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29.10.2020 | Tekal | Kolumne | Online-Artikel

Nebenwirkungen, die Kolumne

Schaumgebremst

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist

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Die Sturm- und Drangjahre, mit Abstand und mit Maskenpflicht.

Was hat man sich früher Sorgen um die heranwachsende Jugend gemacht: Nichts als Flausen im Kopf, Feiern bis zum Abwinken und promiskuitives Verhalten. Aber auch abseits der Priesterseminare ging es wild zu.
Nun muss man sich um die Generation Corona, die inmitten ihrer Sturm- und Drangjahre quasi von 100 auf 0 ausgebremst wurde, Gedanken machen. Was anfangs noch als „Hurra, die Schule brennt“-Euphorie begann, hat sich die letzten Monate zu einer veritablen Krise für den Distanz-lernenden Nachwuchs entwickelt. Wenn die Peer-Group auf die Eltern beschränkt ist, wird die verhassteste Schule vergleichsweise zum Partytempel.
Nach dem behördlich verordneten Hausarrest waren die so sehnsüchtig herbeigesehnten Aufreißschuppen geschlossen, keine Maturasausen im maritimen Hot-Spot, keine rustikalen Zeltfeste, keine urbanen Clubs, keine Bars, die nach Sonnenuntergang offen haben durften. In Ermangelung der Möglichkeiten, sich die Hörner abzustoßen, hat es die derart gehörnte Jugend schwer, auf die Balz zu gehen. Im Lokal darf man die Maske zwar ablegen, wenn man am Tisch sitzt, diesen Tisch jedoch für den Rest des Abends nicht mehr verlassen. Kein Flanieren, kein Ansprechen, kein Kennenlernen an der Bar. Man kann höchstens Adressen tauschen, indem man die Registrierungsformulare zu Papierfliegern faltet und quer durch den Gastraum wirft. Discotheken dürfen zwar auch um Mitternacht öffnen, jedoch nur bis ein Uhr und die Menschen müssen beim Tanzen sitzen. Nicht verwunderlich, dass die Jugend revoltiert und spontane Feiern organisiert, um sich anderswo vermehren zu können.

„Jammern auf hohem Niveau“ meinen die einen, die mehr Verantwortungsbewusstsein von den Jugendlichen einfordern. Jugendforscher erklären indes, dass diese Generation in der Corona-Krise den höchsten Preis bezahlt – auch in Bezug auf die Arbeitslosigkeit –, sich aber von den Älteren den Spaß am Leben vorwerfen lassen muss. Der Gesundheitsminister ermahnt die Jungen, sich zusammenzureißen und Verantwortung zu übernehmen, der WHO-Generaldirektor ruft auf, Freude statt COVID-19 zu verbreiten. Das sind Kampfansagen. Denn sechs down-gelockte Monate fühlen sich nun mal mit 18 anders an als mit 65! Eine kleine Ewigkeit, in der potenzielle Partys, Reisen, Abenteuer, Sexualkontakte, Exzesse und sonstige scheinbar unwiederbringlich verlorengegangene Ereignisse nicht stattfinden können. Klar lässt sich alles nachholen. Auch wenn man sich bei der Matura-Summer-Splash-Party mit 65 ein wenig deplatziert fühlen könnte. Oder, um es mit George Bernhard Shaw auszudrücken: „Warum bekommt der Mensch die Jugend in einem Alter, in dem er nichts davon hat!“

Schwierig ist es für alle. Ich finde, die Jungen machen das gut und hätten dabei allen Grund, sich umgekehrt bei den Alten über einen katastrophal zurückgelassenen Planeten zu beschweren. Daher, wie es in Zeiten von Corona so üblich ist: Bitte um Applaus für die vermeintlich rücksichtslose Generation.  

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