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Ärzte Woche

Open Access 02.11.2022 | Tekal

Promi-Raten

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist , Dr. Ronny Tekal, Medizin-Kabarettist, Markus Hechenberger

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© Synthetic-Exposition // iStock

Diagnosen aus der Ferne können heikel sein. Vor einigen Jahren recherchierte ich für eine Radiodoktor-Sendung zum Thema Autismus. Und wie so oft half mir Google nicht nur mit praktischen Hinweisen („Meinten Sie Autos?“), sondern auch mit interessanten Informationen zu berühmten Persönlichkeiten. 

Einstein, Mozart oder Putin gelten hier als prominente Kranke. So etwas gilt im Journalismus als wunderbarer Opener, da man auch mäßig interessante Themen pimpen und etwa Cara Delevingne mit Psoriasis, Michael J. Fox mit Parkinson oder Ötzi mit Laktoseintoleranz präsentieren kann (nicht den DJ, sondern den echten). Bemerkenswerterweise sind bislang kaum berühmte Persönlichkeiten mit Blähungen bekannt.

Viele vermeintliche Promi-Diagnosen lassen sich jedoch nicht so ohne Weiteres beweisen. Und bei genauer Recherche findet sich für den immer wieder gerne als vom Asperger-Syndrom betroffenen Putin als Quelle: Pentagon. Ein Schelm, wer hier Böses denkt. Und auch wenn man moralisch kein Problem damit hätte, Autokraten zu diskreditieren, so sollte man zumindest Hemmungen haben, Autisten in ein schlechtes Licht zu rücken.

Aktuell wurde bei Viktor Orban das „Hybris-Syndrom“ diagnostiziert. Dieses von Selbstüberschätzung und Verachtung geprägte Störungsbild sei klar erkennbar. Typisch das höhere Verhältnis der Erste-Person-Plural-Form gegenüber der Singular-Form. Ob damit auch die halbe Krankenhausbelegschaft am Hybris-Syndrom leidet, wenn gefragt wird, ob „wir schon Stuhlgang hatten“, ist fraglich und differenzialdiagnostisch nur schwer vom branchentypischen Pluralis Majestatis abzugrenzen.

Nicht, dass ich despotisch agierenden Politikern ihre toxisch-narzisstischen Tendenzen nicht gönnen mag. Aber solche Ferndiagnosen scheinen mir dann doch etwas zu gewagt. Die amerikanische Psychiatriegesellschaft hat es bereits in den 1970er-Jahren als unethisch bezeichnet, wenn Psychiater eine professionelle Meinung abgeben, ohne a) eine Untersuchung vorgenommen und b) die Erlaubnis der Betroffenen eingeholt haben. Die internationale Despotengesellschaft hat indes noch keine Erklärung abgegeben, ob sich Diktatoren zu Psychiatern äußern dürfen. Beliebt auch die Ferndiagnosen prominenter Körper, die mit den Segnungen der plastischen Chirurgie an manchen Stellen noch prominenter wurden. Auch hier steht Aussage gegen Aussage und selbst der geschulte Blick eines Beauty-Docs kann über Tausende Kilometer hinweg etwas getrübt sein und Botox vermuten, wo in Wahrheit nur Hyaluron dran war.

Eine Diagnose ohne haptisch greifbaren Patienten kann schwierig sein, wenngleich telemedizinische Konsultationen zunehmend en vogue werden. Doch ein EKG zu befunden, ohne den Herzbesitzer zu sehen, ist oft nur die halbe Wahrheit und Dermatologen werden regelmäßig zwar nicht von Dick-Pics, wohl aber von Pickl-Pics belästigt. Insofern können wir froh sein, leibhaftige Patienten in der Praxis zu haben, die man nicht nur berühren kann, sondern auch soll. Um zumindest in der Ordination keine Ferndiagnosen zu stellen.

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Metadaten
Titel
Promi-Raten
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
02.11.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 44/2022

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