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Ärzte Woche

30.01.2019 | Tekal

Nebenwirkungen

Medizinisches Geheimwissen enttarnt

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist

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Wer will schon Transparenz haben, wenn er stattdessen Magie bekommen kann.

In meiner Eigenschaft als Vermittler zwischen den heiligen Hallen der Medizin und den einfachen Hütten der Patienten darf ich mich getrost auf gut Latein also Brückenbauer, also „Dr. med. Pontifex“, bezeichnen. Stets war es mein Bemühen, den Schleier unserer Geheimwissenschaft ein wenig zu lüften und dem laienhaften staunenden Publikum einen kleinen Einblick in die hohe Kunst der ärztlichen Tätigkeit nahezubringen. Allzu viel darf man natürlich nicht aus dem Nähkästchen plaudern, um dem Dogma der Unfehlbarkeit des Primariats gerecht zu werden. Schließlich soll man auch keine Zaubertricks verraten, um nicht aus dem Club der Magier verstoßen zu werden.

Mittlerweile verlangt die Öffentlichkeit jedoch nach Transparenz. Auf Youtube wird gespoilert, was das Zeug hält und wer wissen will, wie sich David Copperfield ganz ohne orthopädische Hilfe selbst zersägen kann, findet die Lösung mit ein paar Klicks im Internet. Derart neugieriges Verhalten mag dem Bedürfnis des modernen Menschen nach Aufklärung entgegenkommen. Schließlich findet auch die Aufklärung mittlerweile fast zur Gänze im Internet statt.

Doch das vermeintliche Wissen um das Funktionieren der Welt hat etwas Trauriges. Wenn man erfährt, dass der Weihnachtsmann im Rentierschlitten, rein aus aerodynamischen Gegebenheiten, gar nicht fliegen kann, dass Star Wars in einem profanen Studio und gar nicht am Originalschauplatz des Todessterns gedreht wurde, dass man nun mittels DNA-Analyse im Loch Ness dem Mythos vom Ungeheuer ein für alle Mal den whiskeygetränkten Nährboden entziehen will, hat das Leben ein gehöriges Stück an Magie eingebüßt.

Dass vor Kurzem eine Lehrerin in New Jersey entlassen wurde, weil sie ihren Schülern erklärt hat, Santa Claus würde es gar nicht geben, halte ich für übertrieben. Allerdings muss man fairerweise dazu sagen, dass die Pädagogin auch die Existenz des Osterhasen und der Zahnfee infrage gestellt hat, was ihre Entlassung mehr als rechtfertigt.

Doch wollen wir unseren Patienten tatsächlich die spärlichen zauberhaften Augenblicke im Krankenhaus vergällen? Die magischen Mantras während der Chefvisite? Die täglichen Rituale des Blutdruckmessens und der Stuhlmengen-Evaluierung? Und wollen wir, im Sinne der Transparenz, ausplaudern, was im Operationssaal wirklich geredet wird? Immerhin darf es als Privileg angesehen werden, als Operierter in Vollnarkose die Gespräche der Belegschaft nicht mitanhören zu müssen. Wie viel Zauber würde verloren gehen, wüsste man über das Niveau der vom Oberarzt getätigten Anekdoten Bescheid.

So aber kann man sich der Illusion hingeben, die zu den heilenden Händen gehörenden Menschen würden auch salbungsvoll heilende Worte murmeln und ihre mentale Energie dem Prozess der Gesundwerdung widmen. Man kann aber auch an die Zahnfee glauben.

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Metadaten
Titel
Nebenwirkungen
Medizinisches Geheimwissen enttarnt
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
30.01.2019
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 5/2019

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