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Erschienen in: Journal für Urologie und Urogynäkologie/Österreich 2/2019

Open Access 01.06.2019 | Aktuelles

Urogynäkologie und Hormone

verfasst von: Univ.-Doz. Dr. Barbara Bodner-Adler

Erschienen in: Journal für Urologie und Urogynäkologie/Österreich | Ausgabe 2/2019

Hinweise
Literatur beim Verfasser

Hintergrund

40 % aller postmenopausalen Frauen leiden an einer Beckenbodenfunktionsstörung, und die Hälfte aller postmenopausaler Frauen klagt über Symptome einer vaginalen Atrophie (wie vaginale Trockenheit, Irritation, Juckreiz usw.). Der Begriff der BB-Funktionsstörung umfasst eine Fülle an Symptomen bzw. Beschwerdebildern:
  • Beckenorganprolaps (BOP)
  • Harninkontinenz (Belastungsharninkontinenz [SUI], Mischharninkontinenz [MUI], überaktive Blase [OAB], Blasenentleerungsstörungen)
  • Stuhlinkontinenz, Darmentleerungsstörungen
  • Schmerzen im Urogenitaltrakt, Dyspareunie
  • Entzündungen und Infektionen der ableitenden Harnwege usw.
Da sich sowohl der weibliche untere Harntrakt als auch der Genitaltrakt vom Sinus urogenitalis ableiten und sich dadurch in unmittelbarer anatomischer Nähe entwickeln, ist auch die Verteilung der Hormonrezeptoren im kleinen Becken ähnlich. Östrogenrezeptoren (ER-Rezeptoren) konnten sowohl in der Scheide als auch der Blase, der Urethra, der BB-Muskulatur sowie den Sakrouterinligamenten nachgewiesen werden.

Rolle der Östrogene im kleinen Becken

Östrogene haben einerseits eine unterstützende Funktion im kleinen Becken, in dem sie die Synthese und den Abbau von Kollagen regulieren. Weiters ist der weibliche Kontinenzmechanismus „östrogensensitiv“, das bedeutet, Östrogene verbessern einerseits den urethralen Widerstand durch einen Anstieg der Anzahl der periurethralen Gefäße. Zusätzlich begünstigen sie eine Detrusorrelaxation mittels Reduktion der Frequenz und Amplitude von Detrusorkontraktionen.
Aus all den oben genannten Gründen könnte der Abfall der Östrogene nach der Menopause ein möglicher ätiologischer Faktor für das Auftreten einer BB-Funktionsstörung sein. Epidemiologische Daten unterstützen dies: Beispielsweise findet sich die höchste Prävalenz der SUI zum Zeitpunkt der natürlichen Menopause/Perimenopause, und mit zunehmendem Alter nehmen Inzidenz und Prävalenz des Beckenorganprolaps deutlich zu.

Zirkulierende endogene Sexualsteroide und Beckenbodenfunktionsstörungen

Der Zusammenhang zwischen zirkulierenden endogenen Sexualsteroiden und dem Auftreten einer Beckenbodenfunktionsstörung ist nach wie vor unklar, wobei unterschiedliche Ergebnisse in der Literatur vorliegen, ob und, wenn ja, welchen Einfluss endogen zirkulierende Sexualsteroide auf die Erkrankungsbilder Belastungsinkontinenz (SUI) und Beckenorganprolaps (BOP) ausüben. Positive, negative und keine Korrelationen zwischen dem Östradiollevel und Harninkontinenz wurden beschrieben. Die Datenlage für Beckenorganprolaps (BOP) ist unzureichend bis komplett fehlend.

