ZFP: Mundschleimhaut: Aphthen und andere weißliche Veränderungen

Mundschleimhautveränderungen können Folgen von Verletzungen, Entzündungen oder neoplastischen Erkrankungen sein oder mit internistischen Erkrankungen zusammenhängen. In der zahnärztlichen Praxis ist ihre Einordnung besonders wichtig, denn oft sind Zahnmediziner die ersten Beobachtenden einer derartigen Veränderung. Fragebogen für ZFP-Punkte: Download (PDF) Österreichische Zahnärztekammer × Mindestens zweimal jährlich soll im Rahmen der zahnärztlichen Routineuntersuchung die Mundhöhle systematisch untersucht werden. Dabei muss sichergestellt sein, dass sämtliche Regionen der Mundschleimhaut, der Lippen und der unmittelbar angrenzenden Gewebe vollumfänglich eingesehen werden können. Bei klinischen Auffälligkeiten ist eine weitere Abklärung erforderlich. Neben der systematischen Inspektion der gesamten Mundschleimhaut zur „ersten Blickdiagnose“ können weitere klinische Untersuchungstechniken hilfreich sein. Hierzu zählen: Palpation verdächtiger Befunde, Vitalitätsprobe benachbarter Zähne, Bestimmung parodontaler Parameter zur Erfassung parodontaler Entzündungen, zahnärztliche Röntgenuntersuchung zur Erfassung von odontogenen und ossären Läsionen, Untersuchung des lokalen Lymphknotenstatus zur Bewertung entzündlicher Begleitreaktionen oder zur Erkennung von Tumorausbreitungen sowie neurologische Sensibilitätsprüfungen (Nn. lingualis und mentalis zur Bewertung der Schmerzempfindung). Ergänzend können Abstriche für mikrobiologische Diagnostiken, eine virologische Diagnostik oder die Überprüfung einer Reaktion auf dentale Werkstoffe nützlich sein. Wenn als Ursache für eine Schleimhautveränderung eine mechanische Irritation vermutet wird, sollte möglichst zeitnah zunächst eine kausale Therapie versucht werden, indem gegebenenfalls lokale Reizfaktoren beseitigt werden. Bei chronisch-entzündlichen Grunderkrankungen kann möglicherweise eine Modifikation der systemischen Therapie diskutiert werden, diese sollte aber von der therapieführenden medizinischen Disziplin verantwortet werden. Ergänzende Untersuchungen der Mundschleimhaut können lokale Intravitalfärbungen (mit Toluidinblau) sowie die diagnostische Verwendung von optischen Hilfsmitteln wie Chemie- oder Autofluoreszenz umfassen. Bei klinischem Verdacht auf ein Mundhöhlenkarzinom ist eine umgehende Weiterleitung zu einem Spezialisten, zum Beispiel einem Facharzt für MKG-Chirurgie, zur raschen weiteren Diagnostik und Therapie anzustreben. Auch bei klinischem Verdacht einer malignen Transformation einer länger bestehenden Schleimhautveränderung sollte die histologische Klärung möglichst zeitnah erfolgen. Als verdächtige klinische Hinweise auf eine maligne Transformation sind alle neu aufgetretenen oder Veränderungen von unbekannter Dauer zu werten, starke Hyperkeratosen, zunehmende Inhomogenität einer Veränderung, Erosion der Mundschleimhaut, Blutung bei Berührung oder leichter mechanischer Belastung, fehlende Ursache und pathologische Gefäßerweiterungen oder Gefäßzeichnungen. Im Folgenden wird auf ausgewählte, häufige Veränderungen der Mundschleimhaut besonders eingegangen. Aphthen und aphthoide Läsionen: Klinisches Bild, Formen und Stadien Als Aphthen werden schmerzhafte, lokale Ulzerationen der Mundschleimhaut bezeichnet, die typischerweise in einem Zeitintervall von Wochen bis Monaten und Jahren rezidivieren. Rezidivierende Aphthen zählen zu den häufigsten Erkrankungen der