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Erschienen in: Schweizer Gastroenterologie 3/2022

Open Access 20.09.2022 | Originalien

Therapeutisches Management der chronischen Obstipation

Expertenmeinung im Namen der Schweizerischen Gesellschaft für Gastroenterologie (SGG) und Schweizer Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (SwissNGM)

verfasst von: Prof. Dr. med. Daniel Pohl, Jan Levenfus, Michel Adamina, Sandra Capraru, Henriette Heinrich, Claudia Krieger-Grübel, Ioannis Linas, Sophie Restellini, Radu Tutuian

Erschienen in: Schweizer Gastroenterologie | Ausgabe 3/2022

Zusammenfassung

Die chronische Obstipation ist eine häufige Erkrankung mit einer Prävalenz von 14 % in der Allgemeinbevölkerung. Unser Ziel war, eine aktuelle Stellungnahme von Schweizer Expert/innen zum klinischen Management der chronischen Obstipation vorzustellen. Nach einer gründlichen Literaturrecherche durch Expert/innen aus den relevanten Bereichen wurden ausgewählte wichtige Empfehlungen der aktuellen ESNM(European Society for Neurogastroenterology and Motility)-Guideline als Grundlage für die Stellungnahme der Schweizer Expert/innen zur Behandlung der Obstipation zusammengestellt und durch einen praxisbezogenen Algorithmus ergänzt. Jeder Empfehlung wurden entsprechende GRADE(Grading of Recommendations, Assessment, Development and Evaluation)-Evidenzniveaus zugewiesen.
Hinweise
Deutsche Übersetzung des Beitrags Therapeutic management of chronic constipation. Expert Opinion Statement on behalf of the Swiss Society of Gastroenterology, https://​sggssg.​ch/​empfehlungen/​ (Zugriff: 15.06.2022)

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Abkürzungen
BHPM
Bis-(p-Hydroxyphenyl)-Pyridyl-2-Methan
BSS
Bristol Stool Scale
CGMP
Cyclisches Guanosinmonophosphat
DD
Dyssynerge Defäkation/Anismus
EOS
Expert Opinion Statement (Sachverständigenstellungnahme)
FC
Functional Constipation (funktionelle Obstipation)
GI
Gastrointestinal
GRADE
Grading der Empfehlungen, Bewertung, Entwicklung und Beurteilung
IBS
Irritable Bowel Syndrome (Reizdarmsyndrom)
IBS‑C
Reizdarmsyndrom mit Obstipation
ICC
Interstitial Cells of Cajal (Cajal-Zellen)
KI
Konfidenzintervall
ODS
Obstruktive Defäkationsstörung
OIC
Opioid-induced Constipation (opioidinduzierte Obstipation)
OR
Odds Ratio
PAMORA
Peripherally Acting µ‑Opioid Receptor Antagonists (peripher wirkende µ‑Opioidrezeptorantagonisten)
PEC
Percutaneous Endoscopic Caecostomy (perkutane endoskopische Zökostomie)
PFD
Pelvic Floor Dyssynergia (Beckenbodendyssynergie/Anismus)
PTNS
Perkutane Tibialis-Nerv-Stimulation
QOL
Quality of Life (Lebensqualität)
RCT
Randomized Controlled Trial (randomisierte kontrollierte Studie)
SNM
Sakrale Neuromodulation
SNS
Sakralnervenstimulation
STC
Slow Transit Constipation (Slow-Transit-Obstipation)
TCM
Traditionelle Chinesische Medizin
Chronische Obstipation ist eine häufige Erkrankung mit einer geschätzten gepoolten weltweiten Prävalenz von 14 % (95 % KI 12–17 %) in der Allgemeinbevölkerung und einer steigenden Prävalenz mit zunehmendem Alter [1, 2]. Aufgrund des demografischen Wandels kann diese Prävalenz in den nächsten Jahren weiter ansteigen [3]. Verschiedene Ätiologien wurden identifiziert, die der Entwicklung einer chronischen Obstipation zugrunde liegen können. Grundsätzlich lassen sich diese in primäre (funktionelle) und sekundäre Ursachen unterteilen [4]. Somit stehen verschiedene diagnostische und therapeutische Ansätze zur Verfügung, von einfachen Anpassungen des Lebensstils und allgemeinen Maßnahmen über anspruchsvolle medikamentöse Therapien bis hin – für sehr ausgesuchte Fälle – zu chirurgischen Eingriffen. Dieses Dokument stellt die Stellungnahme der Schweizer Expert/innen zur Behandlung der chronischen Obstipation vor und soll als nützliches Tool zum Management dieser Erkrankung in der Allgemeinbevölkerung in der Schweiz dienen. Um eine umfassende Guideline zu erstellen, die die verschiedenen Aspekte der chronischen Obstipation berücksichtigt, entwickelten Expert/innen aus zugehörigen Bereichen in der ganzen Schweiz nach sorgfältiger Durchsicht der verfügbaren Literatur relevante Aussagen und einen Behandlungsalgorithmus auf der Grundlage der kürzlich veröffentlichten ESNM-Guideline [46].

Methoden und Ziele

Ein Vorsitzender (Daniel Pohl) und ein Co-Vorsitzender (Radu Tutuian) wurden von der Schweizerischen Gesellschaft für Gastroenterologie mit der Erarbeitung der Stellungnahme der Expert/innen beauftragt. Ein Gremium von 7 zusätzlichen Expert/innen aus der Schweiz, aus den Bereichen Gastroenterologie, Innere Medizin und Viszeralchirurgie, akzeptierten die Einladung der Vorsitzenden zur Teilnahme. Jede/r dieser Expert/innen wurde beauftragt, ein spezifisches Thema des Dokuments zu entwickeln und die Literatur in den jeweiligen spezifischen Fachgebieten sorgfältig zu prüfen. Alle Teile wurden dann unter den Expert/innen zwecks umfassender Prüfung und Diskussion weitergeleitet. Danach erfolgte eine sorgfältige Abstimmung und Anpassung durch D. Pohl und J. Levenfus, bevor in einer abschließenden Überprüfungsrunde mit allen Teilnehmenden letzte Änderungen vorgenommen wurden. Es wurde zu allen Aspekten der Stellungnahme ein Konsens erreicht. Wo nicht anders erwähnt, ist mit Obstipation die chronische Obstipation gemeint. „Funktionelle Obstipation“ bezeichnet die nichtobstruktive Obstipation; sie umfasst die Obstipation mit normaler und langsamer Passage.
Folgende Bereiche wurden abgedeckt:
1.
Einführung, Methoden und Ziele (D. Pohl, J. Levenfus)
 
2.
Definition, Epidemiologie, Ursachen und prädisponierende Faktoren (D. Pohl, J. Levenfus)
 
3.
Lebensstil und allgemeine Maßnahmen (S. Restellini)
 
4.
Füllstoffe/Quellstoffe und osmotisch wirkende Abführmittel (I. Linas)
 
5.
Stimulierende Abführmittel (S. Capraru)
 
6.
Prokinetika und Sekretagoga (C. Krieger-Grübel)
 
7.
Biofeedback-Therapie und alternativmedizinische Therapien (H. Heinrich, D. Pohl)
 
8.
Chirurgischer Ansatz (M. Adamina)
 
9.
Diskussion und Schlussfolgerung (R. Tutuian)
 
10.
Algorithmus (R. Tutuian)
 
Basierend auf der ESNM-Guideline und den Ergebnissen der Literaturrecherche erstellte jede/r Expert/in mehrere Aussagen mit spezifischen Empfehlungen. Das GRADE-System (Grading of Recommendations, Assessment, Development and Evaluation) wurde verwendet, um die Evidenz für jede Empfehlung zu bewerten. Ein Algorithmus zur Behandlung der chronischen Obstipation wurde auf der Grundlage der ESNM-Guideline entwickelt und von den EOS-Teilnehmenden angepasst.

Definition, Epidemiologie, Ursachen und prädisponierende Faktoren

Aussage 1

Die Obstipation ist eine häufige Erkrankung, die mit einer Beeinträchtigung der QOL verbunden ist. (Klasse A)
Die chronische, die intermittierende und die akute Obstipation sind häufige Erkrankungen. Mehrere Studien berichten von einer deutlich beeinträchtigten Lebensqualität (QOL) bei Erwachsenen und Kindern mit chronischer Obstipation [58].

