Hier sind Sie ja! Wie schön! Nachdem ich das Thema letztes Mal schon ganz kurz gestreift habe und es einfach der absolute Dauerbrenner ist, möchte ich mit Ihnen heute über Gluten sprechen. Ja, ich weiß schon, Gluten ist furchtbar gefährlich, aber haben Sie keine Angst, ich bin ja bei Ihnen.
Wann genau Gluten in Ungnade gefallen ist und zum Volksfeind Nummer 1 erklärt wurde, weiß ich nicht genau. Die von mir befragte KI meint, das Buch „Weizenwampe“ von Dr. William Davis aus dem Jahr 2011 hat einen großen Anteil daran.
Ist Weizen gleich Wampe?
Kurz zusammengefasst ist laut Dr. Davis Weizen und sein Gluten für so ziemlich jedes Gesundheitsproblem, das die heutige Zeit zu bieten hat, verantwortlich. Für Übergewicht sowieso, aber auch Diabetes Typ 2, Rheuma und Osteoporose. Außerdem schädigt es Herz und Gehirn, und wir sind sowieso alle weizensüchtig. Na sowas. Dabei ist er nicht etwa Ernährungsmediziner, sondern Kardiologe. Seine Theorien, wie Weizen bzw. Gluten dem Körper schaden könnte, klingen ja ganz interessant und teilweise sogar schlüssig, nur leider fehlt ihnen jeglicher wissenschaftliche Beweis.
Das macht aber gar nichts, weil die Cousine der Freundin meiner Bekannten hat das Buch gelesen und allen Menschen, die ihr seither begegnet sind, von diesem hinterhältigen Gluten berichtet. Man muss ja die Menschheit vor ihrem sicheren Untergang bewahren! Die Industrie hat auch schon längst (dankend) reagiert und wirft seit Jahren im großen Stil allerlei Glutenfreies auf den Markt: Mehlmischungen, Nudeln, Brot, Kekse. Haben Sie schon einmal glutenfreies Brot probiert? Sie müssen mir jetzt einfach kurz vertrauen: Tun Sie es nicht. Echt jetzt.
Jedenfalls hat sich Dr. Davis mittlerweile ein kleines Imperium aufgebaut, umgeben von diversen Kochbüchern, Online-Mitgliedschaften, Nahrungsergänzungsmitteln und sonstigem Klimbim, das man nicht braucht. Dass er in Expertenkreisen für seine haltlosen Behauptungen scharf kritisiert wird, stört ihn dabei vermutlich herzlich wenig.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich gönne jedem seinen Erfolg. Ich habe allerdings etwas dagegen, wenn man Menschen völlig unbegründete Ängste einredet, um sich anschließend an eben diesen Ängsten zu bereichern.
Gefährliches Gluten?
Jetzt stellen Sie sich (und mir) wahrscheinlich die völlig berechtigte Frage: Wenn das mit dem Weizen und dem Gluten alles Unsinn ist, wie erklärt sich die anhaltende Beliebtheit des Buches? Meine Theorie (für die es ebenfalls keine wissenschaftlichen Beweise gibt, aber ich gebe das wenigstens zu) lautet:
Der Mensch neigt dazu, Verantwortung gerne abgeben zu wollen, also zum Beispiel:
Ich bin dick: Das Gluten ist schuld, nicht etwa die Mehlspeise, die ich mir jeden Nachmittag um Punkt 16 Uhr als Begleitung zu meiner Lieblingsserie genehmige. Ich habe Gastritis. Natürlich nicht von der Salamipizza mit extra Käse und dem Tiramisu kurz vor dem Schlafengehen, sondern: Gluten. Na warte, wenn ich dich erwische.
Wenn ich jetzt das Gluten, das mir ja offenbar nach dem Leben trachtet, weglasse, kann ich mir die Mehlspeise aufzeichnen. Die Pizza und sogar das Tiramisu fallen auch weg, ich bin nach einiger Zeit weniger dick, und die Gastritis bessert sich auch. Hurra.