Mund- und Rachenschleimhaut und treten bei Frauen häufiger auf als bei Männern. Auch familiäre Häufungen sind beschrieben. Die Ätiologie der Aphthen ist im Detail ungeklärt. Das klinische Bild der rekurrierenden Aphthose ist durch eine oberflächliche Mundschleimhautveränderung gekennzeichnet, die eher die nichtkeratinisierte Mukosa bevorzugt (Infobox 1, Abb. 1). Oft treten ein bis vier Aphthen gleichzeitig auf, die eine durchschnittliche Größe zwischen 2 und 10 mm Durchmesser aufweisen. Die Aphthen sind sieben bis zehn Tage präsent und zeigen davon circa fünf Tage erhebliche Schmerzhaftigkeit. Der klinische Verlauf einer oralen Aphthose ist durch folgende drei Phasen gekennzeichnet: Prodromalstadium mit Kribbeln, Spannungsgefühl, Brennen und Rauigkeit (bis zu 24 Stunden), präulzeröse Phase mit einem inflammatorischen Erythem und einer indurierten Papel (ein bis drei Tage) ulzeratives Stadium mit der fibrinbelegten Ulzeration und nachfolgender Abheilungsphase (4 bis 30 Tage). Aphthen der bukkalen Schleimhaut mit zirkulärem Erythem. Die meisten Aphthen in der Mundhöhle entsprechen der Minor-Form (Mikulicz-Typ) und verschwinden spontan bei fast immer narbenfreier Abheilung. × Diagnostik & Differenzialdiagnostik Eine differenzialdiagnostische Abklärung kann im Einzelfall schwierig sein; besonders Malignome und deren Vorstufen sowie reaktive Veränderungen der Mundschleimhaut sind abzugrenzen. Zur Prävention eines Mundhöhlenkarzinoms beziehungsweise zur möglichst frühen Diagnosesicherung ist die rechtzeitige Erkennung von Vorläuferläsionen (orale potenziell maligne Veränderungen nach WHO 2017) besonders wichtig, sodass engmaschige Verlaufskontrollen anzuraten sind. Auch gehen zahlreiche internistische Erkrankungen mit aphthoiden Erosionen oder Ulzerationen der Mundschleimhaut einher. Eine klinische Differenzierung zwischen Aphthen und heterogenen aphthoiden Erosionen und Ulzerationen ist meist schwierig. Bei großen, anhaltenden Läsionen ist eine weiterführende medizinische Diagnostik erforderlich, um gegebenenfalls alternative Ursachen zu erkennen, die eine Aphthose verursachen. Zugrunde liegende medizinische Erkrankungen oder eine bestehende neoplastische Vorläuferläsion beziehungsweise ein manifestes Malignom müssen insbesondere im Erwachsenenalter differenzialdiagnostisch immer ausgeschlossen werden. Auch sollten etwaige Malabsorptionsmangelzustände, Arzneimittelunverträglichkeiten oder systemische Erkrankungen berücksichtigt werden. Besteht der Verdacht auf eine hämatologische oder immunologische Erkrankung als Hintergrund einer aphthoiden Läsion sollte eine weiterführende internistische Diagnostik erfolgen. Lokal begrenzt auftretende ulzeröse Läsionen sollten anamnestisch und klinisch zunächst im Hinblick auf mögliche mechanische Ursachen, chemische oder thermische Irritationen oder lokale Einwirkung von Medikamenten zahnärztlich abgeklärt werden. Grundsätzlich muss bei unklaren aphthösen Mundschleimhautveränderungen, die nach einer Beobachtungszeit von zwei Wochen keine Rückbildungstendenz zeigen und die sich nicht eindeutig einer definierten Grundkrankheit oder Ursache zuführen lassen, eine histopathologische Abklärung zum Ausschluss eines Plattenepithelkarzinoms angestrebt werden. Behçet-Syndrom Bei rezidivierenden Aphthosen sollte an das Behçet-Syndrom, eine systemische Vaskulitis, gedacht werden. Das Behcet-Syndrom ist durch einen schubweisen Verlauf charakterisiert und kann