Aussage 2

Eine Obstipation ist definiert als schwieriger, nicht zufriedenstellender oder seltener Stuhlgang. (Klasse A)
Diese Definition entspricht den Definitionen von chronischer Obstipation, die in den jüngsten Guidelines und im Konsens von Rom IV verwendet werden [9].

Aussage 3

Die Prävalenz der chronischen Obstipation ist bei Frauen höher. (Klasse A)
Die verfügbare Evidenz deutet auf ein klares Überwiegen beim weiblichen Geschlecht [10, 11]. Dies wurde hormonalen Faktoren zugeschrieben, wie z. B. einem höheren Obstipationsrisiko während der Lutealphase des Menstruationszyklus [12] und der Wirkung von Progesteron auf die Dickdarmpassage, insbesondere während der Schwangerschaft [13, 14] oder durch Supplementierung nach der Menopause [15]. Zudem kann bei Frauen durch die Geburt oder durch gynäkologische Eingriffe die Beckenbodenmuskulatur geschädigt werden [16].

Aussage 4

Die Prävalenz der chronischen Obstipation nimmt mit dem Alter zu. (Klasse A)
Die Literatur zur chronischen Obstipation weist auf eine zunehmende Prävalenz bei älteren Erwachsenen hin [2, 17, 18]. In Datenanalysen aus der General Practice Research Database (GPRD), Großbritannien, zeigten Talley et al. eine höhere OR der Obstipation bei Patient/innen > 75 Jahren im Vergleich zu den Kontrollpersonen (OR 1,96; 95 % KI 1,71–2,24; [19]).
Gründe für die altersbedingt erhöhte Prävalenz können eine verminderte körperliche Aktivität und Polymedikation in der älteren Bevölkerung [2022] sowie physiologische Auswirkungen des Alterns auf das intestinale Bindegewebe, den Hormonspiegel und das Mikrobiom sein. Hier ist noch weitere Forschung notwendig. Interessanterweise wurde gezeigt, dass prämenopausale Frauen (< 49 Jahren) längere Passagezeiten haben als ältere Frauen (64,0 vs. 59,5 h; Differenz: 4,6 h; 95 % KI 1,1–8,1 h; [23]). Daraus ergeben sich weniger ausgeprägte geschlechtsspezifische Unterschiede der Obstipationsprävalenz in der älteren Bevölkerung (siehe Aussage 3).

Aussage 5

Eine positive Familienanamnese von chronischer Obstipation prädisponiert zur Obstipation. (Klasse C)
Die Genetik und die Epigenetik können eine Rolle bei der Entwicklung einer chronischen Obstipation spielen. Spezifische Mutationen konnten hingegen nicht identifiziert werden [24]. Studien mit FC-Patient/innen zeigten, dass bei positiver Familienanamnese von FC die Erkrankung in einem jüngeren Alter beginnt und länger dauert. Damit war eine höhere Inzidenz von Komplikationen (symptomatische Hämorrhoiden, Analfissuren, Rektumprolaps) und eine häufigere Unterstützung der Stuhlentleerung mit der Hand verbunden [25]. Es gibt im Vergleich zu Kontrollpersonen signifikant höhere Raten an Obstipation bei Geschwistern oder Eltern von Kindern mit funktioneller Obstipation [26]. Weitere genetische und epigenetische Studien sind erforderlich.

Aussage 6

Erziehung kann sich auf die Stuhlgewohnheiten in der Kindheit auswirken. (Klasse C)
Es wurde ein Zusammenhang zwischen elterlichen Einstellungen zur Kindererziehung und funktioneller Obstipation bei Kindern aufgezeigt [27]. Sowohl höhere als auch niedrigere Werte auf der Autonomieskala waren mit weniger Stuhlgang und mehr Stuhlinkontinenzepisoden verbunden. Daher sollten bei der Behandlung von Kindern mit chronischer Obstipation auch Erziehungsfragen angesprochen werden.

Aussage 7

Ein niedrigeres Sozial‑, Wohlstands- und Bildungsniveau ist mit einer höheren Prävalenz von chronischer Obstipation verbunden. (Klasse C)
Im Allgemeinen neigen Personen mit niedrigerem Sozial‑, Wohlstands- und Bildungsniveau zu höheren Obstipationsraten. Eine Studie mit Teilnehmenden, die in fünf sozioökonomische Klassen – von 1. (höchste) bis 5. (niedrigste) – eingeteilt wurden, zeigte, dass die standardisierte Prävalenzrate (95 % KI) für Obstipationssymptome im 1. Quintil (2,81 bei Männern und 8,53 bei Frauen) im Vergleich zum 2. bis 5. Quintil am niedrigsten war (4,03, 6,99, 5,68 und 5,15 bei Männern; 14,06, 13,35, 13,95 und 14,31 bei Frauen) [28]. Einer anderen Studie zufolge korrelierte Obstipation mit einem niedrigen Bildungsniveau der Mutter [29]. Es ist jedoch ein zusammengesetzter Effekt aus sozioökonomischer Klasse und geringer Ballaststoffaufnahme möglich. In einem systematischen Review zu 75 verschiedenen Studien schlossen die Autoren, dass in niedrigeren sozioökonomischen Klassen weniger Ballaststoffe, Obst und Gemüse konsumiert werden [30]. Eine kürzlich durchgeführte Studie konnte in Bezug auf die Nutzung von Gesundheitsressourcen oder die Anwendung von Obstipationsbehandlungen keine Unterschiede zwischen verschiedenen Bildungsniveaus oder Gesamthaushaltseinkommen feststellen, so dass dieses Thema für Diskussionen offen blieb [31].

Aussage 8

Nach sorgfältigem Ausschluss einer Defäkationsstörung anhand von anorektalen Funktionstests einschließlich Defäkografie weist mindestens die Hälfte der Patient/innen mit funktioneller Obstipation keine Anzeichen einer Verzögerung der Dickdarmpassage auf. (Klasse C)
Verschiedene pathophysiologische Mechanismen können eine funktionelle Obstipation verursachen. Die Hauptursachen werden in drei Kategorien eingeteilt: Obstipation mit Defäkationsstörungen, mit normaler Dickdarmpassage und mit langsamer Dickdarmpassage [4, 32]. In einer Untersuchung der Krankenakten wurden zwischen 1994 und 2011 insgesamt 1411 Patient/innen von einem Gastroenterologen analysiert [33]. Die Mehrheit der Patient/innen (68 %) hatte eine Normal-Transit-Obstipation, 28 % erfüllten die Kriterien für eine dyssynerge Defäkation, und 4 % hatten eine Slow-Transit-Obstipation, die durch eine Darmpassagenszintigraphie diagnostiziert wurde. Sekundäre Obstipationsursachen sind Auswirkungen anderer Grunderkrankungen, inklusive Medikamente oder anatomische Veränderungen [4].

Aussage 9

Entleerungsstörungen stellen eine wichtige zugrundeliegende Ursache für chronische Obstipation dar; sie sollten bei therapieresistenter Obstipation in Betracht gezogen werden, bevor eine isolierte Slow-Transit-Obstipation diagnostiziert wird. (Klasse B)
Die verschiedenen zugrundeliegenden pathophysiologischen Mechanismen bei FC beeinflussen den therapeutischen Ansatz. Battaglia et al. zeigten, dass ein Jahr nach der Biofeedback-Therapie nur 20 % der Patient/innen mit STC noch eine positive Wirkung aufwiesen, gegenüber 50 % der Patienten mit Beckenbodendyssynergie (PFD). Kurzfristig zeigten beide Gruppen eine signifikante Besserung der Bauchschmerzen, der Anstrengung, der Anzahl an Entleerungen pro Woche und der Anwendung von Abführmitteln [34]. Die weniger deutliche Wirkung der spezialisierten anorektalen Biofeedback-Therapie bei STC kann auf eine komplexere Pathophysiologie und mehrere beteiligte Faktoren wie die Beeinträchtigung der propulsiven Aktivität [35] und abnormale physiologische Reflexe zurückzuführen sein [36], die nicht nur wie bei PFD den distalen Teil des Darms betreffen. Da die Biofeedback-Therapie ein wirksamer Ansatz bei PFD [37] ist, sollten Defäkationsstörungen mit Hilfe der anorektalen Manometrie vor der Diagnose einer isolierten STC ausgeschlossen werden.

