Methoden
Zur Beurteilung der Auswirkungen veganer Ernährung auf die Gesundheit, Osteoporose und metabolisches Syndrom wurde eine systematische Literaturrecherche in der PubMed-Datenbank mit für das jeweilige Kapitel passenden und relevanten Suchbegriffen durchgeführt. Unter anderem wurden Suchbegriffe wie „vegan diet“, „effects“, „micronutrient deficiency“, „osteoporosis“, „bone density“ und „metabolic syndrome“ verwendet und mit booleschen Operatoren kombiniert. Bei der Literaturauswahl wurde darauf geachtet, bevorzugt Artikel zu verwenden, die in den letzten 10 Jahren publiziert wurden. Rund 85 % der herangezogenen Studien stammen aus diesem Zeitraum.
Veganismus
Die Popularität veganer Ernährungsweisen hat in den letzten Jahren stark zugenommen, insbesondere aufgrund der positiven ökologischen und ethischen Aspekte, die häufig damit assoziiert werden. Eine vegane Ernährung ist eine Form der vegetarischen Ernährungsweise, bei der sowohl Produkte von toten Tieren als auch alle anderen tierischen Erzeugnisse (Milchprodukte, Eier) konsequent vermieden werden.
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Vor- und Nachteile einer veganen Ernährung
Die Auswirkungen einer rein pflanzlichen Ernährung auf die menschliche Gesundheit sind vielschichtig und in einigen Bereichen, insbesondere im Kontext von Knochengesundheit und endokrinologischen Parametern, noch nicht abschließend geklärt. Während einige Studien auf positive Effekte pflanzenbasierter Ernährungsformen hinweisen, etwa eine reduzierte Prävalenz des metabolischen Syndroms und ein geringeres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, existieren gleichzeitig Hinweise auf potenzielle Herausforderungen für die Knochengesundheit (Tab. 1).
Tab. 1
Vor- und Nachteile einer veganen Ernährung
Gesundheitsförderung | Gesundheitsrisiken |
---|---|
Basierend auf Lebensmitteln mit hohem Nährstoffgehalt (Vitamine, Mineralstoffe, Ballaststoffe) | Vitaminmängel: Vitamin D und Vitamin B12 |
Geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Krebs, Diabetes und Übergewicht | Mineralstoffmängel: Kalzium, Eisen, Zink und Jod |
Gewichtsreduktion, Verbesserung von Blutfetten und Blutzucker | Mangel an Omega-3-Fettsäuren und Proteinen |
Negativer Einfluss auf den Knochenstoffwechsel | |
Unbewusster Konsum veganer „Junk-Foods“ | |
Nachhaltigkeit | Soziale Herausforderungen |
Weniger CO2-Emissionen | Begrenzte Auswahl in Restaurants |
Ressourcenschonung (geringerer Land- und Wasserverbrauch) | Sozialer Druck und traditionelles/kulturelles Unverständnis |
Tierwohl | Kosten und Verfügbarkeit |
Gesteigerter Tierschutz und weniger Tierleid | Gesunde Ernährung ist häufiger mit hohen Kosten verbunden |
Schwierigkeiten in der Planung und Umsetzung |
Veganismus aus osteologischer Sicht
Der Einfluss einer rein pflanzlichen Ernährung auf die Knochenmineraldichte („bone mineral density“/BMD) und das Frakturrisiko von Veganer*innen werden in der wissenschaftlichen Literatur kontrovers diskutiert. Unterschiede in den Ergebnissen lassen sich auf kleine Stichprobengrößen, ungenaue Definitionen der Ernährungsformen und auf die fehlende Berücksichtigung von Faktoren wie körperliche Aktivität, BMI (Body-Mass-Index) und Nährstoffzufuhr zurückführen [1].
Wie beeinflusst die Ernährung den Knochenstoffwechsel?