neben der Mundschleimhaut auch andere Schleimhäute, Augen, Gelenke, Gefäße und die äußere Haut betreffen, ebenso das Nerven- und das gastrointestinale System [6]. Der Beginn der Erkrankung ist typischerweise in der dritten Lebensdekade; beide Geschlechter sind gleichhäufig betroffen. Der Befall der Mundschleimhaut und die Augenmanifestationen sind die häufigsten Symptome des Behçet-Syndroms. Aphthöse Ulzerationen in der Mundhöhle können bei etwa 95 Prozent der Patienten beobachtet werden, insbesondere im späteren Krankheitsverlauf. Kleinere Ulzera sind hauptsächlich im Lippenbereich, im Bereich der Gingiva, der Wangenschleimhaut und der Zunge lokalisiert und verschwinden typischerweise nach drei bis vier Tagen ohne Narbenbildung. Fatigue, Stress, histaminreiche Ernährung und eine kürzliche Beendigung des Tabakkonsums wurden als mögliche Trigger-Faktoren für die Ausbildung der Mundschleimhautulzerationen identifiziert. Bei Frauen ist ein Zusammenhang mit der Menstruation ebenfalls bekannt. Akneähnliche papulöse Läsionen in Gesicht und Halsbereich können bei etwa 85 Prozent der Patienten beobachtet werden und verschwinden spontan nach zwei bis drei Tagen ohne Narbenbildung. Ein Erythema nodosum ist seltener und betrifft hauptsächlich das weibliche Geschlecht. Als Folge der Abheilung kann eine Hyperpigmentierung zurückbleiben. Aufgrund der assoziierten Beschwerden ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität zu befürchten. Ein Zusammenhang zwischen auffälligen Mundschleimhautbefunden und einer Arthritis ist gesichert; ein Zusammenhang mit parenchymatösen, neurologischen oder gastrointestinalen Erkrankungen ist vergleichsweise selten. Therapie Die Therapie von Aphthen oder aphthoiden Läsionen ist symptomatisch ausgerichtet und beruht meist auf der topischen Anwendung von Antiseptika und Antiphlogistika wie zum Beispiel Tinctura myrrhae, chlorhexidinhaltigen Gelen, cortisonhaltigen Salben, Lokalanästhetika oder Antibiotika. Die systemische Therapie des Behcet-Syndroms fällt in das internistische Fachgebiet und richtet sich nach der Schwere der vorhandenen Organbeteiligungen. Liegt ein ausschließlicher Befall von Haut- und Schleimhäuten vor, erfolgt meist eine Behandlung mit niedrig dosiertem Cortison und/oder Kolchizin; bei schwereren Verläufen wird derzeit gegebenenfalls auf Azathioprin, Cyclosporin A oder Interferon-a-2a zurückgegriffen. Weißliche Veränderungen der Mundschleimhaut Weißliche Mundschleimhautveränderungen zeigen sich klinisch durch eine lokalisierte Verhornungstendenz, die mehr oder weniger homogen mit weiteren lokalisierten Strukturveränderungen wie Verlust des Oberflächenglanzes, teilweiser Verlust der Oberflächenintegrität (Erosion), Ulzerationen, Desquamation, Atrophien und Pigmentierung verbunden sein kann. Sie haben unterschiedliche Ursachen und spiegeln unterschiedliche histologische Veränderungen wider. So können oberflächliche (abwischbare) Auflagerungen (zum Beispiel Candidiasis, pseudomembranöse Variante), Verdickungen des Epithels ohne Verhornungstendenz (zum Beispiel orale Haarleukoplakie), Nekrosen des Oberflächenepithels (z. B. traumatische Läsionen, Morsicatio buccarum [Abb. 2], Verätzungen) und Verhornungsanomalien (z. B. Raucherkeratosen, OLP, Leukoplakien und vieles mehr) abgegrenzt werden. Am Zungenrand und auf Höhe der Interkalarlinie beziehungsweise im Planum buccale kann es zur Ausbildung einer strichartigen Morsicatio buccarum kommen. Diese