Skip to main content
Erschienen in: Journal für Klinische Endokrinologie und Stoffwechsel 2/2020

Open Access 01.06.2020 | Aktuelles

Wirkung von Medikamenten auf die Schilddrüse

verfasst von: Univ.-Prof. Dr. Michael Weissel

Erschienen in: Journal für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel | Ausgabe 2/2020

download
DOWNLOAD
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Die Liste der Medikamente, von denen eine Beeinflussung der Funktion der Schilddrüse oder der Interpretation der üblichen Labor-Diagnostik der Schilddrüse bekannt ist, steigt in letzter Zeit – vor allem seit Einführung neuer Medikamente in der Onkologie. Schon vor einiger Zeit hat die Wiener Gruppe um Zielinski [1] beobachtet, dass bei einer Therapie mit Tyrosinkinase-Inhibitoren eine Beeinflussung der Schilddrüsenfunktion sogar mit einem besseren Ansprechen auf die Therapie korreliert. Ganz rezent haben Kotwal et al. 2020 von der Mayo-Klinik die durch Checkpoint-Inhibitoren induzierte Immunthyreoiditis sogar als Biomarker der Anti-Tumor-Immunantwort bezeichnet [2]. Die Bedeutung der Nebenwirkungen auf die Schilddrüse ist also nicht nur für den Thyreologen, sondern auch für den Onkologen von Interesse.
Tab. 1, die in Anlehnung an einen 2019 prominent publizierten Übersichtsartikel von Burch [3] erstellt wurde, zählt die Medikamente auf, die die endogene Funktion der Schilddrüse beeinflussen. Zusätzlich werden in dieser Tabelle die Klassifizierung des jeweiligen Medikamentes, die Art der von diesem ausgelösten Störung der Funktion der Schilddrüse sowie von Burch vorgeschlagene Kontrolltermine angegeben.
Tab. 1
Medikamente, die die endogene Schilddrüsenfunktion beeinflussen (nach Burch [3])
1a: Medikamente, die die Kontrolle der Hypothalamus-Hypophysen-Achse stören
Medikament
Klassifizierung
Art der Störung
Vorgeschlagene Kontrolltermine
Ipilimumab, Tremelimumab
Anti-CTLA‑4, Immuncheckpoint-Inhibitor
Hypophysitis
Monatlich oder mit jedem Zyklus
Bexaroten
Retinoid
Zentrale Hypothyreose
Monatlich
Mitotan
Adrenolytisches Agens (gegen NN-Ca)
TSH-Suppression
Alle 3 Monate
Dexamethason, Hydrocortison, Methylprednisolon
Glukokortikoid
TRH-/TSH-Suppression
Keine oder monatlich
Bromocriptin
Dopaminagonist
TSH-Suppression
Keine oder 1 × pro Jahr
Metformin
Biguanid
TSH-Suppression
Keine oder 1 × pro Jahr
Metyrapon
11-β-Hydroxylase-Inhibitor
TSH-Anstieg
Keine oder 1 × pro Jahr
Octreotid
Somatostatinanalogikum
TSH-Suppression
Keine oder 1 × pro Jahr
1b: Medikamente, die die Produktion oder Freisetzung der Schilddrüsenhormone vermindern
Medikament
Klassifizierung
Art der Störung
Vorgeschlagene Kontrolltermine
Jod-Kontrastmittel oder Seetang
Mikronährstoff (Nahrungsergänzunsmittel)
Verminderung der Synthese
Keine oder alle 3 Monate
Lithium
Element
Verminderung der Freisetzung
Alle 3 Monate
Amiodaron
Klasse-3-Antiarrhythmikum
Verminderung der Synthese
Alle 6 Monate
1c: Medikamente, die die Produktion oder Freisetzung der Schilddrüsenhormone erhöhen
Medikament
Klassifizierung
Art der Störung
Vorgeschlagene Kontrolltermine
Amiodaron
Klasse 3 Antiarrhythmikum
Jod-induzierte Hyperthyreose
Alle 6 Monate
Jod-Kontrastmittel oder Seetang
Mikronährstoff
Jod-induzierte Hyperthyreose
Keine oder alle 3 Monate
1d: Medikamente, die die Autoimmunität der Schilddrüse erhöhen
Medikament
Klassifizierung
Art der Störung
Vorgeschlagene Kontrolltermine
Alemtuzumab (gegen Multiple Sklerose)
Anti-CD52
Neue TSH-Rezeptor-Antikörper
Alle 6 Monate
Hochaktive antiretrovirale Therapie
Anti-HIV
Immunrekonstitution
Alle 6 Monate
1e: Medikamente, die eine destruktive Thyreoiditis auslösen
Medikament
Klassifizierung
Art der Störung
Vorgeschlagene Kontrolltermine
Amiodaron
Klasse 3 Antiarrhythmikum
Direkte Zelltoxizität
Alle 3 oder 6 Monate
Nivolumab, Pembrolizumab
Anti-PD-1-(Immun-Checkpoint‑)Inhibitor
Immunthyreoiditis
Monatlich oder mit jedem Zyklus
Atezolizumab, Avelumab
Anti-PD-L(igand)1-Inhibitor
Immunthyreoiditis
Monatlich oder mit jedem Zyklus
Sunitinib, Sorafenib
Tyrosinkinase-Inhibitor
Immunthyreoiditis
Alle 3 Monate
Interferon alpha
Zytokin
Immunthyreoiditis
Alle 6 Monate
Interleukin‑2
Zytokin
Immunthyreoiditis
Alle 6 Monate
1f: Medikamente, die die Bindungsproteine der Schilddrüsenhormone und deren Messung beeinflussen
Medikament
Klassifizierung
Art der Störung
Vorgeschlagene Kontrolltermine
Orale Östrogene
Sexualhormon
Erhöhung des TBG
Keine
5‑Fluoruracil
Antimetabolit
Erhöhung des TBG
Keine
Orales Androgen
Sexualhormon
Erniedrigung des TBG
Keine
Raloxifen
Selektiver Östrogenrezeptor-Modulator
Erhöhung des TBG
Keine
Tamoxifen
Selektiver Östrogenrezeptor-Modulator
Erhöhung des TBG
Keine
1g: Medikamente, die die Konversion T4 zu T3 hemmen
Medikament
Klassifizierung
Art der Störung
Vorgeschlagene Kontrolltermine
Amiodaron
Klasse 3 Antiarrhythmikum
