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01.09.2014 | Originalien
Wie riskant ist Sicherheit?
Über die Herausforderung, Eigenverantwortung zuzulassen
Erschienen in: Pädiatrie & Pädologie | Ausgabe 4/2014
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„Risiko, ergo sum“, sagt U. Beck. Es ist noch nicht lange her, dass man Kleinkinder zum Gehenlernen in Laufwägelchen stellte. Sie lernten das Laufen, aber nicht das Fallen. Sie lernten nicht, ein mögliches Risiko abzuschätzen. Hemmend kann schon die Sorgfaltspflicht sein. In Österreich kam es, weil ein Mädchen vom Baum gefallen war, zu einem Prozess mit hoher Geldstrafe. In Deutschland werden neue Normen für das Sicherheitsverhalten in Klettergärten geprüft, verbunden mit strengster Aufsichtsstufe. Untersuchungen ergaben, dass sich der Radius der 12- bis 15-jährigen Kinder, in dem sie sich selbständig und unbeaufsichtigt bewegen, in den letzten 50 Jahren von 25 auf 2,5 km reduziert hat. Warum aber bleiben trotz besseren Wissens die Verhältnisse gleich? Heute bringt in Österreich eine Frau im Durchschnitt 1,28 Kinder zur Welt. Die „Unversehrtheit“ dieses einen Kindes ist für die Eltern oberstes Gebot. M. Roeper, Autor des Buchs Kinder raus, sagt: „Die Ängstlichkeit der Eltern ist ein grundsätzliches Problem. Die Kinder werden in Watte gepackt, aber für Kinder ist es eine Zwangsjacke.“ Kinder und Jugendliche haben scheinbar keine große Wahl mehr. Eltern wie Pädagogen müssen wieder mehr Mut zum Risiko entwickeln, um Kinder und Jugendliche beim Betreten der für sie neuen Risikoräume zu begleiten. Eine Gesellschaft hat die Aufgabe, die kommende Generation auf ihr Leben vorzubereiten. In Zeiten zunehmender Verunsicherung ist das ein immer komplexeres Anliegen. Ein Begriff, der hier immer öfter auftaucht, ist die Ambiguitätstoleranz, eine Fähigkeit, die die differenzierte Betrachtung von Widersprüchen und Irritationen ermöglicht und konstruktive Handlungsfähigkeit auch bei Verunsicherung beibehält.