ist durch weißliche Epithelablösungen gekennzeichnet. × Oraler Lichen planus Der OLP zählt zu den prämalignen Läsionen (orale potenziell maligne Veränderungen nach WHO 2017) und ist durch eine verhornte und erythematöse Struktur unterschiedlicher Ausprägung gekennzeichnet. Typisch sind die häufig netzförmigen weißen Striae, die sogenannte Wickham-Streifung (Abb. 3). Er kann aber auch mit papulären und Plaque-förmigen Veränderungen einhergehen. Der OLP ist eine chronische mukokutane Erkrankung, die im Randbereich der oralen Veränderung oft ein Erythem aufweist. Infolge der chronischen Entzündung findet sich klinisch häufig eine besondere Empfindlichkeit gegenüber sauren, scharfen und heißen Speisen sowie Schmerzen bei mechanischen Reizen, z. B. beim Zähneputzen. Erosion und Ulzeration können ebenfalls vorkommen, jedoch auch spontan abheilen. Orale lichenoide Läsionen (OLL) zählen ebenfalls zu den potenziell malignen Veränderungen. Die lichenoide Läsion ist mit zahnärztlichen Füllungsmaterialien, aber auch bestimmten Medikamenten assoziiert. Klinisch und histologisch sind der OLP und die lichenoide Läsion nicht sicher zu unterscheiden. Der OLP ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung der Mundschleimhaut mit charakteristischen schubweisen Verläufen. Während die Hautläsionen des Lichen planus oft selbstlimitierend sind, verbleiben die oralen Läsionen häufig chronisch-nichtremissiv und können zu erheblicher Morbidität führen. Der OLP kann den Ösophagus mitumfassen und zur Dysphagie führen. Typische Striae im Vestibulum: Die retikulären Läsionen sind oft asymptomatisch und erscheinen als multiple Papeln mit einem netzförmigen Muster weißlich-gräulicher schmaler Läsionen, die als Wickham-Streifung bezeichnet werden. In Abwesenheit dieses klassischen retikulären Musters kann es klinisch schwierig werden, allein mithilfe der Blickdiagnose den OLP zu diagnostizieren. In solchen Fällen ist eine histologische Diagnostik ratsam. × Epidemiologie und Ätiologie Die geschätzte Prävalenz des OLP bei Erwachsenen beträgt 0,5 bis 2 Prozent; Frauen sind etwa doppelt so oft betroffen. Oraler Lichen planus im Kindesalter ist eine Rarität und lediglich in Fallberichten dokumentiert. Die Ätiologie ist unbekannt. Genetische Polymorphismen einiger Entzündungsmediatoren wurden identifiziert, darunter die Promoter-Region des Interferon-g als bedeutsamer Risikofaktor, einen OLP zu entwickeln. Hingegen scheint eine erhöhte Frequenz der 308A-Tumor-Nekrose-Faktor(TNF)a-Allele zu zusätzlichen Hautveränderungen beizutragen. Auch psychische Faktoren scheinen bei der Entstehung des OLP von Bedeutung zu sein. Es gibt Hinweise, dass Patienten mit OLP überdurchschnittlich häufig an Angstzuständen, Depressionen und anderen psychischen Störungen leiden. Auch bevorzugte Exazerbationen des OLP in Phasen besonderer psychischer Belastung wurden beobachtet. Ein Zusammenhang mit traumatischen Schädigungen der Schleimhaut besteht nicht. Ebenso ist kein Zusammenhang mit weitverbreiteten internistischen Erkrankungen wie arterieller Hypertonie oder Diabetes mellitus bekannt. Interessanterweise besteht aber eine ätiologische Relation mit der Graft-versus-Host-Erkrankung nach allogener hämatopoetischer Stammzelltransplantation. Als Graft-versus-Host-Erkrankung wird eine zytotoxische Reaktion von implantierten beziehungsweise transfundierten Immunzellen gegen den Empfängerorganismus bezeichnet. Sie spielt besonders bei