Die Liste der Medikamente, von denen eine Beeinflussung der Funktion der Schilddrüse oder der Interpretation der üblichen Labor-Diagnostik der Schilddrüse bekannt ist, steigt in letzter Zeit – vor allem seit Einführung neuer Medikamente in der Onkologie. Schon vor einiger Zeit hat die Wiener Gruppe um Zielinski [1] beobachtet, dass bei einer Therapie mit Tyrosinkinase-Inhibitoren eine Beeinflussung der Schilddrüsenfunktion sogar mit einem besseren Ansprechen auf die Therapie korreliert. Ganz rezent haben Kotwal et al. 2020 von der Mayo-Klinik die durch Checkpoint-Inhibitoren induzierte Immunthyreoiditis sogar als Biomarker der Anti-Tumor-Immunantwort bezeichnet [2]. Die Bedeutung der Nebenwirkungen auf die Schilddrüse ist also nicht nur für den Thyreologen, sondern auch für den Onkologen von Interesse.
Tab. 1, die in Anlehnung an einen 2019 prominent publizierten Übersichtsartikel von Burch [3] erstellt wurde, zählt die Medikamente auf, die die endogene Funktion der Schilddrüse beeinflussen. Zusätzlich werden in dieser Tabelle die Klassifizierung des jeweiligen Medikamentes, die Art der von diesem ausgelösten Störung der Funktion der Schilddrüse sowie von Burch vorgeschlagene Kontrolltermine angegeben.
Tab. 1
Medikamente, die die endogene Schilddrüsenfunktion beeinflussen (nach Burch [3])
1a: Medikamente, die die Kontrolle der Hypothalamus-Hypophysen-Achse stören | |||
Medikament | Klassifizierung | Art der Störung | Vorgeschlagene Kontrolltermine |
Ipilimumab, Tremelimumab | Anti-CTLA‑4, Immuncheckpoint-Inhibitor | Hypophysitis | Monatlich oder mit jedem Zyklus |
Bexaroten | Retinoid | Zentrale Hypothyreose | Monatlich |
Mitotan | Adrenolytisches Agens (gegen NN-Ca) | TSH-Suppression | Alle 3 Monate |
Dexamethason, Hydrocortison, Methylprednisolon | Glukokortikoid | TRH-/TSH-Suppression | Keine oder monatlich |
Bromocriptin | Dopaminagonist | TSH-Suppression | Keine oder 1 × pro Jahr |
Metformin | Biguanid | TSH-Suppression | Keine oder 1 × pro Jahr |
Metyrapon | 11-β-Hydroxylase-Inhibitor | TSH-Anstieg | Keine oder 1 × pro Jahr |
Octreotid | Somatostatinanalogikum | TSH-Suppression | Keine oder 1 × pro Jahr |
1b: Medikamente, die die Produktion oder Freisetzung der Schilddrüsenhormone vermindern | |||
Medikament | Klassifizierung | Art der Störung | Vorgeschlagene Kontrolltermine |
Jod-Kontrastmittel oder Seetang | Mikronährstoff (Nahrungsergänzunsmittel) | Verminderung der Synthese | Keine oder alle 3 Monate |
Lithium | Element | Verminderung der Freisetzung | Alle 3 Monate |
Amiodaron | Klasse-3-Antiarrhythmikum | Verminderung der Synthese | Alle 6 Monate |
1c: Medikamente, die die Produktion oder Freisetzung der Schilddrüsenhormone erhöhen | |||
Medikament | Klassifizierung | Art der Störung | Vorgeschlagene Kontrolltermine |
Amiodaron | Klasse 3 Antiarrhythmikum | Jod-induzierte Hyperthyreose | Alle 6 Monate |
Jod-Kontrastmittel oder Seetang | Mikronährstoff | Jod-induzierte Hyperthyreose | Keine oder alle 3 Monate |
1d: Medikamente, die die Autoimmunität der Schilddrüse erhöhen | |||
Medikament | Klassifizierung | Art der Störung | Vorgeschlagene Kontrolltermine |
Alemtuzumab (gegen Multiple Sklerose) | Anti-CD52 | Neue TSH-Rezeptor-Antikörper | Alle 6 Monate |
Hochaktive antiretrovirale Therapie | Anti-HIV | Immunrekonstitution | Alle 6 Monate |
1e: Medikamente, die eine destruktive Thyreoiditis auslösen | |||
Medikament | Klassifizierung | Art der Störung | Vorgeschlagene Kontrolltermine |