Aussage 10

Es gibt bei chronischer Obstipation eine erhöhte Prävalenz der rektalen Hyposensitivität. (Klasse D)
Unter Verwendung des 2,5. und 97,5. Perzentils für die Schmerzschwelle gesunder Freiwilliger (18 mm Hg bzw. 42 mm Hg) wiesen Shekar et al. anorektale Hyposensitivität bei FC-Patient/innen (27 %) im Vergleich zu Reizdarmpatient/innen mit vorherrschenden Obstipationssymptomen (IBS‑C; 4 %) nach. Hypersensitivität wurde bei 30 % der IBS-C-Patient/innen und bei keinen FC-Patient/innen beobachtet [38]. Eine weitere Studie von Gladman et al. ergab auch eine höhere Prävalenz der rektalen Hyposensitivität bei Patient/innen mit Obstipation (23 %) oder mit Inkontinenz im Zusammenhang mit Obstipation (27 %) gegenüber Patientinnen mit nur Stuhlinkontinenz (10 %) oder mit anorektalen physiologischen Untersuchungen ohne zugrundeliegender Obstipation oder Stuhlinkontinenz (5 %) [39].

Aussage 11

Das Volumen der Cajal-Zellen im Sigma und die neuronalen Strukturen innerhalb der zirkulären glatten Muskelschicht des Dickdarms sind bei Patienten mit Slow-Transit-Obstipation verringert. (Klasse C)
Mit Blick auf die Motilität analysierten He et al. die Rolle der Cajal-Zellen (ICC) bei STC-Patient/innen. Es wurde bei STC-Patient/innen im Vergleich zu Kontrollpersonen ein signifikant verringertes ICC-Volumen in allen Schichten von Sigmaproben gefunden. Die neuronalen Strukturen innerhalb der zirkulären glatten Muskelschicht des Dickdarms waren ebenfalls verringert [40]. Aktuelle Studien mit histologischen Daten stammen jedoch von ausgewählten Patient/innen mit ausgeprägten Symptomen, die möglicherweise nicht repräsentativ für gewöhnliche chronische Obstipation sind. Eine Möglichkeit, um hier weiterzukommen, ist die Verwendung neuerer Entwicklungen wie Vollwandresektionsgeräte, die eine endoskopische Entnahme repräsentativer Proben ermöglichen [41].

Lebensstil und allgemeine Maßnahmen

Aussage 12

Lebensstil- und Ernährungsumstellungen müssen die ersten therapeutischen Maßnahmen bei der Behandlung einer funktionellen Obstipation sein. (Klasse B)
Die meisten Studien betreffen Maßnahmen zur Erhöhung der Ballaststoffe, Bewegung, Sicherstellung einer ausreichenden Flüssigkeitsaufnahme und Ritualisierung der Stuhlgewohnheiten [42]. Da diese Maßnahmen häufig gemeinsam bewertet werden, ist es schwierig, die Auswirkungen der einzelnen Empfehlungen zu unterscheiden. Insgesamt sind sich die meisten Studien über den Nutzen der Kombination von Lebensstilmaßnahmen einig [4345]. Auch wenn die Evidenz in dieser Frage nicht stark ist und weitere Studien notwendig sind, wird die Mehrheit der Patient/innen auf Anpassungen des Lebensstils ansprechen und ihre Obstipationssymptome, ihre Lebensqualität und ihre allgemeine Gesundheit verbessern. Daher sind Anpassungen des Lebensstils ein vernünftiger und sicherer First-Line-Ansatz in der klinischen Praxis. Weitere Untersuchungen sollten nur bei Patient/innen, die auf diese Strategie nicht ansprechen, durchgeführt werden [17, 46].

Aussage 13

Eine weitverbreitete Empfehlung bei funktioneller Obstipation ist, die Zufuhr an Ballaststoffen (in der Nahrung und als Ergänzungspräparat) zu erhöhen. (Klasse C)
Mehrere Studien deuten darauf hin, dass eine ballaststoffreiche Diät allein ohne ausreichende Flüssigkeitszufuhr nicht wirksam sein dürfte [46, 47]. Es steht eine große Anzahl von Ballaststoffen zur Verfügung, von denen alle unterschiedliche Fermentierbarkeits- und Löslichkeitseigenschaften aufweisen:
  • Langkettige Kohlenhydrate mit einem breiten Löslichkeits- und Fermentierbarkeitsspektrum.
  • Unlösliche und schlecht fermentierbare Ballaststoffe wie z. B. Weizenkleie wirken abführend durch eine mechanische Stimulation der Flüssigkeits- und Schleimsekretion.
  • Umgekehrt wirkt fein gemahlene Weizenkleie weniger auf den Dickdarm und kann sogar bei reduzierter Wasseraufnahme zur Bildung von hartem Stuhl führen [48].
  • Kurzkettige Kohlenhydrate sind sehr gut fermentierbar und löslich. Das führt zu einer erhöhten Gasproduktion und wirkt wenig gegen die Obstipation. Einige von ihnen enthalten Polyole (z. B. Pflaumen), was unabhängig vom Ballaststoffgehalt zu einer osmotischen abführenden Wirkung auf den Dickdarm führt [48].
Eine Besserung der Obstipation durch vermehrte Zufuhr an Ballaststoffen sollte nicht zur Annahme verleiten, dass ein Mangel an Ballaststoffen notwendigerweise die Hauptursache der Obstipation sei. Interventionelle Studien sind immer noch gerechtfertigt, um den Einfluss einer erhöhten Ballaststoffaufnahme per se auf funktionelle Obstipation zu bestimmen. Als Randnotiz sollte erwähnt werden, dass Patient/innen, die sich zwischen funktioneller Obstipation und IBS‑C bewegen, diejenigen sein können, die aufgrund erhöhter viszeraler Empfindlichkeit an der Fermentation und den osmotischen Nebenwirkungen leiden.

Aussage 14

Eine zusätzliche Flüssigkeitszufuhr allein bei Patient/innen, die nicht dehydriert sind, bessert nicht die chronische Obstipation, da die angemessene Flüssigkeitszufuhr bei diesen Patient/innen unbekannt ist. (Klasse C)
Normale Stühle bestehen zu etwa 74 % aus Wasser, während weiche bzw. harte Stühle > 76 % bzw. < 72 % Wasser enthalten. Ohne ein exogenes Substrat, das aufgenommenes Wasser zurückhält, bleibt zusätzlich zugeführtes Wasser nicht im Lumen des GI-Trakts, sondern wird resorbiert, um die Flüssigkeitshomöostase aufrechtzuerhalten. Es gibt keine klare Definition der angemessenen Flüssigkeitszufuhr bei Menschen mit Obstipation [8, 43, 45]. Auch wenn eine erhöhte Flüssigkeitsaufnahme mit einer leichten Besserung der Symptome verbunden sein kann, deuten die meisten Daten darauf hin, dass eine Erhöhung der Flüssigkeitsaufnahme allein keinen Nutzen bei Obstipation hat. Laut einer Studie mit 833 älteren Menschen (Durchschnittsalter: 74 Jahre) hatten 71 % der Patient/innen, die ≥ 6 Glas Wasser pro Tag tranken, gegenüber den Patient/innen, die weniger Flüssigkeit zu sich nahmen, keinen Unterschied bei den Darmsymptomen [49]. Ein Review, der eine RCT und eine Beobachtungsstudie einschloss, kam zu dem Ergebnis, dass Patient/innen von der Flüssigkeitsaufnahme nur in Kombination mit zusätzlichen Ballaststoffen profitieren [50]. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Evidenz zur alleinigen Erhöhung der Flüssigkeitszufuhr bei der Behandlung von funktioneller Obstipation schwach ist und eine Definition der angemessenen Flüssigkeitszufuhr für diese Patient/innen von größeren interventionellen Studien erwartet wird.

