn bezogene, individuelle Bewertung und Einordnung, auch benötigt er Trost und Beistand in der belastenden Situation. Dies ist eine essenzielle medizinische Aufgabe des behandelnden Arztes. Vertrauensbildend ist u. a., wenn der aufklärende Arzt später auch die Behandlung durchführt, wie es dem oft geäußerten Wunsch der Patienten entsprechen würde.

Therapeutische Kommunikation

Diese Vorschläge verdeutlichen, dass Kommunikation nicht nur als Übermittlung von Informationen aufgefasst werden kann. Durch Hinzunahme von Bedeutung kann sie Therapie und Nebenwirkungen wesentlich beeinflussen, d. h., sie wird zur „therapeutischen Kommunikation“. Dafür sind ein bedachter Umgang mit Worten, Kenntnisse über die Wirkung von Suggestionen und Kommunikationsstrategien aus der Psychotherapie hilfreich [11, 26]. Die zentrale Rolle der Bedeutung der kommunizierten Inhalte hat zu dem Vorschlag geführt, Placebo- und Nocebo-Effekte treffender als „meaning response“ zu bezeichnen [17].

Fazit für die Praxis

  • Ein erheblicher Teil der Nebenwirkungen medizinischer Behandlungen ist der Aufklärung zuzuschreiben. Nicht die Aufklärung, sondern die Art der Aufklärung ist zu überdenken.

  • Der Patient ist über die Nebenwirkungen (Nocebo-Effekte) der medizinischen Aufklärung zu informieren und kann verzichten.

  • Vorwissen und Erwartungen des Patienten sind zu erfragen, um Missverständnisse ausräumen und Nocebo-Effekte neutralisieren zu können.

  • Risiken sollten zusammen mit Positivem genannt werden, etwa mit dem Nutzen der Therapie oder mit Aspekten der Prophylaxe, Überwachung und möglichen Behandlung der Nebenwirkung.

  • Der beste Schutz vor Aufklärungsschäden ist eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung.