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Ärzte Woche

20.03.2018 | Tekal

War ich gut?

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist

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In der Medizin liebt man die Evaluierung über alles.

Um zu beurteilen, ob der Youtube -Clip „Jan bohrt angeregt in der Nase“ tatsächlich qualitativ wertvoll ist, findet sich darunter das Symbol „Daumen rauf“ (für gut), „Daumen runter“ (für schlecht), interessanterweise jedoch kein „Daumen rein“ (was thematisch passend wäre). Bevor User das Video anklicken, bilden sie sich vorab eine Meinung, basierend auf der Meinung der Masse zum filmischen Werk. Man hat schließlich Besseres zu tun, als sich einen schlechten Nasenbohr-Clip reinzuziehen. Etwa die Betrachtung eines guten Nasenbohr-Clips.

Die Evaluierung ist mittlerweile auch fixer Bestandteil des beruflichen Lebens. Der Fragebogen nach dem Vortrag gehört ebenso dazu wie Bewertungsformulare für die Qualität eines Hotels, die Güte des Buffets, die Härte des Frühstückeis und die Weichheit des Toilettenpapiers. Letztlich werden auch die Evaluierungsbögen selbst evaluiert, um eine Rückmeldung für das Feedback zu bekommen. Schüler bewerten die Lehrer, Bankräuber ihre Polizisten und Delinquenten ihre Richter. Irgendwann wird die Evaluierung in die privaten vier Wände Einzug halten, Eltern und Kinder evaluieren das Aufräumen des Zimmers, statt der Frage „War ich gut?“ wird der Ehepartner nach dem Geschlechtsakt einen Fragebogen ausfüllen.

Auch in der Medizin gehören Bewertungen dazu. Dass Patienten hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes oder ihres Pflegebedarfes bewertet werden, ist bekannt. Mittlerweile müssen sich aber auch die Ärzte einem Urteil unterziehen. Im Internet kann man den digitalen Daumen für die Mediziner genauso verdrehen wie für den nasepopelnden Jan.

Dass in der Ausbildung bewertet wird, ist wenig überraschend. Altbekannt ist die Beurteilung der hoffnungsvollen Jungmediziner über das Rasterzeugnis. Neuerdings dürfen aber auch die Jungen die Ausbildner bewerten. So bekommt der einzige Ausbildungskandidat auf der HNO-Abteilung endlich die Möglichkeit, anonym seine Vorgesetzten zu vernadern. Bemerkenswert ist, dass nun auch Patienten über die Qualitäten eines auszubildenden Arztes richten dürfen. In der Basisausbildung wird in einer Art „Logbuch“ explizit auch das Urteil der Endkunden erhoben. Die Gesprächsführung wird da genauso bewertet wie der Ablauf der Untersuchung. Also „Der Turnusarzt wirkt a) kompetent, b) bemüht, c) protegiert; „Die Prostatauntersuchung war a) zart, b) bitter“; „Die äußere Form des Schriftbildes war a) arztentsprechend oder b) leserlich“.

Bei aller Notwendigkeit zur Reflexion vernichtet der Evaluierungsdrang jedoch all das, was irgendwie eigenartig, randgruppenspezifisch oder einfach schräg ist. Damit wird die Welt wieder ein Stückchen grauer. Hätte man früher auf Evaluierungsbögen vertraut, würde heute wohl kein einziges Gemälde von Picasso in einem staatlichen Museum hängen dürfen. – Und, wie fanden Sie die Kolumne?

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Metadaten
Titel
War ich gut?
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
20.03.2018
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 12/2018

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