Aussage 15

Es besteht kein Konsens über die Vorteile und das notwendige Ausmaß an körperlicher Aktivität, um chronische Obstipation zu bessern. (Klasse B)
Obwohl gemäßigte körperliche Aktivität die Symptome einer chronischen Obstipation reduzieren könnte, legen die meisten Daten nahe, dass eine Minderheit der Patient/innen von mehr Bewegung profitiert [51]. Es gibt zwar Hinweise auf einen Einfluss der körperlichen Aktivität auf die Verdauungsmotilität, mit Beschleunigung der Passage vom Mund zum Blinddarm, aber das muss nicht automatisch eine Besserung der Obstipationssymptome bewirken. Die Evidenz in der Literatur ist umstritten. Bei Patient/innen mit sitzender Lebensweise zeigten einige Studien nach körperlicher Aktivität eine Besserung der chronischen Obstipation auf, beurteilt anhand des BSS-Scores und der Symptome [44, 52], während andere Studien das nicht feststellten [53, 54]. Ein 2011 veröffentlichtes Review spricht gegen die Wirkung von Bewegung auf Obstipation, da die Studien uneinheitliche Effekte zeigten [55]. Obwohl körperliche Aktivität in einigen Studien die Lebensqualität zu verbessern scheint, indem sie die Intensität der Symptome verringert, gibt es keinen Konsens über die Vorteile von Bewegung bei Obstipation [45, 46, 54, 56]. Zukünftige Studien sollten den Fokus auf die Bestimmung des Ausmaßes an körperlicher Aktivität legen, das zur Verbesserung des Verdauungskomforts bei einem Menschen erforderlich ist.

Füllstoffe/Quellstoffe und osmotische Abführmittel

Aussage 16

Quellmittel, insbesondere lösliche Ballaststoffe, werden bei der Behandlung der chronischen Obstipation empfohlen. (Klasse B)
Ballaststoffpräparate wurden aufgrund ihrer niedrigen Kosten und ihres günstigen Sicherheitsprofils traditionell als erste Wahl bei chronischer Obstipation eingesetzt. Ähnlich wie Ballaststoffe aus der Nahrung binden Ballaststoffpräparate intraluminales Wasser, erhöhen so das Stuhlvolumen, machen die Stuhlkonsistenz weicher und beschleunigen die Passage [57, 58]. Darüber hinaus werden lösliche Ballaststoffe wie Flohsamen teilweise fermentiert, und die Produkte dieser Fermentation beschleunigen die Darmpassage zusätzlich. Ein systematisches Review von 6 RCTs, welche die Wirksamkeit von Ballaststoffpräparaten untersuchten, kam zu dem Schluss, dass Flohsamenschalen (mehrere in der Schweiz erhältliche Produkte, z. B. Laxiplant soft®, Metamucil®) trotz der begrenzten Behandlungsdauer und trotz den Unterschieden bei den Dosierungen und den erfassten Ergebnissen eine konsistente Wirksamkeit gegenüber Placebo aufweisen, mit einer sehr tiefen NNT (Anzahl an notwendigen Behandlungen) von 2 [58].
In 3 RCTs wurde gezeigt, dass Flohsamenschalen die allgemeinen Symptome (Schmerzen beim Stuhlgang, Stuhlkonsistenz, wöchentliche Anzahl der Stühle) gegenüber Placebo (86,5 % vs. 47,4 %) signifikant bessern und die Anzahl der Tage ohne Stuhlgang verringern [58]. Ein weiterer Vorteil von löslichen Ballaststoffen als empirische Erstlinientherapie ist die potenzielle Symptomreduktion bei Patient/innen mit obstruktiver Defäkationsstörung funktioneller oder struktureller Ätiologie [59], wodurch eine umfangreiche Vorbereitung vor Beginn der Behandlung entfällt. Für die Verwendung von Ballaststoffen spricht zusätzlich ihre günstige Wirkung auf die Stuhlinkontinenz [60], eine oft unerkannte Komorbidität bei Patient/innen mit chronischer Obstipation [61]. Darüber hinaus haben lösliche Ballaststoffe ein ausgezeichnetes Sicherheitsprofil und können während der Schwangerschaft und Stillzeit verwendet werden.

Aussage 17

Die schrittweise Einführung der Ballaststoffe, um die Wirksamkeit zu maximieren und unerwünschte Wirkungen wie Blähungen, abdominelle Distension, Darmkrämpfe und Flatulenzen zu begrenzen, wird empfohlen. (Klasse C)
Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen von Ballaststoffen gehören Blähungen, abdominelle Distension, Darmkrämpfe und Flatulenzen. Diese Symptome treten bei unlöslichen Ballaststoffen deutlicher auf, sind dosisabhängig und neigen dazu, im Laufe der Behandlung abzunehmen. Mit einer schrittweisen Einführung können sie also minimiert werden [58, 62, 63]. Ein praktischer Ansatz besteht darin, mit 1‑mal täglich 5 g (ein Teelöffel Flohsamenschalen) zu beginnen und die Dosis in wöchentlichen Abständen auf 2‑ bis 3‑mal täglich 5 g zu erhöhen. Eine angemessene Wasserzufuhr (1,5–2 l pro Tag) sollte sichergestellt werden, um die Wirkung zu maximieren [64, 65].

Aussage 18

Osmotische Abführmittel, insbesondere Polyethylenglykol (PEG), werden bei Patient/innen mit chronischer Obstipation empfohlen, die auf Ballaststoffe nicht ansprechen oder sie nicht vertragen. (Klasse A)
Die Wirksamkeit hyperosmotischer Lösungen von Polyethylenglykol (PEG 3350 oder 4000, mehrere in der Schweiz erhältliche Produkte, z. B. Movicol®, Transipeg®, Macrogol) ist gut etabliert und wurde in zahlreichen hochwertigen RCTs nachgewiesen und ausführlich geprüft [66, 67]. Gezeigt wurde eine NNT von 3 und eine anhaltende Wirkung über 6 Monate im längsten RCT sowie 24 Monate in einer retrospektiven Studie [68].

Aussage 19

Laktulose ist eine Behandlungsoption bei Patient/innen mit chronischer Obstipation; die Verwendung wird begrenzt durch abdominale Nebenwirkungen. (Klasse C)
Trotz der langjährigen klinischen Erfahrung und der weitverbreiteten Verwendung von Laktulose bei chronischer Obstipation ist die Evidenz zu ihrer Wirksamkeit nicht eindeutig. Die wenigen vorhandenen RCTs weisen methodische Einschränkungen und heterogene Ergebnisse auf. Die gepoolten Ergebnisse zeigen eine NNT von 4. [66] Häufige unerwünschte Wirkungen sind Bauchkrämpfe und Blähungen [69], was zum Abbruch der Behandlung führen kann.

Aussage 20

Es liegen keine ausreichenden Daten zur Verwendung von Magnesium als Nahrungsergänzungsmittel bei der Behandlung von chronischer Obstipation vor. (Klasse D).
Obwohl die Verwendung von Magnesiumsalzen zum alleinigen Zweck einer Behandlung der Obstipation in der Schweiz weit verbreitet ist, gibt es keine RCT, die ihre Wirksamkeit bestätigt. Außerdem sollte das Potenzial für Nebenwirkungen, insbesondere bei Patient/innen mit eingeschränkter Nierenfunktion, berücksichtigt werden [70].