Knochenmarktransplantationen eine wichtige Rolle und tritt außerdem nach Transfusionen bei Kindern mit angeborenen Immundefekten auf. Zwischen 33 und 75 Prozent aller Patienten mit akuter Graft-versus-Host-Erkrankung entwickeln einen OLP. Es ist wahrscheinlich, dass beim OLP ähnliche immunologische Mechanismen der T-Zell-Antwort zur Basalmembranzerstörung und zur Keratinozytenapoptose über das Zytokin TNF-a vermittelt werden und die klinische Symptomatik erklären können. Lichenoide Reaktionen können sowohl von ausgewählten dentalen Werkstoffen ausgelöst werden, aber auch von häufig eingesetzten Arzneimitteln wie Antihypertensiva (zum Beispiel b-Blocker, Angiotensinkonversionsenzym[ACE]-Inhibitoren oder Diuretika), oralen Hypoglykämika, nichtsteroidalen antiinflammatorischen Substanzen (NSAID) sowie diversen Antibiotika hervorgerufen werden. Klinisch können folgende sechs Subtypen des OLP beschrieben werden, die entweder individuell oder in Kombination auftreten: retikulärer Typ, Plaque-Typ, atrophischer Typ, erosiver-ulzerativer Typ, papulärer Typ und bullöser Typ. Am häufigsten treten der retikuläre, erosive-ulzerative und der Plaque-Typ auf. Die Plaque-Form des OLP ähnelt differenzialdiagnostisch der Leukoplakie mit einer weißlichen, homogenen, meist leicht erhabenen multifokalen Läsion. Die Plaque-Form des OLP betrifft hauptsächlich die Zunge und die bukkale Mukosa; bullöse und papuläre Formen sind deutlich seltener im Mundschleimhautgebiet. Verlauf Die klinischen Zeichen und Symptome des OLP variieren erheblich; bei vielen Patienten ist der Verlauf zunächst eher schleichend, und die Patienten nehmen keinen genauen Krankheitsbeginn wahr. Eine zunehmende Rauigkeit im Mund, eine Sensibilitätszunahme der oralen Schleimhaut für heiße oder stark gewürzte Nahrungsmittel, ein Mundbrennen oder eine lokalisierte Schmerzwahrnehmung im Bereich der fleckigen, streifigen oder ulzerösen Mundschleimhautveränderung werden häufig berichtet. Typisch ist der schubweise Verlauf der Erkrankung, in dem sich Beschwerdebilder mit Phasen der Ruhe und Symptomlosigkeit mit wechselnden Beschwerden abwechseln. Im Anschluss an Erkrankungsphasen kann in Einzelfällen eine Pigmentierung der lichenoiden Läsionen zurückbleiben. Histopathologie Das histopathologische Bild des OLP umfasst die Degeneration der Basalzellen, Anhäufung von Kolloid sowie homogene Infiltrate mit Lymphozyten und Histiozyten in einem dichten bandförmigen Muster entlang der Grenze zwischen Epithel und Bindegewebe. Zytologisch findet sich eine normale Reifung des Epithels mit sägezahnartigen Kanten und einer Hyperkeratosis als Ortho- oder Parakeratosis. Zusätzlich kann das Oberflächenepithel Zeichen einer Erosion oder Ulzeration aufweisen (Abb. 4). Erosiver OLP am retromolaren Unterkiefer. Die erosive Form des OLP zeigt sich mit Erythem oder epithelialer Ausdünnung und Ulzerationen oder Pseudomembranbildung, wobei in der Peripherie der Läsion gelegentlich retikuläre Streifen erkennbar sind. Betroffene Patienten beklagen häufig eine besondere Empfindlichkeit gegenüber sauren, scharfen oder heißen Speisen sowie Schmerzen bei mechanischen Reizen. Das maligne Potenzial des OLP beträgt ca. 0,5 % pro Beobachtungsjahr. × Malignes Potenzial Das maligne Potenzial des OLP beträgt circa 0,5 Prozent pro Beobachtungsjahr. Mögliche Auswirkungen einer immunsuppressiven Therapie des OLP auf die maligne Transformation sind nicht bekannt. Interessant ist, dass