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Ärzte Woche

11.11.2020 | Tekal

Schleich di, du Oaschloch …?

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizin-Kabarettist

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Was angesichts des Terroranschlags befreiend war, hat einen schalen Beigeschmack.

All jene, die, wie gewohnt, hier eine launig-lustige Kolumne erwarten, mögen sich bitte bis kommende Woche gedulden. Nicht weil ich der Meinung bin, es sind Zeiten, in denen es nichts zu lachen gibt, sonst hätte ich meinen Beruf verfehlt und wäre statt Kabarettist Parkraumüberwacher geworden. Nein, heute geht es um den vermeintlich humoristischen Umgang mit dem Anschlag, der mir irgendwie schal im Geschmack vorkommt.

Ich muss gestehen, auch ich war anfangs begeistert, ob der polternden Replik eines anonymen Wieners, der von seinem Fenster dem wild um sich schießenden Attentäter „Schleich di, du Oaschloch!“ zugerufen hat. Das Video mit der Aussage hat sich über die sozialen Medien verbreitet wie ein Lauffeuer. Sie trägt einem auf einer Welle der Solidarität und der Fäkalausdruck kommt aus tiefster Seele.

Statt #jesuischarlie, #prayforlondon oder #soydemadrid sind die sozialen Medien mit #schleichdiduoarschloch gespickt. Es ist genau das, was man einer anonymen Gruppe kampfbereiter und mitleidsloser Terroristen erhobenen Hauptes entgegenschmettern möchte. Mittlerweile weiß man mehr. Und auch wenn es für die Opfer freilich keine Rolle mehr spielt, dass der Täter ein 20-jähriger, auf seiner Suche nach was auch immer, irrgeleiteter Mann war, gerade mal so alt wie mein ältester Sohn, geboren und aufgewachsen in Österreich; für die Lebenden sehr wohl. Wenn nun mit großer Genugtuung und dem Hinweis auf eine aufrechte Haltung, in den Profilbildern auf Facebook, auf T-Shirts oder Kaffeehäferl der Spruch zu lesen ist, es sogar eine App gibt, die den Namen des Täters in Berichten automatisch durch das Wort „Oaschloch“ ersetzt, da man ihm das Menschsein ab- und das Oaschsein zuspricht. Wenn nicht mehr von der Person, sondern vom Monster gesprochen wird. Von einem, der in unserem Land nichts verloren hat, einem Oaschloch eben.

Erstes Jahr Fernstudium Psychologie sollte genügen, um zu erkennen, dass das, bei aller Befreiung, die Welt nicht besser macht. Und ich bin froh, dass in Österreich selbst Mörder und Brandschatzer von den Richtern mit ihrem Namen angesprochen werden und nicht mit „Oaschloch“. Man kann all das leicht sagen, wenn man nicht direkt betroffen ist und der Welt aus der Schreibstube heraus erklärt, wie sie zu sein hat. Leicht, weil auch mein Sohn nach seinem Studentenjob in einem Lokal in einem Wiener Innenbezirk gesund nach Hause gekommen ist. Eine Frau, die im Kugelhagel in dieser Nacht ihre Schwester verloren hat, hat in einem Nachruf geschrieben, dass die Ermordete sich für die Anteilnahme bedankt hätte, dem Täter auch entschlossen entgegengetreten wäre mit einem „Stopp, so nicht!“ – und dann Hilfe angeboten hätte: „Leg die Waffen weg und setz dich her zu mir!“. Aber niemals hätte sie ihn ausgegrenzt und gesagt: „Schleich di, du Oaschloch!“

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Metadaten
Titel
Schleich di, du Oaschloch …?
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
11.11.2020
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 46/2020

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