Stimulierende Abführmittel

Aussage 21

Bisacodyl ist zumindest als kurzfristige Behandlung wirksam bei chronischer Obstipation. (Klasse B)
Bisacodyl, ein Diphenylmethanderivat, ist ein stimulierendes Abführmittel, das von intestinalen und bakteriellen Enzymen zu einem deacetylierten aktiven Metaboliten (BHPM) hydrolysiert wird. Dieser stimuliert die Darmsekretion und induziert propagative Kontraktionen des Dickdarms mit hoher Amplitude [71]. Eine orale Dosis von 5–10 mg täglich wird in Form einer beschichteten Tablette eingenommen, die sich im Dickdarm auflöst, um eine lokale Wirkung zu gewährleisten, oder es wird eine Dosis von 10 mg täglich als Zäpfchen verabreicht. Die Substanz ist in der Schweiz sowohl als On-demand-Präparat als auch bei chronischer Obstipation weit verbreitet. Bei gesunden Probanden beschleunigt Bisacodyl signifikant die Entleerung des Colon ascendens, obwohl die Gesamtpassagezeit nicht verändert wird [72]. Ein systematisches Review der Literatur im Jahr 2005 bewertete stimulierende Abführmittel, einschließlich Bisacodyl, als Empfehlung der Klasse C [73], während die Chronic Constipation Task Force des American College of Gastroenterology entschied, dass die Daten nicht reichen, um eine Empfehlung zur Wirksamkeit von stimulierenden Abführmitteln für die Behandlung der chronischen Obstipation abzugeben [74]. Seitdem wurde eine randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie durchgeführt, in der die Wirksamkeit einer täglichen Anwendung von Bisacodyl bei chronischer Obstipation untersucht wurde. In dieser Studie, die an 368 Patient/innen mit chronischer Obstipation durchgeführt wurde, die nach Rom-III-Kriterien bestimmt wurde, erhöhte die 1‑mal pro Tag verabreichte Dosis von 10 mg orales Bisacodyl die Häufigkeit sowohl des Stuhlgangs als auch des vollständigen spontanen Stuhlgangs und besserte so die Obstipationssymptome und die krankheitsbedingte QOL über einen Zeitraum von 4 Wochen.

Aussage 22

Die Anwendung von Bisacodyl bei Patient/innen mit chronischer Obstipation wird in der Regel gut vertragen. (Klasse B)
In einer Studie von Kienzle-Horn et al. wurde die obstipationsbezogene Lebensqualität in der Bisacodyl-Gruppe im Vergleich zur Placebogruppe gebessert [75]. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen, die zum Absetzen des Arzneimittels führten, waren Durchfall und Bauchschmerzen, die höchstwahrscheinlich ein IBS-Bild widerspiegelten. Es gab jedoch zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede bei schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen (< 2 %). Zudem bewies eine zweite RCT die Wirksamkeit von Bisacodyl (10 mg 1‑mal täglich für 3 Tage) zur akuten Linderung der chronischen Obstipation, sowohl durch Erweichung der Stuhlkonsistenz als auch durch Erhöhung der Stuhlgangfrequenz [75]. In einer offenen RCT mit 2 Gruppen von Patient/innen mit chronischer Obstipation erhielten die Teilnehmenden entweder Pyridostigmin oder Bisacodyl. Beide Behandlungen erhöhten die Anzahl der Stühle pro Woche im Vergleich zum Ausgangswert, wobei Pyridostigmin wirksamer war als Bisacodyl [76].

Aussage 23

Natriumpicosulfat ist zumindest als kurzfristige Behandlung wirksam bei chronischer Obstipation. (Klasse B)
Natriumpicosulfat ist ein lokal wirkendes stimulierendes Abführmittel, das von der Dickdarmflora in die gleiche aktive Form wie Bisacodyl (BHPM) hydrolysiert wird. Es hat daher eine vergleichbare Wirkungsweise, einschließlich erhöhter Dickdarmperistaltik und Sekretproduktion. Es wird oral in einer Dosis von 5–10 mg täglich verabreicht. Es gibt nur eine RCT zur Beurteilung der Wirksamkeit von Natriumpicosulfat bei chronischer Obstipation. Sie wurde mit 367 Patient/innen mit FC gemäß Rom-III-Kriterien durchgeführt [77]. Die Patient/innen wurden randomisiert und erhielten 4 Wochen lang entweder Natriumpicosulfat (10 mg/Tag) oder ein Placebo. Die Anzahl der vollständigen spontanen Stuhlgänge stieg in der Natriumpicosulfatgruppe von 0,9 auf 3,4 pro Woche, verglichen mit einem Anstieg von 1,1 auf 1,7 pro Woche in der Placebogruppe.

Aussage 24

Die Anwendung von Natriumpicosulfat bei Patient/innen mit chronischer Obstipation wird in der Regel gut vertragen. (Klasse B)
Ähnlich wie bei Bisacodyl wurde in der Natriumpicosulfatgruppe im Vergleich zur Placebogruppe eine Verbesserung der Obstipationsbezogenen QOL festgestellt, während Durchfall und Bauchschmerzen die häufigsten unerwünschten Wirkungen waren. Abgesehen davon fand eine offene RCT, die bei Patient/innen mit chronischer Obstipation die Wirksamkeit von Natriumpicosulfat mit Bisacodyl direkt verglich, nach einer Gesamtdauer von 4 Wochen keinen Unterschied in der Anzahl der Stuhlgänge pro Woche (3,2 in beiden Gruppen; [76]).

Aussage 25

Anthrachinone, insbesondere Senna, sind wirksam zur Behandlung der chronischen Obstipation. (Klasse C)
Diese Klasse von Abführmitteln umfasst hauptsächlich Sennoside A und B und Cascara. Sennoside werden von der Dickdarmflora in aktive Komponenten umgewandelt [78]. Sie können nicht resorbiert werden und werden nicht in die Muttermilch ausgeschieden. Klinische Studien sind spärlich und wurden häufig in der geriatrischen Bevölkerung oder bei Patient/innen mit opioidinduzierter Obstipation (OIC) durchgeführt. In diesen Studien bestand das Ziel oft darin, den zusätzlichen Nutzen einer Kombination von Senna mit einem Füllstoff/Quellstoff oder mit einem osmotischen Abführmittel zu demonstrieren. Die verfügbaren Studien belegen ihre Wirksamkeit zur Erhöhung der Anzahl der Stühle oder zur Verbesserung der Stuhlkonsistenz. Senna bewirkte mehr Verbesserungen als Füll‑/Quellstoffe oder osmotische Abführmittel [7981] und erzielte ähnliche Ergebnisse wie Magnesiumhydroxid [82], Natriumpicosulfat [83] und sogar Lubiproston [84].

Aussage 26

Anthrachinone (insbesondere Senna) werden bei Patient/innen mit chronischer Obstipation in der Regel gut vertragen. (Klasse C)
Anthrachinone wurden mit der Entwicklung von Melanosis coli in Verbindung gebracht, einer braunen Pigmentierung der Dickdarmschleimhaut aufgrund von Ansammlungen von lipofuscinhaltigen Makrophagen [85, 86]. Inzwischen steht fest, dass diese Pigmentierung keine klinische Bedeutung hat [85]. Ein erhöhtes Risiko für Dickdarmkrebs wurde ebenfalls diskutiert. In einer prospektiven Studie mit 84.577 Frauen wurde kein Zusammenhang zwischen die Verwendung von Abführmitteln und Darmkrebs gefunden [87].

Prokinetika und Sekretagoga

Aussage 27

Prucaloprid kann bei refraktärer chronischer Obstipation in einer Anfangsdosis von 1mg, die bei Unwirksamkeit auf 2mg erhöht werden kann, verabreicht werden. Wenn sich kein therapeutischer Vorteil zeigt, wird das Medikament nach 4 Wochen abgesetzt. (Klasse A)
Der Serotonin(5-HT4)-Rezeptoragonist Prucaloprid (Resolor®) hat sich bei schwerer chronischer Obstipation, die auf Abführmittel refraktär ist, als wirksam erwiesen [8893]. Es ahmt die prokinetische Wirkung von Serotonin nach und stimuliert die Motilität im gesamten Magen-Darm-Trakt. Aufgrund seiner Rezeptorselektivität hat es im Vergleich zu nichtselektiven 5‑HT4-Agonisten (z. B. Cisaprid oder Tegaserod, die nicht mehr verfügbar sind) keine bekannten kardiologischen Nebenwirkungen. Derzeit werden neue Wirkstoffe wie Velusetrag, Naronaprid oder Mosaprid untersucht (Letzteres nur für den oberen GI-Trakt).

