Skip to main content
Ärzte Woche

10.06.2020 | Tekal

Gehabte Krisen hab‘ ich gern!

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizin-Kabarettist

print
DRUCKEN
insite
SUCHEN

Was wir den kommenden Generationen berichten können.

„Wenn wir dann später zurückblicken auf Corona, werden wir uns lachend in den Armen liegen und sagen: Das waren vielleicht verrückte zwölf Jahre!“ – so lautet ein tröstliches Meme im Netz, das die Ungewissheit, wie es nun weitergeht, auf die Spitze treibt. Doch die Zeit wird kommen, da wir die COVID-19-Krise in die Geschichtsbücher eingetragen und gut verstaut haben, unsere Enkel in der Schule die „großen Seuchen der Menschheit“ auswendig lernen müssen und keinerlei persönlichen Bezug dazu haben. Wer nicht weiß, dass die Pandemie 2020 war, bekommt ein Minus und fällt in Geschichte durch. Dabei gibt es einfache Eselsbrücken: „Zwei-Null-Zwei-Null: Das Virus war nicht cool“ oder „Zwanzigzwanzig – die Welt wird ranzig“ bzw. „Im Zwanziger-Jahr war der Nehamm-ar“. Die Schüler werden sich diese Episode ebenso wenig vorstellen können wie den 2. Weltkrieg, die Varus-Schlacht im Teutoburger Wald oder die Käseherstellung im spätantiken Amsterdam. Vermutlich werden unsere Kindeskinder nicht einmal ahnen, dass das 21. Jahrhundert bereits in 3D war.

Umso wichtiger ist es, die Erinnerung mit Erzählungen aufrecht zu erhalten. Oral History, also die mündliche Überlieferung, ist das Instrument der Wahl. Und endlich hat auch meine Generation ein Ereignis, wo wir in ferner Zukunft als Zeitzeugen darüber Auskunft geben können, wie es denn so war beim großen Shut-Down. Konnte ich bislang lediglich als 1969er-Jahrgang darüber berichten, dass wir damals ein Vierteltelefon hatten und man in der Ölkrise an einem Tag in der Woche nicht mit dem Auto fahren durfte, bin ich nun dankbar, zumindest eine, bei uns eher schaumgebremste Katastrophe hautnah miterlebt zu haben. Gehabte Krisen, die hab‘ ich gern.

„Damals, da haben wir alle zusammengehalten“, werde ich dann, nicht ganz ohne Pathos, verkünden. „Wir mussten zuhause bleiben, durften nur mit langen Schnabelmasken durch die Stadt gehen und halfen dabei, die Viren mit einem Hammer zu erschlagen (manchmal wird einem die Erinnerung auch ein paar Streiche spielen). Es war eine Zeit der Entbehrungen, die Schulen waren monatelang geschlossen (spätestens jetzt haben wir das Interesse des Nachwuchses), es gab Plünderungen von Klopapierbeständen und wir mussten fast acht Wochen ohne Trinken auskommen (beim Wirt, aber das muss man ja nicht dazusagen).“

Im Museum für angewandte Epidemiologie werden, neben einem ausgestopften Virologen, gebrauchte FFP2-Masken und selbstgehäkelter Mundschutz aus dem Ausseerland ausgestellt. Ich sehe mich schon in künftigen Talkshows weise über die gute alte Zeit sinnieren und freue mich darauf, die Formulierung anzubringen: „Das können sich die Jungen heute gar nicht mehr vorstellen!“ Dabei bemerke ich mit Unbehagen, dass die Vorfreude auf dieses Zukunftsszenario wohl ein Zeichen dafür ist, dass ich alt werde. Und das Unbehagen wächst, weil ich sogar noch weiß, wie man ein Vierteltelefon bedient.

print
DRUCKEN
Metadaten
Titel
Gehabte Krisen hab‘ ich gern!
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
10.06.2020
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 24/2020

Weitere Artikel der Ausgabe 24/2020