Aus der Reihe: Mehr Respekt für unbelebte Dinge
Es gibt Dinge, die offenkundig ungesund sind: Rauchen etwa, als natürliche Quelle allen Übels. Mindestens genauso schädlich, wenngleich in der Szene önologisch interessierter Kardiologen weitaus weniger verpönt, der Alkohol. Was kann schließlich an einem Riesling vom Weinbauern des Vertrauens schon schlecht sein? Einig ist man sich hingegen beim Sitzen, beim Junk-Food, bei den wirklich harten Drogen und beim Zucker.
Womit wir bei den nicht ganz so offenkundigen Dingen wären: Wer hätte gedacht, dass in der vermeintlich wertvollen Tiefkühlpizza auch noch etwas anders drin ist als ballaststoffreicher Teig, die Kraft der Tomaten und der Belag „Schinken-Mais-Ananas-Hawaii“ aus regionalem Anbau. Selbst wenn man auf der Zutatenliste Sojalecithine, Zuckercouleur, Stabilisator E451, Tomaten aus modifizierter Stärke und Oregano aus Garnelenfang erkennen kann, heißt das noch lange nicht, dass man es hier tatsächlich mit einem gesunden Naturprodukt zu tun hat: Denn irgendwo hat sich sicher noch der böse Zucker versteckt.
Dieses Versteckspiel ist ein großes Problem, wie man von den Diätologen hört. Das kennen wir vom Kaffee: Wenn man zwei Stück hineinwirft und umrührt, ist der Zucker nicht mehr zu sehen. Und dennoch ist er irgendwie drin, nur eben versteckt. Vermutlich ist es für den Zucker sozial bedingt, ein Lebensmittel hat schließlich auch eine Kindheit gehabt. Und wenn man von den Ernährungsprofis ständig gemobbt wird: Du machst die Zähne kaputt, du machst dick, du machst Diabetes – da ist es kein Wunder, wenn man abtaucht. Die klein gedruckten Inhaltsstoffe enttarnen ihn zwar, doch wer liest schon das Kleingedruckte im Leben. Nur in zuckerfreien Produkten versteckt er sich so gut, dass ihn nicht einmal die Experten finden. Dass man auch mit Light-Getränken wunderbar zunehmen kann, ist die Rache der Versteckten. Salz ist vermutlich das einzige Lebensmittel, das tatsächlich keinen Zucker enthält. Dafür ist im Salz Salz versteckt, was auch nicht so gesund sein soll.
Doch kann man gerade in Österreich, dem Land der panierten Mehlspeisen, den Zucker so verpönen? Statt uns aufzuregen, sollten wir vielleicht eine Lanze für den Zucker brechen – was täte ein Typ-1-Diabetiker ohne ihn in der Tasche; ohne Zucker gäbe es keine Watte; ohne ihn bloß Brot und Peitsche, es wäre einst die Polio-Schluckimpfung nicht denkbar gewesen und ohne Zucker wäre der Felsen in Rio lediglich ein alter Hut; wir hätten kein Karamell, kein Fest am Ende des Fastenmonats und die Branche der Zahnärzte wäre hierzulande beschäftigungslos und müsste zum Arbeiten nach Sopron pendeln.
Manche kommen in der Gesellschaft einfach zu kurzkettig. Allein aus sozialen Gründen sollten wir daher auf Süßigkeiten nicht verzichten und stolz auf die Tiefkühlpizza „jetzt mit einer Extraportion Zucker“ schreiben. Vom Umgang mit Zucker lernen wir viel über den Umgang mit uns selbst.