Skip to main content
Ärzte Woche

31.01.2022 | Zahnmedizin

Wenn die Spucke wegbleibt

verfasst von: Alexandra Wolf

print
DRUCKEN
insite
SUCHEN

Mundtrockenheit ist eine häufige Erscheinung, die durch Autoimmunerkrankungen, Radiotherapie, aber auch als Nebenwirkung vieler Medikamente ausgelöst werden kann. Ihre Prävalenz ist bei Senioren, die oftmals mehrere Medikamente einnehmen, am höchsten. Aufgrund der demografischen Entwicklung sind neben Zahnärzte auch Allgemeinmediziner zunehmend mit dieser Störung konfrontiert.

Wer kennt das nicht – man steht im Rampenlicht vor einem großen Publikum, die Nervosität steigt, man möchte anfangen zu reden, doch plötzlich fühlt sich im Mund alles staubtrocken an und die Zunge scheint am Gaumen festzukleben. Mit einem Schluck Wasser ist dem meist abgeholfen, und es spricht und schluckt sich wieder besser. Dieses Symptom der Mundtrockenheit ist für viele Menschen eine tägliche Qual. Vor allem ältere Patienten leiden sehr darunter.

Physiologie des Speichels


Die größten Speichelproduzenten unseres Körpers sind die Glandula submandibularis, Glandula parotis, Glandula sublingualis sowie kleinere Speicheldrüsen. Gesteuert durch das vegetative Nervensystem produzieren sie bei einem gesunden Menschen täglich circa 1 bis 1,5 Liter Speichel. Der Speichelfluss kann unter anderem durch die Kautätigkeit, Geschmackssinne, Gerüche, aber auch durch Emotionen, Psyche und Umweltfaktoren stimuliert werden. Jedoch unterliegt die Menge tageszeitlichen Schwankungen.

Obwohl die Flüssigkeit zu 99 Prozent aus Wasser besteht, machen die übrigen Bestandteile den Speichel zu einem wahren Multitalent. Neben zahlreichen Proteinen, Elektrolyten und Verdauungsenzymen wie der alpha-Amylase konnten auch immunologische Substanzen wie Lactoferrin, Lysozym, Peroxidasen und sekretorisches Immunglobulin A (sIgA) nachgewiesen werden. Anhand dieser vielfältigen Inhaltsstoffe lässt sich ableiten, dass der Speichel zahlreiche Aufgaben erfüllt.

Neben der Befeuchtung aller Schleimhäute, wodurch erst das Schlucken und Sprechen ermöglicht wird, hat er eine reinigende und auch abwehrende Wirkung gegen Mikroorganismen. Hinzu kommen die beginnende Verdauung von kohlenhydrathaltiger Nahrung, eine Remineralisierung der Zahnhartsubstanz und die Pufferung von Nahrungsmittelsäuren. Speichel spielt daher eine wichtige Rolle für die Zahnerhaltung. Umso gravierender sind die Folgen, wenn die Produktion eingeschränkt ist.

Xerostomie oder Hyposalivation


Mundtrockenheit wird untergliedert in die Fachbegriffe Xerostomie und Hyposalivation. Xerostomie wird als eine subjektiv empfundene Trockenheit der Mundhöhle definiert, wohingegen es sich bei der Hyposalivation um eine objektivierbare Mundtrockenheit handelt. Ein gesunder Patient erreicht in Ruhe Speichelproduktionswerte von 0,3 ml/min und bei Stimulation von 1,5 ml/min. Bei einer Speichelsekretionsrate von < 0,1 ml/min im unstimulierten Bereich und von < 0,5 ml/min im stimulierten Bereich liegt eine Hyposalivation vor.

Die Ursachen von Xerostomie können vielfältig sein. Schon trockene Luft, Mundatmung beispielsweise bei Schnupfen, zu wenig Trinken oder Schnarchen bewirken ein Austrocknen der Mundhöhle. Auch morgens nach dem Aufwachen erleben viele Menschen das Gefühl der Mundtrockenheit, da physiologisch im Schlaf weniger Speichel produziert wird. Ferner können sich Rauschmittel wie Heroin, Ecstasy und Cannabis, ein übermäßiger Alkoholgenuss oder auch extremes Rauchen negativ auf die Speichelproduktion auswirken.

Bei Frauen in der Menopause können Veränderungen des Hormonspiegels an den Hormonrezeptoren in der oralen Mukosa zu Mundtrockenheit und Schleimhautschmerzen führen.

Es gibt allerdings auch zahlreiche Erkrankungen, die mit Mundtrockenheit assoziiert sind. Sialadenitiden können durch bakterielle und virale Infektionen wie Mumps oder Cytomegalie (CMV) ausgelöst werden. Aber auch Sialolithiasis oder Sialodochitis behindern den Abfluss des Speichels. Weiterhin gehen Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes, Lupus erythematodes, HIV-assoziierte Infektionen und das Sjögren-Syndrom mit einer Entzündung von Speichel- und Tränendrüsen einher. Auch Karzinombildungen und deren Behandlung durch Chemotherapeutika oder Bestrahlungen im Kopf-Hals-Bereich können eine Ursache der Speicheldrüsendysfunktion sein.

