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05.05.2025 | Traumata

Neustart dank Therapien

verfasst von: Irene Thierjung

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Seit 30 Jahren betreut die Organisation Flüchtlinge mit Gewalterfahrungen, Flashbacks, Schmerzen und Angst. Gründer Dr. Siroos Mirzaei und Geschäftsführerin Dr. Cecilia Heiss erzählen über die Anfänge des Vereins. Sie berichten von Traumata, die über Generationen weitergegeben werden, und wie sie Folterspuren dokumentieren.

Der Folterer, dessen Gesicht plötzlich in der U-Bahn auftaucht, Panik beim Anblick von Parkwächtern und anderen Uniformierten, Depressionen oder chronische Schlaflosigkeit – viele Geflüchtete kämpfen mit schweren Traumata. In Wien gibt es seit 30 Jahren eine Anlaufstelle, die ihnen hilft, sich ein neues Leben aufzubauen: das Betreuungszentrum Hemayat.

Von Anfang an dabei ist Prof. Dr. Siroos Mirzaei. Schon vor der Gründung von Hemayat behandelte er als Turnusarzt Patientinnen und Patienten kostenlos im späteren Kinderzimmer seiner Wohnung. Zugewiesen wurden die Menschen aus Afrika von Amnesty International (ai), zu dessen Medizinergruppe Mirzaei gehörte. „Sie haben im Stiegenhaus gewartet, bis ich vom Spital nach Hause kam“, erinnert sich der Vorstand der Nuklearmedizin in der Klinik Ottakring. „Dank des Netzwerks der Mediziner konnte ich Labor- oder Röntgenuntersuchungen veranlassen.“

Der Einsatz des jungen Mediziners sprach sich herum, der damalige Chefredakteur der Ärzte Woche , Thomas Stodulka, interviewte Mirzaei – und der Stein kam ins Rollen. Nach Veröffentlichung des Artikels meldeten sich mehrere Ärztinnen und Ärzte bei Mirzaei, gemeinsam gründeten sie Hemayat – der Name stammt aus dem Persischen und Arabischen und bedeutet Betreuung oder Schutz.

Nachfrage übersteigt Angebot

Der Bedarf für „medizinische, psychologische und psychotherapeutische Betreuung von Folter- und Kriegsüberlebenden“, wie Hemayat seine Aufgabe beschreibt, war 1995 groß. „Am Balkan tobte ein Krieg und unsere ersten Klienten kamen aus Bosnien“, erzählt Mirzaei.

Inzwischen hat die Organisation mehr als 22.000 Menschen betreut. Von Anfang an habe es immer mehr Anfragen als Therapieplätze gegeben, berichtet Dr. Cecilia Heiss, Geschäftsführerin von Hemayat. „Die Anfragen spiegeln die Krisenherde und Fluchtbewegungen der Welt zeitversetzt wider.“ Zuletzt sei die Zahl gestiegen, teils wegen des Kriegs in der Ukraine. Berichte über Kriegsgräuel lösten bei vielen Geflüchteten Retraumatisierungen aus, besonders bei Menschen aus Afghanistan oder Syrien, in denen es in der Vergangenheit Konflikte mit Russland gab.

„Unser 100-köpfiges interdisziplinäres Team behandelt posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS)“, sagt Heiss. Es gebe drei Hauptsymptome: das andauernde Wiedererleben traumatisierender Erfahrungen als Flashbacks oder Alpträume, Schlaflosigkeit durch ständige Alarmbereitschaft (Hyperarousal) und das Verdrängen des Geschehenen. „Leute mit selbstverletzendem Verhalten oder Suizidgefahr priorisieren wir, danach kommen Eltern mit Kindern, meist Mütter.“ Die Forschung zeige, dass Traumata über Generationen weitergegeben werden –, was es zu durchbrechen gelte.

Weinen im Deutschkurs

Die Menschen kommen auf unterschiedlichen Wegen zu Hemayat. „Wir haben in Flüchtlingscommunities einen sehr guten Ruf“, sagt Heiss. „Da heißt es: Wenn du nicht schlafen kannst, geh zu Hemayat, die haben meiner Tante geholfen.“ Schulen, Kindergärten oder das AMS verweisen Menschen an den Verein –, wenn in einem Deutschkurs auffällt, dass eine Frau ständig weint.

Im Erstgespräch erfasst das Team die Symptome und erstellt ein psychologisches Gutachten. Gab es physische Folter, werden deren Folgen dokumentiert. „Wenn Menschen aus bestimmten Gebieten im Gefängnis waren, kann man davon ausgehen, dass sie körperlich misshandelt wurden“, sagt Mirzaei. „Kürzlich habe ich einen Flüchtling aus Syrien untersucht, der an den Händen aufgehängt worden war. Er hatte typische zirkuläre Verletzungen an den Handgelenken und typische Muskelatrophien durch Plexusläsion.“ Der Mann habe auch berichtet, vor Jahren brutal geschlagen worden zu sein, was eine Knochenszintigrafie bestätigte.

Bei der Dokumention von Folter arbeitet Hemayat mit „ai“, den Folterbeauftragten der Vereinten Nationen sowie mit Länderbeauftragten zusammen. „Unterstützend steht uns die World Medical Association (Weltärztebund) zur Seite, denen wir Berichte schicken“, sagt Mirzaei. Wichtig sei auch, die Erkenntnisse in Fachmedien zu publizieren.

Hilfe langfristig sichern

Um sich ein neues Leben aufbauen zu können, sei neben Therapie auch das Anerkennen des Erlebten nötig, sagt Heiss. „Wir wissen aus der Holocaust-Forschung, wie wichtig das ist.“ Das Gefühl von Sicherheit, etwa durch einen gesicherten Aufenthaltsstatus und einen geregelten Alltag, trage auch zu einem erfolgreichen Neustart bei.“

Spenden an Hemayat sind online möglich oder an die folgende

IBAN: AT05 2011 1284 4609 9600

Spendengala Spendengala aus Anlass von „30 Jahre Hemayat“ statt.

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Das Betreuungszentrum Hemayat in Wien behandelt seit 30 Jahren Kinder, Frauen und Männer, die unter den Folgen von Krieg und Folter leiden. Bisher haben rund 22.000 schwertraumatisierte Menschen Hilfe erhalten. „Die Menschen, die wir betreuen, kommen aus den Krisenherden dieser Welt", sagt Geschäftsführerin Cecilia Heiss. Die häufigste Erkrankung ist die posttraumatische Belastungsstörung.


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Titel
Neustart dank Therapien
Publikationsdatum
05.05.2025

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