Amiodaron | Klasse 3 Antiarrhythmikum | Direkte Zelltoxizität | Alle 3 oder 6 Monate |
Nivolumab, Pembrolizumab | Anti-PD-1-(Immun-Checkpoint‑)Inhibitor | Immunthyreoiditis | Monatlich oder mit jedem Zyklus |
Atezolizumab, Avelumab | Anti-PD-L(igand)1-Inhibitor | Immunthyreoiditis | Monatlich oder mit jedem Zyklus |
Sunitinib, Sorafenib | Tyrosinkinase-Inhibitor | Immunthyreoiditis | Alle 3 Monate |
Interferon alpha | Zytokin | Immunthyreoiditis | Alle 6 Monate |
Interleukin‑2 | Zytokin | Immunthyreoiditis | Alle 6 Monate |
1f: Medikamente, die die Bindungsproteine der Schilddrüsenhormone und deren Messung beeinflussen | |||
Medikament | Klassifizierung | Art der Störung | Vorgeschlagene Kontrolltermine |
Orale Östrogene | Sexualhormon | Erhöhung des TBG | Keine |
5‑Fluoruracil | Antimetabolit | Erhöhung des TBG | Keine |
Orales Androgen | Sexualhormon | Erniedrigung des TBG | Keine |
Raloxifen | Selektiver Östrogenrezeptor-Modulator | Erhöhung des TBG | Keine |
Tamoxifen | Selektiver Östrogenrezeptor-Modulator | Erhöhung des TBG | Keine |
1g: Medikamente, die die Konversion T4 zu T3 hemmen | |||
Medikament | Klassifizierung | Art der Störung | Vorgeschlagene Kontrolltermine |
Amiodaron | Klasse 3 Antiarrhythmikum | Hohes T4, erniedrigtes T3 | Alle 6 Monate |
Dexamethason, Hydrocortison, Methylprednisolon | Glukokortikoid | Erniedrigtes T3 | Keine oder monatlich |
Propranolol, Metoprolol, Atenolol | β‑Blocker | Nur bei hoher Dosierung erniedrigtes T3 | Keine |
1h: Medikamente, die die Schilddrüsenhormone aus der Proteinbindung verdrängen | |||
Medikament | Klassifizierung | Art der Störung | Vorgeschlagene Kontrolltermine |
Carbamazepin, Oxcarbazepin | Antiepileptikum | TSH normal, fT4 erniedrigt, T3 niedrig normal | 1 ×/Jahr |
Furosemid | Schleifendiuretikum | Laborveränderung nur bei sehr hohen Dosen | Keine |
Heparin (In-vitro-Wirkung) | Antikoagulans | TSH normal, fT4 und T3 hoch | Keine |
Phenytoin | Antiepileptikum | TSH normal, fT4 erniedrigt, T3 niedrig normal | 1 ×/Jahr |
Salsalat, Fenclofenac | NSAR | TSH normal, fT4 und T3 niedrig normal | Keine |
1i: Medikamente, die den Metabolismus oder die Elimination der Schilddrüsenhormone beeinflussen | |||
Medikament | Klassifizierung | Art der Störung | Vorgeschlagene Kontrolltermine |
Bexaroten | Retinoid | Erhöhung der Sulfierung | Monatlich |
Sorafenib | Tyrosinkinase-Inhibitor | Erhöhung der Typ-3-Dejodinase-Aktivität | Alle 3 Monate |
Cholestyramin, Colestipol, Colesevelam | Gallensäure-Sequestrant | Verminderung des enterohepatischen Recyclings | Keine |
Carbamazepin, Oxcarbazepin | Antiepileptikum | Erhöhung der hepatischen Konjugation | 1 ×/Jahr |
Phenobarbital | Antiepileptikum | Erhöhung der hepatischen Konjugation | 1 ×/Jahr |
Phenytoin | Antiepileptikum | Erhöhung der hepatischen Konjugation | 1 ×/Jahr |
Rifampicin | Antibiotikum | Erhöhung der hepatischen Konjugation | 1 ×/Jahr |
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In Tab. 2 (ebenfalls nach Burch [3]) werden Medikamente angeführt, die eine Therapie mit Schilddrüsenhormonen beeinflussen können. Da dies in der klinischen Routine oft nicht beachtet wird, soll eine solche Liste auf die Bedeutung der Frage nach anderen Medikamenten während einer Schilddrüsenhormontherapie hinweisen. Die Art der Beeinflussung der Therapie wird in der Tabelle jeweils mit einem klinischen Kommentar versehen, der als Empfehlung für die entsprechende Vorgehensweise des betreuenden Arztes dienen soll.