Aussage 28

Linaclotid kann bei refraktärer chronischer Obstipation oder IBS‑C verschrieben werden. Wenn Durchfall auftritt, kann die Kapsel geöffnet und der Inhalt in 2 bis 3 Dosen aufgeteilt werden. (Klasse A)
Linaclotid (Constella®) wirkt als oraler selektiver Guanylatcyclase-C-Rezeptor-Agonist. Es erhöht die intrazelluläre cGMP-Konzentration und damit die Flüssigkeitssekretion in das Darmlumen, was wiederum die gastrointestinale Passage beschleunigt und chronische Obstipation wirksam lindert. Es bessert auch Bauchschmerzen aufgrund abnehmender viszeraler Überempfindlichkeit und hat sich daher als wirksame Behandlung für IBS‑C erwiesen [94, 95]. Eine häufige unerwünschte Wirkung ist Durchfall (und manchmal Inkontinenz) aufgrund der Verfügbarkeit nur in hohen Dosen (290 μg pro Kapsel; in anderen Ländern sind Einheiten zu 72 μg und 145 μg verfügbar). Aufgrund der lokalen Wirkung im Darmlumen und der geringen Bioverfügbarkeit gibt es kaum systemische Nebenwirkungen [96].

Aussage 29

PAMORA sind wirksame Mittel, um das unerwünschte Ereignis der opioidinduzierten Obstipation zu behandeln. (Klasse A)
Opioide stellen einen wesentlichen Bestandteil der fortgeschrittenen Schmerztherapie dar und werden daher häufig eingesetzt. Peripher wirkende μ‑Opioidrezeptor-Antagonisten (PAMORA) hemmen die peripheren Wirkungen von μ‑Opioid-Analgetika auf Darmfunktionen, wie z. B. verminderte GI-Motilität und GI-Sekretion sowie erhöhte Wasserresorption [9799]. PAMORA wie Naloxegol (Moventig®, p.o.) oder Methylnaltrexon (Relistor®, s.c.) blockieren selektiv den μ‑Opioid-Rezeptor im Darm und können die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren. Sie sind wirksam zur Behandlung der OIC, ohne die zentrale schmerzhemmende Wirkung zu beeinträchtigen [100109]. Obwohl seit 2015 für den Schweizer Markt registriert, wird die einzige perorale Form von Moventig® derzeit nicht offiziell in der Schweiz vertrieben. Als Alternative, wenn eine Opiatmedikation notwendig ist, steht eine feste Kombination des systemischen Opioidantagonisten Naloxon mit Oxycodon (Targin® oder Generika) zur Verfügung. Sie hemmt intestinale Opioideffekte und hat aufgrund des hohen First-Pass-Effekts in der Leber wenig bis keine systemische Wirkung [110, 111].

Aussage 30

PAMORA können auch ohne Opioidtherapie prokinetische Eigenschaften haben. (Klasse C)
Eine hochwertige RCT zeigte, dass das PAMORA Alvimopan bei gesunden Probanden ohne Opioidbehandlung die Kolonpassage signifikant beschleunigte [112]. Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass μ‑Opiat-Mechanismen unabhängig von der opioidinduzierten Modulation an der physiologischen Regulation der Dickdarmmotilität beteiligt sind.

Aussage 31

Acetylcholinesterase-Inhibitoren üben prokinetische Wirkungen im Darm aus, spielen aber derzeit keine praktische Rolle bei der Behandlung der chronischen Obstipation. Ihr therapeutisches Potenzial ist nicht gut definiert. (Klasse B)
Acetylcholinesterasehemmer üben eine prokinetische Wirkung aus, indem sie den Abbau von Acetylcholin hemmen und so dessen Wirkung im enterischen Nervensystem (ENS) sowie in der glatten Muskulatur des GI-Trakts verstärken. Distigmin (Ubretid®) und verwandte Substanzen werden bei refraktären Motilitätsstörungen (z. B. akute Pseudoobstruktion des Dickdarms oder postoperativer Ileus) eingesetzt [113]. Aufgrund ihrer geringen Spezifität, mit Wirkungen sowohl auf muskarinische als auch auf nikotinische Rezeptoren, sind sie mit mehrfach systemischen, sekretorischen und schwerwiegenden kardiologischen Nebenwirkungen verbunden und haben keine regelmäßige Verwendung bei chronischer Obstipation [114, 115].

Biofeedback-Therapie und alternativmedizinische Therapien

Aussage 32

Wenn Obstipation durch eine funktionelle Defäkationsstörung verursacht wird, ist Biofeedback die Behandlung der Wahl bei entsprechender Verfügbarkeit von lokalem Fachwissen. (Klasse B)
Biofeedback ist eine Konditionierungsbehandlung. Dazu werden Geräte verwendet, um einen physiologischen Prozess aufzuzeichnen oder zu verstärken und ihn dem Patienten bzw. der Patientin meist durch Visualisierung wahrnehmbar zu machen, wodurch das Erlernen einer Kontrolle über eine gestörte Funktion ermöglicht wird [116, 117]. Mehrere ausreichend große RCTs haben gezeigt, dass es bei Patient/innen mit schwerer Obstipation aufgrund von dyssynerger Defäkation die Obstipationssymptome und die Darmpassage bessert, indem es die Defäkation verbessert [37, 118120]. Die Diagnose einer dyssynergen Defäkation wird mittels physiologischer Test wie der anorektalen Manometrie und Ballonexpulsiontest festgestellt. Es wurde immer wieder berichtet, dass die Biofeedback-Therapie den kontrollierten Behandlungsmodalitäten einschließlich Schein-Biofeedback, Placebotablette, Muskelrelaxanzien und osmotischen Abführmittel überlegen ist [119, 120]. Die Patientenergebnisse korrelieren mit der Verbesserung der anorektalen Physiologie, was nahelegt, dass Biofeedback einen anderen Wirkmechanismus nutzt als psychotherapeutische Eingriffe oder einfache Ausbildung [121]. Biofeedback ist langfristig wirksam und hat keine bekannten unerwünschten Wirkungen [120, 122]. In den ersten Studien wurde ein komplexes Protokoll verwendet, das die Defäkationsanstrengung berücksichtigte. Dadurch sollte ein erfolgreiches Ergebnis sichergestellt werden, da einfachere Protokolle bei PFD als weniger wirksam angesehen wurden [123]. Die kürzliche Einführung eines einfachen und erfolgreichen Biofeedback-Geräts für zuhause, das sich in einer kürzlich durchgeführten großen RCT im Vergleich zur Biofeedbacktherapie beim Arzt als wirksam erwiesen hat, könnte dieses Paradigma jedoch auch im Hinblick auf die Kosteneffizienz und Verfügbarkeit in Frage stellen [124, 125]. Der Erfolg des Biofeedbacks wird von mehreren Faktoren bestimmt: vor der Therapie härtere Stuhlkonsistenz, manuelle Erleichterung der Defäkation, kürzere Dauer der Anwendung von Abführmitteln, höherer Ruhedruck am Analschließmuskel und Unfähigkeit, einen rektalen Ballon auszustoßen [126, 127]. Während Patient/innen mit bloßer Slow-Transit-Obstipation nicht von einer Biofeedback-Therapie zu profitieren scheinen, haben repetitive Studien eine Normalisierung der Darmpassage mit verbesserter Defäkation bei Patient/innen mit Slow-Transit-Obstipation plus DD gezeigt [37, 117, 118]. Es werden RCTs benötigt, die die Wirkung von Biofeedback auf Obstipation mit unzureichender Propulsion ± DD sowie die Wirkung von Biofeedback auf Strukturveränderungen des Beckenbodens untersuchen. In der Schweiz gibt es in allen Landesteilen eine sehr gute Verfügbarkeit von entsprechend spezialisierten Physiotherapeuten.

Aussage 33

Es gibt keine ausreichende Evidenz zugunsten einer Verwendung von Akupunktur bei chronischer Obstipation. (Klasse D)
Akupunktur ist in der Schweiz weit verbreitet, und die TCM hat eine Tradition mit zahlreichen Ärzten, die eine formale Ausbildung erhalten haben. Die Auswirkungen der Akupunktur auf chronische Obstipation wurden nicht ausreichend untersucht. Die derzeit verfügbaren Studien, die in Design und Ausführung heterogen sind, bieten einen sehr niedrigen Evidenzgrad. Diejenigen, die in der englischen Literatur zu finden sind, sind zu wenige, um sinnvolle Schlussfolgerungen zu ziehen [128, 129]. Eine Überprüfung der chinesischen Literatur erbrachte einige Evidenz zur Wirksamkeit, aber das kann schlecht verallgemeinert werden [130]. Auf diesem Gebiet sind prospektive Kontrollstudien notwendig.

