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Ärzte Woche

02.09.2019 | Tekal

Tekal

Über die ganz, ganz gefährlichen Dinge

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist

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Warum Haie bedrohlicher sind als Atherosklerose.

Dass das Leben lebensgefährlich ist, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Als Krankheit, die durch ungeschützten Geschlechtsverkehr übertragen wird und spätestens nach einem Jahrhundert tödlich endet, stellt das Leben einen Zustand dar, der ohne medizinische Betreuung wohl kaum zu meistern wäre.

Woran man letztlich sterben wird, lässt sich indes vorab nicht mit Sicherheit sagen, so man nicht mit einem Lendenschurz aus blutigen T-Bone-Steaks am Great Barrier Reef baden geht. Im Nachhinein lassen sich Todesursachen jedoch altklug logisch erklären: Das Bungee-Seil war wohl doch etwas zu lange; die Zündschnur etwas zu kurz; man sollte die Badewanne vielleicht nicht mit einem angesteckten Mixer in einen Whirlpool umfunktionieren; man geht auch nicht auf ein Rapid-Match im Austria-Fantrikot; und man hätte sich besser nicht ganz so viele Zigaretten anzünden sollen - vor allem nicht die Letzte an der COPD-Sauerstoffflasche. All dies sind Gefahren, die sich erst posthum erkennen lassen.

Auf der anderen Seite sind jene Dinge, die wir subjektiv als lebensbedrohlich erachten, in vielen Fällen objektiv gar nicht so gefährlich. Unser Gehirn ist etwas einfältig, wenn es um die Bewertung potenzieller Gefährdungen geht. Denn nach wie vor sterben hierzulande mehr Menschen an Herz-Kreislauferkrankungen als an Löwenbissen. Dennoch hat man vor einem Löwen mehr Angst als vor einem Herz-Kreislauf.

„Risikoparadox“ wird diese Eigenart genannt. So suchen laut Google-Trends Menschen bezüglich Todesarten viel häufiger nach Mord und Terrorismus als nach Krebs und Infarkt. Es ist einfach spektakulärer. Und natürlich bleibt eine Schlagzeile über einen Haiangriff eher im Gedächtnis als eine Story über eine verstopfte Koronararterie. So nehmen wir Haie auch als deutlich bedrohlicher wahr. (Es sei denn, der Hai schwimmt in einer Arterie)

Warnungen vor Gefahr in einer Dorfgemeinschaft machen Sinn und erhalten die Sippe am Leben. Wenn einer ruft: „Feuer!“, „Hai!“ oder von mir aus auch „Schweinegrippe!“, dann können sich die anderen in Sicherheit bringen. Mit der Globalisierung ist das Dorf jedoch so unüberschaubar groß geworden, dass man nicht mehr unterscheiden kann, ob ein Hai nun vor der Australischen Küste oder in der eigenen Badewanne schwimmt. Plötzlich sitzt die giftige Spinne aus der Arte-Doku im eigenen Blumentopf, der Serienmörder wartet im Wandschrank, ja sogar die Flüchtlingswelle überrollt einem im eigenen Wohnzimmer, denn dort steht ja auch der Fernseher.

Als man vor einigen Jahren unsere deutschen Nachbarn befragte, wovor sie am meisten Angst hätten, fanden sich auf den ersten Rängen „Ebola“ und „Naturkatastrophen“. Es ist einfach spektakulärer, durch einen serienmordenden, fundamentalistischen Hai umzukommen als durch verfettete Gefäße. Statistik hat gegen Spektakel keine Chance.

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Metadaten
Titel
Tekal
Über die ganz, ganz gefährlichen Dinge
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
02.09.2019
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 36/2019

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