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Ärzte Woche

18.10.2018 | Tekal

Wenn der Bürgermeister zweimal klingelt

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist

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Datenschutzverordnungen erreichen das soziale Leben. 

Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird, heißt es. Dass mittlerweile auch nicht mehr so heiß gekocht werden darf, da man fürchtet die Gäste würden sich möglicherweise die Lippen verbrennen und der Gastronom zu einer Milliardenstrafe verklagt, steht auf einem anderen Blatt. Doch wurde vor einiger Zeit panisch bei den Gastronomen jeder Zahnstocher über die Registrierkasse abgerechnet, so hält mittlerweile vereinzelt wieder die gute, alte Stricherl-Liste am Bierdeckel Einzug. Gesetz trifft auf sozialen Ungehorsam – und kriminelle Energie.

Auch gab es bei Inkrafttreten der DSGVO, also der Verordnung zum Datenschutz, anfangs großes Unbehagen. Mit Stichtag erhielt man plötzlich keine Auskünfte mehr über fremde, aber auch eigene Daten. Wollte man nun im volltrunkenen Zustand vom Polizisten wissen, wie man nach Hause käme, durfte der Ordnungshüter aus datenschutzrechtlichen Gründen diese Information nicht weitergeben. Selbst Mediziner mussten den Juristen ihres Vertrauens bemühen, um sicherzustellen, dass man einem Patienten den soeben gemessenen Blutdruck auch sagen darf.

Auch wenn die erste Hitzewelle der Verordnung nun etwas abgekühlt ist, bislang kein Kellner verklagt wurde, weil er die Bestellung des Gastes an die Küche weitergegeben hat, zeigen sich immer wieder neue Auswirkungen der Vorschrift auf den Alltag. So fallen die überaus beliebten Ehrungen von Mitbürgern zu einem runden Geburtstag der Verordnung zum Opfer.

Bekanntlich kommen bei diesem schönen Brauch der Bürgermeister, sein Stellvertreter oder eine Person, die dem Bürgermeister und seinem Stellvertreter ähnlich sieht, gleich dem Nikolo in die Wohnung, um einem betagten Bürger zum 100ter zu gratulieren. Das hat Tradition und viele Menschen freuen sich, wenn statt der undankbaren Verwandtschaft zumindest der Orts-Chef kommt. Der inoffizielle Zweck des Besuchs, nämlich Fotos mit dem Jubilar zu machen, um sie im Gemeindeblatt oder auf Facebook zu veröffentlichen, ist sozusagen der Gegendeal.

Das soll nun illegal sein. Und so wie der Nikolo nicht mehr automatisch bei Familien muslimischen Glaubens vorbeischauen darf, ist es auch nicht mehr möglich, als Bürgermeister Menschen aufzusuchen, die nicht an ihn glauben. Denn die Daten, die der Bürgermeister hat, dürfen eigentlich nicht an die Gemeinderäte weitergegeben werden, die, als Wichtel, dabei helfen. Also lädt man die 100-Jährigen stattdessen zu einer Massenfeier ins Rathaus, darf das aber nur dann, wenn die Person zugestimmt und sich selbst eingeladen hat. In der Medizin ist Datenschutz wichtig. Schließlich sollte es nicht passieren, dass Koloskopie-Bilder auf sozialen Netzwerken geteilt werden. Ob dann die Hausbesuche nicht mehr möglich sind, weil man gar nicht wissen dürfte, wo der Patient wohnt, wird sich zeigen.

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Metadaten
Titel
Wenn der Bürgermeister zweimal klingelt
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
18.10.2018
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 42/2018

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