Die Knochengesundheit wird von vielen Faktoren geprägt. Dazu zählen neben unbeeinflussbaren Faktoren wie Alter und Geschlecht auch beeinflussbare Faktoren. Diese umfassen neben körperlicher Aktivität, Körpergewicht und Konsum von Genussmitteln insbesondere die Zufuhr der für den Knochenstoffwechsel essenziellen Nährstoffe über die Nahrung. Besonders relevant ist die ausreichende Versorgung mit Vitamin D und Kalzium. Ebenso sind Proteine, Kalium, Magnesium, Vitamin B12 und andere Nährstoffe in unterschiedlichem Ausmaß mit guter Knochengesundheit assoziiert, wobei ihre spezifischen Funktionen im Knochenstoffwechsel noch nicht abschließend geklärt sind.
Kalzium
Vergleicht man Vegetarier*innen und Allesesser, so haben Veganer*innen die niedrigste Kalziumzufuhr. Die empfohlene Zufuhr von 1000 mg pro Tag („estimated average requirement“/EAR) wird jedoch in der Allgemeinbevölkerung unabhängig von der Ernährungsform oft nicht erreicht. Milchprodukte sind wichtige Kalziumquellen, aber auch grüne Blattgemüse, Hülsenfrüchte, Samen und Nüsse liefern reichlich Kalzium. Um den Bedarf trotz erniedrigter Zufuhr zu decken, greift der Körper auf die Kalziumreserven im Knochen zurück. Über eine vermehrte Freisetzung von Parathormon (PTH) aus der Nebenschilddrüse wird Kalzium aus dem Knochengewebe freigesetzt. Durch die gesteigerte Knochenresorption verringert sich die BMD und das Risiko für Knochenbrüche steigt [2].
In einer großen Studie mit über 36.000 postmenopausalen Frauen wurde festgestellt, dass die Interventionsgruppe, die über sieben Jahre hinweg eine Kalzium- und Vitamin-D-Supplementierung erhielt, kein reduziertes Frakturrisiko aufwies. Diese und auch andere Studien legen nahe, dass eine Supplementierung von Kalzium möglicherweise nicht ausreicht, um einer Fraktur vorzubeugen, und wie wichtig die alimentäre Zufuhr von Kalzium ist [3]. Dies unterstreicht eine Studie von Appleby et al., die für Veganer*innen ein erhöhtes Frakturrisiko beschreibt, wenn die tägliche Kalziumzufuhr unter 525 mg liegt [4].
Proteine und Kalzium
Veganer*innen weisen tendenziell eine niedrigere Proteinzufuhr auf als Allesesser, wobei aber der Bedarf hinsichtlich der Empfehlungen zumeist gedeckt wird. Eine ausgewogene pflanzenbasierte Ernährung kann eine ausreichende Proteinversorgung jedenfalls sicherstellen, auch wenn die Qualität pflanzlicher Proteine etwas niedriger ist als die von tierischen Proteinen [2].
Viele Studien haben gezeigt, dass eine höhere Proteinzufuhr die renale Kalziumausscheidung erhöht. Folglich sollten Veganer*innen einen niedrigeren renalen Kalziumverlust aufweisen und weniger alimentäres Kalzium benötigen. Neuere Studien haben gezeigt, dass die Beziehung zwischen Kalziumhomöostase und Proteinzufuhr komplexer ist. Eine proteinreiche Ernährung ist dabei in der Regel mit positiven Effekten auf die Knochengesundheit verbunden und kann insbesondere bei einer veganen Ernährung mit niedrigem Kalziumgehalt die Kalziumaufnahme verbessern. Indem Proteine die Muskelkraft fördern und die Freisetzung von Parathormon hemmen, tragen sie dazu bei, die Knochenstruktur zu erhalten. Unter anderem führt eine proteinreiche Ernährung zu einer Stimulation der Synthese von IGF‑1 (Insulin-like Growth Factor 1). Der erhöhte IGF-1-Wert trägt möglicherweise zu einer erhöhten Aktivität von Osteoblasten bei und erhöht die Knochenmineralisation [5].