Hohes T4, erniedrigtes T3
Alle 6 Monate
Dexamethason, Hydrocortison, Methylprednisolon
Glukokortikoid
Erniedrigtes T3
Keine oder monatlich
Propranolol, Metoprolol, Atenolol
β‑Blocker
Nur bei hoher Dosierung erniedrigtes T3
Keine
1h: Medikamente, die die Schilddrüsenhormone aus der Proteinbindung verdrängen
Medikament
Klassifizierung
Art der Störung
Vorgeschlagene Kontrolltermine
Carbamazepin, Oxcarbazepin
Antiepileptikum
TSH normal, fT4 erniedrigt, T3 niedrig normal
1 ×/Jahr
Furosemid
Schleifendiuretikum
Laborveränderung nur bei sehr hohen Dosen
Keine
Heparin (In-vitro-Wirkung)
Antikoagulans
TSH normal, fT4 und T3 hoch
Keine
Phenytoin
Antiepileptikum
TSH normal, fT4 erniedrigt, T3 niedrig normal
1 ×/Jahr
Salsalat, Fenclofenac
NSAR
TSH normal, fT4 und T3 niedrig normal
Keine
1i: Medikamente, die den Metabolismus oder die Elimination der Schilddrüsenhormone beeinflussen
Medikament
Klassifizierung
Art der Störung
Vorgeschlagene Kontrolltermine
Bexaroten
Retinoid
Erhöhung der Sulfierung
Monatlich
Sorafenib
Tyrosinkinase-Inhibitor
Erhöhung der Typ-3-Dejodinase-Aktivität
Alle 3 Monate
Cholestyramin, Colestipol, Colesevelam
Gallensäure-Sequestrant
Verminderung des enterohepatischen Recyclings
Keine
Carbamazepin, Oxcarbazepin
Antiepileptikum
Erhöhung der hepatischen Konjugation
1 ×/Jahr
Phenobarbital
Antiepileptikum
Erhöhung der hepatischen Konjugation
1 ×/Jahr
Phenytoin
Antiepileptikum
Erhöhung der hepatischen Konjugation
1 ×/Jahr
Rifampicin
Antibiotikum
Erhöhung der hepatischen Konjugation
1 ×/Jahr
fT4 freies Thyroxin, T3 3,5,3’-Trijodthyronin, PD1 programmed cell death protein-1, CTLA-4 Cytotoxic T Lymphocyte Antigen 4, CD52 Campath 1 Antigen, NN-Ca Nebennierenrindenkarzinom, TRH Thyreotropin-Releasing-Hormon, TSH Thyreotropin, TBG Thyroxin-bindendes Globulin, NSAR nichtsteroidale Antirheumatika
In Tab. 2 (ebenfalls nach Burch [3]) werden Medikamente angeführt, die eine Therapie mit Schilddrüsenhormonen beeinflussen können. Da dies in der klinischen Routine oft nicht beachtet wird, soll eine solche Liste auf die Bedeutung der Frage nach anderen Medikamenten während einer Schilddrüsenhormontherapie hinweisen. Die Art der Beeinflussung der Therapie wird in der Tabelle jeweils mit einem klinischen Kommentar versehen, der als Empfehlung für die entsprechende Vorgehensweise des betreuenden Arztes dienen soll.
Tab. 2
Beeinflussung der Therapie mit Schilddrüsenhormonen durch Medikamente (nach Burch [3])
2a: Medikamente, die die Auflösung der Tabletten beeinflussen
Medikament
Medikamentenklasse
Art der Beeinflussung
Kommentar
Lansoprazol, Omeprazol
Protonenpumpeninhibitor
Verminderung der Auflösung der Tabletten
Wenn möglich flüssiges T4, sonst Erhöhung der T4 Dosis
2b: Medikamente, die die Absorption von Schilddrüsenhormonen beeinflussen
Medikament
Medikamentenklasse
Art der Beeinflussung
Kommentar
Aluminiumhydroxid
Antazidum
Verminderte Resorption
Trennung der Einnahme: 4 h
Calciumcarbonat
Antazidum, Supplement
Verminderte Resorption
Trennung der Einnahme: 4 h
Cholestyramin
Gallensaure-Sequestrant
Verminderte Resorption und enterohepatisches Recycling
Trennung der Einnahme: 4–8 h
Colesevelam
Gallensaure-Sequestrant
Verminderte Resorption und enterohepatisches Recycling
Trennung der Einnahme: 4–8 h
Colestipol
Gallensaure-Sequestrant
Verminderte Resorption und enterohepatisches Recycling
Trennung der Einnahme: 4–8 h
Eisensulfat
Mineral
Verminderte Resorption
Trennung der Einnahme: 4 h
Raloxifen
Selektiver Östrogenmodulator
Verminderte Resorption
Trennung der Einnahme: 4 h
Sucralfat
Saccharosesulfat-Aluminium-Komplex
Verminderte Resorption
Trennung der Einnahme: 4 h
2c: Medikamente, die den freien Hormonanteil möglicherweise vermindern
Medikament
Medikamentenklasse
Art der Beeinflussung
Kommentar
Orale (nicht transdermale!) Östrogene
Sexualhormon
Erhöhtes Thyroxin-bindendes Globulin
Erhöhung der nötigen Dosis von L‑T4 oder Östrogen-Pflaster?
Raloxifen, Tamoxifen
Selektiver Östrogenmodulator
Erhöhtes Thyroxin-bindendes Globulin
Erhöhung von L‑T4 eher unnötig
2d: Medikamente, die den Metabolismus der Schilddrüsenhormone steigern
Medikament
Medikamentenklasse
Art der Beeinflussung
Kommentar
Bexaroten
Retinoid
Erhöhte Sulfatierung
TSH wegen zentraler Hypothyreose nicht verwertbar
Phenobarbital, Carbamazepin, Phenytoin
Antiepileptika
Erhöhte hepatische Konjugation
Erhöhter L‑T4-Bedarf möglich
Rifampicin
Antibiotikum
Erhöhte hepatische Konjugation
Erhöhter L‑T4-Bedarf möglich
TSH Thyreotropin
Zusammenfassend hoffe ich, mit dieser tabellarischen Aufzählung den Klinikern erfolgreich ins Gedächtnis zu rufen, dass die verschiedensten Medikamente die Schilddrüse und ihre Funktion beeinflussen können. „Man muss dran denken“ – und entsprechend reagieren.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

