Skip to main content
Ärzte Woche

12.09.2018 | Tekal

Gorillas im OP-Saal

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist

print
DRUCKEN
insite
SUCHEN

Warum sich ein Chirurgie-Team als Objekt der Verhaltensforschung eignet.

Die Studie könnte dieser Kolumne entsprungen sein: Psychologen von der Emory-Universität in Atlanta haben die Dreistigkeit besessen, den Ablauf einer Operation verhaltensbiologisch zu untersuchen und damit Primar und Primat in direkten Vergleich zu setzen.

Insidern ist das Bild des Silberrückens, der als Alpha-Tierchen nicht nur das Skalpell, sondern auch Hintergrundmusik, Tischgesprächsthemen und OP-Tischwein auswählen darf, nicht fremd. Das hat Unterhaltungscharakter. Wüssten die Patienten, was ihnen da alles an zwischenmenschlicher Interaktion entgeht, würden sie selbst bei einer Operation am offenen Herzen eine Lokalanästhesie einfordern, um die Mediziner-Soap mitverfolgen zu können.

In ihrem Projekt „Operating Room Primatology“ beobachteten die Forscher das Zusammenspiel von OP-Teams während 200 chirurgischer Eingriffe. Wichtig war den Studienautoren, dass dabei keine Chirurgen unnötig zu Schaden kommen. Tatsächlich ist es das erste Mal, dass man das Teamwork von Ärzten und Pflegepersonal nach Big-Brother-Methode ausgewertet und sich hinter dem Anästhesieplatz (getarnt als Zeitung) auf die Lauer begeben hat. Auf diese Weise lassen sich die Interaktionen erfassen und nach ihrer Natur sortieren: Als kooperatives Verhalten gelten etwa nette Gesten, das Loben von Assistenten oder das Lobpreisen von Vorgesetzten. Konfliktbehaftete Verhaltensmuster sind indes Anbrüllen, Maßregeln, Bloßstellen oder Bewerfen eines Untergebenen mit spitzen Gegenständen (was bekanntlich auch vorkommt). Umgekehrt zählt es auch als unfein, dem Operateur die Klemme unter dem rechten Leberlappen zu verstecken.

Tatsächlich scheint der Operationssaal ein Mikrokosmos von typischem Primaten-Sozialverhalten zu sein. Was der, von mir überaus geschätzte Verhaltensbiologe Gregor Fauma mit dem Satz: „Das Büro ist ein Dschungel“ behauptet, bewahrheitet sich im OP, und die Bemerkung „das ist hier wie in einem Affenhaus“ entbehrt nun nicht mehr ihrer wissenschaftlichen Grundlage. Die vier wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie: Konflikte verlaufen hierarchisch von oben nach unten ab (von oral zu aboral); Je mehr Männer im Team, desto mehr Konflikte (Testosteron-Östrogen-Gefälle), Bei Frauen überwiegt das kooperative Verhalten (löbliche Ausnahmen gibt es natürlich auch hier); und die beste Kooperation gibt es, wenn das Alphatier ein anderes Geschlecht hat, als die Mehrheit des Teams (ein Plädoyer für Transgender-Chirurgen).

Die Lösung potenzieller Konflikte liegt in der Selbsterkenntnis: Das Bewusstmachen der animalischen Abläufe ist der erste Weg zur Besserung, auch es nicht einfach ist, einen Gorilla im Nebel der Allmacht zu erkennen, vor allem, wenn er in seinem Dunstkreis derart hofiert wird. Die Kollegen als Affen zu bezeichnen ist daher ein guter Anfang, wenngleich vermutlich nicht der beste.

print
DRUCKEN
Metadaten
Titel
Gorillas im OP-Saal
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
12.09.2018
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 37/2018

Weitere Artikel der Ausgabe 37/2018