Lokale Östrogene in Therapie von Beckenbodenfunktionsstörungen

In einem systematischen Review (SR)/Metaanalyse von Weber et al. wurde die lokale Östrogengabe im Vergleich zu Plazebo bei postmenopausalen Patientinnen mit Vaginalatrophie (VA), Harninkontinenz (HI) oder Beckenorganprolaps (BOP) untersucht [1]. Unterschiedliche Dosierungen, Verabreichungsformen und Therapiedauer wurden in den einzelnen Studien verwendet. Die meisten Studien waren für die lokale E2-Gabe bei Vaginalatrophie vorhanden (532 Studien, 32 RCT mit 6500 Patientinnen). Der Großteil dieser Arbeiten berichtete über signifikant weniger Symptome der VA in der Östrogengruppe im Vergleich zu Plazebo und signifikant weniger klinische Zeichen einer VA, eine Zunahme des vaginalen Reifeindex und einen geringeren pH-Wert in der Östrogengruppe (p < 0,05). Die durchschnittliche Therapiedauer lag bei 12 Wochen, nennenswerte Nebenwirkungen wurden keine berichtet.
Der Einsatz lokaler Östrogene in der Therapie der Harninkontinenz (HI) zeigte eine Verbesserung subjektiver, objektiver und urodynamischer Parameter in der Östrogengruppe im Vergleich zu Plazebo. Eine Kombinationstherapie (Triple-Therapie mit lokalem E2 + operative Sanierung + Lactobacillus) zeigte eine deutliche Verbesserung der Beschwerden bei Belastungsinkontinenz.
Der Einsatz lokaler Östrogene in der Therapie/Prävention des BOP umfasst spärliche Literatur, wobei nur 3 RCT eingeschlossen werden konnten. Keine der vorhandenen Studien untersuchte prolapsspezifische Beschwerden, und die Fallzahl der Studien war teilweise sehr gering.
Als Limitation dieses systematischen Reviews sind v. a. die inhomogenen Ergebnisse zu nennen, welche eine quantitative Analyse nicht ermöglichen. Weiters wurden unterschiedliche Outcome-Parameter, unterschiedliche Verabreichungsformen (Vaginaltablette, Ring, Ovula usw.) und Dosierungen von lokalem Östrogen verwendet, wodurch die Ergebnisse nur selektiv berichtet werden können.
Ein weiterer SR von Rahn et al. fasste zusammen, dass die präoperative (2–12 Wochen) lokale Östrogengabe vor einer Deszensusoperation zu einem verbesserten vaginalen Reifeindex sowie einer erhöhten Vaginalepitheldicke zum Zeitpunkt der OP führte. Der Einsatz von lokalem E2 postoperativ (12 Wochen–6 Monate) nach einer suburethralen Schlingen-OP (TVT OP) führte zu vermindertem Harndrang und Miktionsfrequenz und weniger Granulationsgewebe. Konklusion der Autoren war, dass lokales E2 seinen Stellenwert in der Therapie von postmenopausalen BB-Funktionsstörungen hat, Langzeiteffekte allerdings unklar bleiben.

Systemische Hormonersatztherapie (HRT) – Einfluss auf die Kontinenz?

Ein Cochrane Review von Cody et al. umfasste 34 RCT mit insgesamt 19.676 Frauen mit HI. 18 Studien untersuchten die systemischer Östrogengabe und 17 Studien die Gabe von lokalem E2 [2].
Zusammengefasst zeigten 6 Studien mit oraler systemischer Östrogentherapie (equine konjugierte Östrogene) eine Verschlechterung der Inkontinenz im Vergleich zu Plazebo (RR: 1,32; 95 %-KI: 1,17–1,48), wobei sowohl die Östrogenmonotherapie (bei St.p. HE) als auch die Östrogen-Gestagen-Kombinationstherapie (bei intaktem Uterus) zu einer Verschlimmerung der Harninkontinenz führte. In einer Subgruppeanalyse konnte weiters gezeigt werden, dass Patientinnen, welche bei Studienbeginn noch an keiner HI litten, häufiger eine De-novo-Harninkontinenz im Vergleich zu Plazebo entwickelten (nach einem Behandlungsjahr mit Östrogenen: RR: 1,53; 95 %-KI: 1,37–1,71; nach einem Behandlungsjahr mit Östrogen/Progesteron: RR: 1,39; 95 %-KI: 1,27–1,52).

Fazit für die Praxis

  • Lokale Östrogengabe ist großteils effektiv und sicher in der Behandlung der Vaginalatrophie in einer Dosierung von 10 μg und mehr.
  • Unter lokalem E2 werden subjektiv weniger Inkontinenzbeschwerden bei Patientinnen mit OAB und SUI berichtet.
  • Keine Aussage ist zu lokalen Östrogenen in der Therapie und Prävention bei BOP möglich.
  • Welche lokale Anwendungsform (Cremen, Vaginaltabletten usw.) verwendet wird, sollte in der klinischen Praxis der Patientin überlassen werden.
  • Lokale E2-Therapie im Rahmen der Behandlung einer HI sollte immer eine kombinierte Therapie mit BBT und/oder Antimuskarinika darstellen.
  • Die Evidenz ist zu schwach, um eine exakte Empfehlung bezüglich Dosierung anzugeben (bestmögliche Dosierung unklar?).
  • Systemische HRT verschlechtert Inkontinenzsymptome oder eine Neuentwicklung tritt auf.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

B. Bodner-Adler gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von der Autorin durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Metadaten
Titel
Urogynäkologie und Hormone
verfasst von
Univ.-Doz. Dr. Barbara Bodner-Adler
Publikationsdatum
01.06.2019
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Journal für Urologie und Urogynäkologie/Österreich / Ausgabe 2/2019
Print ISSN: 1023-6090
Elektronische ISSN: 1680-9424
DOI
https://doi.org/10.1007/s41972-019-0058-2

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