Konträr zu den positiven Effekten einer hohen Proteinzufuhr werden in der Literatur auch negative Effekte beschrieben. Zum einen hat die erhöhte Kalziurie bei vermehrter Proteinzufuhr einen negativen Effekt auf die Knochengesundheit, wenn das ausgeschiedene Kalzium aus dem Knochen stammt [1]. Zum anderen haben insbesondere westliche Ernährungsweisen durch den hohen Konsum von tierischen Proteinen und verarbeiteten Lebensmitteln eine hohe Säurelast. Um den pH-Wert des Blutes zu stabilisieren, wird vermehrt Kalzium aus dem Knochen freigesetzt. Eine vegetarische bzw. vegane Ernährung hat durch eine niedrigere Proteinzufuhr eine geringere Säurelast und durch den vermehrten Verzehr von Obst und Gemüse eine erhöhte Kaliumzufuhr mit alkalisierender Wirkung [6].
Vitamin D
Vitamin D moduliert die Kalziumhomöostase, indem es, unter anderem aktiviert durch PTH, die intestinale Kalziumabsorption und renale Kalziumreabsorption erhöht. Außerdem fördert es die Knochenmineralisation durch die Stimulation des Einbaus von Kalzium in den Knochen. Eine adäquate Vitamin-D-Versorgung ist daher entscheidend für die Erhaltung der Kalziumhomöostase und Knochengesundheit (Abb. 1; [5]).
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In der Allgemeinbevölkerung ist die Vitamin-D-Versorgung unabhängig von der Ernährungsform zu niedrig. Dabei ist die Prävalenz eines Vitamin-D-Mangels bei pflanzlicher Ernährung mit 25 % höher als bei Allesessern mit 15 % [2]. Eine pflanzliche Ernährung, mit ausreichender Abdeckung des Vitamin-D-Bedarfs durch genügend Exposition gegenüber ultravioletter Strahlung, Konsum von mit Vitamin D angereicherten Lebensmitteln und Supplementen kann zur Vorbeugung von Knochenbrüchen und zu normaler BMD beitragen [3].
Vitamin B12
Vitamin B12 hat eine Auswirkung auf den Knochenstoffwechsel, wobei das Ausmaß noch nicht ausreichend untersucht wurde. Veganer*innen haben häufig eine reduzierte Vitamin-B12-Zufuhr. Vitamin B12 ist am Abbau von Homocystein beteiligt, welches bei Veganer*innen folglich häufig erhöht ist. Einer Hypothese von Pawlak zufolge können erhöhte Homocysteinwerte nachteilige Auswirkungen auf den Knochenstoffwechsel haben. Dies umfasst die Stimulation der Osteoklasten, die Hemmung der Osteoblastenaktivität und eine Störung des Blutflusses im Knochengewebe. Die Daten unterstützen die Annahme, dass eine Supplementierung von Vitamin B12 Knochenumsatzbiomarker verbessert und das Frakturrisiko reduziert [7].
Beurteilung der Knochengesundheit von Veganer*innen
Die meisten Studien, die sich mit den Auswirkungen einer veganen Ernährung auf die Knochengesundheit beschäftigen, verwenden zur Beurteilung des Knochenstatus die Messung der BMD. Zusätzlich kann der Knochen auch anhand der kalziotropen Hormone, Knochenumsatzbiomarker und Frakturhäufigkeit beurteilt werden.
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Kalziumhomöostase
Trotz der niedrigeren Kalziumzufuhr von Veganer*innen unterscheiden sich die Serumkalziumspiegel innerhalb der Ernährungsformen nicht. Dies ist auf die strenge Regulation des Kalziumhaushaltes durch Vitamin D, PTH und FGF-23 (Fibroblast Growth Factor 23) zurückzuführen. Ein alimentär bedingter Kalziummangel wird, neben vermehrter intestinaler Absorption und renaler Reabsorption durch Vitamin D, durch eine vermehrte Freisetzung von Kalzium aus dem Knochen durch PTH ausgeglichen. In vielen Studien, unter anderem in der von Hansen et al., wurden bei Veganer*innen erhöhte Konzentrationen von Parathormon im Serum gemessen. Hansen et al. beschreiben subklinische Auswirkungen einer veganen Ernährung auf die Knochengesundheit und belegen diese durch einen Anstieg von Knochenumsatzbiomarkern, durch geringe Serumspiegel an Vitamin D und hohe Serumspiegel an PTH [8].