etwa ein Drittel der Patienten mit einem Karzinom auf Basis eines OLP einen multifokalen Tumorbefund aufweist, also an zwei oder mehreren unabhängigen neoplastischen Erkrankungen litt. Aus histopathologischer Sicht handelt es sich bei den meisten Tumoren um hochdifferenzierte Plattenepithelkarzinome. Möglicherweise ist der erosive-ulzerative Lichen planus mit einem erhöhten Transformationsrisiko verbunden. × Auch Läsionen der Zunge, das weibliche Geschlecht und ein höheres Patientenalter könnten möglicherweise das Risiko der malignen Transformation erhöhen. Außerdem könnte eine Koerkrankung mit Candida-Spezies als Risikofaktor von Bedeutung sein und sollte entsprechend kausal therapiert werden. Diagnostik und Therapie Die Diagnose des OLP wird gewöhnlich mithilfe klinischer und histologischer Untersuchungen gestellt. Bei klassischem klinischen Bild kann eine Blickdiagnose allein ausreichend sein. Zusätzlich kann das weite Spektrum der OLL die Differenzialdiagnose erschweren. Sie umfassen Kontaktläsionen, mechanische Irritationen, Wechselwirkungen mit Medikamenten und ebenfalls die oben genannten lichenoiden Läsionen infolge einer Graft-versus-Host-Erkrankung. Die orale lichenoide Reaktion, ausgehend von Dentalwerkstoffen oder systemischen Medikamenten, lässt sich häufig erfolgreich dadurch behandeln, dass der entsprechende Werkstoff entfernt oder das Medikament gewechselt wird. Da für den OLP eine kausale Therapie nicht zur Verfügung steht, sind bei hohem klinischen Leidensdruck gegebenenfalls symptomatisch orientierte Therapien hilfreich. Immer sind potenzielle Reizfaktoren wie Tabakkonsum, insuffizienter Zahnersatz oder Alkoholkonsum auszuschließen. Die topische Anwendung von immunsuppressiv wirksamen Medikamenten kann in Einzelfällen hilfreich sein (zum Beispiel Triamcinolonacetonidsalbe als Goldstandard; höher potente Glukokortikoide und Cyclosporin A sowie Tacrolimus nur im „off label use“). Leukoplakie Als Leukoplakien werden „weiße, fleckförmige Veränderungen mit fraglichem Risiko definiert, wobei alle Erkrankungen oder Veränderungen ohne Karzinomrisiko ausgeschlossen werden müssen“. Die geschätzte Prävalenz für Leukoplakien in der Mundhöhle beträgt 1,5 bis 2,6 Prozent ohne Geschlechterbevorzugung. Gesicherte Risikofaktoren für die Entstehung von Leukoplakien sind identisch mit dem Mundhöhlenkarzinom und beinhalten Tabak-, Alkoholkonsum, Genuss von Betelnüssen, hohes Lebensalter und zusätzlich UV-Licht-Exposition bei Lippenläsionen. Klinisch gibt es verschiedene Formen der Leukoplakie: Die homogene Leukoplakie wird als eine flache und uniforme, weißliche, Plaque-artige Veränderung mit klar definierten Rändern beschrieben. Die inhomogenen Leukoplakien enthalten Irregularitäten wie Rötungen, Knoten- oder auch Warzenbildungen. Die proliferative verruköse Leukoplakie ist eine Untergruppe der nichthomogenen Leukoplakien; sie tritt häufig multifokal auf und zeigt sowohl zusammenhängende als auch nichtzusammenhängende Veränderungen der Mundschleimhaut. Die proliferative verruköse Leukoplakie tritt häufiger bei Frauen auf und ist typischerweise nicht mit Nikotinabusus assoziiert (Abb. 5). Homogene Leukoplakie mit scharfer Begrenzung im Mundboden. Die Risikofaktoren für die Entstehung von Leukoplakien sind identisch mit dem Mundhöhlenkarzinom und umfassen Tabak-, Alkoholkonsum, hohes Lebensalter und zusätzlich die UV-Licht-Exposition bei Lippenläsionen. × Diagnostik Leukoplakische