Ende November lädt die Österreichische Gesellschaft für Implantologie (ÖGI) zur Jahrestagung in die Universitätszahnklinik Wien. Im Interview mit dem Zahn Arzt spricht Assoz. Prof. Priv.-Doz. DDr. Michael Payer, Vorstandsmitglied und Past-Präsident der ÖGI, über praktische Aspekte und was die Zukunft für Implantologinnen und Implantologen bereithält.
Die diesjährige ÖGI-Jahrestagung hat das Komplikationsmanagement zum Motto. Von welchen Komplikationen sprechen wir hier?
Payer: In der Implantologie sind wir mit einer Vielzahl an möglichen Komplikationen konfrontiert, die sich über alle Phasen des implantattherapeutischen Behandlungsvorganges erstrecken.
Ein korrektes und zeitgerechtes Management ist also ausgesprochen wichtig. In der chirurgischen Phase kann es zum Beispiel zu Blutungen, Problemen beim Trockenaufbau oder Perforationen in den Nasennebenhöhlen im Zuge eines Sinuslifts kommen. Postoperativ sind wir mit Nachblutungen und Infektionen konfrontiert. Auch technischen Problemen wie der Lockerung von Schrauben und Schraubkomponenten sowie Schraubfrakturen begegnen wir in der klinischen Praxis und müssen adäquat reagieren. Nicht zuletzt sind biologische Komplikationen zu berücksichtigen, bei deren Vorbeugung und Behandlung das gesamte Team miteingebunden ist und zu denen ich auf der Jahrestagung auch einen Vortrag halten werde.
Ein teilweise vernachlässigter Faktor, der sich erheblich auf den Behandlungserfolg auswirkt, ist es Patientinnen und Patientinnen regelmäßig zu Recall-Besuchen einzubestellen und hinsichtlich der Eigenhygiene und Früherkennung von Mukositis und Periimplantitis zu schulen. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass sämtliche der eben genannten Probleme unbehandelt zu einem Verlust des Implantates führen können – mit all seinen Folgen. Der Bogen im Komplikationsmanagement spannt sich wie gesagt über die gesamte Behandlungsphase. Und genau das ist es, was die diesjährige Jahrestagung so spannend macht. Schöne Fälle zeigt jeder, aber ich finde es sehr lehrreich, wenn man sieht, was auch schief gehen kann.
Unterscheidet sich das Komplikationsrisiko zwischen Sofort- und konventioneller Implantation?
Payer: Es gibt bestimmte Indikationen, wo eine Sofortimplantation indiziert und auch gut mit Daten unterlegt ist. Sofortimplantation und Sofortversorgung erfordern jedoch eine gewisse Erfahrung des Behandlungsteams, da man beim ersten Eingriff relativ viel in einem Behandlungsschritt unterbringen muss. Generell treten Komplikationen bei Risikopatienten häufiger auf. Dazu gehören etwa Patientinnen und Patienten mit dünner bukkaler Knochenlamelle im Oberkieferfrontbereich oder dünnen Weichgewebsverhältnissen. Eine Zahnentfernung stößt gewisse Umbauvorgänge an, die unter anderem Einfluss die Knochenresorption nehmen. Das kann die Einheilung des Implantats verzögern oder aus ästhetischer Sicht relevant sein.
Beeinflussen Art und Material des Implantats das Entzündungsrisiko?
Payer: Titan ist nach wie vor das Implantatmaterial der Wahl, ganz einfach deshalb, weil wir auf viele Jahre Erfahrung und Langzeitdaten zurückgreifen können. Keramik ist zwar ein faszinierender Werkstoff, hier befinden wir uns aber noch ziemlich am Anfang.
Keramik ist zwar ein faszinierender Werkstoff, hier befinden wir uns aber noch ziemlich am Anfang der Datenlage. Erste Studien mit modernen Keramik-Implantaten der jüngeren Generation aus Zirkonoxid zeigen positive Ergebnisse. Der Werkstoff erfüllt viele Anforderungen für den klinischen Einsatz. Zurzeit haben wir in Graz eine multizentrische Studie mit zwei Schweizer Universitäten am Laufen, wo wir mit Keramik-Implantaten sehr schöne 1-Jahres-Ergebnisse an rund 120 Patientinnen und Patienten erzielen konnten. Wie eingangs erwähnt ist es momentan zu früh, um von einem vergleichbaren Material zu sprechen.
Zu Titan haben wir Langzeitdaten von über 20 Jahren. Diese fehlen bei Keramik schlichtweg, ein wesentlicher Grund, wieso Keramik-Implantate von unserer Seite derzeit nicht aktiv beworben werden. Wir haben sie zwar im Portfolio und können sie nach entsprechender Aufklärung anbieten, wenn Patienten sich konkret danach erkundigen. Die Entscheidung für den Einsatz ist jedoch primär eine Patientenwunsch getriggerte.
Periimplantitiden verlaufen oft schmerzlos und erfordern eine regelmäßige Nachsorge. Welche Möglichkeiten der Prävention und Therapie stehen zur Verfügung?
Payer: Die Prävention von Periimplantitiden beginnt schon bei der Auswahl und Vorbehandlung. Wir wissen, dass Patientinnen und Patienten mit positiver Parodontitis-Anamnese ein höheres Risiko für periimplantäre Entzündungen haben. Aktive Entzündungen wie aktive Parodontitis, akut infizierte Zahnfleischtaschen etc. müssen daher schon vor der Implantation präventiv behandelt werden. Es ist essenziell, dass unsere Patientinnen und Patienten parodontal gesund sind, bevor wir das Implantat setzen. Doch selbst wenn keine aktive Parodontitis oder akut infizierten Zahnfleischtaschen vorliegen, ist das periimplantäre Risiko erhöht. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Risikokeime nach wie vor vorhanden sind und sich nach der Implantation an das Implantat anheften und Infektionen verursachen.