Knochenumsatz
Knochenumsatz („bone turnover“) ist die Differenz von Knochenresorption und Knochenbildung. In den Biomarkern des Knochenumsatzes spiegelt sich die Aktivität von Osteoblasten und Osteoklasten wider. Zur Beurteilung des Knochenumsatzes können die Marker des Knochenaufbaus und -abbaus differenziert betrachtet werden.
In einer Studie von Hansen et al. wurden Biomarker des Knochenstoffwechsel im Serum von Veganer*innen und Allesessern bestimmt. Es hat sich gezeigt, dass die Parameter der Knochenbildung, nämlich BAP (Bone-specific Alkaline Phosphatase) und PINP (Procollagen Type I N‑terminal Propeptide), bei Veganer*innen höher waren als bei Allesessern. Hinsichtlich des resorptiven Markers CTX (C-terminal Telopeptide) gab es zwischen den Populationen keinen signifikanten Unterschied. Aufgrund des bei Veganer*innen meist erhöhten PTH und der Kopplung zwischen Knochenbildung und -resorption sollte CTX mindestens genauso erhöht sein wie PINP. Als möglichen Grund führen die Autor*innen höhere biologische und tageszeitliche Schwankungen von CTX an. Der erhöhte Knochenumsatz von Veganer*innen hat einen negativen Einfluss auf den Knochenstoffwechsel und führt über eine Verminderung der Knochendichte zu erhöhtem Fraktur- und Osteoporoserisiko [2, 8].
Knochenmineraldichte
Die meisten der in den letzten Jahrzehnten publizierten Studien haben für Veganer*innen eine niedrigere BMD nachgewiesen, so auch die Metaanalysen von Iguacel et al. und Ho-Pham et al. Obwohl Ho-Pham et al. für Veganer*innen in der Lendenwirbelsäule und im Femurhals eine um 4 % statistisch signifikant niedrige BMD im Vergleich zu Allesessern nachgewiesen haben, wurde keine klinische Relevanz festgestellt. Im Kontrast dazu zeigten Iguacel et al. auf, dass die statistisch niedrige BMD von Veganer*innen aufgrund des erhöhten Frakturrisikos durchaus klinisch relevant ist [9, 10].
Frakturhäufigkeit
Häufig zitiert ist die prospektive Studie von Appleby et al. mit Daten der EPIC-Oxford-Studie. Mehr als 30.000 Proband*innen (> 70 % Frauen, > 3 % Veganer*innen) wurden hinsichtlich ihrer Ernährungsform und ihrer Frakturhäufigkeit untersucht. Die Autor*innen beschreiben eine 30 % höhere Frakturrate bei Veganer*innen, die sich nach Anpassung an nichtalimentäre Einflüsse und Energie- und Kalziumzufuhr halbierte. Als die Analyse auf Proband*innen mit einer Zufuhr von Kalzium von über 525 mg/d beschränkt wurde, wurden in Bezug auf die Frakturhäufigkeit keine Unterschiede zwischen Veganismus und anderen Ernährungsformen festgestellt. Die höhere Frakturhäufigkeit unter Veganer*innen wird somit auf eine stark reduzierte Kalziumzufuhr zurückgeführt [4].
Nicht nur eine erniedrigte Kalziumzufuhr trägt bei Veganer*innen zu einer höheren Frakturhäufigkeit bei. Ebenso spielen der allgemeine Lebensstil, körperliche Aktivität und der BMI eine Rolle. Veganer*innen führen meist einen gesünderen Lebensstil, bewegen sich mehr und haben einen niedrigeren BMI als Allesesser [5]. Veganer*innen, die progressives Krafttraining betreiben, haben auch eine bessere trabekuläre und kortikale Mikroarchitektur als Veganer*innen, die keinen Kraftsport betreiben [11].
