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Ärzte Woche

18.03.2021 | Tekal

Zahlenrätsel

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizin-Kabarettist

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Nicht nur im Zuge verwirrender Impfstrategien ist statistisches Basiswissen hilfreich.

Wenn ich mich recht erinnern kann, ist die Statistik in meiner mathematischen Schulausbildung nicht vorgekommen. Das kann vermutlich auch mein lieber Chefredakteur bestätigen. Schließlich hat er damals dasselbe schulische Boot-Camp des BRG Rosasgasse im zwölften Wiener Gemeindebezirk besucht und man hat mir versichert, dass nach wie vor zwei Büsten von uns am Eingang stehen. Wir hatten zwar Wahrscheinlichkeitsrechnung, was mich heute nicht daran hindert, bei einem Jackpot einen Lottoschein zu kaufen. Aber die Wahrscheinlichkeit für sechs Richtige multipliziert sich bekanntlich mit der Gewinnsumme, oder so ähnlich.

Ich kann mich auch an die zwei Züge erinnern, die gleichzeitig von Wien und Salzburg losgefahren und aus unerfindlichen Gründen unterschiedlich schnell waren, obwohl es damals nur einen staatlichen Bahnbetreiber gegeben hat. So waren es mehr Hoch-, Tief- und Wendepunkte meiner mathematisch semi-erfolgreichen Schullaufbahn, mehr das Leben im Moment der Prüfung, ganz im Sinne des Buddhismus. Hängen geblieben ist wenig und bei den Hausaufgaben meiner Kinder musste ich immer wieder nachsehen, wie man händisch dividiert, ohne 10 durch 2 ins Smartphone zu tippen.

So mussten wir uns das statistische Know-how, das man für die Interpretation medizinischer Daten braucht, autodidaktisch erwerben. Was einiges erklärt. Unterm Strich muss man gestehen, dass in der Ärzteschaft, bei allem unfassbar umfangreichen medizinischen Wissen, das Verständnis für die Zahlen enden wollend ist bzw. mathematisch ausgedrückt für n plus eins, Limes geht gegen Null.

Natürlich kann man dem gewieften Mediziner kein X für ein U vormachen, dafür aber sehr wohl eine relative für eine absolute Risikoreduktion. Wenn man mit staunenden Augen vor dem statistischen Gabentisch steht, fällt einem nicht weiter auf, dass „50 Prozent Reduktion“ durch das tolle neue Medikament nicht unbedingt bedeutet, dass von hunderttausend Patienten fünfzigtausend gesünder werden. Es genügt, wenn von hunderttausend Menschen nicht zwei, sondern nur eine Person erkrankt, wenn man auch die restlichen Neunundneunzigtausend behandelt. Das lernt man in Statistik erste Klasse, wenn man es denn gelernt hätte. So bleibt nur mehr das Staunen am Gabentisch.

Unlängst habe ich einen Blick auf die Aufgabenstellung meiner eigenen Mathematikmatura werfen können. Und anscheinend wusste ich tatsächlich einmal, wie man aus einem Integral die vierte Ableitung eines Wendepunktes berechnet, wenn ein Kegel in einen Zug von Wien nach Salzburg eingeschrieben wird. Bei allem Respekt vor der Qualität der Höherbildenden Schulen, hätte ich mir doch ein wenig niederbildenden Unterricht gewünscht. Etwas weniger vom tiefen Verständnis einer Kurvendiskussion hin zum oberflächlichen Verständnis, wie man eine Steckdose montiert, einen Steuerausgleich macht oder eine plump gefälschte Statistik entzaubert. Aber wir lernen schließlich nicht fürs Leben.

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Metadaten
Titel
Zahlenrätsel
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
18.03.2021
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 11/2021

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