Tab. 2
Beeinflussung der Therapie mit Schilddrüsenhormonen durch Medikamente (nach Burch [3])
2a: Medikamente, die die Auflösung der Tabletten beeinflussen | |||
Medikament | Medikamentenklasse | Art der Beeinflussung | Kommentar |
Lansoprazol, Omeprazol | Protonenpumpeninhibitor | Verminderung der Auflösung der Tabletten | Wenn möglich flüssiges T4, sonst Erhöhung der T4 Dosis |
2b: Medikamente, die die Absorption von Schilddrüsenhormonen beeinflussen | |||
Medikament | Medikamentenklasse | Art der Beeinflussung | Kommentar |
Aluminiumhydroxid | Antazidum | Verminderte Resorption | Trennung der Einnahme: 4 h |
Calciumcarbonat | Antazidum, Supplement | Verminderte Resorption | Trennung der Einnahme: 4 h |
Cholestyramin | Gallensaure-Sequestrant | Verminderte Resorption und enterohepatisches Recycling | Trennung der Einnahme: 4–8 h |
Colesevelam | Gallensaure-Sequestrant | Verminderte Resorption und enterohepatisches Recycling | Trennung der Einnahme: 4–8 h |
Colestipol | Gallensaure-Sequestrant | Verminderte Resorption und enterohepatisches Recycling | Trennung der Einnahme: 4–8 h |
Eisensulfat | Mineral | Verminderte Resorption | Trennung der Einnahme: 4 h |
Raloxifen | Selektiver Östrogenmodulator | Verminderte Resorption | Trennung der Einnahme: 4 h |
Sucralfat | Saccharosesulfat-Aluminium-Komplex | Verminderte Resorption | Trennung der Einnahme: 4 h |
2c: Medikamente, die den freien Hormonanteil möglicherweise vermindern | |||
Medikament | Medikamentenklasse | Art der Beeinflussung | Kommentar |
Orale (nicht transdermale!) Östrogene | Sexualhormon | Erhöhtes Thyroxin-bindendes Globulin | Erhöhung der nötigen Dosis von L‑T4 oder Östrogen-Pflaster? |
Raloxifen, Tamoxifen | Selektiver Östrogenmodulator | Erhöhtes Thyroxin-bindendes Globulin | Erhöhung von L‑T4 eher unnötig |
2d: Medikamente, die den Metabolismus der Schilddrüsenhormone steigern | |||
Medikament | Medikamentenklasse | Art der Beeinflussung | Kommentar |
Bexaroten | Retinoid | Erhöhte Sulfatierung | TSH wegen zentraler Hypothyreose nicht verwertbar |
Phenobarbital, Carbamazepin, Phenytoin | Antiepileptika | Erhöhte hepatische Konjugation | Erhöhter L‑T4-Bedarf möglich |
Rifampicin | Antibiotikum | Erhöhte hepatische Konjugation | Erhöhter L‑T4-Bedarf möglich |
Zusammenfassend hoffe ich, mit dieser tabellarischen Aufzählung den Klinikern erfolgreich ins Gedächtnis zu rufen, dass die verschiedensten Medikamente die Schilddrüse und ihre Funktion beeinflussen können. „Man muss dran denken“ – und entsprechend reagieren.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
M. Weissel gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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