Vegane Ernährung und Osteoporose
Bis eine Fraktur auftritt, zeigt eine Osteoporose keine Symptome, daher wird sie auch als „stille Epidemie“ bezeichnet. Durch die immer älter werdende Bevölkerung wird Osteoporose zu einem immer größeren weltweiten Gesundheitsproblem. Morbidität und Mortalität von osteoporotischen Komplikationen, wie v. a. Hüftfrakturen, sind schwerwiegend und belasten zunehmend das Gesundheitssystem. Daher ist es wichtig, potenzielle Risikofaktoren einer Osteoporose, wie eine vegane Ernährung, genauer zu untersuchen, um Frakturrisiko, Mortalität und Kosten zu senken [9, 12].
Zu den ernährungsbedingten Risikofaktoren einer Osteoporose, die bei Veganer*innen verstärkt auftreten, zählen eine unzureichende Zufuhr von Kalzium und Proteinen, Hyperhomocysteinämie durch Vitamin-B12-Mangel sowie ein Mangel an Vitamin D. Diese Nährstoffdefizite können das Risiko für Osteoporose erhöhen, wenn Veganer*innen ihre Ernährung nicht sorgfältig planen.
Veganismus aus endokrinologischer Sicht
Eine vegane Ernährung ist nicht unbedingt gleichbedeutend mit einer gesunden Ernährung. Viele pflanzenbasierte Lebensmittel sind stark verarbeitet („ultra-processed foods“/UPFs) und enthalten hohe Mengen an Salz, Fett und raffiniertem Zucker (z. B. industriell designte Fleischersatzprodukte, Gebäck, Softdrinks). Ein sitzender Lebensstil mit geringer körperlicher Aktivität und ein hoher Konsum von UPFs führen zu einer höheren Prävalenz von Adipositas und erhöhen das Risiko für Hypertonie sowie Störungen im Kohlenhydrat- und Lipidstoffwechsel. Diese Störungen stehen im Zusammenhang mit dem metabolischen Syndrom, das ohne geeignete Behandlung zur Entwicklung von kardiovaskulären Erkrankungen und Diabetes mellitus Typ 2 (DM2) führt [13].
Vegane Ernährung und metabolisches Syndrom
Der International Diabetes Federation (IDF) zufolge ist das metabolische Syndrom eine Akkumulation von kardiovaskulären und endokrinologischen Risikofaktoren, die zur Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen und DM2 beitragen. Die aktuelle Definition und die diagnostischen Kriterien der IDF aus dem Jahr 2005 bilden die Grundlage für Verständnis und Diagnose des metabolischen Syndroms. Zur Diagnose eines metabolischen Syndroms müssen eine viszerale Adipositas sowie zwei der folgenden vier Kriterien vorliegen: Glukosetoleranzstörung (bzw. DM2), Hypertonus, erhöhtes LDL-Cholesterin (Low Density Lipoprotein Cholesterol) und reduziertes HDL-Cholesterin (High Density Lipoprotein Cholesterol) [14].
Ernährungsbedingter Einfluss auf das metabolische Syndrom
Eine bekannte Zwillingsstudie von Landry et al. untersuchte die kardiometabolischen Auswirkungen einer omnivoren Ernährung im Vergleich zu einer veganen Ernährung. In dieser Studie wurden Zwillinge über einen Zeitraum von acht Wochen beobachtet. Die für das metabolische Syndrom relevanten Parameter sind bei den veganen Zwillingen signifikant besser als bei ihren omnivoren Zwillingsgeschwistern. Bei den veganen Zwillingen hat sich im Vergleich zu den omnivoren Zwillingsgeschwistern das LDL‑C durchschnittlich um ca. 14 mg/dL und das Körpergewicht um ca. 2 kg reduziert. Eine pflanzenbasierte Ernährung kann, neben der allgemeinen Lebensstiländerung, eine wirksame Strategie zur Prävention und Behandlung des metabolischen Syndroms sein. Sie trägt nicht nur zur Gewichtsreduktion bei, sondern verbessert auch den Stoffwechsel und senkt den Blutdruck, was langfristig die Gesundheit fördert und das Risiko für chronische Erkrankungen verringert. Eine vegane Ernährung kann die kardiometabolische Gesundheit im Vergleich zu einer omnivoren Ernährung fördern [15].
