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Ärzte Woche

25.11.2020 | Tekal

On-Off-Line-Beziehung

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizin-Kabarettist

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Wenn sich das Leben in die digitale Welt verlagert.

Eines wurde uns in diesem zweiten Lockdown bewusst: Eine Quarantäne einzuhalten, ist im Frühling deutlich komfortabler als im Herbst. Selbst wenn man nur in einer kleinen, bezaubernden, fensterlosen Stadtwohnung im Keller lebt, geht man bei milden Temperaturen auch gerne mal ins freie Nirgendwo. Im Herbst wird es hingegen als gemeingefährlich empfunden, das Haus zu verlassen, ohne auf die Sicherheit der Gasthäuser als Wärmestuben zurückgreifen zu können.

So hat sich das Leben komplett nach drinnen verlagert. Die Kinder werden hygge statt flügge, verwachsen mit dem Sofa und sehnen sich paradoxerweise nach der Schule. So etwas haben nicht einmal die jahrzehntelangen, pädagogisch fragwürdigen „Wir lernen für das Leben“-Durchhalteparolen zustande gebracht. Selbst die analogsten unter den Digitalverweigerern haben sich zu Videokonferenzen mit Kollegen oder der Verwandtschaft durchgerungen. Manche sind dabei durchaus auf den Geschmack gekommen, da sie erkannt haben, dass es einfacher ist, den Besuch auf digitale Weise wieder aus dem Wohnzimmer zu befördern („Meeting beenden“), ohne Nachtisch anbieten und danach abwaschen zu müssen. Auch berufliche Treffen lassen sich, aufgrund des beschränkten Blickfeldes der Webcam, in der Jogginghose bewerkstelligen. Und nicht einmal die muss abgewaschen werden. Selbst für eine Ärztefortbildung ist es nicht notwendig, für die paar mickrigen DFP-Punkte extra zum Skifahren nach St. Anton zu reisen, sondern man darf per Webinar teilnehmen – was den Sinn der Fortbildung jedoch infrage stellt. Die Abkehr von der Offline-Welt führt dazu, dass man statt beim Weihnachtsbummel beim Online-Riesen einkauft, statt im Restaurant vom Lieferdienst gesättigt wird, den elitär-akademischen Partner nicht mehr in der Dorfdisco, sondern bei Tinder findet, und sich sogar aus der Ferne krankschreiben lassen kann, ohne das Gesicht vor dem Arztbesuch blass schminken zu müssen.

Einzig um die Volksgesundheit macht man sich Sorgen, denn die mangelnde Bewegung in der quarantänebedingten Legebatteriehaltung wird sich früher oder später auf den Körper schlagen. Die wohlmeinenden Ratschläge, wie man sich auch in den eigenen vier Wänden körperlich ertüchtigen kann, klingen allerdings wie Hohn in den Ohren der bewegungssüchtigen Daheimgebliebenen, denen weder das Fitnesscenter noch die Tennishalle erlaubt ist: „Dann sollen sie eben Sport im eigenen Indoor-Wellness-Bereich machen“. Eine ähnlich unbedarfte Aussage hatte schon Marie-Antoinette um einen Kopf kürzer gemacht.

Da sich nur die wirklich Hartgesottenen überwinden können, ihre täglichen 20 Kilometer barfuß durch den Raureif zu laufen, verbringt das Gros der Bürger die Zeit in den eigenen vier Couchelementen.

Will man die Menschen also ins Freie locken, muss man draußen in der Wildnis wieder Möglichkeiten schaffen, rasch geschlossene beheizte Räumlichkeiten aufsuchen zu können. Denn im Gegensatz zu einem Computer läuft sich der Mensch erst im Offline-Zustand so richtig warm.

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Metadaten
Titel
On-Off-Line-Beziehung
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
25.11.2020
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 48/2020

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