Aussage 34

Rektalzäpfchen können bei der Behandlung der chronischen Obstipation verwendet werden, obwohl die Evidenz beschränkt ist. (Klasse C)
Rektalzäpfchen mit unterschiedlicher pharmakologischer Wirkung (stimulierend, erweichend, muskelentspannend) sind weit verbreitet und können in der Schweiz rezeptfrei erworben werden. Sie werden vor allem bei akuter oder intermittierender Obstipation verwendet. Einige Daten deuten auf eine Wirksamkeit bei längerfristiger Anwendung [45, 131].

Aussage 35

Die transanale Irrigation hat ihren Platz in der Behandlung der chronischen Obstipation, die nicht ausreichend auf Abführmittel anspricht. (Klasse C)
Einläufe haben eine lange Tradition in der Behandlung der Obstipation, vor allem in der akuten oder subakuten Situation. Daten zur Anwendung bei chronischer Obstipation fehlen weitgehend, aber es sind keine Sicherheitsprobleme erkennbar. Die transanale Irrigation wird zunehmend bei chronischer Obstipation eingesetzt; sie erfordert jedoch Anweisungen von speziell ausgebildeten Expert/innen. Eine Metaanalyse unkontrollierter Studien zur chronischen Obstipation ergab eine Wirksamkeit von ca. 50 %, vergleichbar mit medikamentösen Behandlungen [132]. Zu den Kontraindikationen zu allen transanalen Verfahren gehören aktive Divertikulitis und Fissuren. Eine vorherige Operation des Rektums kann das Risiko von Komplikationen wie Perforationen bei dieser ansonsten sicheren Therapieoption erhöhen [133].
Die Perforationsrate liegt jedoch unter 3 % und der häufigste Grund, aus dem Patient/innen aufhören, ist Unwohlsein und Schamgefühl.

Aussage 36

Psychologische Interventionen, einschließlich kognitiver Verhaltenstherapie, Darmhypnose und achtsamkeitsbasierter Stressreduktion, können dazu beitragen, unerwünschte Effekte der chronischen Obstipation zu reduzieren, haben allerdings keine bekannte Auswirkung auf die Darmpassagenfunktion. (Klasse D)
Es gibt keine Daten direkt zur chronischen Obstipation, aber es gibt fundierte Evidenz aus dem engen IBS-C-Bereich. Hier wurde für alle diskutierten Interventionen eine Wirksamkeit nachgewiesen. Da die Verfügbarkeit dieser Mittel in der Schweiz sehr gut ist und Patient/innen mit schwerer chronischer Obstipation einen belastenden Krankheitsverlauf haben können, meinen wir, dass die Evidenz für psychologische Unterstützung von den IBS-Daten unter Berücksichtigung der formalen Limitierung auf die funktionelle Obstipation extrapoliert werden kann [134].

Chirurgischer Ansatz

Aussage 37

Chirurgische Behandlungsmöglichkeiten, sowohl resezierend als auch nichtresezierend, können für ausgewählte Patient/innen in Betracht gezogen werden, wenn alle konservativen Therapien dabei versagen, den Zustand und die Lebensqualität zu verbessern. (Klasse C)
Der chirurgische Eingriff bei chronischer Obstipation ist eine seltene und letzte Option. Er sollte erwogen werden, wenn alle konservativen Therapien versagt haben [135, 136]. Chirurgische Eingriffe erfordern eine interdisziplinäre Beratung und gemeinsame Erwartungen, um die Lebensqualität der Patient/innen zu verbessern.

Aussage 38

Ein chirurgischer Eingriff sollte nur nach Durchführung der physiologischen Tests und nur dann angeboten werden, wenn die Ursache für die chronische Obstipation im Dickdarm und/oder Rektum liegt (Slow-Transit-Obstipation, Entleerungsstörung). (Klasse C)
Die Operation ist die letzte Möglichkeit, erst nach konsequenten Versuchen, konservativ zu behandeln. Es sollte betont werden, dass vor der Erwägung einer Operation gründliche Untersuchungen und physiologische Tests entscheidend sind, um die richtige chirurgische Behandlung zu planen und Neoplasien auszuschließen. Wir empfehlen nicht die Durchführung eines chirurgischen Eingriffs ohne eine gründliche physiologische Untersuchung, die mindestens eine Koloskopie, eine Defäkographie und eine anorektale Manometrie in einem hochspezialisierten Zentrum beinhalten sollte.

Aussage 39

Vor einer Resektion sollte entweder ein PEC/Malone-Verfahren oder eine doppelläufige Ileostomie in Betracht gezogen werden. (Klasse C)
Der anterograde Koloneinlauf ist ein nichtresezierender chirurgischer Eingriff zur orthograden Spülung des Dickdarms durch ein Appendikostoma bei handverlesenen Patient/innen, die an Slow-Transit-Obstipation leiden. Es liegen nur Beobachtungsstudien vor, die überwiegend an pädiatrischen Patient/innen durchgeführt wurden. Aufgrund der geringen Fallzahlen und des Fehlens von RCTs gibt es keine Empfehlung für dieses Verfahren. In ausgewählten Fällen ist das Verfahren erfolgreich. Die funktionelle Verbesserung und die Erfolgsrate können begrenzt sein und Komplikationen sind nicht selten, aber die Lebensqualität scheint verbessert zu werden [137140].
Das Verfahren wird von den Guidelines des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) 2017 zur Diagnose und Behandlung von Obstipation bei Kindern und Jugendlichen empfohlen [141]. Doch selbst in Großbritannien wird ein Dickdarmeinlauf mit PEC/Malone selten durchgeführt. Der Empfehlungsgrad ist schwach, da sich die Literatur hauptsächlich auf pädiatrische Patient/innen konzentriert und die Komplikationsrate bei Erwachsenen hoch ist. Insgesamt ist die Zahl der erwachsenen Patient/innen gering. Die Durchführung von RCTs unter diesen Bedingungen ist nicht möglich. Jedoch ist es ein Verfahren, das einen Versuch wert ist, bevor radikalere Ansätze wie ein definitives Stoma oder eine Kolektomie zum Einsatz kommen. Alternativ ist eine temporäre Ileostomie eine Diskussion wert, um Patient/innen und Kliniker/innen über die Stomafunktion samt ihren Auswirkungen auf die Lebensqualität zu informieren und die Dünndarmfunktion bei Patient/innen mit Verdacht auf eine panintestinale Motilitätsstörung zu testen.

Aussage 40

Neuromodulation, entweder als kontinuierliche direkte Nervenstimulation (SNS/SNM) oder als transkutane Tibialis-Nerv-Stimulation (PTNS), kann die Symptome bei Patient/innen mit funktioneller Obstipation lindern und ist die am wenigsten invasive chirurgische Option für Patient/innen, nachdem alle konservativen Behandlungen fehlgeschlagen sind. (Klasse C)
Jüngste Studien, darunter 4 RCTs mit jeweils weniger als 50 Patient/innen, berichteten eine SNS-Ansprechrate von 19–61% [142148] und insgesamt gemischte Langzeitergebnisse [149, 150]. Es gab kaum einen überzeugenden klinischen Nutzen und das Verfahren war mit bis zu 22 % Komplikationen infektiöser Art teuer bezahlt. Die PTNS wurde kürzlich als alternativer Neurostimulationsansatz vorgestellt. Sie ist weniger invasiv und ist ein kostengünstiges Verfahren für die Praxis. Da sie nicht das Implantieren einer definitiven Elektrode erfordert, birgt sie kein Infektionsrisiko. Obwohl sie mit Sicherheit nicht den Test durch die Wissenschaft oder durch die Zeit bestanden hat, kann sie ohne Schaden versucht werden [151, 152]. Generell bietet die Neuromodulation Möglichkeiten, die weniger invasiv sind, mit geringer Erfolgsquote und einem vernünftigen Komplikationsprofil, die zumindest versuchsweise vor einer Kolektomie oder definitiven Stoma diskutiert werden kann. Größere RCTs mit solidem Design und ausreichend Power sind notwendig, um die Wirksamkeit der SNS bei chronischer Obstipation abschliessend zu beurteilen.