Man geht davon aus, dass fast 25 Prozent der Bevölkerung an Mundtrockenheit leiden, darunter vor allem Frauen. Bei den über 65-Jährigen ist fast jeder Zweite betroffen. In Anbetracht des demografischen Wandels ist zukünftig von einer steigenden Erkrankungsrate auszugehen. Eine große Rolle für die Häufigkeit bei den Senioren spielt die regelmäßige Einnahme von Medikamenten. Mehr als 400 Medikamente führen Mundtrockenheit als Nebenwirkung auf. Vor allem Antihypertensiva, Antiepileptika, Antihistaminika, Antiemetika, Analgetika, Psychopharmaka sowie Sedativa und Opioide gehen mit Xerostomie einher.

Typische Symptome


Im Rahmen der zahnärztlichen bzw. allgemeinmedizinischen sowie fachärztlichen Untersuchung können typische Symptome auf die Prävalenz einer Mundtrockenheit hinweisen. Bei den betroffenen Patienten erscheint der Speichel meist trüber und ist sehr zäh. Zudem deuten farbliche Veränderungen von weißlich bis gelblich-braun auf einen verminderten Speichelfluss hin. Bei der Trockenlegung während zahnärztlicher Behandlungen etwa zeigt sich eine verringerte oder fehlende Speichelansammlung im Mundboden und die Schleimhäute wirken klinisch matt und glanzlos. Außerdem lassen sich Läsionen in der Schleimhaut, eingerissene Lippen und Mundwinkelrhagaden erkennen. Eine stark gerötete Zunge und tiefe Fissuren können bei den Betroffenen auftreten.

Aufklärung und Behandlung


Es ist wichtig, dass der Patient über die Ätiologie der Mundtrockenheit und daraus entstehende Risiken aufgeklärt wird. Besonders die Gefahr, an Karies oder Infektionen der Mundschleimhaut zu erkranken, ist hoch. Gerade bei älteren Patienten ist eine richtige Ernährungslenkung angeraten. Die Betroffenen besitzen häufig umfangreiche prothetische Restaurationen und neigen aufgrund der Mundtrockenheit dazu, weiche, klebrige und breiartige Kost zu bevorzugen, da diese leichter geschluckt werden kann. Über das daraus resultierende erhöhte Kariespotenzial an noch vorhandenen natürlichen Zähnen sind sie sich nicht bewusst. Daher sollten diese Patientengruppen in ein engmaschiges Recall aus Vorsorgeuntersuchungen und Prophylaxesitzungen aufgenommen werden. Aufgrund der eingeschränkten Feinmotorik älterer Menschen ist die häusliche Mundhygiene mit einer elektrischen Zahnbürste anzuraten.

Weiterführend sollten Betroffene zur Förderung der Remineralisation des Zahnschmelzes wöchentlich ein Fluoridgelkonzentrat anwenden, beispielsweise durch individuell angefertigte Fluoridierungsschienen. Ferner kann auch eine Dosisreduktion oder Umstellung von mit Mundtrockenheit assoziierten Medikamenten ratsam sein. Es gibt allerdings auch ein paar Hausmittel, die für Abhilfe sorgen können. In Akutfällen hilft eine Befeuchtung der Schleimhäute durch Wasser, Öl oder Milch als auch ein Umspülen der Mundhöhle mit schwarzem oder grünem Tee gegen das trockene Gefühl. Dabei ist sogar erwiesen, dass schwarzer Tee aufgrund seines Fluoridgehalts und grüner Tee dank einer Minderung von kariogenen Mikroorganismen kariesprotektiv wirken.

Zusätzlich können das Lutschen von sauren Bonbons sowie das Kauen von zuckerfreien Kaugummis oder faserreicher Nahrung den Speichelfluss anregen. Beim Verzehr von säurehaltigen Nahrungsmitteln sollte jedoch beachtet werden, dass dadurch Erosionen und Demineralisationen an bleibenden Zähnen ausgelöst werden können.

Um die Symptome der Xerostomie zu lindern, kann auch die Behandlung mit Speichelersatzmitteln sinnvoll sein. Diese können jedoch, wie auch die lokal wirkenden Stimulanzien, nur bei einer Restaktivität der Speicheldrüsen angewendet werden. Deren Basisstoff besteht aus Carboxymethylzellulose oder tierischem Muzin mit Zusätzen von Kalzium, Phosphat, Sorbitol und weiteren Bestandteile. Auf dem Markt sind beispielsweise miradent Aquamed® Lutschtabletten, GUM® Hydral® Feuchtigkeitsgel und Dry Mouth Gel von GC für die Patienten erhältlich. Diese Ersatzmittel unterscheiden sich jedoch in Bezug auf pH-Wert, Viskosität, Enzyme und diverse anorganische Stoffe vom natürlichen Speichel.

Darüber hinaus sollten die Ess- und Trinkgewohnheiten der Patienten erfragt werden. Oft kann man auch mit ausreichender Flüssigkeitszufuhr und abwechslungsreichen, wenig scharf gewürzten Speisen einer Austrocknung entgegenwirken.

Der Originalartikel inklusive Literaturangaben ist erschienen in „WIR in der Praxis, 1/19“ sowie „der junge zahnarzt 6/2021“DOI https://doi.org/10.1007/s13279-021-0779-z, © Springer Medizin

Metadaten
Titel
Wenn die Spucke wegbleibt
Publikationsdatum
31.01.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 5/2022

Weitere Artikel der Ausgabe 5/2022