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Ärzte Woche

21.06.2018 | Tekal

Zaungast nicht nur bei der WM

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist

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Dabeisein ist alles. Das gilt auch für die Patienten.

Alle paar Jahre installieren die Gastwirte Beamer und Leinwände, in der Hoffnung, die Fußballfans aus deren heimischen vier Wänden in die eigenen vier Wände locken zu können. Dass Österreich bei der aktuellen Fußball-Weltmeisterschaft nicht mitspielen darf, sorgt zwar für etwas weniger Begeisterung bei den Fans, jedoch für kaum weniger Beamer bei den Wirten. Und wer weniger jubelt, kann auch mehr trinken.

Wermutstropfen ist, dass hier nicht einmal der tröstliche olympische Gedanke „Dabei sein ist Alles“ zum Tragen kommt. Denn mitzuspielen ist einfach etwas anderes, als einfach nur Zaungast zu sein, nicht nur im Sport. So erfüllt es uns immer wieder mit Stolz, wenn in den Medien von einer österreichischen Beteiligung an internationalen Großprojekten die Rede ist. Das macht das Großprojekt dann immer auch ein wenig nationaler. Sei es ein Staudamm, eine Mittelstreckenrakete oder eine Weltraummission, bei der die Astronauten eine Dose Red Bull mitführen.

Auf politischer Ebene ist das nicht viel anders. Sinnentleere Richtlinien werden lieber befolgt, wenn man sie selbst auch mitentworfen hat. Hier hat man schließlich keine Ausrede, sich auf „die da oben“ zu berufen, sondern kann sich höchstens bei „uns da unten“ beschweren.

Auch in der Medizin haben wir eine Menge mitentwickelt: Seit mit Van Swieten die Wiener Medizinische Schule Weltruhm erlangt und der Wiener Medizinische Aderlass als Therapie für jedwedes Leiden seinen globalen Siegeszug angetreten hat, sind wir Big Player am internationalen Forscherparkett. Der ungarisch-österreichische Arzt Ignaz Semmelweis hat seinerzeit das Händewaschen erfunden und so dürfen wir nun mit stolzgeschwellter Brust weltweit den Menschen in den Flughafentoiletten dabei zusehen, wie sie diese unsere Erfindung nicht benutzen. Ohne Siegmund Freud wäre uns unbewusst, dass wir ein Unbewusstes haben, ohne Hans Selye hätte kein Mensch auf der Welt Stress und ohne Mozart gäbe es keine Kugeln.

Das Wissen um die Wirkung des Mit-Wirkens sollten wir aber auch in der Praxis anwenden. Denn Patienten sind in vielen Fällen bloße Zaungäste ihrer eigenen Therapie. Viele fiebern zwar mit, das hat aber weniger mit Begeisterung zu tun, sondern eher mit Bakterien. Die partnerschaftliche Mitbestimmung ist in der Medizin nach wie vor eine Seltenheit und die Behandelten blicken staunend vom Zuschauerrang auf die Kunstfertigkeit der Ärzte, die sich am Körper zu schaffen machen.

Selbst im Geschehen involviert zu sein bietet zwar weniger Komfort, doch der Jubel über eine überstandene Krankheit ist größer, wenn man das Gefühl hat, an der Genesung ein wenig beteiligt gewesen zu sein. Allerdings kann man dann bei Nicht-Genesung die Verantwortung nicht alleine auf die stümperhaften Ärzte abwälzen. Vielleicht sitzen deshalb so viele Patienten freiwillig im Publikum.

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Metadaten
Titel
Zaungast nicht nur bei der WM
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
21.06.2018
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 26/2018

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