16.03.2020 | MKÖ | Ausgabe 1/2020 Open Access

Warum Unreinheit stigmatisiert wird
Blasen-, Darm- und Sexualstörungen aus kulturell-religiöser Perspektive
- Zeitschrift:
- Journal für Urologie und Urogynäkologie/Österreich > Ausgabe 1/2020
Wichtige Hinweise
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Zusammenfassung
(Un‑)Reinheitsvorstellungen, -vorschriften und -riten finden sich quer durch die Kultur- und Religionsgeschichte. Vorstellungen vom Trennen, Reinigen, Abgrenzen und Bestrafen von Überschreitungen haben v. a. die Funktion, eine spezifische Ordnung zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Reinheit symbolisiert Ordnung. Umgekehrt sind Schmutz, Zweideutigkeiten und Anomalien Symbole der Unordnung und rufen Angst hervor. (Un‑)Reinheitsvorschriften dienen der Stabilisierung von Ordnung, zugleich konstituieren sie eine bestimmte soziale Wirklichkeit, indem die Grenzen nach außen und innen geregelt werden (Gläubige/Ungläubige; Kleriker/Laien; Männer/Frauen; Berührbare/Unberührbare usw.). Damit werden soziale Hierarchien geschaffen, wobei einzelne Menschen/Gruppen/Minderheiten, die nicht den Reinheitsnormen entsprechen, stigmatisiert und diskriminiert werden. Allerdings handelt es sich oft um ideale Standards, die nicht immer praktisch umgesetzt werden. Der Körper spielt eine besondere Rolle, weil die Überzeugung universal verbreitet ist, dass insbesondere die Körpergrenzen von Unordnung bedroht sind. Es sind v. a. die Körperöffnungen, die im Fokus stehen, und das, was sie passiert: Körperflüssigkeiten, Sexualsekrete, Blut, Urin und Kot und umgekehrt auch die Nahrung. In vielen Gesellschaften wird der weibliche Körper als anfälliger für Unreinheit betrachtet als der männliche. Da der individuelle Körper ein Modell für den Sozialkörper, die Gesellschaft, bildet, gelten Körperausscheidungen als Gefahren für die soziale Ordnung, die mit der symbolischen (kulturell-religiösen) Ordnung eng verknüpft ist.