Die protektive Wirkung einer pflanzenbasierten Ernährung vor dem metabolischen Syndrom ist auf eine niedrigere Energiezufuhr, niedrige Zufuhr gesättigter Fettsäuren, hohe Ballaststoffzufuhr, hohe Obst- und Gemüsezufuhr, reduzierte bzw. fehlende Fleischzufuhr und erhöhte Zufuhr von Nicht-Häm-Eisen zurückzuführen [13].
Viszerale Adipositas
In mehreren Studien wurde gezeigt, dass eine vegane Ernährung zur Reduktion des Körpergewichts, BMI und Hüft- und Taillenumfangs beiträgt. In der von Turner-McGrievy et al. durchgeführten Studie wurde für die Interventionsgruppe, die sich sechs Monate vegan ernährt hat, eine durchschnittliche Gewichtsreduktion von 7,5 % beschrieben. Für die Gruppe der Allesesser wurde in diesem Zeitraum eine durchschnittliche Gewichtsreduktion von 3,1 % beschrieben. Turner-McGrievy et al. haben bestätigt, dass eine vegane und vegetarische Ernährung zu einem statistisch signifikanten Gewichtsverlust führt, der höher ist als bei Allesessern [16].
Glukosestoffwechsel
Eine Metaanalyse von randomisierten, kontrollierten Studien zeigt, dass eine vegane Ernährung das glykierte Hämoglobin (HbA1c) im Plasma von Proband*innen ohne DM2 um 0,2 % senkt. Obwohl eine pflanzenbasierte Ernährung kohlenhydratreich ist, trägt sie zu einer verbesserten Insulinsensitivität bei, weil sie reich an Lebensmitteln ist, die einen niedrigen glykämischen Index haben. Dazu zählen ballaststoffreiche Lebensmittel wie Gemüse, Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte. Dadurch wird nicht nur die Insulinsensitivität verbessert, sondern auch die glykämische Kontrolle gefördert. Ebenso wichtig für die glykämische Kontrolle ist die Freisetzung von Inkretinen, die postprandial für eine verstärkte Insulinfreisetzung sorgen, um den Glukosespiegel zu senken. Bei Patient*innen mit DM2 ist die postprandiale Inkretinfreisetzung vermindert [14]. In ihrer Studie haben Klementova et al. festgestellt, dass der Verzehr einer pflanzenbasierten Mahlzeit mit Tofu im Vergleich zu einer Mahlzeit aus verarbeitetem Fleisch und Käse zu einer gesteigerten Freisetzung von Inkretinen und einem verstärkten Sättigungsgefühl führt [17].
In der Studie von Satija et al. wurde für Proband*innen mit hohem Konsum pflanzlicher und pflanzenbasierter Lebensmittel ein um 20 % geringeres Risiko für die Entwicklung eines DM2 festgestellt. Die Unterteilung pflanzlicher Lebensmittel in gesunde (Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte) und ungesunde (Softdrinks, stark verarbeitete Lebensmittel, Fruchtsäfte) zeigt, dass ein erhöhter Verzehr gesunder Pflanzenkost das Risiko für DM2 um 34 % senkt. Dagegen steigt das Risiko bei erhöhtem Konsum ungesunder pflanzlicher Produkte um 16 % [18].