Veränderungen werden bei einer klinischen Untersuchung der Mundhöhle als Blickdiagnose erstdiagnostiziert und anschließend bioptisch abgeklärt. Großflächige Leukoplakien oder proliferative verruköse Leukoplakien erfordern multiple Biopsien an unterschiedlichen Stellen der Veränderungen, um verschiedene Dysplasiegrade oder sogar ein Plattenepithelkarzinom zu diagnostizieren. Falls multiple Biopsien nicht konsequent durchgeführt werden, könnten schätzungsweise 10 bis 17 Prozent der Fälle übersehen werden. Daher sollte in solchen Fällen eine Exzisionsbiopsie, gegebenenfalls in Kombination mit Maßnahmen zur Weichgeweberekonstruktion, erwogen werden ( Abb. 6). Inhomogene, multifokale Leukoplakie an der Zungenunterseite und an der Wangenschleimhaut. Im Gegensatz zu den homogenen Leukoplakien weisen inhomogene Leukoplakien ein deutlich gesteigertes Transformationsrisiko auf (20 bis 25 Prozent), sodass die chirurgische Behandlung indiziert ist. × Maligne Transformation Der Übergang einer Leukoplakie zum Malignom steht mit dem klinischen Erscheinungsbild der Leukoplakie im Zusammenhang: Homogene Leukoplakien gehen mit einem deutlich geringeren Transformationsrisiko (0,6 bis 5 Prozent) im Vergleich zu den inhomogenen Fällen (20 bis 25 Prozent) einher. Die proliferative verruköse Leukoplakie ist die aggressivste Entität mit einer Transformationsrate von 61 Prozent in einer Beobachtungszeit von etwa sieben Jahren und einer Mortalitätsrate jenseits von 40 Prozent. Dysplasien und Malignisierungen werden häufiger an der ventralen Zunge, am Mundboden und am Weichgaumen beobachtet. Größere Läsionen (>200 mm2) haben ein um den Faktor fünf erhöhtes Transformationsrisiko im Vergleich zu kleineren, sodass eine frühzeitige Exzision indiziert ist. Die maligne Transformation einer Leukoplakie wird als kontinuierlicher Prozess ausgehend von einer Hyperkeratose oder Hyperplasie über verschiedene Grade einer Dysplasie in ein Carcinoma in situ oder invasives orales Karzinom angesehen. Dysplastische Anteile führen zum Risikoanstieg der malignen Transformation. Die biologischen Vorgänge vom dysplastischen Wachstum bis zum invasiven Karzinom sind nicht abschließend verstanden. Die molekularen Faktoren, die zur Krankheitsentstehung und zur Progression beitragen, sind unbekannt, obwohl sie möglicherweise interessante Kandidaten für eine gezielte Therapie des Mundhöhlenkarzinoms darstellen. Die Identifizierung von risikoanzeigenden Genen zur malignen Transformation könnte für eine individuelle Risikostratifizierung und personalisierte Therapieentscheidungen bedeutsam werden. Leukoplakische Dysplasien sind mit einer Malignisierungsrate von 5 bis 36 Prozent verbunden. Mit dem Fortschreiten der Dysplasie zum invasiven Karzinom ist eine schrittweise Anhäufung von genetischen und epigenetischen Veränderungen verbunden (zum Beispiel somatische Genmutationen und DNA-Doppelstrangbrüche). Weitere molekulare Veränderungen sind mit charakteristischen chromosomalen Instabilitäten assoziiert, wie dem Verlust der Heterozygotie, einer DNA-Aneuploidie und einer Dysfunktion der Telomerase, die allesamt mit malignen Transformationen einhergehen. Andere Untersuchungen zeigten, dass die Telomeraseaktivität mit zunehmender Dysplasie hochreguliert wird, und legten somit eine bedeutsame Rolle der Telomerase für die Karzinogenese nahe. Auch die DNA-Hypermethylierung wurde in sowohl oralen Dysplasien als auch in Frühstadien des Plattenepithelkarzinoms