Eselsbrücken sind nur vordergründig einfach.
Thomas Kainrath
Tapfere Leser dieser Kolumne wissen, dass ich ein Faible für Entwicklungen habe, die das Leben zumindest eine Spur weit verkomplizieren. So weiß ich, als gelernter Österreicher, dass es zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe gehört, zu jedweder Handlung auch ein entsprechendes Formular zu entwickeln. Warum einfach, wenn es anders auch geht.
Umgekehrt sollen Eselsbrücken helfen, Dinge zu vereinfachen. Ich persönlich verwende etwa nach wie vor „Nie-Ohne-Seife-Waschen“ als Orientierungshilfe für Himmelsrichtungen. Diese Brücke ist simpel. Bei „wer nämlich mit h schreibt, ist dämlich“ sieht die Sache schon anders aus, denn der Spruch sagt nichts darüber aus, ob man nicht dähmlich sehr wohl mit h schreibt. Noch verwirrender sind Eselsbrücken für Zahlen: „7-5-3 schlüpfte Rom aus dem Ei“ ist völlig sinnbefreit, da sich das Ei ebenso auf 7-5-2, oder 3-3-3, wo bekanntlich bei Issos die Keilerei war, reimt.
Auch in der Fachwelt erfreuen sich Eselsbrücken großer Beliebtheit, heißen jedoch Akronyme oder Mnemonics. Ja, selbst die von uns so hochgeschätzten und stets als Vorbild fungierenden Piloten nutzen solcherlei Merkhilfen, etwa CIGAR: Controls, Instruments, Gas, Attitude und Run-up, um sich in Erinnerung zu rufen, wie man ein Flugzeug startet. Es ist zu hoffen, dass sie im Cockpit nicht auch noch „Nie Ohne Seife Waschen“ verwenden.
In der Medizin ist etwa das „Schiffchen, das im Mondenschein im Dreieck um das Erbsenbein“ fährt, durchaus praktikabel, wenn man als Orthopäde überlegt, welchen Handwurzelknochen es zu entfernen gilt. Was in der Akutmedizin mit FAST-Regel, PECH oder dem ABCDE-Schema ganz brauchbar ist, kann sich jedoch mitunter zu bemerkenswert komplexen Brückenkonstruktionen entwickeln. Das bekannte SAMPLE-Schema zur strukturierten und schnellen Anamnese von Notfallpatienten mag als Eselsbrücke smart aussehen, aber um beim Buchstaben L auf „Late Oral Intake“ zu kommen, braucht es eine Brücke für die Brücke (ein architektonischer Fall für die Kollegen von der Zahnheilkunde). Wenn in den „Symptoms“ (S) der SAMPLE-Regel „Schmerz“ auftritt, so sollte man zudem das OPQRST-Schema zur Bewertung heranziehen. Wobei dasselbe S in dieser anderen Merkhilfe nicht mehr für Schmerz, sondern für Severety, also Schweregrad, steht. P bedeutet in dem einen Schema „Past Medical History“, im anderen „Provokation“, also Frechheit. Sehr passend.
Ich empfehle, künftig bei Impfungen über die Brücke SCHIMPFEN zu gehen, um sicherzugehen, dass alles da ist: S-tempel?, C-hargenpickerl?, H-onorar?, I-mpfpass?, M-edizinischer Alkohol?, P-flaster?, F-ragebogen? E-lektronisches Eintragen und N-achlaufen, weil der Patient abgerauscht ist, ohne das H-onorar zu zahlen. So verläuft sich der Esel auf seiner Merkhilfe, versucht, sich mittels Nie-Ohne-Seife-Waschen in den sonnigen Süden zu begeben, landet jedoch im kalten Norden und geht aufs Eis tanzen. Es war mir eine Ehre, mich mit Ihnen gemeinsam auf der Eselsbrücke verloren zu haben.