Wie auch beim metabolischen Syndrom führt eine vegane Ernährung bei DM2 zur Reduktion des HbA1c. Das bestätigen alle in der Metaanalyse von Pollakova et al. inkludierten Studien. Die durchschnittliche Reduktion des HbA1c beträgt über alle inkludierten Studien hinweg bei Patient*innen mit DM2 0,6 % [19].
Für das Diabetesmanagement und zur Verringerung des Risikos kardiovaskulärer Komplikationen bei Personen mit DM2 ist neben der mediterranen auch die vegetarische und vegane Ernährungsweise akzeptabel [20].
Arterielle Hypertonie
Eine ungesunde Ernährung, beispielsweise geprägt durch den erhöhten Verzehr von Fleisch und stark verarbeiteten Lebensmitteln, erhöht die Prävalenz von arterieller Hypertonie. Insbesondere eine erhöhte Salzzufuhr ist ein gut dokumentierter Risikofaktor [21].
Pflanzenbasierte Ernährungsweisen führen zu einer Reduktion von systolischen und diastolischen Blutdruckwerten, unabhängig von Geschlecht und Alter. Eine Metaanalyse, in der 41 Studien mit über 8400 Proband*innen eingeschlossen wurden, ergab für Vegetarier*innen eine durchschnittliche Reduktion des systolischen Blutdrucks um 5,5 mm Hg und für Veganer*innen eine durchschnittliche Reduktion um 1,3 mm Hg [22].
Dybvik et al. beschrieben ein um 15 % geringeres Hypertonus-Risiko für Vegetarier*innen und um 18 % niedrigeres Hypertonus-Risiko für Veganer*innen [23].
Das niedrigere Risiko resultiert aus der vermehrten Zufuhr antihypertensiver Nährstoffe wie z. B. Ballaststoffe, Kalium, Magnesium und Kalzium und der verminderten Zufuhr von Salz in pflanzenbasierten Ernährungsformen [14].
Dyslipidämien
Insbesondere eine hohe Zufuhr gesättigter Fettsäuren, wie sie in rotem Fleisch, Käse und Butter vorkommen, erhöhen atherogene Lipoproteine im Plasma. Pflanzenbasierte Ernährungsformen gehen mit einer reduzierten Zufuhr gesättigter Fettsäuren einher. Daher haben Vegetarier*innen und Veganer*innen ein geringeres atherosklerotisches und kardiovaskuläres Risiko [24].
Der Ersatz von gesättigten Fettsäuren (tierisches Fett) durch mehrfach ungesättigte Fettsäuren (pflanzliches Öl) reduziert kardiovaskuläre Erkrankungen um ca. 30 %. Dieser Effekt ist vergleichbar mit der Reduktion kardiovaskulärer Erkrankungen, wie sie durch eine Statintherapie erzielt wird [25].
Vegetarier*innen und Veganer*innen weisen im Vergleich zu Allesessern geringere Plasmakonzentrationen an Gesamtcholesterin und LDL‑C auf. Die durchschnittliche Reduktion beträgt 0,34 mmol/L (13,15 mg/dL) für Gesamtcholesterin und 0,30 mmol/L (11,60 mg/dL) für LDL‑C. In Bezug auf Triglyceridwerte wurde keine signifikante Änderung festgestellt. Die Auswirkungen auf HDL‑C wurden von Koch et al. nicht untersucht [24].
Lipoprotein (a) (Lp[a]) hat den stärksten genetischen Einfluss auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Personen mit Plasmakonzentrationen über 20 mg/dL haben ein doppelt so hohes Risiko, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu entwickeln. Lp(a) wird nur geringfügig durch Änderungen des Lebensstils beeinflusst. Eine eindeutige Senkung dieses Biomarkers durch Ernährung konnte bisher nicht nachgewiesen werden. In einer Studie von Najjar et al. konnte gezeigt werden, dass eine pflanzenbasierte Ernährung einen günstigen Effekt auf Lp(a) hat. Den Studienteilnehmer*innen wurde über vier Wochen eine definierte, pflanzenbasierte Ernährung zur Verfügung gestellt, aus der sie sich ad libitum aus einer begrenzten Auswahl an Lebensmitteln ernähren konnten. Im Durchschnitt kam es zu einer Reduktion von Lp(a) um 32 nmol/L [26].