mit veränderter Expression von miRNA beobachtet. Daten aus praeklinischen Studien zeigen, dass Prozesse der Immunmodulation ebenfalls an der oralen Karzinogenese beteiligt sind. Potenzielle Therapie- Strategien Mit der Beobachtung der Wirksamkeit von Checkpoint-Inhibitoren gegen die Achse des „programmed cell death protein 1“ (PD-1) bei fortgeschrittenen Mundhöhlenkarzinomen stiegen auch das Interesse und die Bedeutung der Anti-PD-1-Therapie bei frühen Mundhöhlenkarzinomen und zur Krebsprävention. In einer Untersuchung von Yagyuu et al. aus dem Jahr 2017 konnte gezeigt werden, dass etwa 50 Prozent der „High-grade“-Leukoplakien den PD-L1-Liganden exprimierten. Darüber hinaus waren die PD-L1-Positivität und die Zahl der CD-8-positiven T-Zellen signifikant mit dem Dysplasiegrad assoziiert. Diese Beobachtungen legen nahe, dass eine Suppression der Antitumorimmunität durch die Erhöhung der PD-L1-Expression in leukoplakischen Läsionen die Entwicklung zum Mundhöhlenkarzinom unterstützen könnte. Formen Die Leukoplakie tritt in unterschiedlichen Formen auf, wobei der weiße Fleck der Mundschleimhaut einer üblicherweise homogenen Leukoplakie entspricht. Oft erscheint die weißliche Verhornung des Epithels gefeldert oder bimssteinartig gefurcht. Leukoplakien sind typischerweise schmerzlos und können an jeder Stelle der Mundschleimhaut vorkommen. Eine seltene, jedoch besonders aggressive Form der Leukoplakie ist die proliferative verruköse Leukoplakie, die insbesondere bei Frauen zu finden ist und ein höheres Transformationsrisiko aufweist. Während die Leukoplakie oft mit dem Tabakkonsum verbunden ist und sich zurückbilden kann, wenn die Patienten mit dem Rauchen aufhören, ist die proliferative verruköse Leukoplakie nicht tabakassoziiert (Abb. 7). × Plattenepithelkarzinom Das Plattenepithelkarzinom kann sich in phänotypisch verschiedenen Formen manifestieren. Es erscheint im Frühstadium oft als kleine, häufig harmlos aussehende Veränderung und ist charakterisiert durch Induration, Erosion, Ulzeration, Erythem oder weißliche hyperkeratotische Bereiche. Aufgrund der Variabilität der klinischen Zeichen und Symptome können Fehldiagnosen trotz klinischer Erfahrung nicht immer ausgeschlossen werden. Von besonderer Bedeutung ist, dass circa 10 bis 20 Prozent aller Plattenepithelkarzinome aus einer bestehenden Präkanzerose, oft einer oralen Leukoplakie, entstehen. Das heißt, dass sich bis zu 80 Prozent der oralen Karzinome ohne entsprechende Vorzeichen aus der klinisch normal erscheinenden Mundschleimhaut entwickeln. Prädilektionsstellen sind der laterale Zungenrand, der Mundboden und die Unterzungenseite. Weniger häufig sind die Alveolarmukosa, die Wangenschleimhaut, der Gaumen und das Trigonum retromolare betroffen. Der Hartgaumen und der Zungenrücken sind Lokalisationen mit dem geringsten Risiko. Diagnose- und Therapiestandards des Mundhöhlenkarzinoms sind in der entsprechenden Leitlinie umfassend dargestellt; bei Tumorverdacht sollte umgehend eine Vorstellung in einem fachübergreifenden Behandlungszentrum erfolgen. Literatur beim Autor Korrespondenz: Prof. Dr. Dr. Franz-Josef Kramer, Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie Universitätsklinikum Bonn Mail: franz-josef.kramer@ukbonn.de Der Originalartikel ist erschienen in der Zeitschrift „Der Freie Zahnarzt“, 10/2020, DOI: 10.1007/s12614-020-9413-8 © Springer Medizin Verlag

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