Ein weiterer Faktor ist die Planungsphase, wo wir uns mit der exakten Positionierung der Implantate nach biologischen Gesichtspunkten beschäftigen. Diese dürfen nicht zu tief, zu seicht oder schräg sitzen, damit die Techniker schöne Konstruktionen (Kronen, Brückensäulen usw.) erstellen können, welche die Patientinnen und Patienten gut reinigen können. Ist das Implantat gesetzt, gilt es die Patienten – je nach Risikoprofil – proaktiv zu Recall-Besuchen einzubestellen, wo sie untersucht und hinsichtlich Mund- und Zahnzwischenraumhygiene instruiert werden. Die Eigenmotivation ist ein bedeutender und nicht zu unterschätzender Punkt der periimplantären Prophylaxe.
Wie häufig sind periimplantäre Entzündungen in der klinischen Praxis?
Payer: Periimplantäre Entzündungen treten relativ häufig auf. Die Inzidenz der Perimukositis, ist, je nachdem welche Studie man heranzieht, über einen Zeitraum von zehn Jahren bei 30 bis 40 Prozent anzusiedeln. Bei der Periimplantitis sind es je nach Arbeitsgruppe 10 bis 20 Prozent in zehn Jahren, also definitiv etwas, womit wir uns als Behandlerinnen und Behandler auseinandersetzen müssen. Wir wissen, dass eine nichtbehandelte perimplantäre Mukositis oft in eine Periimplantitis übergeht. Diese Vorstufe bietet uns die Gelegenheit, frühzeitig korrigierend einzugreifen. Wenn wir Implantat-Therapie anbieten möchten, brauchen wir ein Konzept zur Prophylaxe, Diagnose, Behandlung und Nachsorge periimplantärer Entzündungen. Das periimplantäre Management ist aus diesem Grund fest im Curriculum der Universitäten verankert.
Kann man die Heilungsdauer noch auf andere Weise positiv beeinflussen? Stichwort: Biomaterialien
Payer: Biomaterialien werden in der implantatprothetischen Versorgung trotz begrenzter Evidenz breit eingesetzt. Daten aus kleineren Untersuchungen zeigen, dass sie bestimmte Heilungsvorgänge in der primären und rekonstruktiven Chirurgie positiv beeinflussen. Zurzeit betreue ich eine Dissertation zu diesem Thema, wo wir allerdings keine hochsignifikanten Verbesserungen beobachten konnten. Biomaterialien sind nur ein kleiner Baustein, den man verwenden kann, aber sicher keine Pauschallösung.
Welche Behandlungsoptionen gibt es nach einem Implantatversagen?
Payer: Ein Implantatversagen ist nichts Außernatürliches. Wir entfernen durchaus regelmäßig Implantate und kümmern uns um die weitere Versorgung der Patienten. Wichtig ist, dass man die Extraktion so minimalinvasiv wie möglich durchführt und den Knochen anschließend augmentiert. Je nach verwendeter Konstruktion bedeutet „Implantatversagen“ zudem nicht zwingend einen Totalverlust. Gleichwohl sind die Erfolgsraten beim zweiten und dritten Durchgang geringer als beim ersten, was unterstreicht, dass wir alles unternehmen müssen, um gar nicht in die zweite bzw. dritte Runde gehen zu müssen.
Wie hoch ist die Erfolgsrate einer Re-Implantation?
Payer: Das Implantatüberleben bewegt sich nach zehn Jahren zwischen 90 und 100 Prozent. Nach 20 Jahren sind es bei Rotationsimplantaten rund 90 Prozent, bei Blattimplantaten 70 Prozent. Ist eine Re-Implantation notwendig liegt die Erfolgsquote doch signifikant unter diesen Werten.
Welchen Stellenwert haben Digitalisierung und virtuelle Planungsverfahren in der Implantologie?
Payer: Digitalisierung ist ein Prozess, der sich durch alle Lebensbereiche zieht und mittlerweile auch die Zahnmedizin erreicht hat. Technik und Chirurgie arbeiten immer enger zusammen. Die digitale Implantologie erlaubt es uns, intraossäre Parameter und die Zahnpositionen bereits vor dem Einsetzen der Implantate mit 3D-Gesichts- und intraoralen Scans zu erfassen. Die Techniker können anhand dieses Modells Präzisionsschablonen anfertigen. Das erleichtert das exakte Einsetzen der Implantate. Wo es noch hapert, ist die Kommunikation zwischen den einzelnen verfügbaren Systemen. Darüber hinaus ist auch Robotik ein Aspekt, der vermehrt Einzug in die Implantologie hält.
Wenn Sie in die Zukunft blicken: Wo sehen Sie die Implantologie in zehn Jahren?
Payer: Ich glaube, der Wunsch geht ganz klar in die Richtung, dass wir mit minimalinvasiven Techniken unterstützt durch gute Planung, Diagnostik, Positionierung und Fertigung sehr präzise und sicher arbeiten können. Bezüglich Diagnostik wird sicherlich künstliche Intelligenz vermehrt in bildgebende Verfahren eingebunden werden.
Ich kann mir auch vorstellen, dass uns Algorithmen bei gewissen Planungsschritten und Behandlungsvorschlägen unter die Arme greifen. Gerade deshalb bedarf es einer profunden Ausbildung und Erlernens dieses wirklich faszinierenden handwerklichen Berufs, damit man selbst die Kontrolle behält und bei diversen Komplikationen korrigierend eingreifen kann. Denn je solider die Ausbildung, umso besser kann man diese neuen Technologien auch einsetzen.