Zusätzlich zur reduzierten Aufnahme gesättigter Fettsäuren tragen auch andere Mechanismen zur Senkung der Gesamtcholesterin- und LDL-C-Werte bei einer pflanzenbasierten Ernährung bei. Eine erhöhte Ballaststoffzufuhr sorgt dafür, dass Cholesterin gebunden und die intestinale Aufnahme reduziert wird. Daraus resultieren niedrigere Plasma-Cholesterinspiegel, die dazu führen, dass die Expression und Aktivität von LDL-Rezeptoren zunimmt, wodurch LDL aus dem Plasma entfernt wird [14].
Diskussion
Eine Analyse der weltweiten Ernährungsgewohnheiten zeigt, dass eine schlechte Ernährung mehr Todesfälle verursacht als andere Risiken, einschließlich Rauchen. Zu den Hauptursachen zählen eine hohe Natriumaufnahme und unzureichender Verzehr von Vollkornprodukten, Obst und Gemüse, Nüssen, Samen und Omega-3-Fettsäuren, die jeweils für mehr als 2 % der globalen Todesfälle verantwortlich sind [27].
Eine vegane Ernährung hat das Potenzial, oben angeführte Ernährungsrisiken zu reduzieren und gleichzeitig die planetaren Ressourcen zu schonen. Trotz reichhaltiger essenzieller Nährstoffe birgt sie das Risiko von Mikronährstoffmängeln, wenn diese nicht in ausreichender Menge zugeführt werden. Es ist daher wichtig, die Auswirkungen einer veganen Ernährung auf die Gesundheit zu untersuchen, um mögliche Risikofaktoren zu identifizieren. Die qualitative Studie von Jirovsky-Platter et al. verdeutlicht die Notwendigkeit eines stärkeren Dialogs zwischen Veganerinnen und medizinischem Fachpersonal, da viele Veganerinnen das Gefühl haben, ihre Ernährungsentscheidungen würden von Ärzt*innen häufig missverstanden oder abgelehnt [28].
Zukünftige Forschung sollte sich verstärkt auf die langfristigen Auswirkungen einer veganen Ernährung auf verschiedene Bevölkerungsgruppen konzentrieren, insbesondere auf vulnerable Gruppen wie ältere Menschen oder Personen mit bestehenden Grunderkrankungen.
Fazit für die Praxis
Veganer*innen sollten ihre Ernährung gut planen und regelmäßig ärztliche Kontrollen sowie Labortests durchführen lassen, um Mikronährstoffmängel zu vermeiden. Gleichzeitig ist es wichtig, die allgemeine Ernährungskompetenz in der Bevölkerung zu erhöhen und sowohl Konsument*innen als auch Gesundheitsfachkräfte über eine ausgewogene vegane Ernährung und ihre möglichen Risiken aufzuklären. Vor allem im niedergelassenen Bereich ist ein offener und verständnisvoller Austausch essenziell, um mögliche Missverständnisse zu vermeiden und eine fundierte Beratung zu gewährleisten.
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Aus endokrinologischer Sicht wird eine vegane Ernährung wegen ihren positiven Auswirkungen auf die Komponenten des metabolischen Syndroms als akzeptable Strategie für das Diabetesmanagement und zur Reduzierung des Risikos kardiovaskulärer Komplikationen bei Personen mit DM2 empfohlen. Aus osteologischer Sicht kann eine vegane Ernährung, obwohl sie gesundheitliche Vorteile bietet, das Risiko von Mikronährstoffmängeln wie Kalzium, Vitamin D und B12 erhöhen, was negativ auf den Knochenstoffwechsel wirken und das Fraktur- und Osteoporoserisiko steigern kann.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
A. Reif und K. Amrein geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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