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Ärzte Woche

28.06.2019 | Tekal

NebenWirkungen

Snackification

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizin-Kabarettist

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Der Trend weg von den großen Mahlzeiten zu den Snacks.

Das kleine 3 × 3 beim Essen scheint ausgedient zu haben. Drei Mahlzeiten täglich, nach Möglichkeit mit Vor-, Haupt-, und Nachspeise, finden bei der jungen urbanen Bevölkerung immer weniger Anklang. Vor allem die Vorgabe, sich durch die gesunden Teile (Leberknödelsuppe und Schweinsbraten) durchessen zu müssen, um endlich zum geliebten Dessert zu kommen, scheint nicht mehr zeitgemäß. Die Jungen wollen nicht mehr in Abhängigkeit der Altvorderen sein, nur weil sie ihre Füße unter deren Tisch haben, ziehen die Konsequenzen und ihre Füße unter dem Tisch hervor. Man isst fernab von Tisch und Bett, was einem so gerade zwischen die Beißer kommt, ohne der Nahrungsaufnahme einen Namen zu geben.

Aus dem aktuellen Food-Report der Essenstrendforscherin Hanni Rützler geht hervor, dass mehrere kleine Mahlzeiten die üppigen Menüs ablösen werden. Snackification heißt der Trend. Wobei die Bandbreite für den Terminus „Snack“ ähnlich groß ist wie die Bandbreite der Antwort „gut“ auf die Frage nach dem Befinden: Die Bezeichnung sagt nichts über die Güte der Mahlzeit aus. Denken wir an den klassischen US-Fast-Food-Imbiss („Mäc-Snack“), die heimische Brettljause („Speck-Snack“) oder die Fastenspeise („Weg-Snack“). Mitunter wird dem fassungslosen Konsumenten sogar eine halbe Stangensellerie als gesunder Snack für zwischendurch untergeschoben.

Die gemeinsame Nahrungsaufnahme ist nicht mehr so hip wie früher. Statt im Großclan am Tisch zu sitzen, davor noch ein Gebet zu sprechen und danach eine Flasche Schnaps zu leeren, passt nicht mehr in die individualisierte Lebensplanung. Man isst, wenn es einem reinpasst, speist spätnachts, am hellen Nachmittag oder gar nicht. Lokale bieten Frühstück bis 22 Uhr und Abendessen bis 10 Uhr vormittags an. Schließlich wird das Gemeinschaftsgefühl längst nicht dadurch gestärkt, dieselbe Suppe auszulöffeln, sondern in derselben Whatsapp-Gruppe zu sein.

Es kann auch sein, dass sich Menschen zum gemeinsamen Essen verabreden, jedoch nicht gemeinsam essen. Manche essen und trinken, manche trinken nur, manche verzehren ihren mitgebrachten veganen Quinoa-Auflauf, manche fasten intermittierend und manche sitzen am Klo. Es ist schier unmöglich, die individuellen Bedürfnisse in einen gemeinschaftlichen Eintopf zu bringen.

Mit dem Trend zum Snack lassen sich Zeiten und Speisen flexibler gestalten. Die neue Generation setzt dabei auf vegetarische Burger, Bowls oder Summer-Rolls, es muss gleichsam lokal, aber auch global sein. Also wenn schon Bananen, dann die aus dem Waldviertel.

Wie alle Trends geht auch dieser an einem Großteil der Bevölkerung vorbei. Denn neben den hippen urbanen Personen, die sich aus der Pop-up-Fusion-Küche ernähren, gibt es die weitaus größere Gruppe jener Personen, die in der Werkskantine nach wie vor das klassische dreigängige Menü aufs Tablett laden. Dafür kommt auch dort der gebackene Nordsee-Kabeljau mittlerweile regional aus dem Waldviertel.

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Metadaten
Titel
NebenWirkungen
Snackification
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
28.06.2019
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 27/2019

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