Aussage 41

Die totale oder segmentale Kolektomie kann bei streng ausgesuchten Patient/innen mit normaler Funktion des oberen GI-Trakts und normaler Entleerungsfunktion eine wirksame Behandlung der Slow-Transit-Obstipation sein, wenn diese nicht auf medizinische Behandlungen anspricht. (Klasse B)
Bei der segmentalen Kolonresektion wird eine gezielte laparoskopische Resektion des ineffektiven Darmsegments durchgeführt, um die Passagezeit zu verbessern. Patient/innen mit einem isolierten Megasigma profitieren am meisten von der segmentalen Kolonresektion. Die laparoskopische Totalkolektomie kann mit Resektion oder Erhaltung der Bauhin-Klappe erfolgen (ileorektale Anastomose vs. zökorektale Anastomose). Perioperative Komplikationen treten bei weniger als 20 % auf, was günstiger ist als bei der onkologischen Chirurgie, und größere Komplikationen oder Reoperationen sind die Ausnahme [153, 154]. Bemerkenswert ist, dass bei gut ausgesuchten Patient/innen die berichtete Patientenzufriedenheit hoch ist [155]. Ein laparoskopischer Eingriff kann meistens durchgeführt werden, selbst bei Patient/innen, die zuvor einen abdominalen Eingriff hatten. Das ist wichtig zur Minimierung von Komplikationen und Optimierung der Erholung. Bemerkenswert ist, dass signifikante psychische Störungen einen negativen Effekt auf die Ergebnisse der Kolektomie haben können. Der Versuch einer provisorischen Ileostomie, die vor einer Resektion versucht wird, kann Patient/innen und Kliniker/innen über die individuellen Auswirkungen einer Resektion auf die Lebensqualität sowie über eine schwer einschätzbare Dünndarmfunktion bei Patient/innen mit Verdacht auf eine panintestinale Motilitätsstörung informieren. Das definitive Anlegen eines Stomas ist (aufgrund der Kosten und fehlenden physiologischen Tests) wahrscheinlich die weltweit am häufigsten genutzte chirurgische Option bei schwerer Obstipation. Im Vergleich zu allen anderen chirurgischen Eingriffen zur Behandlung der Obstipation sind Kolektomien gut untersucht. Bei Morbus Hirschsprung ist die Operation die Behandlung der Wahl und operierte Patient/innen haben langfristig minimale gastrointestinale Symptome [156].

Aussage 42

Ein chirurgischer Eingriff kann eine wirksame Behandlung für Patient/innen sein, die aufgrund struktureller Ursachen, die durch bildgebende Verfahren nach Scheitern der konservativen Behandlung nachgewiesen sind, an einer Entleerungsstörung leiden (z.B. Invagination, grosse Rektozele, Rektumprolaps). (Klasse B)
Die chirurgische Methode wird entsprechend den vorliegenden pathologischen Befunde gewählt. Bei der inneren Invagination, dem äußeren Prolaps oder der grossen Rektozele, der laparoskopischen ventralen Rektopexie oder der geklammerten transanalen Rektumresektion kann eine transperineale Rektosigmoidresektion nach Altemeier oder eine Mukosektomie und Muskelplikation nach Delorme durchgeführt werden. Die Patient/innen zeigen nach der Operation eine Senkung des Longo-ODS-Scores. Es wird allgemein anerkannt, dass abdominale Eingriffe länger halten als perineale Eingriffe, wobei letztere weniger zu signifikanten Komplikationen bei der anfälligen Bevölkerung neigen. Nichtsdestotrotz kann die laparoskopische ventrale Rektopexie älteren Patient/innen, einschließlich denjenigen, die in einem Pflegeheim leben, sicher angeboten werden. Kürzlich kam es in Großbritannien zu einer Kontroverse darüber, ob die Verwendung synthetischer Netze mit der Erosion von Vaginalnetzen assoziiert wäre. Diese Angst führte zu einer zunehmenden Verwendung von biologischen statt synthetischen Netzen und zu einer viel höheren Rate an Versagen und Rückfällen. In Kontinentaleuropa und in der Schweiz bleibt die laparoskopische ventrale Netzrektopexie mit einem leichten synthetischen Netz ein bewährtes und sicheres Verfahren mit einer hohen und langanhaltenden Erfolgsquote, wenn es von erfahrenen Händen durchgeführt wird. Schließlich gibt es in der Literatur praktisch keine Hinweise zugunsten einer Rektozelenresektion, die transanal, vaginal oder transperineal, mit oder ohne Levatorplastik durchgeführt wird [157160].

Diskussion und Schlussfolgerung

Chronische Obstipation ist eine häufige Erkrankung, die bis zu einen von sieben Erwachsenen – insbesondere Frauen und ältere Menschen – betrifft. Die meisten Fälle sind zwar idiopathisch, aber chronische Obstipation kann auch durch Entleerungsstörungen, langsame Dickdarmpassage, Medikamente, Stoffwechselstörungen und anatomische Veränderungen verursacht werden. Es gibt einige Hinweise darauf, dass eine Veränderung des ICC-Volumens und eine reduzierte rektale Sensitivität zum Entstehen der Obstipation beitragen können. Der erste Schritt beim Eingehen auf Patient/innen mit chronischer Obstipation sollte eine Überprüfung des Lebensstils und der Ernährungsgewohnheiten sein, da deren Anpassung zu einer erfolgreichen Behandlung der Obstipation führen kann. Dazu gehören die Erhöhung der Ballaststoffzufuhr (aus der Nahrung und/oder durch Präparate), die Sicherstellung einer angemessenen Wasserzufuhr und körperliche Aktivität. Die medikamentöse Therapie sollte mit Füllstoffen/Quellstoffen und osmotischen Abführmitteln als Grundlage für die Behandlung der chronischen Obstipation beginnen. Stimulierende Abführmittel sind wirksame Wirkstoffe, sollten aber hauptsächlich nach Bedarf oder als Notfallmedikation – vorzugsweise nur für eine begrenzte Zeit – verwendet werden. Bei Patient/innen mit unzureichendem oder unbefriedigendem Ansprechen auf Lebensstilanpassungen, Ernährungsmaßnahmen und/oder Füllstoffe/Quellstoffe und osmotischen Abführmitteln empfehlen wir einen Therapieversuch mit Prokinetika und/oder Sekretagoga. Diese Wirkstoffe können auch in Kombination mit Füllstoffen/Quellstoffen oder osmotischen Abführmitteln eingesetzt werden. Patient/innen mit refraktärer chronischer Obstipation sollten – mit Ausnahme der dyssynergen Defäkation, die effektiv mit Biofeedback-Behandlung behandelbar ist – an Zentren mit erheblicher Expertise in Motilitäts- und Funktionsstörungen überwiesen werden, um umfassende diagnostische und therapeutische Optionen zu bekommen. Die transanale Irrigation ist eine pharmazeutisch-technische Option im späten Stadium der Behandlung bei refraktärer Obstipation. In diesem Stadium sollten unterstützende psychologische Interventionen diskutiert und angeboten werden. Die Sakralnervenstimulation und noch mehr die Resektion werden als letzte Optionen in sehr sorgfältig ausgesuchten Fällen nach interdisziplinärer Fallevaluation angesehen.

Algorithmus

Siehe Abb. 1.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

H. Heinrich: Speaker Laborie. I. Linas: Speaker Schwabe Pharma. D. Pohl: Consultant/Speaker Medtronic, Sanofi, Schwabe Pharma. J. Levenfus, M. Adamina, S. Capraru, , C. Krieger-Grübel, S. Restellini und R. Tutuian geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
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Metadaten
Titel
Therapeutisches Management der chronischen Obstipation
Expertenmeinung im Namen der Schweizerischen Gesellschaft für Gastroenterologie (SGG) und Schweizer Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (SwissNGM)
verfasst von
Prof. Dr. med. Daniel Pohl
Jan Levenfus
Michel Adamina
Sandra Capraru
Henriette Heinrich
Claudia Krieger-Grübel
Ioannis Linas
Sophie Restellini
Radu Tutuian
Publikationsdatum
20.09.2022
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Schweizer Gastroenterologie / Ausgabe 3/2022
Print ISSN: 2662-7140
Elektronische ISSN: 2662-7159
DOI
https://doi.org/10.1007/s43472-022-00077-z

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