M. Weissel gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
download
DOWNLOAD
print
DRUCKEN
Literatur
1.
Zurück zum Zitat Schmidinger M, Vogl UM, Bojic M, Lamm W, Heinzl H, Haitel A, Clodi M, Kramer G, Zielinski CC (2011) Hypothyroidism in patients with renal cell carcinoma. Blessing or curse? Cancer 117:534–544CrossRef Schmidinger M, Vogl UM, Bojic M, Lamm W, Heinzl H, Haitel A, Clodi M, Kramer G, Zielinski CC (2011) Hypothyroidism in patients with renal cell carcinoma. Blessing or curse? Cancer 117:534–544CrossRef
2.
Zurück zum Zitat Kotwal A, Kottschade L, Ryder M (2020) PD-L1 inhibitor-induced thyroiditis is associated with better overall survival in cancer patients. Thyroid 30:177–184CrossRef Kotwal A, Kottschade L, Ryder M (2020) PD-L1 inhibitor-induced thyroiditis is associated with better overall survival in cancer patients. Thyroid 30:177–184CrossRef
3.
Zurück zum Zitat Burch HB (2019) Drug effects on the thyroid. New Engl J Med 381:749–761CrossRef Burch HB (2019) Drug effects on the thyroid. New Engl J Med 381:749–761CrossRef
Metadaten
Titel
Wirkung von Medikamenten auf die Schilddrüse
verfasst von
Univ.-Prof. Dr. Michael Weissel
Publikationsdatum
01.06.2020
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Journal für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel / Ausgabe 2/2020
Print ISSN: 3004-8915
Elektronische ISSN: 3004-8923
DOI
https://doi.org/10.1007/s41969-020-00099-5

Weitere Artikel der Ausgabe 2/2020

Journal für Klinische Endokrinologie und Stoffwechsel 2/2020 Zur Ausgabe

Genetisches Alphabet

GNAS-assoziierte Erkrankungen

Editorial

Editorial