Manche behaupten sogar, dass sie sich viel besser fühlen, seit sie von Weizen auf Dinkel umgestiegen sind, weil sie ja kein Gluten vertragen. Es tut mir fast immer ein bisserl leid, wenn ich dem verdutzten Gegenüber erklären muss, dass auch Dinkel Gluten enthält, genauso wie, unter anderem, Roggen, Gerste, Emmer und Grünkern. Die Verwirrung ist endgültig perfekt.
Woher kommt dann das gesteigerte Wohlbefinden? Vielleicht davon, dass man durch den Verzicht auf Weizen automatisch weniger Semmeln, Weckerl und Kekse isst. Denn in einem Punkt gebe ich Dr. Davis sehr wohl recht: Wir neigen dazu, generell zu viel Auszugsmehl zu uns zu nehmen, dabei handelt es sich eben meistens um Weizenmehl. Es ist nun einmal bequemer, sich in der Mittagspause ein belegtes Weckerl oder eine Wurstsemmel zu holen, als sich ein gekochtes Mittagessen mitzunehmen. Am Abend ist ein Brot schneller geschmiert, als man eine Suppe kochen kann, und die Nummer der Pizzeria des Vertrauens ist sowieso gespeichert.
Besser weizenfrei?
Müssen wir uns deshalb jetzt gleich gluten- oder weizenfrei ernähren? Natürlich nicht. Bei einem Patschen, weil ich den Gehsteig etwas zu vehement gerempelt habe, werfe ich ja nicht gleich das ganze Auto weg. Nein, ich lasse den Reifen tauschen und passe in Zukunft einfach ein bisserl besser auf. Und so ist es auch bei der Ernährung: Wenn ich ein bisserl besser aufpasse, wird mir auffallen, ob ich mich zu einseitig ernähre, zum Beispiel von einem Übermaß an Weißmehlprodukten. Ich kann das Ganze dann reduzieren, indem ich zum Beispiel von weißen Nudeln auf Vollkornnudeln umsteige.
Und, jetzt bitte ich Sie noch einmal um Ihr Vertrauen, wenn ich sage: die Vollkornnudeln, die es heutzutage zu kaufen gibt, haben nichts mehr mit den dunkelbraunen Sandpapierfäden zu tun, die ich als Kind minutenlang zwischen meinen Zähnen zu zermahlen versuchte. Die sogenannten hellen Vollkornnudeln sind von der gemeinen Nudel kaum noch zu unterscheiden. Probieren Sie es aus! Sollten sie sich von mir angeschwindelt fühlen, dürfen Sie mir gerne eine böse Nachricht schreiben.
Zöliakie für alle?
Ich habe ja vorhin über diverse glutenfreie Alternativprodukte gelästert. Es gibt aber tatsächlich Leute, die auf ebendiese Produkte angewiesen sind, nämlich solche mit Zöliakie. Das ist eine diagnostizierte chronische Erkrankung, bei der das Gluten zu einer Schädigung der Dünndarmschleimhaut führt. Dazu muss allerdings angemerkt werden, dass nur etwa 1 % der Weltbevölkerung an Zöliakie leidet, egal was man uns und Ihnen einzureden versucht.
Heute habe ich Ihnen, passend zum Thema, ein glutenfreies Rezept mitgebracht. Erstens weil es einfach gut schmeckt und zweitens, damit nicht wieder das Gerücht aufkommt, dass TCM-Ernährungsberater ihre armen Kunden mit warmem Getreidebrei zum Frühstück terrorisieren.
Für Buchweizen müssen Sie übrigens nicht in den Bioladen pilgern, den gibt es auch in dem Drogeriemarkt, dessen Name mit D beginnt und M endet.
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Mit viel Wortwitz zeigt Marlies Geier auf, was hinter modernen Schlagworten wie „Superfoods“ tatsächlich steckt und wie einfach eine vernünftige Ernährung sein kann, wenn man sich nicht im Sog des Informationsüberflusses verliert. Die schnellen, einfachen Rezepte im zweiten Teil des Buches sind selbst für absolute Kochmuffel geeignet.
Marlies Geier: Von einsamen Leinsamen und netten Fetten. Springer Verlag 2024, 130 S., Taschenbuch 25,69 Euro ISBN 978-3-662-69052-9